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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 07.02.2002
Aktenzeichen: 14 U 126/01
Rechtsgebiete: SGB X


Vorschriften:

SGB X § 116
Zum Zeitpunkt des Rechtsübergangs von Ansprüchen eines Kleinkindes auf den Sozialhilfeträger.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 126/01

Verkündet am 7. Februar 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 27. März 2001 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Hannover geändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entsteht, dass er wegen der Folgen eines durch Herrn ####### am 22. September 1985 verursachten Verkehrsunfalls für #######, geboren am 23. Dezember 1984, Eingliederungshilfe zur Einschulung oder sonstige Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz zu erbringen hat.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Beschwer: 5.000 EUR.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a. F. abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht gemäß § 116 SGB X ein Feststellungsanspruch wegen des durch einen Versicherungsnehmer der Beklagten verursachten Verkehrsunfalls vom 22. September 1985 zu.

1. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der Feststellung seiner Ansprüche, weil die Möglichkeit besteht, dass er für den Geschädigten in Zukunft Sozialhilfeleistungen erbringen muss. Der Geschädigte hat durch den Verkehrsunfall eine Querschnittslähmung davon getragen, die es möglich erscheinen lässt, dass er auf entsprechende sozialhilferechtliche Unterstützung in Zukunft angewiesen sein könnte, auch wenn er von der Beklagten eine beachtliche Abfindungssumme erhalten hat. Die bloße Möglichkeit eines Schadenseintrittes rechtfertigt ein Feststellungsinteresse.

2. Der Anspruch des Klägers ist auch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht verjährt. Für den Beginn der Verjährungsfrist kommt es nicht auf die Kenntnis des Geschädigten vom Schadensfall, sondern auf die Kenntnis des zuständigen Mitarbeiters des Sozialhilfeträgers an (BGHZ 133, 129), die hier in unverjährter Zeit liegt.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Ansprüche des Klägers aus übergegangenem Recht nicht bereits vor dem Anspruchsübergang dadurch erloschen, dass die Eltern des Geschädigten für diesen mit der Beklagten am 7. März 1990 einen Anfindungsvergleich geschlossen haben, in welchem zur Abgeltung sämtlicher (auch zukünftiger) Ansprüche eine Einmalzahlung in Höhe von 800.000 DM vereinbart worden war. Denn zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vergleiches waren die Schadensersatzansprüche des Geschädigten bereits auf den Kläger als Sozialhilfeträger übergegangen. Der gegenteiligen Auffassung des Landgerichts vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Zwar trifft es zu, dass der Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger, anders als derjenige auf den Versicherer, im Regelfall nicht mit dem schädigenden Ereignis zusammen zu fallen braucht (zu einem Ausnahmefall BGHZ 133, 129 ff). Jedoch ist, wie es auch das Landgericht seinen Ausführungen zugrunde gelegt hat, auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem aufgrund konkreter Anhaltspunkte, auch für eine Bedürftigkeit des Geschädigten, mit der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers ernsthaft zu rechnen ist (BGHZ 131, 274, 278).

a) Das war im vorliegenden Fall der Zeitpunkt der Übersiedlung des Geschädigten mit seinen Eltern von der damaligen DDR in die Bundesrepublik, welche im Jahre 1988, also vor Abschluss des Abfindungsvergleiches stattfand. Zu diesem Zeitpunkt lagen, wie der Kläger zutreffend ausführen lässt, entsprechende konkrete Anhaltspunkte für eine Sozialhilfebedürftigkeit vor, mit der auch ernsthaft zu rechnen war. Dabei kommt es nicht darauf an, in welchen Vermögensverhältnissen der Geschädigte bzw. seine Unterhaltsverpflichteten zum Zeitpunkt der Übersiedlung und danach lebten, insbesondere ob die Eltern des Geschädigten in der Lage waren, ihr Kind trotz seiner schweren Behinderung zunächst ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe zu unterhalten. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt - der Geschädigte wurde im Jahr der Übersiedlung vier Jahre alt - war konkret abzusehen, dass er ungeachtet der finanziellen Verhältnisse seiner Unterhaltsverpflichteten in absehbarer Zeit Anspruch auf Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz haben würde. Wegen der durch den Unfall davon getragenen erheblichen Behinderung, hier einer Querschnittslähmung vom Brustbereich an abwärts, zählte der Geschädigte zu den nach § 39 ff. BSHG anspruchsberechtigten Personen. Nach diesen Vorschriften haben behinderte Menschen Anspruch auf Eingliederungshilfe und, beispielsweise nach § 43 BSHG, erweiterte Hilfe etwa hinsichtlich der Kosten für heilpädagogische Maßnahmen, Hilfe zu einer angemessen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation u. a. Der Anspruch nach § 43 BSHG ist, worauf der Kläger zu Recht hinweist, von der Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten (nicht des Berechtigten selbst) weitgehend unabhängig, diese haben sich nur das anzurechnen lassen, was sie an Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt ersparen. Diese Vorschrift, die sicherstellen soll, dass die Unterstützung behinderter Menschen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird, hat zugleich zur Folge, dass der Geschädigte zum Zeitpunkt der Übersiedlung mit der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers ernsthaft rechnen konnte. Zu diesem Zeitpunkt konnte der als Kleinkind mit seinen Eltern gerade erst aus der DDR übergesiedelte Kläger nicht über ausreichendes eigenes Vermögen verfügen, um die finanziellen Folgen seiner Behinderung selber zu übernehmen; auf die Vermögensverhältnisse seiner Eltern kam es wegen der Sondervorschriften des § 43 BSHG nicht an.

b) Es steht der Annahme konkreter Anhaltspunkte für eine bevorstehende Sozialhilfebedürftigkeit auch nicht entgegen, dass dem Geschädigten bereits im Jahre 1988 Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger bzw. die Beklagte als dessen Haftpflichtversicherung zustanden. Er bzw. seine gesetzlichen Vertreter waren zwar wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der Sozialhilfe berechtigt, Schadensersatzleistungen selbst einzufordern. Diese Ermächtigung berechtigte ihn bzw. seine Vertreter jedoch nicht, mit Wirkung für den Kläger auf künftige Ansprüche wegen erweiterter Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz zu verzichten. Im Rahmen der Einziehung der Schadensersatzforderungen muss der Sozialhilfeträger Rechtshandlungen des Geschädigten nur insoweit gegen sich gelten lassen, als sie durch den Einziehungszweck gedeckt sind (BGHZ 131, 274, 284). Der Verzicht auf möglichen Schadensersatz wegen solcher Belastungen, die ansonsten der Sozialhilfeträger als Fälle der erweiterten Hilfe nach § 43 BSHG zu tragen hat, ist durch den Einziehungszweck im Rahmen der Subsidiarität der Sozialhilfe nicht mehr gedeckt.

c) Dabei kommt es schließlich auch nicht darauf an, dass der Geschädigte als Gegenleistung u. a. für den Anspruchsverzicht eine Einmalzahlung von 800.000 DM erhalten hat (wovon 160.000 DM auf Schmerzensgeld entfielen). Abgesehen davon, dass diese Zahlung auf dem Abfindungsvergleich beruhte, der erst zwei Jahre nach der Übersiedlung des Geschädigten in die Bundesrepublik abgeschlossen worden ist, dem Geschädigten das Geld zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik mithin noch nicht zur Verfügung stand, hätte es der oben genannte Einziehungszweck auch nicht gerechtfertigt, wegen dieser Abfindungszahlung auch auf diejenigen Ansprüche zu verzichten, die auf den Sozialhilfeträger bereits übergegangen waren. Insofern hätte es nahe gelegen, von dem Verzicht diejenigen Ansprüche auszunehmen, die im Wege gesetzlichen Forderungsübergangs auf den Sozialhilfeträger übergegangen sein könnten, was als Formulierung im Rahmen derartiger Abfindungsvergleiche nicht ungebräuchlich ist.

Anderenfalls hätten die Eltern des Geschädigten und die Beklagte es im Rahmen des Abschlusses eines Abfindungsvergleiches in der Hand gehabt, das Risiko, dass die vereinbarte Abfindungszahlung für künftigen vermehrten Bedarf des schwerbehinderten Geschädigten nicht ausreicht, auf den Sozialhilfeträger zu überwälzen.

d) Die Beklagte kann im Ergebnis auch nicht damit gehört werden, dass sie bei Abschluss des Abfindungsvergleichs keine Kenntnis vom Rechtsübergang auf den Kläger gehabt habe. An die Kenntnis eines solchen Forderungsübergangs sind nur maßvolle Anforderungen zu stellen (BGH, a. a. O., 286). Im vorliegenden Fall ergibt sich eine Kenntnis vom möglichen Forderungsübergang bereits aus der Art und Schwere der vom Geschädigten davon getragenen Beeinträchtigungen, nämlich einer Querschnittslähmung, sowie aus dessen Lebensalter. Die Beklagte als Versicherin konnte angesichts der Tatsache, dass es sich bei dem Geschädigten um ein erst vor zwei Jahren aus der DDR übergesiedeltes Kleinkind mit schwerer Behinderung gehandelt hat, nicht davon ausgehen, dass in der Person dieses Geschädigten nicht die Voraussetzungen für zumindest erweiterte Hilfe nach § 43 BSHG vorlägen, zumal deren Gewährung nach dem oben Erörterten an das Einkommen der Unterhaltsverpflichteten nur begrenzt geknüpft ist.

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1; 708 Nr. 10, 713 ZPO; 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache gemäß § 543 ZPO n. F. weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

5. Den Streitwert für die Berufungsinstanz hat der Senat auf 5.000 EUR festgesetzt. Anders als in erster Instanz geht es nicht mehr um die zusätzlichen monatlichen Kosten infolge des Besuchs einer besonderen Schule durch den Geschädigten, weil Ansprüche des Geschädigten gegen den Sozialhilfeträger wegen dieser Position durch Behörde und Verwaltungsgericht zurückgewiesen worden sind. Das Interesse des Klägers an einer Feststellung wegen anderer, derzeit weder sicher feststehender noch konkret bezifferbarer möglicher Folgeschäden bemisst der Senat mit 5.000 EUR.

Ende der Entscheidung

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