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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 20.02.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 50/04
Rechtsgebiete: NUBG, StGB


Vorschriften:

NUBG v. 30.10.2003 § 1 Abs. 1
NUBG v. 30.10.2003 § 3 Abs. 6
StGB § 63
StGB § 66 Abs. 3 S. 2
Zu den Voraussetzungen nachträglicher präventiver Verwahrung noch inhaftierter Straftäter nach dem NUBG bis zum 30. September 2004 unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 -
Oberlandesgericht Celle

1 Ws 50/04

17 Js 4944/94 StA Hildesheim

Beschluss

In dem Verfahren auf einstweilige Unterbringung nach dem NUBG

gegen ####### , geboren am 27. Oktober 1963 in #######, zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt #######, #######

wegen versuchten Mordes u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 5. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 3. Februar 2004 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Landgericht ####### am 20. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird mit der Maßgabe verworfen, dass die einstweilige Unterbringung in einer gesicherten Abteilung eines Niedersächsischen Landeskrankenhauses zu erfolgen hat.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer.

Die schriftliche Begründung ergeht gesondert.

Gründe:

(zu dem Beschluss vom 20. Februar 2004)

I.

Das Schwurgericht in ####### hat gegen den Verurteilten am 19. Oktober 1994 wegen versuchten Mordes in fünf rechtlich zusammentreffenden Fällen und wegen eines weiteren versuchten Mordes, jeweils in Tateinheit mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und unbefugter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren - Einzelstrafen acht und sieben Jahre - erkannt. Das Strafende ist auf das Tagesende des 20. Februar 2004 notiert.

Die Justizvollzugsanstalt ####### hat am 6. Januar 2004 beantragt, gegen den Verurteilten gemäß § 1 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die Unterbringung besonders gefährlicher Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit (NUBG) vom 30. Oktober 2003 (Nds.GVBl. Nr. 25, Ausgabetag 04.11.2003) die Unterbringung des Verurteilten in einer Justizvollzugsanstalt (nach Ende der Strafhaft) anzuordnen; zugleich hat sie weiter beantragt, gemäß § 3 Abs. 6 NUBG die einstweilige Unterbringung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Unterbringungsantrag, längstens für die Dauer von drei Monaten, anzuordnen.

Mit Beschluss vom 3. Februar 2004 hat die 5. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ####### antragsgemäß die einstweilige Unterbringung angeordnet. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und seine Freilassung begehrt.

II.

Das Rechtsmittel ist gemäß § 3 Abs. 6 Satz 2 NUBG zulässig, führt jedoch lediglich zu der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen anderweitigen einstweiligen Unterbringung des Verurteilten.

Die Strafvollstreckungskammer hat auch bei Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 - die einstweilige Unterbringung des Verurteilten zu Recht angeordnet.

1. Das NUBG ist nach Maßgabe der im genannten Urteil entwickelten Grundsätze für übergangsweise zulässige Eingriffe wirksame Rechtsgrundlage für die einstweilige Unterbringung nach Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zwar das Bayerische Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern (BayStrUBG) vom 24. Dezember 2001 und das Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (UnterbringungsG-UBG) vom 6. März 2002 für unvereinbar mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 70 Abs. 1 und Art. 72 Abs. 1 GG erklärt, weil nicht den Landesgesetzgebern, sondern dem Bund die Kompetenz zur Regelung der präventiven Verwahrung rechtskräftig Verurteilter zusteht. Es hat jedoch die formell verfassungswidrigen Gesetze nach Maßgabe der Urteilsgründe bis zum 30. September 2004 für weiter anwendbar erklärt, weil "ein vom zuständigen Gesetzgeber entwickeltes Konzept nachträglicher Anordnung einer präventiven Verwahrung noch inhaftierter Straftäter bei entsprechender Fassung nicht von vornherein unter dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit" stehe. Zur Wahrung der materiellen Verfassungsmäßigkeit für die Zeit der Fortgeltung hat es zugleich Grundsätze für die Auslegung der Anordnungsvoraussetzungen aufgestellt. Insbesondere darf danach die Unterbringung - abweichend von den geprüften Länderregelungen - nur angeordnet werden, wenn sich aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung im Strafvollzug mit hinreichender Gewissheit die Gefahr erheblicher Straftaten positiv feststellen lässt. Zudem muss auch schon während der Übergangszeit die Möglichkeit der Überweisung in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB), wie sie beim Vollzug der Sicherungsverwahrung in § 67 a Abs. 2 StGB vorgesehen sind, gewährleistet sein.

Der Senat geht davon aus, dass unter Beachtung dieser Grundsätze auch das NUBG bis zum 30. September 2004 Anwendung findet, obgleich es nicht Gegenstand der Prüfung durch das Verfassungsgericht war. Dem Urteil des Verfassungsgerichts sind allgemeine Grundsätze zu entnehmen, die für vergleichbare Regelungen Geltung beanspruchen können. Das NUBG weicht nur in einigen Punkten von dem BayStrUBG ab, stimmt aber insbesondere in Bezug auf die Voraussetzungen der Unterbringung in § 1 i. V. m. § 4 Satz 3 mit der Regelung in § 1 BayStrUBG überein und entspricht hinsichtlich der Vorschriften über die Dauer der Unterbringung, die Zuständigkeit und die Ausgestaltung des Verfahrens den Regelungen jenes Gesetzes inhaltlich weitgehend.

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass das NUBG - anders als die dem Verfassungsgericht vorgelegten Gesetze - in § 3 Absatz 6 die Möglichkeit vorsieht, bei Ende der Haftzeit vor einer rechtskräftigen Entscheidung über den Unterbringungsantrag bis zu der Rechtskraft - längstens bis zur Dauer von drei Monaten - die einstweilige Unterbringung anzuordnen, falls das zum Schutz der in § 1 Absatz 1 genannten Rechtsgüter erforderlich ist. Diese Regelung ist erforderlich, um anderenfalls mögliche Lücken des Gesetzes zu schließen, wie der vorliegende Fall erkennen lässt. Bedenken dagegen dürften jedenfalls dann nicht bestehen, wenn die erforderliche Prüfung sich an den hohen Anforderungen der Anordnung im o. a. Sinne orientiert und sich ihnen weitestgehend annähert.

2. Die demzufolge vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Strafvollstreckungskammer im Ergebnis zu Recht nach § 3 Abs. 6 NUBG die einstweilige Unterbringung angeordnet hat, weil die formellen Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 NUBG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vorliegen und die erforderliche Gesamtwürdigung ergibt, dass mit der für die einstweilige Unterbringung erforderlichen Sicherheit von der Fortdauer der Gefährlichkeit des Verurteilten auszugehen ist. Zwar hat sich die angefochtene Entscheidung, die vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und damit in Unkenntnis der dort aufgestellten Grundsätze ergangen ist, entsprechend der Regelung des NUBG zur Begründung auf den Vollzugsverlauf und die sich daraus ergebende Wertung konzentriert und enthält nicht die vom Verfassungsgericht geforderte eingehende Darstellung der Legalbiografie des Verurteilten als Grundlage der Gesamtwürdigung. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vermag der Senat jedoch unter Verwertung des Urteils des Schwurgerichts vom 19. Oktober 1994 die erforderliche Würdigung vorzunehmen.

a) Den Feststellungen des Urteils zufolge wuchs der Verurteilte nach der Scheidung der Eltern, die erfolgte, als er fünf oder sechs Jahre alt war, bei seiner mit Berufstätigkeit und der Entziehung dreier Kinder überforderten Mutter in ungünstigen Verhältnissen einer von Aggressionen und Gewalttätigkeit geprägten Umgebung auf. Schon früh fühlte er sich allenthalben zurückgesetzt. Er glaubte, seine Mutter ziehe seine Geschwister vor. In der Schule und in der Maurerlehre galt er als kritisch bis aufsässig und politisch verdächtig. 1986 wurde er wegen Republikflucht aus der ehemaligen DDR zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Im Vollzug wurde er misshandelt und schikaniert und beging einen Selbstmordversuch. Nach "Freikauf" und Übersiedlung in die Bundesrepublik gelang ihm keine feste Lebensführung. Nach verschiedenen kurzzeitigen Tätigkeiten lebte er "auf der Straße", hielt sich für etwa neun Monate im Ausland auf, plante den Eintritt in die Fremdenlegion und meldete sich 1993 bei der kroatischen Armee, wurde jedoch kurz vor der endgültigen Übernahme entlassen. Danach zog er ziellos in Deutschland umher und hielt sich mehrfach in Unterkünften sozialer Einrichtungen auf. Ein Männerwohnheim in Hamburg musste er nach einer tätlichen Auseinandersetzung verlassen. Auch ein Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus, in das er sich begeben hatte, weil er nach eigener Einschätzung seine Aggressionen nur schwer unter Kontrolle halten konnte, musste er nach wenigen Tagen verlassen, weil er Medikamente ablehnte. 1990 wurde er wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt.

In den Diakonischen Heimen in K#######, in denen er sich seit dem 3. September 1993 aufhielt, kam es dann zu den Taten, die Gegenstand des Urteils des Schwurgerichts waren. Der Verurteilte lebte in K####### zurückgezogen als Außenseiter und verfügte über praktisch keine Sozialkontakte. Er kleidete sich paramilitärisch, hortete Kriegswaffen und trat den übrigen Bewohnern der Anlage schroff und mit Verachtung entgegen. Aufgrund seiner paranoiden Umweltwahrnehmung und der Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, sah er sich - objektiv grundlos - ständiger Anfeindung und Intrigen ausgesetzt, auf die er mit Gewalt reagierte, wobei er nicht davor zurückschreckte, ihm körperlich unterlegene Personen auch zu schlagen.

Am 21. Februar 1994 kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf der Verurteilte zwei Heimbewohner nicht unerheblich verletzte, indem er den einen ohne Ankündigung in den Rücken trat und ihm Faustschläge an den Kopf, ins Gesicht und in den Bauch versetzte und dem Flüchtenden sodann einen derartigen Fußtritt gab, dass jener die Treppe hinabstürzte; einem anderen Heimbewohner trat er wenig später ebenfalls grundlos in den Rücken und schlug dem Gestürzten mit der Faust ins Gesicht. Gegenüber dem Sozialarbeiter, der ihm daraufhin die Kündigung mitteilte und ihn zu beruhigen versuchte, wurde er zunehmend aggressiver, beschimpfte ihn und stieß ihn gegen die Wand. Als ihm erklärt wurde, es werde die Polizei geholt, beschloss er, das nicht hinzunehmen. In der Folge warf er insgesamt fünf Handgranaten mit einem ihm bekannten Streubereich von 35 m, die er in seinem Zimmer verwahrt hatte, und zwar drei gezielt auf näherkommende Polizeibeamte und zwei weitere in zwei Heimgebäude, in denen sich zu der Zeit Menschen aufhielten. Ein Polizeibeamter wurde durch Splitter am Bein und an der Stirn verletzt, alle betroffenen Personen erlitten erhebliche seelische Schäden und an den Gebäuden und Einrichtungen der Diakonischen Heime entstanden erhebliche Sachschäden.

Während der - überlegt und planvoll umgesetzten - Taten sah der Verurteilte sich selbst in einem "Kriegszustand", in dem nach seinem Erachten alles erlaubt gewesen sei und anderes Recht gegolten habe, und handelte dementsprechend. Nach seiner Festnahme wurden in seinem Zimmer überdies noch ein mit Glassplittern versehener so genannter Morgenstern, ein selbst gefertigter mit Glassplittern versehener Gipshandschuh, Schlagstöcke, eine weitere Handgranate sowie ein Bajonett und ein beidseitig geschliffenes Messer, jeweils mit Scheide zur Befestigung am Bein bzw. am Arm, aufgefunden. Die Gegenstände hatte er angesammelt, um für den Fall des Eintritts eines "Kriegzustandes" einen "letzten Trumpf" einsetzen zu können. Das Schwurgericht hat seinerzeit - sachverständig beraten - aufgrund der paranoiden Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers mit übermäßigem Misstrauen und der Unfähigkeit, Kritik zu ertragen sowie fehlender Aggressionskontrolle eine erheblich verminderte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit i. S. von § 21 StGB angenommen. Strafschärfend hat das Landgericht seine - extreme - menschen-verachtende Gewaltbereitschaft gewertet.

b) In Vermerken der Einweisungsabteilung vom 20. Februar 1995 wurde der Verurteilte als äußerst gefährlicher, destruktiver, gewaltbereiter Straftäter beurteilt, der sich mit der jeweiligen Umwelt in einer Art "Kriegszustand" befinde und dem jedes Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele recht sei; er sei völlig beziehungsunfähig und leide an dem so genannten "John-Wayne-Syndrom", das dazu führe, dass derartige Personen "im gewöhnlichen Leben" jedem erwarteten Angriff in Form reaktionärer Aggression vorbeugten.

Der Aufnahmevermerk der Justizvollzugsanstalt ####### vom 20. März 1995 enthielt die Feststellung, dass der Verurteilte medizinische Untersuchungen wie EEG, EKG oder Blutproben ablehne; bereits in der Untersuchungshaft habe er in der Zelle vier Anstaltsmesser verborgen, versucht, ein Fenstergitter zu zersägen und einen Mitgefangenen grundlos und ohne Vorwarnung angegriffen.

Der Sachverständige, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. W#######, Leitender Medizinaldirektor der Fachklinik in #######, hat in seinem Gutachten vom 16. Dezember 1998 - also nach nahezu fünfjähriger Haftzeit - aufgrund zwölftägiger stationärer psychiatrischer Untersuchung einschließlich einer testpsychologischen Zusatzuntersuchung festgestellt, dass bei dem Verurteilten eine erhebliche Persönlichkeitsstörung mit herausragender paranoider und dissozialer Komponente bestehe. Er sehe sich als Einzelgänger, erlebe Vorgänge, die nicht unmittelbar mit ihm zu tun hätten, als ihn betreffend, absichtlich benachteiligend oder aggressiv und halte sich für berechtigt, derartige Vorgänge in höchst aggressiver Weise - auch unter Verletzung von Sitten, Geboten und Gesetzen - zu bekämpfen. Obwohl er im Vollzuge über längere Zeit ein gewisses Maß an Anpassungsfähigkeit gezeigt habe - er hatte 1996 mit sehr gutem Erfolg einen EDV-Anwender-Pass und 1998 den Erweiterten Sekundarabschluss I erworben, 1997/98 an einem sozialen Training teilgenommen und war seiner Arbeitspflicht nachgekommen - und auch erklärt habe, seine Tat sei falsch gewesen und er müsse Konfliktbewältigung lernen, hat der Sachverständige ihn als "erheblich oder hoch gefährlich" eingeschätzt und bezweifelt, dass er sich nach einer Entlassung seinen Einsichten entsprechend verhalten könne. Wegen der Empfindlichkeit und hohen Kränkbarkeit aufgrund des paranoiden Umwelterlebens bei grundsätzlich skeptisch bis misstrauischer Einstellung allem und jedem gegenüber befinde er sich ständig in einer Abwehrhaltung mit mehr oder weniger ausgeprägter aggressiver Anspannung. Das verhindere eine zuverlässige Integration und führe dazu, dass schnell Konflikte aufträten, die er auch in Zukunft notfalls in höchst aggressiver und demonstriver Weise zu lösen versuchen werde. Seine Neigung, derartigen Konflikten zunächst durch Isolation auszuweichen, sei außerhalb der JVA nicht durchzuhalten, zumal er andererseits nach Anerkennung strebe. Für Außenstehende sei kaum einschätzbar, wann er versuchen würde, seine Vorstellungen impulsiv und aggressiv durchzusetzen und dabei auch andere zu gefährden. Das Risiko derartiger Fehlhandlungen mit Gefahr für andere hielt der Sachverständige für so hoch, dass er unbeaufsichtigte Ausgänge oder gar Tagesurlaube, externe Arbeit oder weitergehende Lockerungen angesichts des Gefährdungspotentials des Verurteilten für zu hoch hielt. Auch an eine bedingte Entlassung zu gegebener Zeit sei nicht zu denken. Der Sachverständige hielt im Übrigen eine längere psychotherapeutische Behandlung zur Absenkung der Gefahr vor der Gewährung von Lockerungen oder der Entlassung für erforderlich, teilte jedoch auch mit, der Verurteilte lehne Hilfe ab und sei in Bezug auf eine Therapie nicht motiviert.

Das testpsychologische Zusatzgutachten des Diplom-Psychologen ####### vom 26. November 1998 stützte das Gutachten des Sachverständigen ####### und befürwortete ebenfalls eine längerfristig angelegte Psychotherapie, aufgrund derer jedoch angesichts der Schwere der Symptomatik im günstigsten Fall mit einer graduellen Stabilisierung zu rechnen sei.

Aus dem Antrag der JVA ####### vom 6. Januar 2004 geht hervor, dass gegen den Verurteilten am 26. August 1998 wegen einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Mitgefangenen eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden musste, und dass er auch die begonnene Metallarbeiterausbildung im Juli 1999 wegen "zunehmender Einordnungsschwierigkeiten in betriebliche Abläufe" abbrechen musste. Nach seiner Verlegung in die JVA ####### im Januar 2001 wurde er bereits nach wenigen Tagen von der Arbeit in einem Innenbetrieb wegen wiederholten unentschuldigten Fehlens, Eigenwilligkeit und Anpassungsproblemen abgelöst. Danach zog sich der Verurteilte in absolute Isolation zurück und lebte seitdem ohne Sozial- und Kommunikationskontakte, sprach weder mit Mitgefangenen noch mit Bediensteten, unterhielt keinerlei Außenkontakte und benutzte keine Medien. Auch die über längere Zeit unternommenen intensiven Versuche der Psychiaterin ####### vom Juni bis August 2003 scheiterten. Der Betroffene zeigte seitdem, so die JVA, ein "autistisches Kommunikationsverhalten", das die Vollzugsanstalt als Bewältigungsstrategie einstufte, mit der der Verurteilte Kontakte mit sozialen Belastungssituationen zu vermeiden trachtete. Weil sich das bei einer Entlassung nicht durchhalten lasse, träten unmittelbar mit der Entlassung Situationen ein, die frühere Verhaltensmuster zur Folge haben würden, mit denen die Gefährdung anderer Personen einhergehen werde.

Auch der im Anordnungsverfahren dem Verurteilten beigeordnete Verteidiger vermochte es nicht, mit dem Verurteilten Kontakt herzustellen.

Der von der Strafvollstreckungskammer mit der Begutachtung des Verurteilten beauftragte Facharzt für Psychiatrie, P#######, hat in der vorläufigen Stellungnahme vom 15. Februar 2004 berichtet, dass auch ihm bei angemeldeten Besuchen bei dem Verurteilten am 12. und 14. Februar 2004 keine Kontaktaufnahme gelungen sei. Der Verurteilte habe auf seine Anwesenheit nicht reagiert. Er zeige ein extrem mutistisches Verhalten, halte andererseits aber seine Zelle sauber, nehme die angebotene Nahrung zu sich und suche z. B. nach Aufforderung auch die Dusche auf, warte jedoch nach dem Duschen darauf, dass er in den Haftraum zurückgebracht werde. Weder spreche er noch öffne er an ihn gerichtete Post.

Eine verlässliche diagnostische Einschätzung oder eine solche der Gefährlichkeit sei so nicht möglich; im derzeitigen Zeitpunkt sei eine erhebliche Eigen- und/oder Fremdgefährdung bei einer Haftentlassung "zumindest sehr wahrscheinlich", während ein sozial angemessenes Verhalten "eher sehr unwahrscheinlich" sei.

Einzig die Unterbringung in einer geeigneten sicheren psychiatrischen Klinik biete die Möglichkeit, zusätzliche Informationen zu erlangen sowohl für eine Begutachtung als auch - notfalls unter Medikamenteneinsatz - um eine Veränderung des schwerstgestörten Verhaltensbildes zu erreichen.

Diese bei der erforderlichen Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Umstände rechtfertigen die einstweilige Unterbringung, wobei entsprechend den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 10. Februar 2004 (Absätze 184 und 185) die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durchzuführen ist.

Das BVerfG hat in den überprüften landesrechtlichen Regelungen einen möglichen Übergang von der Sicherungsverwahrung in den Maßregelvollzug vermisst und für die Übergangszeit eine entsprechende Ergänzung für geboten gehalten. Damit hat es ausdrücklich nur die Fälle angesprochen, in denen bereits eine Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Offen geblieben ist die Frage einer vorläufigen Unterbringung des Gefangenen nach Verbüßung der Strafhaft.

§ 3 Abs. 6 NUBG erfasst diesen Fall ebenfalls nicht, sondern sieht nur die vorläufige Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt vor. Im Lichte der Ausführungen des BVerfG muss aber immer die dem Betroffenen günstigste Regelung herangezogen werden.

Dabei ist zu bedenken, dass der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt bislang nicht therapiert werden konnte (und auch nicht wollte) und dass nach dem vorläufigen Gutachten des Sachverständigen P####### eine für die abschließende Entscheidung der StVK erforderliche Beurteilungsbasis nur hinreichend sicher durch eine vorläufige Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt erlangt werden kann. Ist also eine weitere Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt absehbar nicht geeignet, eine ausreichende Prognosebasis zu gewinnen, muss die Möglichkeit gegeben sein, die dafür erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Im Wege rechtsergänzender und verfassungskonformer Auslegung des NUBG ist daher auch die vorläufige Unterbringung in einer Maßregeleinrichtung Gegenstand der landesrechtlichen Vorschriften.

3. a) Die der Verurteilung des Beschwerdeführers vom 19. Oktober 1994 zugrundeliegenden Taten sind auf die von den Sachverständigen diagnostizierte Persönlichkeitsstörung zurückzuführen. Die Ansammlung von Waffen lange vor den Taten und die von dem Verurteilten dazu und zu ihrem Einsatz gegebenen Erklärungen zeigen in Verbindung mit der gutachterlichen Bewertung die für Außenstehende nicht erkennbar bestehende Gefahr, dass es aufgrund der Persönlichkeit des Verurteilten schon bei vergleichsweise geringfügigen Anlässen zu dazu völlig außer Verhältnis stehenden Reaktionen mit Gefahr für Leib und Leben Anderer kommen kann. Durch die dem Urteil zugrundeliegenden Taten wurde zumindest das Leben von sechs Personen erheblich gefährdet, eine Person wurde nicht unerheblich verletzt, weitere wurden seelisch erheblich geschädigt. Der Sachverständige Dr. W####### ist in seinem gründlichen und überzeugenden Gutachten auch nach knapp fünfjähriger Haftzeit des Verurteilten und trotz einer zwischenzeitlich hervorgetretenen scheinbaren positiven Entwicklung zu dem Schluss gekommen, dass die Grundlagen der Persönlichkeit des Verurteilten mit den sich daraus ergebenden Gefahren für Andere unverändert fortbestand und ohne eine längere psychotherapeutische Behandlung auch weiter fortbestehen wird. Der Diplom-Psychologe ####### hat dazu ergänzt, dass selbst durch eine solche Behandlung keine vollständige Änderung eintreten werde. Bisher hat keinerlei Behandlung stattgefunden, weil der Verurteilte damit nicht einverstanden war. Auch sonst sind seit der Begutachtung keine Umstände, die eine positive Veränderung hätten herbeiführen können, eingetreten. Vielmehr hat eine für den Verurteilten frustrierende Entwicklung durch den Abbruch der Ausbildung und die Ereignisse im Vollzug in der Justizvollzugsanstalt ####### stattgefunden, auf die der Verurteilte mit totaler Isolation reagiert hat. Die dadurch vermiedenen Konfliktanlässe würden bei einer Entlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit sogleich erneut auftreten und aufgrund der festgestellten Persönlichkeitsstörung, von deren Fortwirken auszugehen ist, den Verurteilten zu unangemessenen, für Andere gefährlichen Reaktionen veranlassen. Dieser Gefahr kann nur durch die einstweilige Unterbringung wirksam begegnet werden.

b) Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ####### ist die einstweilige Unterbringung in der gesicherten Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zu vollziehen, weil auf diese Weise die Möglichkeit der erforderlichen Begutachtung gefördert wird, und zugleich Ansatzpunkte in Bezug auf die Behandlung des Verurteilten erlangt werden können. Insoweit ist insbesondere von Bedeutung, dass der Sachverständige auch die Möglichkeit einer psychiotischen Erkrankung als Folge der beschriebenen paranoiden Persönlichkeitsstörung problematisiert hat.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO i. V. m. § 3 Abs. 2 NUBG; die anderweitige Unterbringung wirkt sich kostenmäßig nicht aus.



Ende der Entscheidung

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