Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 24.09.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 469/08
Rechtsgebiete: StVollzG, NJVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 43 Abs. 11
NJVollzG § 40 Abs. 10
Die Frist von zehn Jahren für das Gutschreiben von Ausgleichszahlungen nach § 43 Abs. 11 StVollzG (entspr. § 40 Abs. 10 NJVollzG) berechnet sich nach der tatsächlichen Zeit der Verbüßung, und nicht nach dem Inkrafttreten des Gesetzes.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

1 Ws 467/08 (StrVollz) 1 Ws 468/08 (StrVollz) 1 Ws 469/08 (StrVollz)

In der Strafvollzugssache

wegen Ausgleichszahlung,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die gegen den Beschluss der 1. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts L. mit Sitz in C. vom 1. September 2008 gerichteten Rechtsmittel des Antragstellers nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 24. September 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss aufgehoben, soweit der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen wurde. Zugleich wird die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 3. Juli 2008 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, über den Antrag des Antragstellers vom 20. Mai 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die Kosten des Verfahrens und die insoweit veranlassten notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Landeskasse zur Last.

2. Die Beschwerde gegen das Versagen von Prozesskostenhilfe wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig verworfen.

3. Die Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig verworfen.

Gründe:

1. Der Antragsteller verbüßt aufgrund eines Urteils vom 25. September 1996 eine lebenslange Freiheitsstrafe, von der den von der Strafvollstreckungskammer getroffenen Feststellungen zufolge 15 Jahre am 16. Mai 2011 verbüßt sein werden. Am 20. Mai 2008 beantragte der Antragsteller das Auszahlen einer Ausgleichsentschädigung nach § 40 Abs. 10 NJVollzG (entspr. § 43 Abs. 11 StVollzG). Dieser Antrag wurde von der Antragsgegnerin abgelehnt. Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 17. Juli 2008 hat die Strafvollstreckungskammer namentlich unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Hamm vom 23. Juni 2005 zurückgewiesen und hierzu ausgeführt, die in § 40 Abs. 10 NJVollzG benannte Frist von zehn Jahren habe erst mit Inkrafttreten der entsprechenden Regelung des § 43 Abs. 11 StVollzG am 1. Januar 2001 zu laufen begonnen; der geltend gemachte Anspruch auf die Gutschrift von Ausgleichszahlungen sei demnach nicht fällig. Den überdies gestellten Antrag auf Bewilligen von Prozesskostenhilfe hat die Kammer mangels Erfolgsaussicht abgelehnt und den Streitwert auf 300,- Euro festgesetzt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit den Rechtsmitteln der Rechtsbeschwerde, der Beschwerde gegen das Versagen von Prozesskostenhilfe sowie der sofortigen Beschwerde gegen den Streitwert. Seine inhaltlich auf eine Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde stützt er auf die Rechtsprechung des OLG Rostock zu § 43 Abs. 11 StVollzG, nach der die hierin benannte Frist von zehn Jahren sich nicht an dem Inkrafttreten des Gesetzes, sondern an der tatsächlichen Verbüßungsdauer zu orientieren habe. Die frühere und gegenteilige Auffassung des OLG Hamm habe sich nicht durchgesetzt. Der zentrale juristische Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug wurde beteiligt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 116 Abs. 1 StVollzG zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zulässig und auch im Übrigen zulässig erhoben. Zwar enthält das Rechtsmittel keinen Antrag und bezeichnet keine Rüge im Sinne von § 118 Abs. 1 und 2 StVollzG. Aus der Rechtsmittelschrift gehen das Ziel und eine Begründung aber hinreichend hervor.

3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zu einer erneuten Entscheidung über den Antrag des Antragstellers unter Beachtung der nachfolgend dargelegten Rechtsauffassung des Senats.

a) Der Klärung bedarf im vorliegenden Verfahren letztlich allein die Frage, wann die in § 40 Abs. 10 NJVollzG bzw. in § 43 Abs. 11 StVollzG benannte Frist von zehn Jahren zu laufen beginnt. Dass die maßgeblichen Ansprüche auf Ausgleichszahlungen erst mit Inkrafttreten der zugrunde liegenden Gesetzes entstehen (können), ist unstreitig. Kontrovers beurteilt wird hingegen der Beginn der Frist, nach der die Ausgleichszahlungen dem Eigengeld gutzuschreiben sind. Der Entscheidung des OLG Hamm vom 23. Juni 2005 (NStZ 2006, 61) wird entnommen, die Frist von zehn Jahren beginne mit dem Inkrafttreten der Neuregelung des § 43 StVollzG am 1. Januar 2001. Dies "verstehe sich von selbst", weil auch Ansprüche erst ab dem Inkrafttreten des Gesetzes bestehen. Dem wird vom Kammergericht (Beschluss vom 1. Dezember 2005, NStZ-RR 2006, 123) und vom Oberlandesgericht Rostock (Beschluss vom 23. Juli 2007, NStZ-RR 2008, 83) entgegen gehalten, dass Fragen der Entstehung des Anspruchs und der Berechnung der zehnjährigen Verbüßungsdauer zu trennen seien, denn die Berechnung der Verbüßungsdauer betreffe nicht die Anspruchsentstehung, sondern allein die Bemessung der jeweiligen Zeitintervalle. Hieraus folge, dass Geldansprüche auf Ausgleichsentschädigung nach § 43 StVollzG zwar erst mit Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 27. Dezember 2000 am 1. Januar 2001 bestehen, für die Berechnung der Zehn-Jahres-Frist des § 43 Abs. 11 Satz 3 StVollzG unabhängig von dem Inkrafttreten des Gesetzes hingegen die tatsächliche Verbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung der Untersuchungshaft maßgebend sei.

Der Senat folgt der Rechtsprechung des Kammergerichts und jener des OLG Rostock uneingeschränkt und legt diese auch seiner Entscheidung zugrunde. Insoweit kann auf die ausführlichen und überzeugenden Gründe der Entscheidung des Kammergerichts vom 1. Dezember 2005 Bezug genommen werden. Demgegenüber kann die von der Strafvollstreckungskammer herangezogene Entscheidung des OLG Hamm nicht überzeugen. Auch hiermit haben sich Kammergericht und das OLG Rostock bereits ausführlich auseinander gesetzt. Nur ergänzend bemerkt der Senat:

Bereits der Wortlaut von § 43 Abs. 11 StVollzG legt zumindest nahe, dass für den Fristbeginn auf eine "Verbüßung von jeweils zehn Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung" abzustellen ist. Gleiches gilt für die entsprechende Regelung des am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen § 40 Abs. 10 NJVollzG. Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien hierzu geht nichts Gegenteiliges hervor. Überdies liefe der auch in § 40 Abs. 10 NJVollzG enthaltene Hinweis auf § 57 Abs. 4 StGB in weiten Teilen leer, wenn die Frist sich nicht am tatsächlichen Vollzugszeitraum orientierte, sondern erst mit Inkrafttreten des Gesetzes zu laufen begönne. Denn in diesem Falle blieben vor Inkrafttreten des Gesetzes bereits verbüßte Zeiten etwa der Untersuchungshaft unberücksichtigt. Schließlich weist auch das Kammergericht bereits zutreffend darauf hin, dass bei Zugrundelegen der Auffassung des OLG Hamm sämtliche am 1. Januar 2011 in Deutschland einsitzenden Gefangenen mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung massenhaft zum gleichen Zeitpunkt zu entschädigen wären, was ohne sachliche Notwendigkeit zu einer unzuträglichen Belastung der Justizverwaltung führte.

b) Diese Rechtsprechung zugrunde gelegt hat der Antragsteller ab dem 1. Januar 2001 Ansprüche auf Ausgleichszahlungen erworben, die nach Ablauf von zehn Jahren tatsächlicher Verbüßung - die Strafvollstreckungskammer teilt hierzu den 16. Mai 2006 mit - fällig und somit dem Eigengeld gutzuschreiben sind.

c) Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat nach § 119 Abs. 4 Satz 1 StVollzG war nicht zu treffen. Vielmehr wird die Antragsgegnerin nunmehr Gelegenheit haben, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

4. Das gegen das Versagen von Prozesskostenhilfe gerichtete Rechtsmittel war als unzulässig zu verwerfen, weil die Ablehnung von Prozesskostenhilfe unanfechtbar ist (vgl. nur Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 10. Aufl. § 120 Rn. 5 m.w.N.).

5. Die sofortige Beschwerde gegen Nr. 3 der Beschlussformel (Festsetzen des Streitwerts) ist unzulässig, weil der Wert des sich nach dem Streitwert bemessenden Beschwerdegegenstandes wegen des auf 300,- Euro festgesetzten Streitwerts die in § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG benannte Grenze von 200,- Euro nicht erreicht.

6. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet (§§ 119 Abs. 5 StVollzG, 304 Abs. 4 StPO).

Ende der Entscheidung

Zurück