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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 25.09.2006
Aktenzeichen: 10 UF 201/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1587 a Abs. 3 Nr. 2
1. Die seit dem 1. Juni 2006 geltende Neufassung der BarwertVO ist verfassungsgemäß.

2. Anwartschaften aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes sind weiterhin als im Anwartschaftsstadium statisch und in der Leistungsphase volldynamisch zu behandeln.


10 UF 201/06

Beschluss

In der Familiensache

hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 25. September 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 14. Juli 2006 im Ausspruch zum Versorgungsausgleich (II des Tenors) geändert und wie folgt gefasst:

Von dem Versicherungskonto Nr. ... des Ehemannes bei der Deutschen Rentenversicherung Bund werden Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 66,95 EUR, bezogen auf den 28. Februar 2006, auf das Versicherungskonto Nr. ... der Ehefrau bei der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragen.

Zu Lasten der vom Ehemann bei der Zusatzversorgungskasse der Stadt Hannover erworbenen Versorgungsanwartschaften werden Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 20,14 EUR, bezogen auf den 28. Februar 2006, auf dem Versicherungskonto Nr. ... der Ehefrau bei der Deutschen Rentenversicherung Bund begründet.

Die Monatsbeträge der übertragenen und begründeten Rentenanwartschaften sind in Entgeltpunkte umzurechnen.

Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Die sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden zwischen den Parteien gegeneinander aufgehoben.

Die Rechtsbeschwerde wird hinsichtlich der Entscheidung nach § 1 Abs. 3 VAHRG zugelassen.

Beschwerdewert: 1.000 EUR.

Gründe:

I.

Die Parteien haben am 13. August 1987 miteinander die Ehe geschlossen und sind auf den am 14. März 2006 zugestellten Antrag des Ehemannes durch das angefochtene Urteil geschieden worden. Das Amtsgericht hat mit der Scheidung den Versorgungsausgleich geregelt. Dabei hat es auf Seiten beider Parteien jeweils gesetzliche Rentenanwartschaften und Anwartschaften aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes, deren Versorgungsträger die Beteiligte zu 1 ist, in den Ausgleich einbezogen. Die Anrechte aus der Zusatzversorgung hat das Amtsgericht gemäß § 1587 a Abs. 3 Nr. 2 BGB i.V. mit der BarwertVO umgewertet, wobei es die Umrechnungsfaktoren aus Tabelle 1 der BarwertVO um 65 % erhöht hat.

Die Beteiligte zu 1 rügt mit ihrer Beschwerde, die Umwertung der Zusatzversorgungsanwartschaften sei unrichtig. Es sei nicht die seit 1. Juni 2006 geltende Neufassung der BarwertVO angewandt worden.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Das Amtsgericht hat die Anrechte beider Ehegatten aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes nicht richtig bewertet und hat infolge dessen zu hohe gesetzliche Rentenanwartschaften für die Ehefrau begründet.

1. a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass die von beiden Ehegatten während der Ehezeit (1. August 1987 bis 28. Februar 2006; § 1587 Abs. 2 BGB) bei der Beteiligten zu 1 erworbenen Anwartschaften aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes in ihrer Wertentwicklung nicht den als volldynamisch geltenden Anrechten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung entsprechen und deshalb gemäß § 1587 a Abs. 3 Nr. 2 BGB in volldynamische Anrechte umzuwerten sind. Seit der zum 1. Januar 2002 wirksam gewordenen Strukturreform werden Anrechte der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes im Anwartschaftsstadium nicht mehr an die allgemeine Einkommensentwicklung angepasst, sondern sind statisch (BGH FamRZ 2004, 1474; seitdem ständige Rechtsprechung). Zwar sind die vom Versicherten jährlich erworbenen "Versorgungspunkte" u.a. vom jeweiligen individuellen Bruttoentgelt und damit von der Entwicklung des persönlichen Einkommens abhängig. Die Höhe der für die einzelnen Jahre erworbenen Versorgungspunkte hängt jedoch auch von einem für das jeweilige Lebensalter maßgebenden sog. Altersfaktor ab, der mit zunehmendem Lebensalter sinkt. Hinzu kommt, dass sich der einmal erworbene Wert der Versorgungspunkte während der Anwartschaftsphase nicht mehr verändert. Schließlich ist auch noch zu berücksichtigen, dass eine eventuelle Steigerung des individuellen Arbeitsentgelts, die sich auf künftige Versorgungspunkte auswirken könnte, vom weiteren Verbleib des Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst abhängig und damit während der Anwartschaftsphase noch verfallbar ist.

Die aktuelle Wertentwicklung von Anrechten der gesetzlichen Rentenversicherung führt nicht dazu, dass die Wertsteigerung von Zusatzversorgungsanwartschaften als mit derjenigen von Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung nahezu vergleichbar angesehen werden kann. Zwar ist der die Wertentwicklung von Anrechten der gesetzlichen Rentenversicherung ausdrückende aktuelle Rentenwert (§ 68 SGB VI) seit Juli 2003 nicht mehr angepasst worden und soll nach dem Rentenversicherungsbericht 2005 (BT-Drucks. 16/905) auch bis 2009 nicht steigen. Dies rechtfertigt jedoch derzeit nicht den Schluss, dass die in § 1587 a Abs. 3 BGB genannten Maßstabsanrechte selbst inzwischen als statisch angesehen werden müssten und eine Umwertung anderer Anrechte damit obsolet geworden wäre. Vielmehr muss angesichts dessen, dass der Leistungsfall im Allgemeinen noch in ferner Zukunft liegt, die künftige Wertentwicklung der Maßstabsanrechte grundsätzlich langfristig prognostiziert werden. Nach dem Rentenversicherungsbericht 2005 kann jedenfalls ab 2009 wieder mit Steigerungen des aktuellen Rentenwerts gerechnet werden. Auch wenn diese voraussichtlich deutlich geringer ausfallen werden als die Rentensteigerungen vergangener Jahrzehnte, ist doch langfristig mit Wertsteigerungen von ca. 1 % jährlich zu rechnen (vgl. auch Bergner NJW 2006 Beilage zu Heft 25 Seite 3). Diese Wertentwicklung unterscheidet sich in einem solchen Maße von statischen Anrechten, dass deren Umwertung weiterhin notwendig ist, um die Vergleichbarkeit aller Anrechte im Rahmen der Gesamtsaldierung nach § 1587 a Abs. 1 BGB herzustellen. Lediglich in Fällen, in denen der Anwartschaftszeitraum vom Ehezeitende bis zum (voraussichtlichen) Leistungsfall zumindest im Wesentlichen in die Zeit von 2003 bis 2009 fällt, könnte erwogen werden, von einer Umwertung statischer Anrechte abzusehen. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor; die Parteien werden das 65. Lebensjahr erst 2022 (Ehemann) bzw. 2030 (Ehefrau) vollenden.

b) Der Senat teilt nicht die Auffassung des OLG Oldenburg (FamRZ 2006, 1389), dass die Umrechnungstabellen in der seit 1. Juni 2006 geltenden Neufassung der BarwertVO verfassungswidrig und daher nicht zur Umwertung heranzuziehen seien. Das OLG Oldenburg beruft sich zu Unrecht auf einen Beschluss des BVerfG vom 2. Mai 2006 (FamRZ 2006, 1000). Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG lediglich die bis zum 31. Dezember 2002 geltende Fassung der BarwertVO beanstandet. Es hat die bereits vom BGH (FamRZ 2001, 1695, 1698) vertretene Auffassung geteilt, dass die bis 2002 geltenden Umrechnungstabellen der BarwertVO wegen ihrer veralteten biometrischen Rechnungsgrundlagen (Sterbewahrscheinlichkeit und Rentenlaufzeiten) zu unrealistisch niedrigen Werten und damit zu verfassungswidrigen Ergebnissen führten. Diesen Beanstandungen ist jedoch bereits durch die ÄnderungsVO vom 26. Mai 2003 (BGBl. I S. 728) weitgehend Rechnung getragen worden, indem die Tabellenwerte der BarwertVO mit Wirkung vom 1. Januar 2003 unter Berücksichtigung aktueller biometrischer Rechnungsgrundlagen erhöht wurden. Hierdurch sah der BGH seine verfassungsrechtlichen Bedenken bereits ausgeräumt (BGH FamRZ 2003, 1639; 2006, 397, 399). Auch das BVerfG erwähnt in seinem Beschluss vom 2. Mai 2006 ausdrücklich die Aktualisierung der Tabellenwerte in der ÄnderungsVO vom 26. Mai 2003 als Reaktion des Gesetzgebers auf die Beanstandung durch den BGH (a.a.O. S. 1001). Inzwischen sind die Tabellenwerte der BarwertVO durch die ÄnderungsVO vom 3. Mai 2006 (BGBl. I S. 1144) nochmals deutlich erhöht worden. Mit den seit 1. Juni 2006 geltenden Tabellenwerten hat der Gesetzgeber nunmehr auch der Entwicklung auf dem Kapitalmarkt Rechnung getragen und einen verringerten Rechnungszinsfuß berücksichtigt. Die neueste Fassung der BarwertVO beruht damit in jeder Hinsicht auf aktuellen Rechnungsgrundlagen und wird damit den vom BVerfG und vom BGH gestellten Anforderungen gerecht.

Den Umwertungsmechanismus des § 1587 a Abs. 3 Nr. 2 BGB hat das BVerfG - ebenfalls dem BGH (FamRZ 2001, 1695, 1696) folgend - ausdrücklich gebilligt (a.a.O. S. 1001; soweit in der Entscheidung § 1587 b Abs. 3 S. 2 BGB genannt wird, handelt es sich offenbar um ein Versehen). Daher besteht für die vom OLG Oldenburg - im Anschluss an Bergner (NJW 2006, 1558, 1562 und NJW 2006 Beilage zu Heft 25) - vorgenommene Umwertung keine rechtliche Grundlage. Die von Bergner entwickelten Tabellen berücksichtigen die voraussichtliche Wertentwicklung von Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung in den nächsten 40 Jahren auf der Grundlage der im Rentenversicherungsbericht 2005 prognostizierten Steigerungsraten und nehmen je nachdem, wann die zu vergleichende Rente voraussichtlich fällig wird, eine prozentual gestaffelte Abwertung vor. Dieses Umwertungssystem entfernt sich grundlegend von der in § 1587 a Abs. 3 BGB vorgeschriebenen Umwertung auf der Grundlage der Einzahlung eines fiktiven Deckungskapitals in die gesetzliche Rentenversicherung. Angesichts der ausdrücklichen Billigung des § 1587 a Abs. 3 Nr. 2 BGB durch das BVerfG besteht nach Auffassung des Senats keine Rechtsgrundlage für die von Bergner (NJW 2006, 2157, 2159) befürwortete Heranziehung der Auffangregelung des § 1587 a Abs. 5 BGB als "Aufhänger" für eine von der gesetzlichen Regelung des § 1587 a Abs. 3 BGB abweichende Umwertung. Selbst wenn die BarwertVO verfassungswidrig wäre, könnte § 1587 a Abs. 3 und 4 BGB nicht - wie das OLG Oldenburg meint - als "obsolet" angesehen werden. Vielmehr müssten dann in jedem zur Entscheidung stehenden Fall - ggf. durch Einholung von Gutachten - individuelle versicherungsmathematische Barwertfaktoren ermittelt werden. Die Tabellen von Bergner erfüllen diese Funktion nicht.

c) Soweit das BVerfG die BarwertVO auch insoweit beanstandet hat, als sie teildynamische Anwartschaften unterschiedslos wie volldynamische Anrechte behandelt (a.a.O. S. 1001), ist zwar auch die Neufassung der BarwertVO betroffen, die nach wie vor keine Umwertungstabellen für im Anwartschaftsstadium teildynamische Anrechte enthält. Bei den vorliegenden Anwartschaften der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes handelt es sich aber - wie ausgeführt - um im Anwartschaftsstadium statische Anrechte. Auf solche sind die Tabellen der BarwertVO zugeschnitten. Eine Fehlbewertung ist daher - anders als bei teildynamischen Anwartschaften - nicht zu befürchten.

2. Das Amtsgericht hat zwar zur Umwertung der von beiden Parteien erworbenen Anwartschaften aus der Zusatzversorgung die - unter Berücksichtigung des Lebensalters beider Ehegatten - richtigen Umrechnungsfaktoren aus der Neufassung der Tabelle 1 der BarwertVO herangezogen (beim Ehemann 5,4 und bei der Ehefrau 3,8). Es ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Faktoren mit Rücksicht darauf, dass die Anwartschaften aufgrund der satzungsmäßig bestimmten jährlichen Rentensteigerungen um 1 % in der Leistungsphase als volldynamisch anzusehen sind (vgl. BGH FamRZ 2004, 1474), gemäß Anmerkung 2 zur Tabelle 1 zu erhöhen sind. Es hat jedoch offensichtlich übersehen, dass der Prozentsatz, um den der Tabellenwert zu erhöhen ist, mit der ÄnderungsVO vom 3. Mai 2006 von 65 % auf 50 % verringert worden ist. Die Umwertung ist daher wie folgt vorzunehmen:

Anwartschaft des Ehemannes:

268,72 EUR x 12 = 3.224,64 EUR (Jahresbetrag der Rentenanwartschaft) x 5,4 (Umrechnungsfaktor aus Tabelle 1 der BarwertVO unter Berücksichtigung des Alters des Ehemannes bei Ehezeitende von 48 Jahren) x 1,5 (Erhöhung des Faktors gemäß Anmerkung 2 zu Tabelle 1 um 50 %) = 26.119,58 EUR (Barwert) x 0,0001750002 (Faktor aus Tabelle 5 der Rechengrößen zum Versorgungsausgleich) = 4,5709 x 26,13 (Faktor aus Tabelle 2 der Rechengrößen) = 119,44 EUR.

Anwartschaft der Ehefrau:

253,12 EUR x 12 = 3.037,44 EUR (Jahresbetrag der Rentenanwartschaft) x 3,8 (Umrechnungsfaktor aus Tabelle 1 der BarwertVO unter Berücksichtigung des Alters der Ehefrau bei Ehezeitende von 40 Jahren) x 1,5 (Erhöhung des Faktors gemäß Anmerkung 2 zu Tabelle 1 um 50 %) = 17.713,41 EUR (Barwert) x 0,0001750002 (Faktor aus Tabelle 5 der Rechengrößen zum Versorgungsausgleich) = 3,0299 x 26,13 (Faktor aus Tabelle 2 der Rechengrößen) = 79,17 EUR.

Die hälftige Differenz zwischen den beiderseitigen Zusatzversorgungsanwartschaften beträgt (119,44 EUR - 79,17 EUR = 40,27 EUR : 2 =) 20,14 EUR. Dieser Betrag ist durch analoges Quasi-Splitting (§ 1 Abs. 3 VAHRG) zugunsten der Ehefrau auszugleichen.

Der Ausspruch über die Umrechnung der zu übertragenden und zu begründenden Anrechte in Entgeltpunkte beruht auf § 1587 b Abs. 6 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG, 93 a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 49 Nr. 2 GKG, wobei zu berücksichtigen war, dass Gegenstand der Beschwerde lediglich die Zusatzversorgungsanwartschaften beider Parteien waren.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 621 e Abs. 2 S. 1 i.V. mit § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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