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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 18.11.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 341/02
Rechtsgebiete: StPO, MRK, UvollzO


Vorschriften:

StPO § 148 Abs. 1
MRK Art. 6
UvollzO Nr. 36 Abs. 2
1. Ein Untersuchungsgefangener hat das Recht auf unüberwachten Umgang nicht nur mir dem Verteidiger in dem Verfahren, in dem die Untersuchungshaft angeordnet ist, sondern auch mit Verteidigern in anderen anhängigen Strafverfahren.

2. Dies gilt auch für den freien Kontakt mit ausländischen Verteidigern in ausländischen Strafverfahren, wenn dem Gefangenen dort die Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zustehen.

3. An den Nachweis der Legitimation sind in derartigen Fällen wegen der Missbrauchsgefahr erhöhte Anforderungen zu stellen. Im Einzelfall kann es geboten sein, neben einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung auch eine amtliche Bestätigung der ausländischen Justizbehörden über die Tätigkeit der betreffenden Person als Verteidiger des Beschuldigten in dem dort anhängigen Verfahren zu fordern.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

1 Ws 341/02

In der Strafsache

wegen Beihilfe zur Untreue

hier: unüberwachter Verteidigerverkehr

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richterin am Oberlandesgericht ####### am 18. November 2002 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 5. großen Strafkammer des Landgerichts ####### vom 10. Oktober 2002 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer befindet sich in Untersuchungshaft für die 5. große Strafkammer des Landgerichts #######, die gegen ihn wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Untreue die Hauptverhandlung führt.

Mit Schriftsatz vom 15. September 2002 hat der Angeklagte beantragt, "seinem Geschäftspartner und Berater, Herrn ##############" eine Besuchserlaubnis (Sprechschein) in der Justizvollzugsanstalt zu den anstaltsübllichen Bedingungen zu erteilen. Er benötige seinen Rat im Rahmen der Beantwortung aktueller und zukünftiger Fragen zur weiteren Geschäftsentwicklung, insbesondere im Hinblick auf das Beschäftigungsverhältnis bei der ############## AG, dessen arbeitsrechtliche Seite Herr ####### in der Vergangenheit bearbeitet habe.

Die Staatsanwaltschaft hat dazu mitgeteilt, dass gegen den Angeklagten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die ############## von der Steuermiliz der Steuerverwaltung der ####### ein Strafverfahren wegen Untreue u.a. geführt werde. Die ####### habe ein entsprechendes Rechtshilfeersuchen an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet.

Der Angeklagte hat sodann beantragt, ihm eine unüberwachte Besprechung mit dem ihn "in einer neuen - das vorliegende Verfahren nicht direkt betreffenden - Sache vertretenden Rechtsanwalt #######" zu gestatten. Der Vorsitzende des erkennenden Gerichts hat am 24. September 2002 zunächst die Besuchserlaubnis mit der Maßgabe erteilt, dass sich Herr ####### mit einem gültigen Verteidigerausweis ausweise, diese Erlaubnis aber am 27. September 2002 widerrufen.

Einen erneuten Antrag auf Gestattung unüberwachter Besprechungen mit Herrn ####### hat der Vorsitzende mit Beschluss vom 10. Oktober 2002 mit der Begründung abgelehnt, ein Anspruch auf unüberwachten Verteidigerverkehr bestehe nur hinsichtlich der Verteidiger im anhängigen Verfahren. Das Gericht habe ausnahmsweise einen unüberwachten Besuch zugelassen, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich mit einem ####### Verteidiger vor der von der ####### beantragten Rechtshilfevernehmung wegen der neuen Beschuldigung besprechen zu können. Eine weitere Ausnahme komme nicht in Betracht, weil der Angeklagte den dauerhaften unüberwachten Umgang mit einem am Verfahren unbeteiligten Dritten zu Verdunklungsmaßnahmen oder gar zu Maßnahmen, die eine Flucht ermöglichen oder die Sicherheit am Verfahren beteiligter Personen gefährden könnten, missbrauchen könnte. Insbesondere letzteres stelle sich als konkrete Gefahr dar, weil der Angeklagte ihn - den Vorsitzenden - nach der Hauptverhandlung am 26. September 2002 hochgradig aggressiv bedroht habe.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde, die er auf Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK) - Recht auf ein faires Verfahren - stützt. Die angeführten Gefahren wie auch die Drohung nimmt er in Abrede; für eine effektive Verteidigung im ausländischen Verfahren bedürfe es unüberwachter Gespräche.

Der Vorsitzende hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO), aber unbegründet.

1. Dem Beschwerdeführer steht dem Grunde nach das Recht auf unüberwachten Umgang mit Verteidigern in anderen anhängigen Strafsachen zu.

a. Nach § 148 Abs. 1 StPO hat ein Untersuchungsgefangener das Recht auf ungehinderten Verkehr mit seinem Verteidiger. Dieses Recht umfasst unüberwachte Besuche des Verteidigers in der Haftanstalt ohne Einschränkungen in Bezug auf Dauer und Häufigkeit (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. § 148 Rdn. 9 m.w.N).

Dasselbe Recht ergibt sich auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Art. 6 Abs. 3 MRK hat jeder Angeklagte das Recht, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen (lit b.) und den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten (lit c.). Auch hier ist das Recht auf vertrauliche, akustisch nicht überwachte Besprechungen mit dem Verteidiger in der Untersuchungshaft umfasst (EGMR NJW 1992, 3090).

Ein Untersuchungsgefangener hat das Recht auf unüberwachten Umgang nicht nur mit den Verteidigern für das Verfahren, in dem die Untersuchungshaft angeordnet ist, sondern auch mit Verteidigern in anderen gegen ihn anhängigen Strafverfahren.

Weder aus § 148 Abs. 1 StPO noch aus Art. 6 MRK lässt sich eine Beschränkung auf das anhängige Haftverfahren entnehmen. Der Wortlaut der Vorschriften stellt lediglich auf den "Verteidiger" ohne nähere Spezifizierung ab. Eine am Grundsatz fairer Verfahrensgestaltung orientierte Auslegung lässt keine Einschränkung auf den Verteidiger in demselben Verfahren zu. Ein Beschuldigter hat vielmehr das verfassungsrechtlich verbürgte Recht, sich in jeder Lage eines Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen (§ 137 Abs. 1 StPO; BVerfG NJW 1975, 1015; NJW 1984, 862). In einem anhängigen Strafverfahren kann einem Beschuldigten der unüberwachte Umgang mit seinem Verteidiger mithin nicht nur deshalb verweigert werden, weil er nicht auf freiem Fuß ist. So ist auch unstreitig, dass einem Strafgefangenen in einer neuen Strafsache, einer Strafvollstreckungs- oder Gnadensache der freie Verkehr mit dem Verteidiger nach § 148 StPO zu gestatten ist (KG JR 1977, 213; Kleinknecht/Meyer-Goßner ebenda § 148 Rdn. 5 m.w.N.; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Aufl. § 26 Rdn. 1). Befindet sich der Gefangene nicht in Strafhaft, sondern in Untersuchungshaft können - gerade unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung - keine strengeren Maßstäbe gelten.

b. Dieses Recht auf unüberwachten Umgang mit dem Verteidiger steht in Deutschland inhaftierten Gefangenen auch für die Verteidigung in ausländischen Strafverfahren jedenfalls dann zu, wenn ihnen in dem jeweiligen ausländischen Verfahren die Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zustehen (vgl. dazu Schweizerisches Bundesgericht Lausanne, Entscheidung vom 4. August 1995, StV 1995, 646). Die deutsche Justiz hat dann den internationalen Verfahrensstandard für das ausländische Verfahren auch in Deutschland zu gewähren.

Die ####### hat die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Mithin ist dem Gefangenen dort das Recht auf unüberwachten Verkehr mit seinem Verteidiger im ############## Verfahren zu gewähren.

2. Voraussetzung für den freien Kontakt ist allerdings, dass es sich tatsächlich um den Verteidiger in dem ausländischen Verfahren handelt und dies auch gegenüber der Haftanstalt bzw. dem Gericht nachgewiesen wird. Daran fehlt es hier.

a. Regelmäßig hat sich der Verteidiger durch die Vollmacht des Gefangenen oder die Bestellungsanordnung des Gerichts auszuweisen (vgl. Nr. 36 Abs. 2 UVollzO). In geeigneten Fällen können indes auch höhere Anforderungen an die Verteidigerlegitimation gestellt werden (vgl. Nr. 36 Abs. 2 Satz 2 UVollzO).

Bei einer Verteidigung durch ausländische Verteidiger in ausländischen Verfahren sind derartige höhere Anforderungen regelmäßig zu stellen. Allein die Vorlage einer Vollmacht kann nur ausnahmsweise als ausreichend erachtet werden. Schließlich können weder Haftrichter noch Anstaltsleitung überprüfen, ob es sich bei der als Verteidiger benannten Person überhaupt um einen im ausländischen Staat zugelassenen Rechtsanwalt bzw. zugelassenen Beistand handelt, noch ob dieser auch zur Vertretung in der konkreten Strafsache befugt ist. Die Gefahr des Missbrauchs liegt auf der Hand, wenn der ausländische Gefangene lediglich durch die Ausstellung einer Vollmacht den unüberwachten Umgang mit einer sich als Rechtsanwalt ausgebenden ausländischen Person erzwingen könnte. In diesen Fällen ist es daher zulässig, im Einzelfall sogar geboten, neben einer Bevollmächtigung auch den Nachweis der Legitimation durch die das Verfahren betreibenden ausländischen Ermittlungsbehörden zu fordern, d.h. die amtliche Bestätigung, dass die betreffende Person in dem dort anhängigen Verfahren zur Verteidigung des Beschuldigten berechtigt ist und diese Aufgabe auch wahrnimmt.

b. Diesen Anforderungen wird der Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen auch in der Beschwerdeschrift nicht gerecht.

Von dem als Verteidiger benannten Herrn ####### befindet sich weder eine Vollmacht noch ein sonstiger Nachweis der Legitimation bei den Akten.

Zu berücksichtigen ist überdies, dass Herr ####### - wie sich aus dem ersten Antrag auf Erteilung einer Besuchserlaubnis ergibt - "Geschäftspartner und Berater" des Angeklagten war und mit "arbeitsrechtlichen" Fragen der Tätigkeit des Angeklagten bei der ##### ########## befasst war. Gerade im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit des Angeklagten ermitteln die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden. Eine Verfahrensbeteiligung des Herrn ####### erscheint danach jedenfalls nicht fernliegend und gibt zu besonderer Überprüfung der Verteidigungsbefugnis Anlass (vgl. § 138a Abs. 1 StPO für das deutsche Recht). Dieser Nachweis kann hier nur durch einen entsprechenden Legitimationsnachweis der ############## Behörden geführt werden, der jedenfalls bislang nicht vorliegt.

c. Im Hinblick auf das bereits laufende Rechtshilfeverfahren erscheint die Beschaffung und Vorlage einer entsprechenden Bestätigung durch die ############ Behörden durch den Beschwerdeführer bzw. seinen Verteidiger auch verhältnismäßig und zumutbar.

Eine unangemessene Beeinträchtigung der Rechtsposition des Angeklagten liegt darin nicht. Eine etwaige Verzögerung der Vorbereitung der Verteidigung ist hinzunehmen; ein besonderer Eilbedarf ist nicht ersichtlich.

Überdies sind bis zum Nachweis der Verteidigerlegitimation jedenfalls überwachte Gespräche nach den allgemeinen Regelungen (vgl. Nr. 36, 27 UvollzO) möglich. Die Ausführungen in der Beschwerdeschrift sind nicht geeignet, eine konkrete Gefahr, dass Erkenntnisse aus diesen Gesprächen im anhängigen Verfahren verwertet oder gar in die ####### weitergeleitet werden könnten, anzunehmen.

Dass der Vorsitzende bereits einmal einen unüberwachten Besuch zur Vorbereitung der Vernehmung im Rechtshilfeverfahren gestattet hat, begründet entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht den Vorwurf "objektiver Willkür". Vielmehr ist die Genehmigung seinerzeit ausdrücklich nur unter dem Vorbehalt eines ordnungsgemäßen Verteidigernachweises erteilt worden.

3. Schließlich findet der freie Kontakt mit dem Verteidiger dort seine Grenzen, wo eine konkrete Gefahr besteht, dass er seine Vertrauensstellung als Anwalt missbrauchen oder zu Kollusionen beitragen könnte (vgl. § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO; Schweizerisches Bundesgericht aaO; Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl. Vor § 68 Rdn. 36a).

Nach den vom Vorsitzenden der Strafkammer dazu angeführten Umstände in Zusammenschau mit der Funktion des ########### als "Geschäftspartner" des Angeklagten ist eine derartige Gefahr hier nicht von der Hand zu weisen. Die Frage mag jedoch angesichts der ohnehin fehlenden Legitimation des als Verteidiger benannten Herrn ####### letztlich dahinstehen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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