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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 06.06.2006
Aktenzeichen: 14 U 132/05
Rechtsgebiete: StVO, StVG


Vorschriften:

StVO § 8
StVG § 17
Eine Lichtzeichenanlage, die nur eine Fußgängerfurt sichert, ändert nicht die ansonsten bestehenden Vorfahrtsregeln. Gleichwohl haben sich die vom Haltegebot einer Fußgängerampel betroffenen Fahrzeugführer darauf einzustellen, dass Verkehrsteilnehmer jenseits der Ampel auf das Rotlicht für den bevorrechtigten Verkehr vertrauen und sich entsprechend verhalten. Wenn daher ein bevorrechtigter Fahrzeugführer eine Fußgängerampel bei Rotlicht überfährt und unmittelbar hinter dem Fußgängerüberweg mit einem aus einer untergeordneten Querstraße in die bevorrechtigte Straße einbiegenden Fahrzeug kollidiert, ist schon deshalb eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zum Nachteil des Vorfahrtberechtigten gerechtfertigt.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 132/05

Verkündet am 6. Juni 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 1. Juni 2005 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und neu gefasst wie folgt:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.244,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Dezember 2002 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 68 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 32 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 4.488,63 EUR.

Gründe:

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 2 ZPO)

Die Berufung ist zum Teil begründet. Der Kläger hat für den streitbefangenen Verkehrsunfall vom 5. Dezember 2002 überwiegend einzustehen.

1. Mit dem Landgericht bejaht der Senat einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagten als Gesamtschuldner aus §§ 7, 17 StVG i. V. m. 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO, 3 PflVG. Denn die Beklagte zu 1 hat sich eine Vorfahrtsverletzung zu Schulden kommen lassen. Dem Kläger ist aber ebenfalls ein verkehrswidriges Verhalten anzulasten. Er hat zum einen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich - um mindestens 38 % (69 bis 74 km/h) - überschritten. Zum andern ist er in den Kreuzungsbereich hineingefahren, als die dort befindliche Fußgängerampel bereits "rot" zeigte, wie sich eindeutig aus den Bekundungen des Zeugen K. (Bl. 46 d. A.) ergibt und vom Landgericht in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt worden ist (LGU 5).

2. Im Gegensatz zur Wertung des Landgerichts sieht der Senat jedoch bei der gemäß § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge - wie bereits im Beschluss vom 12. Juli 2005 erwähnt (Bl. 134 d. A.) - die überwiegende Verantwortlichkeit für den Unfall bei dem Kläger.

Der Beklagten zu 1 ist zwar eine Vorfahrtsverletzung anzulasten, weil durch eine Lichtzeichenanlage, die nur eine Fußgängerfurt sichert, die Vorfahrtsregeln nicht berührt werden (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 8 StVO, Rn. 44 m. w. N.). Die Beklagte zu 1 hätte deshalb den unübersehbaren Lkw des Klägers bevorzugt passieren lassen müssen. Ein Alleinverschulden des Klägers bzw. insgesamt eine Abweisung der Klage, wie es die Beklagten mit ihrer Berufung begehren, ist danach nicht zu rechtfertigen.

Den Kläger trifft jedoch eine höhere Haftungsquote. Er wäre aufgrund des von der Fußgängerampel ausgehenden Haltegebots verpflichtet gewesen, nicht in die Kreuzung einzufahren. Denn das von der "roten" Ampel ausgehende Haltegebot war für ihn bindend. Unbeachtlich ist dabei, ob der Einmündungsverkehr in den Schutzbereich der Fußgängerampel einbezogen ist (dies bejahend bei einem Abstand von nur 5 m zwischen Fußgängerampel und untergeordneter Querstraße OLG Hamm, MDR 1997, 832; ebenso wohl auch OLG Karlsruhe, ZfSchR 2001, 477). Auch wenn die Beklagte zu 1 aufgrund der roten Fußgängerampel nicht darauf vertrauen durfte, ohne weiteres in die L.straße einbiegen zu dürfen, kann der Kläger hieraus nicht herleiten, er hätte die Ampel ohne Auswirkung für seine Haftung an dem Unfall "überfahren" dürfen. Vielmehr hatte er damit zu rechnen, dass Verkehrsteilnehmer jenseits der Ampel - wie die Beklagte zu 1 - sich auf das Rotlicht für den bevorrechtigten Fahrverkehr einrichten und entsprechend verhalten (vgl. OLG Hamm, MDR 1998, 838). Demgegenüber galt sein Vorfahrtsrecht nicht absolut. Denn Fahrzeugführer haben in jedem Fall - auch wenn sie vorfahrtberechtigt sind - ihr Verhalten ständig vorausschauend der gegebenen Verkehrslage anzupassen und ggf. auch auf ihren Vorrang zu verzichten; das gilt erst recht, wenn sie sich selbst verkehrswidrig verhalten (vgl. OLG Karlsruhe, ZfSchR 2001, 477). Wenn daher ein bevorrechtigter Fahrzeugführer eine Fußgängerampel bei Rotlicht überfährt und unmittelbar hinter dem Fußgängerüberweg mit einem aus einer untergeordneten Querstraße in die bevorrechtigte Straße einbiegenden Fahrzeug kollidiert, ist - schon deshalb - eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zum Nachteil des Vorfahrtsberechtigten gerechtfertigt (vgl. OLG Hamm, MDR 1998, 838; 1997, 277; Hentschel a. a. O.). Diese Haftungsverteilung erscheint vorliegend umso angemessener, als der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 19 bis 24 km/h, d. h. um 38 bis 48 % überschritten hat. Zudem hat er für die im Verhältnis zum Pkw der Beklagten zu 1 (Opel Corsa) erheblich höhere Betriebsgefahr seines vollbeladenen Kleintransporters (Opel Movano) einzustehen.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge trifft den Kläger damit insgesamt eine deutlich höhere Verantwortlichkeit an dem Unfallgeschehen, die der Senat mit 2/3 zu 1/3 im Verhältnis zu den Beklagten bemisst.

3. Demnach kann der Kläger lediglich die zugesprochenen 2.244,31 EUR von den Beklagten erstattet verlangen. Der Senat nimmt insoweit auf die Berechnung des Landgerichts (LGU 6, 7) Bezug, die von der Berufung nicht angegriffen worden ist. Von dem danach dem Kläger insgesamt entstandenen Schaden von 6.732,94 EUR steht ihm 1/3 zu. Die darauf zugesprochenen Zinsen rechtfertigen sich aus Verzug (vgl. Bl. 2 d. A.).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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