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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 15.05.2007
Aktenzeichen: 13 W 46/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406
Ein Sachverständiger kann wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn er die antragstellende Partei in einem selbstständigen Beweisverfahren mehrfach und nachdrücklich dazu zu bewegen versucht, nicht die von der Antragstellerin gewünschte Feststellung der Mängel vorzunehmen, sondern sogleich die Mängelbeseitigung durch die streitverkündeten Bauunternehmen zuzulassen.
13 W 46/07

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Richter am Landgericht B. als Einzelrichter am 15. Mai 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 8. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Hannover vom 5. April 2007 abgeändert.

Die Ablehnung des Sachverständigen W. wegen der Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin betreibt ein selbstständiges Beweisverfahren mit dem Ziel der Begutachtung von angeblichen Mängeln eines Bauobjektes. Antragsgegner ist ihr Architekt, Streitverkündete sowie Nebenintervenienten sind die bauausführenden Unternehmen. Mit der Begutachtung ist durch Beschluss vom 9. Oktober 2006 der Sachverständige Dipl.-Ing. W. beauftragt worden.

Mit bei Gericht am selben Tag eingegangenen Schriftsatz vom 26. Februar 2007 hat die Antragstellerin beantragt, den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Ihre Besorgnis hat sie im Wesentlichen mit dem Inhalt zweier Telefongespräche begründet, die der Sachverständige mit ihrem Prozessbevollmächtigten sowie mit einem ihrer Mitarbeiter geführt habe. Zunächst habe der Sachverständige anlässlich eines Telefongesprächs mit einem ihrer Mitarbeiter am 13. Februar 2007 zum Ausdruck gebracht, dass nach seiner Auffassung die Mängelbeseitigung im Vordergrund zu stehen habe und die juristischen Aspekte später geklärt werden sollten. Insoweit habe der Sachverständige ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Streitverkündeten und Nebenintervenienten derzeit noch Kapazitäten hätten, die Mängel zeitnah abzustellen. Am 15. Februar 2007 habe der Sachverständige dann telefonisch Kontakt mit ihrem Prozessbevollmächtigten aufgenommen. In dem Gespräch habe der Sachverständige zunächst darauf hingewiesen, dass er die gemäß seinem Gutachtenauftrag zu treffenden Feststellungen nur im Rahmen einer zeitgleichen Durchführung der Mängelbeseitigung treffen könne. Der Sachverständige habe erklärt, dass das Beweisverfahren doch der Mängelbeseitigung diene und diese auch im Interesse der Antragstellerin liege. Nachdem ihr Prozessbevollmächtigter den Sachverständigen darauf hingewiesen habe, dass das Interesse der Antragstellerin in erster Linie sei, gerichtsverwertbare Feststellungen über den derzeitigen Zustand des Objektes und die Ursachen der Mängel zu erhalten, habe der Sachverständige ein weiteres Mal betont, dass aus seiner Sicht eine mit der Begutachtung zeitgleiche Mängelbeseitigung erforderlich sei. Nachdem ihr Prozessbevollmächtigter den Sachverständigen darauf hingewiesen habe, dass es der Antragstellerin frei stehe, eine Mängelbeseitigung nicht mit den betroffenen Werkunternehmern durchzuführen, sondern die Möglichkeit habe, den Antragsgegner auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen und anschließend Drittfirmen mit der Mängelbeseitigung zu beauftragen, habe der Sachverständige erwidert, dass die beteiligten Streitverkündeten dann von dem Haftpflichtversicherer des Antragsgegners in Anspruch genommen werden würden. Hierdurch würden für diese erhebliche Nachteile entstehen und diese gegebenenfalls in die Insolvenz treiben. Dies gelte es aber zu verhindern, weshalb er die sofortige Mängelbeseitigung für erforderlich halte. Dies müsse seiner Ansicht nach ein öffentlicher Auftraggeber wie die Antragstellerin auch berücksichtigen. Nachdem ihr Prozessbevollmächtigter erkennen lassen habe, dass er gleichwohl die von dem Sachverständigen präferierte sofortige Einleitung der Mängelbeseitigung nicht befürworten könne, habe der Sachverständige verärgert reagiert und das Telefongespräch kurz angebunden beendet.

Ferner hat die Antragstellerin ihren Ablehnungsantrag darauf gestützt, dass der Sachverständige anlässlich eines Ortstermins am 13. Dezember 2006 den Geschäftsführer einer der Streitverkündeten geduzt habe. Zudem habe dieser Geschäftsführer einem ihrer Mitarbeiter am 23. Februar 2007 telefonisch mitgeteilt, die von seinem Unternehmen zu vertretenen Mängel demnächst beseitigen und zur Dokumentation seiner Mängelbeseitigung den Sachverständigen W. beauftragen zu wollen.

Der Sachverständige hat im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe mit Schreiben vom 7. Februar 2007 eine Stellungnahme zu den Akten gereicht. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 5. April 2007 als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin mit Beschluss vom 27. April 2007 nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gemäß §§ 567 Abs. 1, 406 Abs. 5 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 569 ZPO) sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Ablehnungsgesuch ist rechtzeitig gestellt, soweit es auf die beiden Telefongespräche des Sachverständigen mit dem Mitarbeiter der Antragstellerin am 13. Februar 2007 sowie mit dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 15. Februar 2007 gestützt wird.

§ 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO sieht eine Erklärungsfrist von zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung eines Sachverständigen vor. Davon sind vor allem Ablehnungsgründe erfasst, die sich gegen die Person des Sachverständigen richten. Für sonstige Ablehnungsgründe, die wie im vorliegenden Fall erst im Laufe des Verfahrens entstehen (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO), sieht das Gesetz keine Frist vor. Insoweit ist die nachträgliche Ablehnung nur dann zulässig, wenn der Ablehnungsantrag unverzüglich nach der Erlangung der Kenntnis vom Ablehnungsgrund gestellt wird. Der Antrag ist also zwar nicht sofort, aber innerhalb einer den konkreten Umständen angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist anzubringen. Dabei kann im Regelfall die Zwei-Wochen-Frist des Abs. 2 Satz 1 als Richtschnur dienen (vgl. OLG München, MDR 2004, 228; OLG Brandenburg, NJWRR 2001, 1433; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 406 Rdnr. 48).

Danach ist das Ablehnungsgesuch, das 13 bzw. 11 Tage nach den beanstandeten beiden Telefongesprächen bei Gericht eingegangen ist, rechtzeitig gestellt.

2. Das Ablehnungsgesuch ist auch begründet.

a) Nach § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Insoweit genügt jede Tatsache, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken kann, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, 1870).

b) Das Verhalten des Sachverständigen W. erfüllt diese Voraussetzungen.

aa) Keiner Entscheidung bedarf es, ob sich dies bereits aus dem Umstand herleiten lässt, dass der Sachverständige, wie von ihm eingeräumt, den Geschäftsführer einer der Streitverkündeten duzt (vgl. insoweit allerdings Werner/ Pastor, Der Bauprozess, 11. Aufl., Rdn. 2648, 1. Unterpunkt). Denn dieser Umstand war der Antragstellerin nach eigenem Vorbringen bereits ca. 2 1/2 Monate vor dem Zeitpunkt der Ablehnung bekannt und ist daher nicht mehr fristgemäß i. S. von § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO geltend gemacht worden. Ebenfalls kann das Ablehnungsgesuch nicht mit Erfolg auf das Telefongespräch des genannten Geschäftsführers mit einem Mitarbeiter der Antragstellerin vom 23. Februar 2007 gestützt werden. Denn aus dem diesbezüglichen Vorbringen der Antragstellerin ergibt sich nicht, dass der Sachverständige sich zur Vornahme der von dem Geschäftsführer angekündigten Dokumentation der Mängelbeseitigung auch bereit erklärt hat. Nur das könnte es aber aus der Sicht der Antragstellerin rechtfertigen, den Sachverständigen als parteiisch anzusehen.

bb) Die genannten Voraussetzungen ergeben sich aber aus dem Inhalt der beiden Telefongespräche vom 13. und 15. Februar 2007, den die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat und dem der Sachverständige nicht entgegen getreten ist.

Insoweit braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob es für die Annahme einer Besorgnis der Befangenheit bereits ausreicht, wenn ein Sachverständiger über seinen Gutachtenauftrag hinaus eine der Parteien einseitig von einer einvernehmlichen Streitbeilegung zu überzeugen versucht (in diesem Sinne allerdings Zöller/ Greger, ZPO, 25. Aufl., § 406 Rdnr. 8 a. E.).

Jedenfalls aber ist der Sachverständige über einen solchen Versuch der Streitbeilegung hinausgegangen und hat die Grenzen des ihm vom Gericht erteilten Auftrages dadurch erheblich überschritten, dass er, nachdem er bereits einen Mitarbeiter der Antragstellerin davon zu überzeugen versucht hatte, die streitverkündeten Bauunternehmen die Mängelbeseitigung vornehmen zu lassen, zwei Tage später mit dem gleichen Anliegen noch einmal an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin herangetreten ist. Selbst nachdem dieser dem Sachverständigen eindeutig zu verstehen gegeben hat, zunächst die vom Gericht beauftragten Feststellungen vornehmen lassen und erst sodann über die weitere Vorgehensweise der Mängelbeseitigung entscheiden zu wollen, hat der Sachverständige auf der von ihm präferierten Vorgehensweise beharrt. Spätestens dadurch musste bei der Antragstellerin der Eindruck entstehen, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Das selbstständige Beweisverfahren dient dem Zweck, Baumängel frühzeitig festzustellen und dadurch ein Hauptsacheverfahren vorzubereiten. Wählt eine Partei ein solches Verfahren, hat sie auch Anspruch darauf, dass der vom Gericht zu diesem Zweck beauftragte Sachverständige die in diesem Verfahren erforderliche Tätigkeit entfaltet. Wenn dagegen der gerichtlich bestellte Sachverständige, wie vorliegend geschehen, nachdrücklich auf die antragstellende Partei dahingehend einzuwirken versucht, nicht die von ihr gewählte Verfahrensweise der Mängelfeststellung zu verfolgen, sondern vielmehr die Mängelbeseitigung durch die Streitverkündeten zuzulassen, zeigt er damit, dass er nicht mehr als objektiver, unparteiischer Sachwalter tätig zu werden gedenkt, sondern vielmehr eigene Vorstellungen durchzusetzen versucht. Letztlich hat der Sachverständige mit seinem Verhalten die Antragstellerin in eine Situation versetzt, in der sie sich bemüßigt fühlen musste, diesen davon zu überzeugen und zu bewegen, seiner ihm vom Gericht zugewiesenen Aufgabe nachzukommen. Dass dies für eine antragstellende Partei in einem selbstständigen Beweisverfahren eine unzumutbare Situation darstellt, bedarf aus Sicht des Senats keiner weiteren Erläuterungen.

Vollends musste bei der Antragstellerin der Eindruck entstehen, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber, nachdem dieser zum Abschluss des Telefongespräches noch auf die wirtschaftlichen Folgen für die Streitverkündeten für den Fall eingegangen ist, dass die Antragstellerin nach Feststellung der Mängel den Antragsgegner auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Spätestens hierdurch hat der Sachverständige aus Sicht der Antragstellerin zum Ausdruck gebracht, der Sache nicht unparteiisch gegenüber zu stehen.

Nebenentscheidungen sind nicht veranlasst, da die Beschwerde erfolgreich ist.

Ende der Entscheidung

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