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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 12.01.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 416/04 (StrVollz)
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 10
StVollzG § 115
Verwaltungsvorschriften oder -entscheidungen allein können Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes nicht einschränken, abändern oder notwendige Ermessensentscheidungen im Einzelfall ersetzen. Sie können aber Hinweise für die vorzunehmende Ermessensentscheidung enthalten oder - neben anderen Kriterien - selbst als Bestandteil einer Ermessensentscheidung herangezogen werden.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

1 Ws 416/04 (StrVollz)

In der Strafvollzugssache

des K. A. W., geb. 1969 in H., zurzeit in der JVA W.,

wegen Verlegung in den offenen Vollzug

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 12. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 2. November 2004 nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 12. Januar 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss der 12. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 2. November 2004 sowie der Einweisungsbescheid der Justizvollzugsanstalt H. vom 13. September 2004 werden aufgehoben.

Die Justizvollzugsanstalt H. wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Landeskasse zur Last.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 500,- Euro festgesetzt.

Gründe:

1. Durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 26. März 2003 wurde der Antragsteller wegen Vergewaltigung pp. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren Dauer verurteilt. Die Strafe wird seit dem 5. Januar 2004 vollstreckt. Mit Bescheid der bei der Antragsgegnerin eingerichteten Einweisungsabteilung vom 13. September 2003 wurde der Antragsteller in den geschlossenen Vollzug eingewiesen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller genüge den besonderen Anforderungen für den offenen Vollzug. Er sei Ersttäter, Erstverbüßer und habe sich selbst zum Strafantritt gestellt. Es sei von einer geringen Missbrauchsgefahr auszugehen, Hinweise auf eine aktuelle Risikodisposition ergäben sich ebenso wenig wie Hinweise auf eine Fluchtgefahr. Die Tat sei Ausdruck einer Tendenz zur Situationsverkennung. In der der Entscheidung zugrunde gelegten gutachtlichen Stellungnahme des Psychologieoberrats P. vom 15. Juli 2004 ist ausgeführt worden, der Verurteile verfüge über feste soziale Bindungen. Von einer Missbrauchsgefahr sei nicht auszugehen, die Missbrauchsgefahr sei auch bei Gewähren von Lockerungen als äußerst gering einzuschätzen. Der Verurteilte gehöre in die Gruppe von Sexualstraftätern, bei denen nicht von einer erneuten Inhaftierung nach der Entlassung auszugehen sei. Er sei in der Lage, sein Verhalten angemessen zu steuern und zu kontrollieren. An der Einweisungsentscheidung seien u.a. sieben Psychologen beteiligt gewesen, die Entscheidung sei einstimmig ausgefallen. Gleichwohl sei der Antragsteller in den geschlossenen Vollzug einzuweisen. Gemäß Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums vom 13. Februar 2004 sei eine Verlegung des Antragstellers erst möglich, wenn das Ergebnis einer externen Begutachtung die Einschätzung der Einweisungsabteilung bestätige.

Der hiergegen mit dem Ziel der Verlegung in den offenen Vollzug gerichtete Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung wurde durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Hannover zurückgewiesen; die Entscheidung der Antragsgegnerin sei als Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. Insbesondere sei nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin ihr Ermessen dahingehend ausgeübt habe, sich für die Frage der Geeignetheit des Antragstellers sachverständig beraten zu lassen. Überdies könne die Kammer die Einschätzung einer Tat mit der Tendenz zur Situationsverkennung nicht nachvollziehen.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Er trägt im Wesentlichen vor, der Erlass des Innenministeriums sei nicht bindend, vielmehr habe nach Maßgabe von § 10 StVollzG eine Einweisung in den offenen Vollzug zu erfolgen. Der Antragsteller sei hierfür geeignet.

2. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist nach Maßgabe von § 116 Abs. 1 StVollzG zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zulässig, denn es gilt der Wiederholung des nachfolgend aufgezeigten Rechtsfehlers entgegenzuwirken.

3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

Aus den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer ergibt sich, dass die Antragsgegnerin das ihr im Rahmen von § 10 StVollzG zustehende Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt hat.

a) Die Entscheidung über die Einweisung eines Strafgefangenen in den offenen oder geschlossenen Vollzug bestimmt sich nach § 10 StVollzG. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift soll ein Gefangener mit seiner Zustimmung im offenen Vollzug untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen hierfür genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeit des offenen Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werde. Zwar steht dem Gefangenen kein Rechtsanspruch auf Unterbringung im offenen Vollzug im Fall seiner Eignung zu, aus § 10 StVollzG erwächst indessen ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch der Vollzugsbehörde (vgl. nur OLG Zweibrücken, ZstrVo 1998, 179). Durch Ausgestaltung dieser Norm als Soll-Vorschrift wird klargestellt, dass den Vollzugsbehörden nur ein enger Ermessensspielraum eingeräumt und generell nur in begründeten Ausnahmefällen gestattet wird, einen für den offenen Vollzug geeigneten Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterzubringen (Callies/Müller-Dietz, 10. Aufl. § 10 Rn. 2). Ein in diesem Sinne fehlerfreier Ermessensgebrauch der Antragsgegnerin lässt sich den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen.

Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung über die Einweisung des Antragstellers, bei dem sie die besonderen Voraussetzungen für den offenen Vollzug für gegeben erachtet, in den geschlossenen Vollzug damit begründet, der Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums vom 13. Februar 2004 sehe bei Sexualstraftätern vor Verlegung in den offenen Vollzug das Ergebnis einer externen Begutachtung vor. Vorher sei eine Verlegung in den offenen Vollzug nicht möglich. Diese allein hierauf gestützte Entscheidung kann keinen Bestand haben.

b) Der Senat hat bereits wiederholt darauf hingewiesen und hält daran fest, dass eine Verwaltungsvorschrift oder -entscheidung die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes nicht einschränken oder abändern kann und es stets einer am Einzelfall ausgerichteten und von der Vollzugsbehörde darzulegenden Ermessensentscheidung bedarf (Beschluss vom 22, Juli 1977, 3 Ws 202/77; vom 6. März 1984, ZstrVo 1984, 251; vom 19. Mai 2000, StV 2000, 573; vgl. auch Callies/Müller-Dietz, 10. Aufl. § 11 Rn. 19 m.w.N.). Hiernach können Verwaltungsvorschriften Hinweise auf die vorzunehmende Ermessensentscheidung enthalten oder - neben anderen Kriterien - selbst als Bestandteil einer Ermessenentscheidung herangezogen werden, sie können diese aber nicht ersetzen.

Dem wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Die Antragsgegnerin hat ihre Einweisungsentscheidung allein darauf gestützt, dass nach dem Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums vom 13. Februar 2004 - 4510 - 305.21 - (dem sog. Doppelbegutachtungserlass) eine Einweisung in den offenen Vollzug erst möglich sei nach Vorliegen eines externen Gutachtens, das die Einschätzung der Einweisungsabteilung bestätige. Eine am vorliegenden Einzelfall ausgerichtete inhaltliche Auseinandersetzung mit den Einweisungskriterien, insbesondere mit der der Einweisungsentscheidung entgegenstehenden einstimmigen prognostischen Einschätzung von sieben Psychologen und der gleichlautenden sachverständigen Beurteilung des - weiteren - Psychologieoberrats P. fehlt. Überdies lässt der angefochtene Einweisungsbescheid nicht erkennen, weshalb die Antragsgegnerin, die ihre Entscheidung gerade an dem maßgeblichen Erlass ausgerichtet hat, eine Einweisungsentscheidung bereits getroffen hat, bevor ein externes Gutachten vorlag. Die Antragsgegnerin hat hiernach die nach § 10 StVollzG erforderliche Abwägung unterlassen. Der angefochtene Bescheid konnte somit keinen Bestand haben.

c) Dem steht nicht entgegen, dass in dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer ausgeführt wurde, es sei letztlich nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin ihr Ermessen dahingehend ausgeübt habe, sich für die Frage der Geeignetheit des Antragstellers sachverständig beraten zu lassen, überdies erscheine die Einschätzung der Tat mit einer Tendenz zur Situationsverkennung nicht nachvollziehbar. Mit diesen Erwägungen, die weder der Einweisungsbescheid der Antragsgegnerin noch deren weiteres und in der Entscheidung wiedergegebenes Vorbringen enthalten, hat die Strafvollstreckungskammer in nicht zulässiger Weise (vgl. zuletzt Senat vom 22. Dezember 2004, 1 Ws 374/04; Schwindt/Böhm, 3. Aufl., § 115 Rn. 19 m.w.N.) ihr eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Antragsgegnerin gesetzt.

d) Im Hinblick auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers weist der Senat klarstellend darauf hin, dass er an der hier dargelegten Rechtsauffassung zur mangelnden gerichtlichen Bindungswirkung von Verwaltungsentscheidungen festhält, dass dies aber weiterhin nicht ausschließt, dass in Einzelfallentscheidungen eine auch an den Kriterien des Doppelbegutachtungserlasses oder anderen Verwaltungsvorschriften ausgerichtete Entscheidung der Vollzugsbehörde Bestand haben kann.

4. Die Antragsgegnerin wird unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Senats die Einweisung des Antragstellers neu zu beurteilen haben. Eine eigene Sachentscheidung des Senats kam nicht in Betracht, weil der Senat das der Anstalt im Rahmen von § 10 StVollzG zustehende Ermessen nicht ersetzen kann (vgl. hierzu Callies/Müller-Dietz, 10. Aufl. § 119 Rn. 5 m.w.N.).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 StVollzG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO entsprechend. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 1 Nr. 1j, 63 Abs. 3, 65, 71 GKG.

Ende der Entscheidung

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