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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 22.01.2007
Aktenzeichen: 11 U 246/06
Rechtsgebiete: MÜ


Vorschriften:

MÜ Art. 17 Abs. 2
MÜ Art. 18 Abs. 2b
Untersagt ein Luftfrachtführer einem Reisenden die Mitnahme von Handgepäck erst im Rahmen eines Zwischenaufenthalts und kommt es während des Anschlussflugs aufgrund unzureichender Verpackung des Handgepäcks zu dessen Beschädigung, verstößt die Berufung des Luftfrachtführers auf den Haftungsausschluss gemäß Art. 18 Abs. 2 b) MÜ gegen Treu und Glauben.
11 U 246/06

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Richter am Oberlandesgericht ... sowie den Richter am Landgericht ... am 22. Januar 2007 beschlossen:

Tenor:

Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Beklagten wird Gelegenheit zu einer Stellungnahme und zur etwaigen Berufungsrücknahme im Kosteninteresse binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.

Gründe:

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Die Berufung hat nach derzeitiger Sach- und Rechtslage aus folgenden Gründen auch keine Aussicht auf Erfolg:

...

Unabhängig von der Zulässigkeit dürfte die Berufung aber auch in der Sache selbst keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besitzen:

Der Kläger kann von der Beklagten gemäß Art. 17 Abs. 2 MÜ Schadensersatz auf Grund der Beschädigung seines Saxophons verlangen. Danach hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck entsteht, jedoch nur, wenn die Beschädigung während eines Zeitraums eingetreten ist, in dem sich das aufgegebene Reisegepäck in der Obhut des Luftfrachtführers befand.

Das Amtsgericht hat insoweit festgestellt, dass die vom Kläger beanstandete Beschädigung des Musikinstruments während des Transports von Paris nach Hannover erfolgte. Sowohl der Zeuge F. als auch der Zeuge B. hätten übereinstimmend ausgesagt, dass sie gemeinsam mit dem Kläger nach am Vorabend des Abflugs gespielt hätten und dass das Saxophon zu diesem Zeitpunkt keine Schäden aufgewiesen habe. Auch während des Zwischenaufenthalts in Paris habe es keinen Zwischenfall gegeben, bei dem das Saxophon hätte beschädigt werden können. Bei Rückgabe des Saxophons sei dieses hingegen beschädigt gewesen.

An diese Feststellungen ist das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich gebunden. Dieser Grundsatz erfährt lediglich dann eine Ausnahme, wenn konkrete Anhaltspunkte vernünftige Zweifel an der Richtigkeit oder der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen zu wecken geeignet sind. Es muss somit eine bestimmte, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Vermutung bestehen, dass im Falle einer neuen Beweisaufnahme die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sei es, weil das angegriffene Urteil auf der Verletzung von Denkgesetzen, allgemein anerkannten Erfahrungssätzen oder auch auf dem Verkennen der Beweislast oder dem Übergehen eines entscheidungserheblichen Beweisantrags beruht (vgl. BGH, NJW 2005, 15831585). Anhaltspunkte hierfür liegen jedoch nicht vor und werden auch von der Beklagten nicht gerügt. Damit hat es bei der Feststellung zu verbleiben, dass das Saxophon in der Obhut der Beklagten beschädigt wurde.

Soweit sich die Beklagte auf Art. 18 Abs. 2 b) MÜ mit der Behauptung beruft, sie hafte auf Grund mangelhafter Verpackung des Saxophons nicht, führt dies nicht zum Erfolg der Berufung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Art. 18 Abs. 2 MÜ neben Art. 17 Abs. 2 Satz 2 MÜ überhaupt zur Anwendung kommt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 29. März 2006, Az. 3 U 272/05). Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob der in Art. 17 Abs. 2 Satz 2 MÜ verwendete Haftungsausschluss auch bei mangelhafter Sicherung des Reisegepäcks und damit auf eine unzureichende Verpackung ausgedehnt werden kann. Selbst wenn das der Fall sein sollte, käme eine (Mit)Haftung des Klägers nicht in Betracht, denn der Einwand des Mitverschuldens durch die Beklagte ist treuwidrig. Aus den vom Kläger vorgelegten Boarding-Karten ergibt sich, dass er nicht nur mit der Beklagten von Paris nach Hannover flog. Vielmehr hatte der Kläger bereits den Flug von Boston nach Paris mit einer Maschine der Beklagten durchgeführt. Unstreitig hatte die Beklagte dem Kläger aber auf dem Flug von Boston nach Paris gestattet, das Saxophon als Handgepäck mitzunehmen. Damit hatte die Beklagte nicht nur einen Vertrauenstatbestand begründet, dass die Mitnahme als Handgepäck auch auf dem Anschlussflug gestattet werde. Vielmehr besaß der Kläger auf Grund der ursprünglichen Gestattung einer Mitnahme als Handgepäck auch keine effektive Möglichkeit mehr, vor dem Abflug von Paris nach Hannover für eine hinreichende Absicherung des Instruments im Hinblick auf einen Transport mit dem Reisegepäck Sorge zu tragen. Auf Grund dessen kann sich die Beklagte jetzt nicht auf eine unzureichende Absicherung des Saxophons durch den Kläger berufen, weil dieser Umstand letztlich in den Verantwortungsbereich der Beklagten und nicht den des Klägers fällt.

Darüber hinaus kommt eine Kürzung des geltend gemachten Anspruchs im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 17 Abs. 2 Satz 2 MÜ auch deshalb nicht in Betracht, weil eine Abwägung der Verursachungs- bzw. Verschuldensbeiträge dazu führt, dass ein etwaiges Mitverschulden des Klägers völlig in den Hintergrund tritt. Den Zeugen zufolge wiesen diese auf den Wert ihrer Instrumente hin, als sie zu deren Aufgabe als Reisegepäck aufgefordert wurden. Damit wussten die Mitarbeiter der Beklagten, dass es sich bei den fraglichen Gegenständen um Musikinstrumente handelte, welche naturgemäß mit großer Sorgfalt zu behandeln sind. Darüber hinaus war offenkundig, dass sich das Saxophon in einem - jedenfalls nach Auffassung der Beklagten - für den Transport im Frachtraum ungeeigneten Gig Bag befand. Unter diesen Umständen hätten die Mitarbeiter der Beklagten besondere Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen, um eine Beschädigung zu verhindern. Das war aber nicht der Fall, denn anderenfalls hätte es nicht zum streitgegenständlichen Schaden kommen können. Dieses Verschulden besitzt ein derartiges Gewicht, dass ein etwaiges Mitverschulden auf Klägerseite völlig in den Hintergrund tritt.

Ob sich der Schaden während des eigentlichen Transports ereignete oder - wie die Beklagte mutmaßt - beim Aufladen auf das Gepäckband (Bl. 62 d.A.), ist für die Beurteilung der Rechtslage nicht von Bedeutung. Auch für solch einen Fall wären entsprechende Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen gewesen. Darüber hinaus besitzt aber auch die Beklagte keine sichere Kenntnis über die Schadensursache, sodass ihr der Beweis eines weitergehenden auf Klägerseite liegenden Mitverschuldens - soweit in der Berufungsinstanz überhaupt noch möglich - nicht gelingen wird.

Auch die weiteren Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs liegen vor. Insbesondere teilte der Kläger der Beklagten den eingetretenen Schaden mit Schreiben vom 28. Oktober 2005 und damit noch unverzüglich i.S.d. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 MÜ mit.

Ende der Entscheidung

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