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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 14.07.2005
Aktenzeichen: 14 U 217/04
Rechtsgebiete: VOB/B, VOB/A
Vorschriften:
VOB/B § 2 Nr. 5 | |
VOB/B § 2 Nr. 6 | |
VOB/A § 9 |
Ergibt sich aus dem Leistungsverzeichnis, dass der Stahlüberbau einer Brücke unter Verwendung zweier verschiedener Stahlsorten "entsprechend statischen und konstruktiven Erfordernissen nach Zeichnung" herzustellen ist, so ist dasjenige Verhältnis der beiden Stahlsorten geschuldet, das konstruktionstechnisch zum Bau der Brücke erforderlich ist.
2.
a) Enthält die Ausschreibung Unklarheiten, die keine sichere Kalkulation ermöglichen, hat der Auftragnehmer diese durch vorherige Einsichtnahmen in Planunterlagen, Ortsbesichtigungen oder Rückfragen zu klären.
b) Unterlässt der Auftragnehmer die gebotenen Aufklärungshandlungen, stehen ihm gegen den Auftraggeber weder Mehrvergütungsansprüche aus § 2 VOB/B noch Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss zu.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 14. Juli 2005
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 24. September 2004 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten des Berufungsverfahrens durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 341.107,18 EUR.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung zusätzlichen Werklohns für Brückenbauarbeiten in Anspruch.
Die Klägerin führte 1997 im Auftrag der Beklagten den Bau einer Brücke über den Mittellandkanal im Bereich der P...straße in H. aus. Nach dem Leistungsverzeichnis der Beklagten (Bl. 101) sollte der Stahlüberbau "entsprechend statischen und konstruktiven Erfordernissen nach Zeichnung" unter Verwendung der beiden Stahlsorten St 372 und St 523 hergestellt werden. Die ungeprüfte Statik des Bauwerks lag der Beklagten seit dem 22. Oktober 1996 vor und konnte dort von den Bietern zum Zeitpunkt der Abgabe ihrer Angebote eingesehen werden. Des Weiteren hatte die Beklagte den Bietern im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes (Bl. 130 f.) drei Ansprechpartner für Auskünfte sowie zwei Ortsbesichtigungstermine genannt.
Als Einheitspreis pro Tonne Stahl setzte die Klägerin für die Stahlkonstruktion einen Betrag von 3.177,33 DM in das Leistungsverzeichnis ein, ohne dabei eine Differenzierung hinsichtlich der Stahlgüte anzugeben. Dabei lag der Kalkulation dieses Einheitspreises die Annahme der Klägerin zugrunde, dass sich der Stahlüberbau zu 80 % aus der preiswerteren Stahlsorte St 372 und nur zu 20 % aus der höherwertigen Stahlsorte St 523 herstellen lasse. Nachdem die Klägerin den Zuschlag erhalten hatte, ergab die Auswertung der Statik jedoch, dass es notwendig war, die beiden Stahlsorten genau in dem umgekehrten Verhältnis einzubauen. Die daraus herrührenden Mehrkosten waren alsdann Gegenstand des Nachtragsangebots N 7 der Klägerin vom 14. August 1998 (Bl. 86). In der Schlussrechnung der Klägerin vom 30. November 2000 (Bl. 29 ff.) schlägt sich diese Position mit insgesamt 586.864,58 DM (= 300.059,10 EUR) netto nieder.
Da die Beklagte die Zahlung u. a. dieser zusätzlichen Vergütung verweigerte, hat die Klägerin sie zusammen mit zwei anderen Nachtragspositionen gerichtlich geltend gemacht. Sie hat behauptet, die von ihr zugrunde gelegte Stahlsortenverteilung sei als üblich anzusehen gewesen. Mangels abweichender Angaben im Leistungsverzeichnis habe sie deshalb von dieser Verteilung ausgehen dürfen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung hinsichtlich der Position N 7 ausgeführt, dass der Klägerin als fachkundigem Unternehmen von vornherein hätte klar sein müssen, dass hier wegen der Besonderheiten des Bauwerks überwiegend der teurere Stahl verbaut werden musste.
Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das Klagebegehren hinsichtlich der Position N 7 in Höhe eines Betrages von 341.107,18 EUR brutto (= 300.059,10 EUR netto abzüglich 2 % Nachlass und zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer) weiterverfolgt. Sie vertritt die Auffassung, dass die Leistungsbeschreibung wegen der fehlenden Angaben zur prozentualen Stahlsortenverteilung gegen § 9 VOB/A verstoße. Sie habe daher aufgrund ihrer Erfahrungen bei anderen Bauvorhaben auf die kalkulierte Stahlsortenverteilung zurückgreifen dürfen. Eine Pflicht zur Rückfrage habe insofern nicht bestanden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 341.107,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 9. August 2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die geltend gemachte Mehrvergütung für die Nachtragsposition N 7 verneint.
1. Ein Anspruch der Klägerin auf eine weitere Vergütung folgt weder aus § 2 Nr. 5 noch aus § 2 Nr. 6 VOB/B. Denn es fehlt bereits am Vorliegen einer zusätzlichen, vom Auftrag nicht erfassten Leistung, die Voraussetzung für das Eingreifen dieser Vorschriften wäre. Die Klägerin hat mit der Herstellung des Stahlüberbaus unter Verwendung von 80 % der Stahlsorte St 523 und 20 % der Stahlsorte St 372 nur die unmittelbar vertraglich geschuldete Leistung erbracht. Dies ergibt die Auslegung der Leistungsbeschreibung gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter. Dabei sind zur Bestimmung einer nach der VOB/A ausgeschriebenen Leistung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs neben dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung auch die Umstände des Einzelfalls, u. a. die Besonderheiten des Bauwerks, zu berücksichtigen (vgl. BGH BauR 2002, 935 ff.; 1994, 236 ff.).
Für den vorliegenden Fall ergibt sich hinsichtlich der streitigen Nachtragsposition N 7 aus dem Leistungsverzeichnis, dass der Stahlüberbau unter Verwendung der Stahlsorten St 372 und 523 "entsprechend statischen und konstruktiven Erfordernissen nach Zeichnung" herzustellen war. Danach ist die insoweit geforderte Leistung über den zu erreichenden Erfolg vollständig beschrieben. Geschuldet war nach dem Wortlaut des Leistungsverzeichnisses dasjenige Verhältnis der beiden Stahlsorten, das konstruktionstechnisch zum Bau der Brücke erforderlich war.
Dabei kann entgegen der Auffassung der Klägerin dahingestellt bleiben, ob diese Art der Ausschreibung möglicherweise einen Verstoß gegen § 9 VOB/A begründete. Denn eine mit dieser Vorschrift unvereinbare Ausschreibungstechnik führt jedenfalls nicht dazu, dass anstelle der ausgeschriebenen Leistung eine mit § 9 VOB/A übereinstimmende Vertragsinhalt wird; § 9 VOB/A enthält nämlich kein zwingendes Vertragsrecht (vgl. BGH BauR 1997, 126 ff.). Zwar kann sich die VOB/A im Einzelfall bei der Klärung von Auslegungszweifeln mittelbar zugunsten des Bieters auswirken (BGH a. a. O.). Derartige Zweifel konnten sich hier aber aus der vorliegenden Leistungsbeschreibung angesichts ihres insoweit eindeutigen Wortlauts von vornherein nicht ergeben.
Demgegenüber kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihr zum Zeitpunkt der Abgabe ihres Angebots die Statik der Brückenkonstruktion noch nicht vorgelegen habe. Denn insofern traf die Klägerin nach Auffassung des Senats eine Pflicht zur Einsichtnahme in die bei der Beklagten vorhandene (ungeprüfte) Statik, aus der sich die erforderliche Stahlsortenverteilung unstreitig hätte entnehmen lassen. Zumindest aber hätte die Klägerin die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Rückfrage bei einer der ihr von der Beklagten benannten Auskunftspersonen oder im Rahmen der von der Beklagten angebotenen Ortstermine wahrnehmen müssen, um die von ihr erkannte Unklarheit der Ausschreibung zu klären (ebenso OLG Düsseldorf, BauR 2004, 504; vgl. auch BGH BauR 1987, 683, 685).
Insoweit geht auch der Einwand der Klägerin fehl, eine Überprüfung der Statik sei bereits angesichts deren erheblichen Umfangs nicht in Betracht gekommen. Denn selbst wenn es den Fachingenieuren der Klägerin nicht möglich gewesen sein sollte, in den entsprechenden Unterlagen ohne erheblichen Zeit und Arbeitsaufwand die Antwort auf die konkrete Frage nach der Stahlgütenverteilung zu finden - was dem Senat allerdings durchaus naheliegend erscheint , so hätte jedenfalls eine Nachfrage bei der Beklagten zur schnelleren Beantwortung dieser Frage führen können (und auch tatsächlich geführt). Die Klägerin hat aber - offenbar im Gegensatz zu anderen Bietern - eine derartige Nachfrage nicht einmal versucht, obwohl sie sich der Problematik der fehlenden Angabe der prozentualen Stahlsortenverteilung durchaus bewusst war. Ihr Geschäftsführer Dipl.-Ing. J. S. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst erklärt, dass bei der im Leistungsverzeichnis angegebenen Stahlmenge das zugrundeliegende Sortenverhältnis "so oder so" hätte ausfallen können. Die Klägerin hat ihr Angebot also letztlich in Kenntnis des sie treffenden Kalkulationsrisikos abgegeben (vgl. hierzu auch KG IBR 2003, 1027). Im Gegensatz hierzu konnte die Beklagte aus dem ihr von der Klägerin angebotenen Einheitspreis gerade nicht erkennen, welche prozentuale Stahlsortenverteilung diesem Angebot zugrunde lag. Die der Klägerin vorliegende Leistungsbeschreibung war damit einer sog. funktionalen Leistungsbeschreibung vergleichbar. Bei einer solchen Leistungsbeschreibung ist aber für eine der VOB/A entsprechende Auslegung schon deshalb kein Raum, weil die mit dem Vertragsschluss beabsichtigte Risikoverlagerung für den Auftragnehmer zweifelsfrei erkennbar ist (BGH BauR 1997, 126 ff.).
Entgegen der Auffassung der Klägerin durfte sie schließlich bei der Auslegung der Leistungsbeschreibung auch nicht auf eine angebliche Üblichkeit der ihrer Kalkulation zugrundeliegenden Stahlsortenverteilung vertrauen. Denn im hier maßgeblichen Zuständigkeitsbereich der Wasser und Schifffahrtsdirektion Mitte war bereits bei früheren Bauvorhaben die höherwertige Stahlsorte St 523 verwendet worden. So hatte die Klägerin selbst für die Beklagte bereits eine andere Brücke, nämlich die Brücke Nr. 224, unter Verwendung von 90 % der Stahlsorte St 523 errichtet. Hinzu kommen die unstreitigen Besonderheiten des hier betroffenen Bauwerks, d. h. insbesondere die vorgesehene Einrichtung einer Straßenbahnhaltestelle nebst Überdachung im Bereich der Brücke, die für die Klägerin in erhöhtem Maße Anlass zur Nachfrage bei der Beklagten hätten geben müssen.
Nach alledem ergibt bereits die Auslegung des Leistungsverzeichnisses unter Berücksichtigung der Risikoverteilung zwischen den Parteien, dass der Klägerin kein Anspruch auf eine Mehrvergütung zusteht, und zwar weder aus § 2 Nr. 5 VOB/B noch aus Nr. 6 dieser Vorschrift.
2. Ebenso wenig kann sich die Klägerin mit Erfolg auf einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) in Höhe der von ihr geltend gemachten Mehrkosten berufen.
Unabhängig von der Frage, ob die Ausschreibung der Beklagten möglicherweise gegen § 9 VOB/A verstieß, fehlt es bereits an einem schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin auf die Einhaltung dieser Vorschrift. Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss ist nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Bieter in seinem schutzwürdigen Vertrauen auf die Einhaltung der VOB/A enttäuscht worden ist (vgl. BGH BauR 1994, 236 ff. m. w. N.). Die Klägerin hätte hier aber aus den bereits dargelegten Gründen bei der ihr zumutbaren Prüfung des Leistungsverzeichnisses, bei der Einsichtnahme in die Statik und/oder bei der Erfüllung ihrer Nachfragepflicht den etwaigen Verstoß gegen die VOB/A ohne weiteres erkennen können. Ein Schadensersatzanspruch in Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Mehrkosten scheidet daher ebenfalls mit der Folge aus, dass sich ihre Berufung gegen das klagabweisende erstinstanzliche Urteil unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt als begründet erweist und daher zurückzuweisen war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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