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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 30.11.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 341/04 (StrVollz)
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 18 Abs. 1
1. Selbst bei Geltendmachen schwer wiegender Grundrechtseingriffe (hier: vorübergehende Unterbringung eines Strafgefangenen in einem Zweimann-Haftraum) ist ein Rechtsschutzbedürfnis nach Erledigung einer Maßnahme nicht ausnahmslos anzunehmen.

2. Das Rechtsschutzbedürfnis auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme kann insbesondere dann fehlen, wenn ein Strafgefangener sich mit der vorübergehenden Unterbringung in einem Zweimann-Haftraum ausdrücklich einverstanden erklärt, ihm jederzeit ein Einzelhaftraum zur Verfügung gestanden und er keinerlei Anstrengungen gegen die Unterbringung in einem Zweimann-Haftraum unternommen hat.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

1 Ws 341/04 (StrVollz)

In der Strafvollzugssache

des M. R., geb. 1963, zurzeit Justizvollzugsanstalt U. - Antragstellers und Beschwerdeführers,

wegen Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 30. November 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 6. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 6.9.2004 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 100,-- € festgesetzt.

Gründe:

1. Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe. Mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wandte er sich unter dem 11.7.2004 gegen seine Unterbringung im Transporthaus der Antragsgegnerin, in dem er vom 10.6.2004 bis zum 15.6.2004 für den Weitertransport in die JVA U. untergebracht war, und beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme. Zur Begründung seines Antrags führte er aus, die Zelle sei gerade acht qm groß und mit zwei Personen, nämlich mit ihm und dem Mitgefangenen U. P., belegt gewesen. Toilette und Waschgelegenheit seien lediglich durch eine 1,20 m hohe Schamwand vom restlichen Zellenraum getrennt gewesen. Es sei ihm daher nicht möglich gewesen, während der Unterbringung Stuhlgang zu haben. Durch seinen 23 Stunden dauernden Einschluss sei seine psychische Stresssituation extrem verstärkt worden.

Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 6.9.2004 wurde der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse des Verurteilten sei nicht erkennbar, überdies sei die beanstandete Maßnahme nicht rechtswidrig gewesen. Bei der JVA H. handele es sich um eine solche im Sinne von § 201 Abs. StVollzG, die vor dem Inkrafttreten des StVollzG errichtet worden sei, und die Maßnahme sei nach § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG wegen dringend erforderlicher Sanierungs- und Umbauarbeiten vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig gewesen. Überdies sei dem Verurteilten bei der Aufnahme in die Transportabteilung ein Einzelhaftraum angeboten worden. Der Verurteilte habe aber seiner Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle zugestimmt und habe dies zweimal schriftlich bestätigt. Von der ihm gebotenen Möglichkeit, während seiner Unterbringung jederzeit einen Einzelhaftraum beziehen zu können, habe der Verurteilte keinen Gebrauch gemacht, und habe sich auch sonst in keiner Weise gegen die Unterbringung gewandt.

Gegen diese Entscheidung der Strafvollstreckungskammer wendet sich der Verurteilte mit seiner Rechtsbeschwerde.

2. Die Rechtsbeschwerde ist nach Maßgabe von § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist nicht zu beanstanden.

a) Das Landgericht hat zunächst zutreffend ein Feststellungsinteresse des Verurteilen verneint. Hierbei ist unerheblich, dass der Entscheidung kein Fortsetzungsfeststellungsantrag im Sinne des § 115 Abs. 3 StVollzG, sondern ein im StVollzG nicht geregelter, aber allgemein anerkannter Feststellungsantrag (vgl. hierzu ThürOLG vom 19.8.2003, StraFo 2004, 72) zugrunde lag. Auch dieser setzt indessen das Vorliegen eines Feststellungsinteresses voraus. Ein solches berechtigtes Feststellungsinteresse des Verurteilten lag aber nicht vor.

aa) Die Annahme eines Feststellungsinteresses hinsichtlich des Antrags auf gerichtliche Entscheidung scheitert bereits daran, dass der Verurteilte vor Zuweisung eines Zweimannhaftraums und den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses zufolge offenbar ohne erkennbaren Druck gefragt worden war, ob er hiermit einverstanden sei und dass dem Verurteilten ein Einzelhaftraum ausdrücklich angeboten worden und er überdies darauf hingewiesen worden war, dass er während seines Aufenthalts in der Transportabteilung jederzeit einen solchen beanspruchen könne. Das Landgericht hat überdies festgestellt, dass der Verurteilte dieses Einverständnis zweimal (und zwar am 10.6. sowie erneut am 13.6.2004) schriftlich erklärt und während seines Aufenthalts in der Transportabteilung die Unterbringung in dem Haftraum zu keiner Zeit beanstandet hatte. Der Antragsteller habe nicht dargetan, woraus er nunmehr ein nachträgliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme herleite.

bb) Dieser Auffassung steht das Rechtsbeschwerdevorbringen nicht entgegen. Soweit der Antragsteller hiermit vorgetragen hatte, die Entscheidung des Landgerichts Hannover weiche erheblich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur räumlichen Situation in der JVA H. ab, wonach ein Feststellungsinteresse bei schwer wiegenden Grundrechtseingriffen grundsätzlich zu bejahen sei, kann er hiermit nicht durchdringen.

So ist bereits fraglich, ob die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.2.2002 (2 BvR 553/01) zugrunde liegende räumliche Situation tatsächlich mit der des vorliegenden Verfahrens vergleichbar war, denn immerhin war in dem hier maßgeblichen Haftraum ein Sichtschutz installiert worden, der die fraglichen Beeinträchtigungen in gewissem Maße abzumildern in der Lage ist.

Insbesondere aber ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selbst bei in Redestehen eines tief greifenden Grundrechtseingriffs nicht stets und ausnahmslos vom Vorliegen eines schutzwürdigen Feststellungsinteresses auszugehen. So ist in der grundsätzlichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.12.2001 zur Frage des Fortbestehens des Rechtsschutzinteresses trotz Erledigung in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe (2 BvR 1777/00, unter C I 2 der Gründe) ausgeführt worden, dass die allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses u.a. abzuleiten sei aus dem auch im Prozessrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben sowie aus dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte. Ein Bedürfnis an gerichtlicher Entscheidung trotz Erledigung sei daher anzunehmen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Hieran anknüpfend hat das Thüringische Oberlandesgericht ausgeführt, neben dem Umstand des tief greifenden Grundrechtseingriffs seien weitere Gesichtspunkte für die Annahme eines Feststellungsinteresses heran zu ziehen, und hat hierbei auf die Dauer der Grundrechtsverletzung oder darauf abgestellt, ob der Betroffene sich während deren Dauer um Rechtsschutz bemüht hat (ThürOLG vom 20.8.2003, StraFo 2004, 73); auch jenem Verfahren lag eine gemeinschaftliche Unterbringung in einem Haftraum zugrunde.

Unter Berücksichtigung dieser Wertung erscheint es auch aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht für die Frage des Fehlens bzw. des Vorliegens eines berechtigten Feststellungsinteresses darauf abstellt, ob der Betroffene, dem zudem Alternativen angeboten wurden, sich mit einer Maßnahme ausdrücklich einverstanden erklärt und nachfolgend während seiner Unterbringung keinerlei Einwände hiergegen vorbringt. Hierbei hätte es vorliegend nicht einmal vorläufigen Rechtsschutzes in Form einer einstweiligen Anordnung bedurft, denn der Verurteilte hatte den getroffenen (und auch im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellten) Feststellungen zufolge jederzeit die Möglichkeit, einen Einzelhaftraum zugewiesen zu bekommen. Hiervon hat er keinen Gebrauch gemacht.

In diesem Sinne hat jüngst auch der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine kurzfristige Unterbringung eines Strafgefangenen in einer Gemeinschaftszelle (dem Verfahren lag ebenfalls eine Unterbringung in der Transportabteilung der Justizvollzugsanstalt H. zugrunde) nicht stets einen Anspruch auf Entschädigung in Geld nach sich zieht, sondern hierfür auf Bedeutung und Tragweite des Eingriffs ebenso abzustellen ist wie auf Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie auf den Grad seines Verschuldens (BGH vom 4.11.2004, III ZR 361/03); die Entscheidung, dem Kläger des dortigen Verfahrens einen Anspruch auf Entschädigung zu versagen, sei danach nicht zu beanstanden. Auch hiernach wäre nach den dargelegten Erwägungen ein Feststellungsinteresse des Antragstellers vorliegend zu verneinen.

b) Die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist überdies nicht zu beanstanden, soweit die Strafvollstreckungskammer die Rechtswidrigkeit der gemeinsamen Unterbringung verneint hat. Die Kammer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei der Justizvollzugsanstalt H. um eine solche im Sinne des § 201 Abs. 3 StVollzG handelt, die vor Inkrafttreten des Gesetzes errichtet wurde, und dass überdies die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG vorgelegen haben. Hiernach ist der Vollzug einer gemeinschaftlichen Unterbringung zur Ruhezeit nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig.

Eine derart nur vorübergehende und aus zwingenden Gründen erforderliche Situation ist zulässig zur Behebung einer vorübergehenden Notlage, aber nicht im Falle einer chronischen Überbelegung, der mit der Vorschrift des § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht wirksam begegnet werden kann (Callies/Müller-Dietz, 10. Aufl., § 18 Rn. 4 m.w.N.). Vorliegend war den getroffenen Feststellungen zufolge eine zeitweilige und kurzfristige Überbelegung der Transportabteilung erforderlich aufgrund von unaufschiebbaren Baumaßnahmen, die als Reaktion eine zeitweilige Doppelbelegung einzelner Hafträume erforderlich machte. Dies erfüllt die Voraussetzungen aus § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Die Belegung erfolgte überdies im erklärten Einverständnis des Antragstellers, weshalb auch aus diesem Grunde das Verneinen der Rechtswidrigkeit nicht zu beanstanden ist.

3. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass es im Hinblick auf die in den Schriftsätzen vom 8.10.2004 und vom 23.11.2004 in Aussicht gestellte ergänzende Stellungnahme eines Zuwartens mit einer Entscheidung nicht bedurfte, da zum einen die in § 118 Abs. 1 StVollzG bestimmte und somit gesetzlich festgelegte Frist nicht verlängert werden kann, und überdies ein nachträglich und in den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht enthaltenes tatsächliches Vorbringen nach Rechtsbeschwerdegesichtspunkten nicht berücksichtigungsfähig wäre.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG, die Bestimmung des Streitwerts (für beide Instanzen) beruht auf §§ 1 Nr. 1j, 63 Abs. 3, 65 GKG.

5. Ein Rechtsmittel gegen die vorliegende Entscheidung ist nicht eröffnet, §§ 116 Abs. 4 StVollzG, 304 Abs. 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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