Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 14.09.2006
Aktenzeichen: 13 Verg 3/06
Rechtsgebiete: GWB, VgV


Vorschriften:

GWB § 98 Nr. 2
VgV § 13
Öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB kann auch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts sein.

Zu den Voraussetzungen einer "im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe nichtgewerblicher Art" im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB.

Vergibt der öffentliche Auftraggeber einen den Schwellenwert übersteigenden Liefer- und Dienstleistungsauftrag unmittelbar an ein Unternehmen ohne förmliches Vergabeverfahren, so ist der Vertrag entsprechend § 13 VgV nichtig, wenn der Auftraggeber von dem Interesse eines weiteren Unternehmens Kenntnis erlangt hat und diesem Unternehmen die Vorabinformation über die beabsichtigte Vergabe nicht erteilt hat, obwohl es ihm möglich gewesen wäre. Dass das am Auftrag interessierte Unternehmen ein konkretes Angebot abgegeben hat, ist nicht erforderlich.


13 Verg 3/06

Verkündet am 14. September 2006

Beschluss

In dem Nachprüfungsverfahren

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. K. sowie der Richter am Oberlandesgericht U. und W auf die mündliche Verhandlung vom 5. September 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung Lüneburg - vom 6. Juli 2006 (AZ: VgK - 13/2006) in Ziff. 2 und 4 des Entscheidungstenors aufgehoben und insoweit wie folgt gefasst:

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 2 haben die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die notwendigen Auslagen der Antragstellerin als Gesamtschuldner zu tragen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.

Der Streitwert im Beschwerdeverfahren wird auf 33.006 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin ist eine Gesellschaft Bürgerlichen Rechts. Gesellschafter sind 49 kommunale Gebietskörperschaften, u. a. der Landkreis G. (Beigeladener zu 3) und der Landkreis O. am H. (Beigeladener zu 4). Nach dem Gesellschaftsvertrag bezweckt die Antragsgegnerin im Rahmen des Betriebs einer kommunalen Datenverarbeitungszentrale u. a. den Betrieb von Rechenzentren, die Softwareeinführung, die Planung, Installation und Administration lokaler Netzwerke sowie die Beschaffung, den Verkauf und die Vermietung von ITProdukten.

Im November 2004 beschloss der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin auf Vorschlag einer Arbeitsgruppe, in welcher die Antragsgegnerin sowie die Beigeladenen zu 3 und 4 vertreten waren, die von mehreren Gesellschaftern bis dahin benutzte Software für Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und dem Asylbewerbergesetz durch eine von der Beigeladenen zu 2 angebotene Software zu ersetzen. Die Beigeladenen zu 3 und 4 beabsichtigten sich, auch für zusätzliche Aufgaben, die ihnen zum 1. Januar 2005 als sogenannte Optionskommunen nach dem SGB II übertragen wurden, ein Softwareprodukt der Beigeladenen zu 2 anzuschaffen. Als sich im Laufe des Jahres 2005 die Einführung der Software der Beigeladenen zu 2 auf unbestimmte Zeit verzögerte, ließen sich die Beigeladenen zu 3 und 4 im Sommer 2005 eine Software der Beigeladenen zu 1 präsentieren. Am 2. November 2005 fand beim Deutschen Landkreistag eine Besprechung der Optionskommunen statt, zu welcher Software-Hersteller, u. a. die Antragstellerin, eingeladen waren. In dieser Besprechung brachten die Optionskommunen ihre Unzufriedenheit wegen der Softwareentwicklung der Beigeladenen zu 2 zum Ausdruck. Anschließend sprachen sich die Beigeladenen zu 3 und 4 gegenüber der Antragsgegnerin für die Beschaffung der von der Beigeladenen zu 1 entwickelten Software aus. Im Dezember 2005 holte der Beigeladene zu 3 ein Angebot der Beigeladenen zu 1 ein. Mit Schreiben vom 19. Januar 2006 informierten die Beigeladenen zu 3 und 4 die Antragsgegnerin, zukünftig für die Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II, SGB XII und AsylbLG die Softwareprodukte der Beigeladenen zu 1 und - für einen Teilbereich - der Beigeladenen zu 2 einsetzen zu wollen. Die Antragsgegnerin unterbreitete ihnen mit Schreiben vom 13. Februar 2006 und vom 20. Februar 2006 Angebote. Mit Schreiben vom 24. Februar 2006 teilte der Beigeladene zu 3 der Antragsgegnerin mit, dass das Angebot nach wie vor nicht seinen Vorstellungen entspreche, gleichwohl beauftrage er sie bereits mit der Lieferung.

Am 3./10. März 2006 schloss die Antragsgegnerin als Auftraggeber zwei Verträge mit der Beigeladenen zu 1 über die Nutzung der Software durch die Beigeladenen zu 3 und 4 (Unternehmenslizenzen für 225 bzw. 120 Vollzeitstellen) sowie über begleitende Dienstleistungen. Die Auftragswerte betragen 265.000 EUR und 160.000 EUR. Mit Vertrag vom 10./23. März 2006 beauftragte die Antragsgegnerin die Beigeladene zu 2 mit der Überlassung von Software für den Bereich Sozialhilfe gegen Einmalvergütung von 41.200 EUR und - in einem gesonderten Vertrag - mit der Pflege dieser Software gegen eine Vergütung von monatlich 4.400 EUR bzw. 3.025 EUR.

Mit Schreiben vom 5. April 2006 bat die Antragstellerin den Beigeladenen zu 4 um Mitteilung, ob und wann der Landkreis einen Auftrag für die Beschaffung der Software der Beigeladenen zu 1 erteilt habe, und weshalb in diesem Fall die Beschaffung nicht im Rahmen eines nationalen oder europaweiten Vergabeverfahrens erfolgt sei. Der Beigeladene zu 4 teilte ihr unter dem 28. April 2004 mit, dass nach einem Auswahlverfahren die Beigeladene zu 1 beauftragt worden sei. Ein gleichlautendes Schreiben erhielt die Antragstellerin am 21. Mai 2006 auf Anfrage vom Beigeladenen zu 3. Am 23./24. Mai 2006 rügte die Antragstellerin gegenüber den Beigeladenen zu 3 und 4, dass sie offensichtlich beabsichtigten, die Softwarelösung ohne förmliches Vergabeverfahren zu beschaffen. Am selben Tag beantragte sie ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 107 GWB gegen den Beigeladenen zu 3. Als der Beigeladene zu 3 in diesem Verfahren mitteilte, dass der Auftrag bereits durch die Antragsgegnerin erteilt worden sei, hat die Antragstellerin nach vorangehender Rüge das vorliegende Nachprüfungsverfahren gegen die Antragsgegnerin beantragt.

Die Vergabekammer hat festgestellt, dass die von der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 1 und mit der Beigeladenen zu 2 abgeschlossenen Verträge nichtig seien, weil sie nicht im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens angeschafft worden seien. Mit der sofortigen Beschwerde will die Antragsgegnerin die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags erreichen.

II.

Die zulässige, insbesondere innerhalb der Zweiwochenfrist des § 117 Abs. 1 GWB eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Nur die Kostenentscheidung der Vergabekammer ist zu ändern. Die Vergabekammer hat die Antragsgegnerin mit Recht als verpflichtet angesehen, die benötigten Softwarelösungen für den Sozialbereich nur auf Grundlage eines europaweiten Vergabeverfahrens zu beschaffen. Die diesbezüglich abgeschlossenen Beschaffungsverträge mit den Beigeladenen zu 1 und zu 2 sind nichtig.

1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig.

a) Der Nachprüfungsantrag ist statthaft, obwohl ein förmliches Vergabeverfahren nicht stattgefunden hat.

Der Rechtsweg nach § 102 GWB ist bei jeder Beschaffungsmaßnahme eines öffentlichen Auftraggebers im Sinn von § 98 GWB eröffnet, wenn überhaupt ein Verfahren in Frage steht, an dem mindestens ein außenstehender Dritter (Unternehmen) beteiligt ist und das eingeleitet worden ist, um einen entgeltlichen Vertrag im Sinn des § 99 GWB abzuschließen, der den Schwellenwert erreicht (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2005 - X ZB 27/04 = VergabeR 2005, 328; vgl. EuGH, Urteil vom 11. Januar 2005 - Rs. C - 26/03 = VergabeR 2005, 44). Diese Voraussetzungen liegen hier vor:

aa) Die Antragsgegnerin ist, wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat, gemäß § 98 Nr. 2 GWB öffentlicher Auftraggeber im Sinn des vierten Teils des GWB. Nach § 98 Nr. 2 GWB sind öffentliche Auftraggeber juristische Personen des öffentlichen Rechts und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter § 98 Nummer 1 oder 3 GWB fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben.

(1) Als Gesellschaft Bürgerlichen Rechts ist die Antragstellerin zwar keine juristische Person im Sinne des Deutschen Gesellschaftsrechts. Sie ist aber eine Gesellschaft, die (Teil)rechtsfähigkeit besitzt, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet (BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 - II ZR 331/00 = NJW 2001, 1056). Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann daher bei Beschaffungen die Rechtsposition des Auftraggebers einnehmen. Dies rechtfertigt ihre Qualifizierung als öffentlicher Auftraggeber im Sinn des § 98 GWB, (Stickler in: Reidt/Stickler/Glahs, 2. Aufl., § 98 Rdnr. 12; Werner in: Byok/Jaeger, 2. Aufl., § 98 Rdnr. 326; Eschenbruch in: Kulartz/Kus/Portz, § 98 Rdnr. 97, 98). Der Begriff der juristischen Person in § 18 Nr. 2 GWB ist weit auszulegen, damit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge keine Umgehungsmöglichkeiten eröffnet werden.

(2) Die Antragsgegnerin ist zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen.

Die kommunalen Gesellschafter der Beigeladenen haben, worauf die Vergabekammer zutreffend hinweist, die Antragsgegnerin eigens zu dem Zweck gegründet, bei der Erledigung ihrer gesetzlichen Aufgaben - hier im Sozialbereich - die IT-Unterstützung sicherzustellen. Die Erfüllung der sozialpolitischen und anderen gesetzlichen Aufgaben liegt zweifellos im Allgemeininteresse. Im Allgemeininteresse liegt auch die Bereitstellung oder Beschaffung der für die Durchführung dieser Aufgaben notwendigen IT-Infrastruktur. Die Bereitstellung oder Beschaffung der IT-Infrastruktur verliert ihren Charakter als im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht dadurch, dass die kommunalen Gesellschafter sie zu einem großen Teil auf eine privatrechtliche Gesellschaft, nämlich die Antragsgegnerin, ausgegliedert haben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2003 - Verg 67/02 = VergR 2003, 435).

Diese im Allgemeininteresse liegende Aufgabe ist nichtgewerblicher Art. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes stellen Aufgaben, die auf andere Art als durch das Angebot von Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt erfüllt werden und die der Staat aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfüllt oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte, in der Regel im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art dar (EuGH, Urteil vom 22. Mai 2003 - Rs. C18/01 = VergabE A17/03). Um zum Schluss einer "Aufgabe nichtgewerblicher Art" zu gelangen, müssen die Umstände, die zur Gründung der Gesellschaft geführt haben, und unter denen sie ihre Tätigkeit ausübt, gewürdigt werden. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die Gesellschaft ihre Tätigkeit unter Wettbewerbsbedingungen ausübt. Zu berücksichtigen ist gegebenenfalls auch das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht und die Finanzierung der Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln (EuGH a. a. O.). Nach diesen Grundsätzen sind die von der Antragsgegnerin erfüllten, im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art. Die Antragsgegnerin ist nach dem Gesellschaftsvertrag in erster Linie mit der Sicherstellung der von ihren kommunalen Gesellschaftern benötigten IT-Infrastruktur betraut. Sie bietet ihre Leistungen zwar auch dritten Personen oder Unternehmen an. Die damit erzielten Umsätze betragen - auf den Durchschnitt der letzten Jahre gerechnet - aber nur 7,5 % des jeweiligen Gesamtumsatzes. Nach dem Gesellschaftsvertrag finanziert sich die Antragsgegnerin, soweit nicht Einnahmen aus Geschäften mit Dritten entstehen, durch die von den Gesellschaftern zu zahlenden Entgelte. Gemäß § 8 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags erzielt die Gesellschaft keinen Gewinn. Unter diesen Umständen ist die Einrichtung nicht unter normalen Marktbedingungen tätig. Es besteht mindestens die Gefahr, dass sich die von den kommunalen Gesellschaftern kontrollierte Antragsgegnerin von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt (vgl. EuGH a. a. O.).

(3) Auch die weitere Voraussetzung des § 98 Nr. 2 GWB der besonderen Gebundenheit an Gebietskörperschaften (deren Sondervermögen) oder Verbände im Sinn des § 98 Nr. 3 GWB ist erfüllt. Die Antragsgegnerin wird, wie ausgeführt, überwiegend durch ihre kommunalen Gesellschafter finanziert. Die kommunalen Gesellschafter üben auch die Aufsicht über ihre Leitung aus. Sie entlasten in der Gesellschafterversammlung den Verwaltungsrat und den Geschäftsführer (§ 4 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags). Sie benennen die Mitglieder des Verwaltungsrates, welcher für die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers zuständig ist und Richtlinien für die Tätigkeit des Geschäftsführers erteilt (§ 5 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrags).

bb) Die Antragsgegnerin hat zur Deckung des hier in Rede stehenden Bedarfs ein (nicht förmliches) Verfahren durchgeführt, indem sie sich über die am Markt angebotenen Produkte verschiedener Softwareanbieter erkundigt, mehrere Produkte getestet und schließlich mit den Beigeladenen zu 1 und 2 verhandelt und mit diesen die streitbefangenen Verträge abgeschlossen hat.

cc) Bei diesen Verträgen handelt es sich um entgeltliche Verträge im Sinn des § 99 Abs. 2, 4 GWB.

dd) Der Auftrag überschreitet den Schwellenwert nach § 100 Abs. 1 GWB.

Der Schwellenwert beträgt für den gemischten Liefer und Dienstleistungsauftrag 200.000 EUR (§ 2 Nr. 3 VgV).

Bei der Schätzung des Auftragswerts ist von der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung auszugehen (§ 3 Abs. 1 VgV). Bestehen die zu vergebenden Aufträge aus mehreren Losen, für die jeweils ein gesonderter Auftrag vergeben wird, müssen bei der Schätzung alle Lose berücksichtigt werden, sofern es sich wie hier um Lose über gleichartige Lieferungen handelt (§ 3 Abs. 5 VgV). Somit ist im Streitfall nicht auf den Wert der einzelnen von der Antragsgegnerin mit den Beigeladenen zu 1 und zu 2 abgeschlossenen Verträge, sondern auf die Gesamtvergütung für die von ihr zu vergebende Leistung abzustellen. Diese überschreitet den Schwellenwert von 200.000 EUR.

b) Die Antragstellerin ist antragsbefugt.

Nach § 107 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht; dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. An die Darlegung, dass das Unternehmen ein "Interesse am Auftrag" hat, dürfen keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004 - 2 BvR 2248/03 = VergabeR 2004, 597; BGH, Beschluss vom 1. Februar 2005 - X ZB 27/04 = VergabeR 2005, 328).

Von einem Interesse der Antragstellerin am Auftrag ist auszugehen. Sie hat schon im Jahre 2004 mehrere Interessenbekundungen gegenüber den Beigeladenen zu 3 und zu 4 abgegeben. Auch der Umstand, dass die Antragstellerin die freihändige Vergabe gerügt hat und das wirtschaftliche Risiko eines Nachprüfungsverfahrens eingegangen ist, spricht dafür, dass sie ein Interesse an dem Auftrag hat.

Die Antragstellerin hat auch dargelegt, dass ihr dadurch, dass die Antragsgegnerin die benötigte Softwarelösung nicht im Rahmen eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens beschaffte, ein Schaden entstanden ist. Insoweit genügt, dass es nicht offensichtlich ausgeschlossen ist, dass die Antragstellerin in einem Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten hätte. Das ist der Fall, weil nicht ersichtlich ist, welchen Inhalt, insbesondere auch welche Wertungskriterien eine Ausschreibung in einem förmlichen Vergabeverfahren der Antragsgegnerin gehabt hätte.

c) Die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags scheitert nicht an den Voraussetzungen des § 107 Abs. 3 GWB. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die Rügeobliegenheit nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 107 Abs. 3 GWB bei einer sogenannten defacto-Vergabe überhaupt eingreift. Denn die Rüge der Antragstellerin erfolgte unverzüglich nach Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes (§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB). Eine entsprechende Kenntnis setzt voraus, dass die Antragstellerin aus den ihr bekannten Umständen den Schluss zog, dass es zu einem geregelten Vergabeverfahren nicht kommen werde ( BGH a. a. O.). Diese Kenntnis lag im Hinblick auf eine Auftragsvergabe durch die Antragsgegnerin erst aufgrund der Mitteilung der Vergabekammer im Parallelverfahren vom 30. Mai 2006 vor. Auf die Mitteilung hin rügte die Antragstellerin unverzüglich, nämlich mit Schriftsatz ihrer Anwälte vom 31. Mai 2006, bei der Antragsgegnerin die Beschaffung der Software-Organisationslösung ohne Durchführung eines transparenten Vergabeverfahrens.

d) Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin am 3./10. März 2006 mit der Beigeladenen zu 1 und am 10./23. März 2006 mit der Beigeladenen zu 2 bereits Verträge über die Beschaffung der Software und der begleitenden Dienstleistungen abgeschlossen hat.

Zwar kann die Vergabekammer in zulässiger Weise nicht mehr angerufen werden, sobald der Vertrag bereits abgeschlossen worden ist, weil gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB ein erteilter Zuschlag nicht mehr aufgehoben werden kann. Die zwischen der Antragsgegnerin und den Beigeladenen zu 1 und 2 abgeschlossenen Verträge sind aber nicht wirksam. Denn die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin entgegen § 13 Satz 1 VgV nicht mindestens 14 Kalendertage vor dem Vertragsschluss darüber informiert, dass die Beigeladenen zu 1 und 2 beauftragt werden sollen und aus welchem Grund die Antragstellerin nicht berücksichtigt werden soll.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, ist § 13 VgV entsprechend anzuwenden, wenn zwar ein förmliches Vergabeverfahren nicht stattgefunden hat, die Beschaffung jedoch immerhin zur Beteiligung mehrerer Unternehmen, zu verschiedenen Angeboten und schließlich zur Auswahl durch den öffentlichen Auftraggeber geführt hat. Denn dann gibt es neben dem in Aussicht genommenen Unternehmen bestimmte andere "Bieter" sowie Gründe für ihre Nichtberücksichtigung. Diese Gegebenheiten kann der öffentliche Auftraggeber wie bei einem geregelten Vergabeverfahren zu einer sachgerechten Information der Unternehmen nutzen, deren Angebote nicht zum Zuge kommen sollen (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2005 - X ZB 27/04 = VergabeR 2005, 328). Der "Bieterstatus" wird dadurch begründet, dass das Unternehmen gegenüber dem Auftraggeber ein Interesse am Erhalt des Auftrags bekundet. Das geschieht in förmlichen Vergabeverfahren durch Abgabe eines Angebots zu einem bestimmten Beschaffungsvorhaben. Ein konkretes Angebot ist allerdings keine notwendige Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung des § 13 VgV. Denn bei freihändigen Vergaben sind die nicht berücksichtigen Unternehmen regelmäßig gar nicht in der Lage, ein konkretes Angebot abzugeben, weil sie den Beschaffungsbedarf des Auftraggebers im Einzelnen nicht kennen. Jedenfalls in diesen Fällen reicht es aus, dass der öffentliche Auftraggeber von dem Interesse des Unternehmens an dem Auftrag Kenntnis erlangt hat, und dass er dem Unternehmen die Vorabinformation über die beabsichtigte Vergabe erteilen kann (zur Informationspflicht bei freihändiger Vergabe gegenüber einem Unternehmen, das Dienstleistung bisher ausgeführt hatte: OLG München, Beschluss vom 7. Juni 2005 - Verg 4/05 = VergabeR 2005, 620; zur Informationspflicht bei freihändiger Vergabe gegenüber einem Unternehmen, das im vorangehenden, aufgehobenen Vergabeverfahren ein Angebot abgegeben hatte: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2005 - Verg 85/05 = VergabeR 2005, 508; zur Informationspflicht bei freihändiger Vergabe gegenüber einem Unternehmen, das sich zwar nicht durch Vorlage eines förmlichen Angebots, aber durch ausdrückliche Erklärung gegenüber der Vergabestelle um den Erhalt des Auftrags beworben hatte: OLG Jena, Beschluss vom 14. Oktober 2003 - 6 Verg 5/03). Dieser weite Anwendungsbereich für die Regelung in § 13 VgV ist auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geboten. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die dem Vertragsschluss vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, mit welchem Bieter des Vergabeverfahrens er den Vertrag schließt, in jedem Fall einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen, in dem der Antragsteller die Aufhebung der Entscheidung erwirken kann (EuGH, Urteil vom 28. Oktober 1999, Rs. C81/98 "A. A." = VergabeE A13/99). Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof in dem Urteil vom 11. Januar 2005 - Rs. C 26/03 "Stadt H." (VergabeR 2005, 44) - dahin ergänzt, dass sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit einer wirksamen und raschen Nachprüfung der Entscheidung der öffentlichen Auftraggeber sicherzustellen, auch auf Entscheidungen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens erstreckt, insbesondere auch auf die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, kein Vergabeverfahren einzuleiten. Auch die Aufrechterhaltung eines unter Verstoß gegen das Vergaberecht geschlossenen Vertrages verletzt während der gesamten Vertragslaufzeit das Gemeinschaftsrecht (EuGH, Urteil vom 10. April 2003 - Rs. C20/01 und Rs. C28/01 Kommission/Deutschland = IBR 2003, 370 = VergabE A15/03; Urteil vom 9. September 2004 - Rs. C125/03 = IBR 2004, 1151 = ZfBR 2005, 199).

Nach diesen Grundsätzen hat entsprechend § 13 VgV eine Informationspflicht der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin bestanden. Die Antragsgegnerin wusste von dem Interesse der Antragstellerin an dem Auftrag und war ohne weiteres in der Lage, ihr eine Information über die bevorstehende Auftragsvergabe zukommen zu lassen. Wie die Antragsgegnerin vor der Vergabekammer selbst vorgetragen hat, gehörte die Antragstellerin zu einem kleinen Kreis von Unternehmen, die sich auf spezielle Softwarelösungen im Zusammenhang mit Leistungen von Trägern öffentlicher Verwaltung gemäß SGB II, SGB XII sowie AsylbLG spezialisiert haben. Die Antragstellerin hatte bereits in der Zeit von Februar 2004 bis November 2005 durch mehrere Schreiben an die Beigeladenen zu 3 und 4 ihr Interesse an der Lieferung einer integrierten Software für die Aufgaben nach der Sozialgesetzgebung, insbesondere auch bezogen auf das Optionsmodell auf der Grundlage von Hartz IV, bekundet (Bl. 105 ff. der Vergabekammerakten). Die Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern der Antragsgegnerin und der kommunalen Gesellschafter testete bei der Vorbereitung der Beschaffungsentscheidung Ende 2004 auch das Produkt der Antragstellerin (Schriftsatz der Beigeladenen zu 3 vom 13. Juni 2006 in der Parallelsache 13 Verg 2/06). Im November 2005 nahm die Antragstellerin an einer Besprechung der Optionskommunen teil, in welcher die Optionskommunen ihre Unzufriedenheit mit der bisher eingesetzten Software zum Ausdruck brachten und ihren Bedarf erörterten. Dass die Antragstellerin ihr Interesse an dem Auftrag deutlich zum Ausdruck brachte, ergibt sich auch aus den Schreiben der Beigeladenen zu 3 und 4 vom 28. April und 21. Mai 2006. Darin teilen die Beigeladenen zu 3 und 4 der Antragstellerin mit, dass eine intensive Erkundung und Bewertung der am Markt befindlichen Softwarelösungen durchgeführt worden sei, wobei die Referenzen im Hinblick auf die Produkte der Antragstellerin nicht überzeugt hätten. Wie die Vergabekammer zutreffend festgestellt hat, haben sich die beigeladenen Landkreise gelegentlich der Abstimmungsgespräche mit der Antragsgegnerin auch über die Softwareangebote, auch über das der Antragstellerin, ausgetauscht. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin von den Interessenbekundungen der Antragstellerin Kenntnis hatte.

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin in ihrem Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren dadurch verletzt, dass sie die benötigten Lieferungen und Dienstleistungen entgegen § 97 Abs. 1 GWB in Verbindung mit § 4 Abs. 1 VgV und § 3 a Nr. 1 Abs. 1 VOL/A nicht im Wege des offenen Verfahrens beschafft hat. Gründe für ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung sind nicht dargetan oder ersichtlich.

III.

Die erstinstanzliche Kostenentscheidung war von Amts wegen insoweit zu ändern, als die Vergabekammer die Kosten allein der Antragsgegnerin auferlegt hat. Die Beigeladene zu 2 hat die Kosten als Gesamtschuldner mit zu tragen, weil sie sich durch ihre Schriftsätze und ihren mündlichen Vortrag in der Verhandlung vor der Vergabekammer aktiv am Verfahren beteiligt und die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags beantragt hat (§§ 128 Abs. 3, 4 GWB, 91, 100 Abs. 1, 101 ZPO). Die Entscheidung über die Kosten im Beschwerdeverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über den Streitwert auf § 50 Abs. 2 Satz 1 GKG (Bruttoauftragssumme 660.120 EUR, davon 5 %).

Ende der Entscheidung

Zurück