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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 17.05.2001
Aktenzeichen: 14 U 175/00
Rechtsgebiete: PflVG, BGB, StVG, ZPO


Vorschriften:

PflVG § 3
BGB § 823
StVG § 17
StVG § 7
StVG § 8 a
StVO § 5 Abs. 4
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 108
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
Ein Gesamtschuldnerausgleich zwischen mehreren Verkehrsteilnehmern setzt voraus, dass überhaupt eine Haftung aller gegenüber dem Geschädigten besteht.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 175/00 4 O 784/99 LG Hannover

Verkündet am 17. Mai 2001

#######, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ####### und der Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 16. Juni 2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 21.000 DM abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Beiden Parteien wird gestattet, die Sicherheit auch durch die unbefristete, unbedingte und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse zu leisten.

Wert der Beschwer für die Klägerin: über 60.000 DM.

Tatbestand

Die Klägerin macht mit der Klage gegenüber den Beklagten Gesamtschuldnerausgleichsansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 28. Januar 1997 gegen 15:00 Uhr ereignete.

An diesem Tage befuhr der in Diensten der Klägerin stehende Fahrer ####### mit dem Mercedes-Dienstwagen der Sicherungsgruppe ####### den Hauptfahrstreifen der A 352 in Fahrtrichtung ####### mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h. Da er beabsichtigte, einen vorausfahrenden Lkw zu überholen, betätigte er - allerdings zu einem zwischen den Parteien streitigen Zeitpunkt - den linken Fahrtrichtungsanzeiger. Zu Beginn des Fahrstreifenwechsels übersah ####### den auf der linken Fahrspur mit einer höheren Geschwindigkeit von mindestens ca. 140 km/h herannahenden Pkw BMW, dessen Halterin die Beklagte zu 1 war, der bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert war und der von Frau #######, der Tochter der Beklagten zu 1, gesteuert wurde. Als ####### den Pkw BMW neben sich erkannte, lenkte er sein Fahrzeug auf den Hauptfahrstreifen zurück. Zu einer Berührung beider Fahrzeuge kam es nicht.

Die Fahrerin des Pkw BMW leitete wegen des begonnenen Fahrstreifenwechsels des Pkw Mercedes ein sofortiges Brems- und Ausweichmanöver ein. Der BMW geriet dabei mit seinen linken Rädern auf den Mittelstreifen und schleuderte dann über beide Fahrbahnen in den rechten Seitenbereich der Autobahn. Dort prallte er - um 180 Grad gedreht - gegen zwei Bäume; dabei wurde er völlig zerstört. Bei diesem Verkehrsunfall kamen die Fahrerin #######, ihr Ehemann ####### sowie dessen Bruder ####### ums Leben, während der weitere Insasse ############## lebensgefährlich verletzt wurde.

Die Eheleute ####### hinterließen die am 22. Januar 1991 geborene Tochter ####### und den am 16. Juni 1995 geborenen Sohn #######. Die getöteten Brüder ####### und ####### hinterließen ihre Eltern ####### und #######. Wegen der Verletzungen, die ####### bei dem Unfall erlitten hat, hat die Klägerin sowohl an diesen als auch an anspruchsberechtigte Dritte materiellen und immateriellen Schadensersatz in nicht unerheblicher Höhe geleistet.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, im Innenverhältnis zwischen den Fahrern und Haltern der beiden am Unfall beteiligten Fahrzeuge sei von einer Haftungsaufteilung von 50 : 50 auszugehen, weil der Fahrerin des BMW ein hälftiges Mitverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls vorzuwerfen sei. Diese habe auf der Unfallfahrt Stiefeletten mit 4 cm hohen Plateausohlen und Absätzen von 10 cm Höhe getragen. Außerdem sei sie mit einer den örtlichen Straßen- und Witterungsverhältnissen nicht angepassten Geschwindigkeit von 140 bis 160 km/h gefahren. Die von ihr eingeleitete Vollbremsung habe eine fehlerhafte Reaktion dargestellt; durch angemessenes Abbremsen hätte die Fahrerin des BMW es vermeiden können, dass ihr Fahrzeug ins Schleudern geriet.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin von den Beklagten die Erstattung der Hälfte der von ihr zu Gunsten des Geschädigten ####### erbrachten Zahlungen geltend gemacht und außerdem die Feststellung begehrt, dass die Beklagten verpflichtet sind, sie - die Klägerin - in Höhe von 50 % von den Schadensersatzansprüchen der Hinterbliebenen der bei dem Unfall Getöteten und der Sozialversicherungsträger, die hinter den Hinterbliebenen stehen, sowie von den weiteren ihr gegenüber wegen der Verletzungen des Geschädigten ####### erhobenen Schadensersatzansprüchen freizustellen.

Die Beklagten sind dem mit der Auffassung entgegen getreten, dass der Verkehrsunfall allein von dem Fahrer ####### des Pkw Mercedes des Bundeskriminalamts (BKA) verschuldet worden sei. Dieser habe unter Verletzung seiner Rückschaupflicht mit einer Lenkbewegung zum Fahrstreifenwechsel angesetzt, als sich der von der später getöteten Frau ####### gesteuerte Pkw BMW bereits neben seinem Mercedes befunden habe. Frau ####### habe auch unter Berücksichtigung der von ihr gefahrenen höheren Geschwindigkeit angemessen reagiert. Im Übrigen hat die Beklagte bestritten, dass Frau ####### während der Unfallfahrt Schuhe mit Plateausohlen getragen habe.

Das Landgericht hat die Klage nach der zeugenschaftlichen Vernehmung des #######, der Insassen des BKA-Fahrzeugs sowie zweier Polizeibeamten, die an der Unfallaufnahme beteiligt waren, im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass sich ein mitwirkendes Verschulden der Fahrerin des BMW an dem Zustandekommen des Unfalls nicht feststellen lasse. Der Unfall sei allein durch das Fehlverhalten des Fahrers ####### des BKA-Fahrzeugs verursacht worden.

Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Zu deren Begründung behauptet sie, dass der Zeuge ####### den linken Fahrtrichtungsanzeiger erst gesetzt habe, nachdem er sich vergewissert gehabt habe, dass die Überholspur frei gewesen sei. Hinzu komme, dass ####### das Fahrzeug der Klägerin nicht mehr als allenfalls eine Reifenbreite auf die Überholfahrspur geführt habe, ehe er seinen kaum begonnenen Überholvorgang wieder abgebrochen habe. Für die Fahrerin des BMW habe daher keine Veranlassung bestanden, ihr Fahrzeug nach links über den Fahrbahnrand zu ziehen und eine Notbremsung durchzuführen. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Klägerin im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Klagebegehren - abgesehen von geringfügigen nicht ins Gewicht fallenden Abweichungen - weiter. Wegen des von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten umfangreichen Berufungsantrags wird der Kürze halber auf die Seiten 1 bis 3 ihrer Berufungsbegründung vom 23. Oktober 2000 (Bl. 200 - 202) Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung der Klägerin. Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen im Übrigen ebenfalls im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Unter Hinweis auf das Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme bestreiten sie, dass der Fahrer des BKA-Fahrzeugs ####### so frühzeitig links geblinkt habe, dass für Frau ####### mit dem unmittelbar bevorstehenden Ausscheren dieses Fahrzeugs zu rechnen gewesen sei. Der BMW-Fahrerin sei auch keine schuldhaft fehlerhafte Reaktion auf das von ####### eingeleitete und sogleich wieder abgebrochene Überholmanöver vorzuwerfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und ihre Anlagen Bezug genommen. Die Strafakten 702 Js 6957/97 StA Hannover haben dem Senat zur Information vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung abgewiesen.

Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten kein Gesamtschuldnerausgleich zu, weil der Verkehrsunfall vom 28. Januar 1997 allein auf das schuldhafte Fehlverhalten des Fahrers des Fahrzeugs der Klägerin ####### zurückzuführen ist. Ein Mitverschulden der Fahrerin des Pkw BMW, für das die Beklagten im Verhältnis zu den darin beförderten drei weiteren Insassen gemäß §§ 3 PflVG, 823 BGB, 17 StVG einzustehen hätten, lässt sich nicht feststellen. Schließlich scheidet eine Inanspruchnahme der Beklagten wegen der von dem BMW ausgehenden Betriebsgefahr gemäß §§ 3 PflVG, 7 StVG wegen der Regelung in § 8 a StVG aus. Im Einzelnen:

1. Dass den Fahrer des BKA-Fahrzeugs ein Verschulden an dem Zustandekommen des Verkehrsunfalls trifft, stellt auch die Klägerin nicht in Abrede. Nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass ####### gegen § 5 Abs. 4 StVO dadurch verstoßen hat, dass er seiner Rückschaupflicht nicht nachgekommen ist, als er mit dem Setzen des linken Blinkers und einer gleichzeitigen Lenkradbewegung nach links das geplante Überholmanöver eingeleitet hat. Da sich der Pkw BMW auf dem linken Fahrstreifen zu diesem Zeitpunkt bereits in etwa auf Höhe der B-Säule des Pkw Mercedes befand, ist es - wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - für den weiteren Unfallverlauf und das unfallursächliche Verschulden des Fahrers ####### ohne Bedeutung, dass dieser die Situation auf den warnenden Zuruf seines Beifahrers ####### erkannte, den Mercedes sofort wieder vollständig auf die rechte Fahrspur zurücklenkte und dadurch eine Berührung beider Fahrzeuge vermied.

2. Ein Mitverschulden der Fahrerin des BMW lässt sich dagegen nicht feststellen. Zwar behauptet die Klägerin in der Berufungsbegründung weiterhin, dass ####### sein Überholvorhaben durch ein rechtzeitiges und für Frau ####### erkennbares Setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers angekündigt habe. Auf Grund der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht insoweit jedoch das Gegenteil fest. Der in dem Fahrzeug der Klägerin als Beifahrer mitfahrende Zeuge ####### hat ausdrücklich bekundet, dass ####### den linken Blinker gesetzt und das Fahrzeug schon gleichzeitig (Hervorhebung durch den Senat) nach links gesteuert habe. Da sich der BMW zu diesem Zeitpunkt, wie der seinerzeit in dem BKA-Fahrzeug hinten links sitzende Zeuge ####### bestätigt hat, bereits in etwa auf Höhe der B-Säule des Mercedes befand, hatte die BMW-Fahrerin keine Möglichkeit (mehr), noch (rechtzeitig) auf das Blinken des BKA-Fahrzeugs zu reagieren.

Selbst wenn Frau ####### in der dargestellten Situation durch die Einleitung eines Ausweichmanövers und einer Vollbremsung falsch reagiert haben sollte, stellt dies kein Mitverschulden im Rechtssinne dar. Durch diese schreckbedingte Reaktion, die erkennbar die Vermeidung des Unfalls bezweckte, hat sie jedenfalls nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen.

Ein Mitverschulden der BMW-Fahrerin lässt sich schließlich auch nicht mit der Behauptung begründen, dass der Unfall dadurch (mit-)verursacht worden sei, dass Frau ####### die auf Bl. 86 der Strafakten abgebildeten hochhackigen Plateauschuhe getragen habe. Es lässt sich nämlich schon nicht feststellen, dass sie diese Schuhe zum Unfallzeitpunkt überhaupt anhatte. Der Polizeibeamte #######, der neben den Fotos notiert hat: 'Mit diesen Schuhen an den Füßen führte Frau ####### den Pkw BMW.', war, wie er bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung angegeben hat, am Unfalltag nicht vor Ort, sondern hat die Sachbearbeitung erst am Folgetag übernommen. Nach seinem Bekunden sollen die unfallaufnehmenden Kollegen die Feststellung getroffen haben, dass die BMW-Fahrerin die Plateauschuhe bei dem Unfall auch tatsächlich getragen habe. Diese Annahme hat der vom Landgericht ebenfalls vernommene Polizeibeamte #######, der vor Ort war, aber gerade nicht bestätigt. Er hat vielmehr ausgesagt, dass die getöteten Personen, als sie aus dem Wagen genommen worden seien, so abgedeckt gewesen seien, dass man ihre Schuhe nicht habe sehen können. Daraus folgt, dass sich eine positive Feststellung, dass die BMW-Fahrerin die besagten Schuhe zum Unfallzeitpunkt tatsächlich trug, nicht treffen lässt.

Im Übrigen lässt sich - selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte - jedenfalls nicht feststellen, dass dieser Umstand unfallursächlich geworden ist. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises greifen hier zu Gunsten der Klägerin schon deshalb nicht ein, weil Frau ####### durch die Einleitung einer Vollbremsung immerhin durchaus folgerichtig reagiert hat.

3. Die von dem BMW ausgehende Betriebsgefahr brauchen sich die Beklagten im Verhältnis zu den drei in diesem Fahrzeug von Frau ####### beförderten Insassen schon deshalb nicht gemäß §§ 3 PflVG, 7 StVG anrechnen zu lassen, weil keine entgeltliche, geschäftsmäßige Personenbeförderung vorlag (§ 8 a StVG). Deshalb brauchte der Senat auch nicht der Frage nachzugehen, ob es zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen auch dann gekommen wäre, wenn die BMW-Fahrerin die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h eingehalten hätte (vgl. insoweit BGH NZV 1992, 229).

4. Da die Beklagten nach alledem im Verhältnis zu den von Frau ####### beförderten Insassen des Pkw BMW unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt für die Unfallfolgen einzustehen haben, fehlt es auch dem von der Klägerin gegenüber den Beklagten geltend gemachten Gesamtschuldnerausgleich an der notwendigen Rechtsgrundlage. Das Landgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin kann deshalb keinen Erfolg haben und war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 108 ZPO. Den Wert der Beschwer hat der Senat gemäß § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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