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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 16.05.2002
Aktenzeichen: 14 U 231/01
Rechtsgebiete: SGB VII


Vorschriften:

SGB VII § 105
SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1
Zum Begriff des Wegeunfalls i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 231/01

Verkündet am 16. Mai 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ####### und der Richter am Oberlandesgericht ####### und ########## für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 29. Juni 2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.338,76 € (= 30.000 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 27. März 2001 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle ihm zukünftig noch entstehenden immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 15. März 2000 auf der B 51 zwischen Bremen und Bassum zu ersetzen, soweit diese derzeit noch nicht hinreichend sicher vorhersehbar sind.

Wegen der Zinsmehrforderung bleibt die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Beschwer: 17.895,22 € (= 35.000 DM).

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat in der Hauptsache in vollem Umfang Erfolg. Dem Kläger steht wegen der Verletzungen, die er bei dem Verkehrsunfall vom 15. März 2000 auf der B 51 zwischen Bremen und Bassum als Beifahrer des von seinem Bruder geführten und bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Mercedes Benz erlitten hat, gemäß §§ 847 BGB, 3 PflVersG gegenüber der Beklagten ein Schmerzensgeld in der ausgeurteilten Höhe zu.

1. Im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts greift hier die Haftungsbeschränkung des § 105 SGB VII nicht zugunsten der Beklagten ein. Denn bei dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall handelt es sich um einen von dieser Haftungsbeschränkung ausgenommenen Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII.

Die von dem Mitarbeiter eines Betriebes "herbeigeführten" Wegeunfälle nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII sind von der Haftungsbeschränkung ausgenommen worden, weil die betrieblichen Risiken dort keine Rolle spielen und dem Versicherten unter diesen Voraussetzungen möglicherweise bestehende weitergehende Ansprüche nicht abgeschnitten werden sollten. Allerdings umfasst die Ausnahme von der Haftungsbeschränkung nicht die Betriebswege, die Teil der den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit und damit bereits gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII versicherte Tätigkeit sind. Für die Abgrenzung, ob der Versicherungsfall bei einem - danach in die Haftungsbeschränkung einbezogenen - Betriebsweg oder einem - von der Haftungsbeschränkung ausgenommenen - nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg eingetreten ist, ist entscheidend, ob sich ein betriebliches Risiko oder ein "normales" Risiko verwirklicht hat, das nach dem Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu einem Haftungsausschluss gegenüber dem Schädiger führen soll. Für die Annahme eines innerbetrieblichen Vorgangs reicht allein der betriebliche Zweck einer (späteren) Unglücksfahrt nicht aus. Vielmehr muss hinzukommen, dass die Fahrt selbst als Teil der betrieblichen Organisation erscheint, dass ihre Durchführung durch die betriebliche Organisation geprägt ist. Nur in diesem Fall stellt sich das verwirklichte Risiko als zum Betrieb gehörig dar und hebt sich so von den "normalen" Risiken des "allgemeinen Verkehrs" ab (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BGH VersR 1992, 122, 123; 2001, 335, 336; Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 104 SGB VII Rdnr. 13; jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Gemessen an diesen Kriterien kann der vom Kläger am 15. März 2000 erlittene Verkehrsunfall entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht als innerbetrieblicher Vorgang gewertet werden. Er stellt vielmehr einen Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dar. Der Kläger befand sich mit seinem Bruder am Steuer des Pkw Mercedes Benz auf der Fahrt von seinem Wohnort in Bremen zu einem Kunden in Bassum. Da der Kläger als "ambulanter" Schweißer tätig war, d. h. keine eigene Werkstatt besaß, sondern auf Anruf zu seinen Auftraggebern anreiste, befand er sich am Unfalltag auf dem Weg nach dem Ort seiner Tätigkeit im Sinne der genannten Vorschrift. Es hätte ihm auch frei gestanden, die Anfahrt beispielsweise unabhängig von seinem Bruder in einem anderen Pkw zu unternehmen. Denn wie er nach Bassum gelangte, war letztlich seine Privatsache. Der Kläger und sein Bruder haben bei der Unglücksfahrt schließlich nicht einmal ein zu dem Schweißereibetrieb des Klägers gehörendes Fahrzeug benutzt. Halter des Pkw Mercedes Benz war vielmehr ein Herr ############, der das Fahrzeug an die Lebensgefährtin des Klägers verliehen hatte. Diese wiederum hatte es dem Kläger am Unfalltag überlassen.

Aus alledem folgt, dass der Kläger hier mehr außerhalb betrieblicher Gegebenheiten unter Umständen geschädigt worden ist, die ihn ohne die betriebliche Tätigkeit als normalen Verkehrsteilnehmer genauso hätten treffen können. Da es sich bei dem Verkehrsunfall vom 15. März 2000 somit um einen Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII handelt, greift hier die Haftungsbeschränkung des § 105 SGB VII nicht zugunsten der Beklagten ein.

2. Dass die Beklagte als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des von dem Bruder des Klägers geführten Pkw in vollem Umfang für die immateriellen Schäden einzustehen hat, die der Kläger bei dem Verkehrsunfall vom 15. März 2000 erlitten hat, unterliegt keinem Zweifel. Den Bruder des Klägers trifft insbesondere auch ein Verschulden an dem Zustandekommen des Unfalls. Dieser hat sich gegen 06:10 Uhr bei extremer Straßenglätte ereignet, sodass als Unfallursache von einer den Witterungs- und Straßenverhältnissen nicht angepassten Geschwindigkeit auszugehen ist. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es in den frühen Morgenstunden des 15. März 2000 etwa zu einem plötzlichen Temperatursturz gekommen ist, ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Lufttemperatur bereits bei Antritt der Fahrt in Bremen in einem Bereich lag, in dem mit dem Auftreten von Straßenglätte zu rechnen war. Dies hat der Bruder des Klägers bei seiner Fahrweise jedoch infolge von Unaufmerksamkeit oder Nachlässigkeit unberücksichtigt gelassen. Aus den bei den beigezogenen Ermittlungsakten 28 Js 8143/00 Staatsanwaltschaft Verden befindlichen Fotos des Unfallwagens ergibt sich, dass dieser infolge des Unfalls ganz erheblich deformiert worden ist. Daraus folgt weiter, dass der Bruder des Klägers zum Unfallzeitpunkt eine erhebliche Geschwindigkeit eingehalten hat und dass diese Geschwindigkeit angesichts zu befürchtender Straßenglätte unangemessen hoch war.

3. Ausweislich des Entlassungsberichts des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Hamburg vom 23. Juni 2000 (Bl. 6) hat der Kläger bei dem Unfall folgende Verletzungen erlitten:

- Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades mit Hirnkontusionsblutungen, Fraktur der ventralen Stirnhöhlenwand rechts und Felsenbeinfraktur rechts mit inkompletter Facialisparese rechts

- Rippenserienfraktur rechts mit Pneumothorax

- Clavikulafraktur rechts

- laterale Beckenkompressionsfraktur Typ B II mit vorderer Schmetterlingsfraktur.

Diese Unfallfolgen rechtfertigen entsprechend der Begehrensvorstellung des Klägers die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 30.000 DM. Dieser Betrag steht in Einklang mit der Senatsrechtsprechung in ähnlich gelagerten Fällen und berücksichtigt auch die sog. Vergleichsrechtsprechung. Die Zuerkennung eines höheren Schmerzensgeldbetrages kam andererseits nicht in Betracht, weil sich nach dem Akteninhalt keine zuverlässigen Feststellungen im Hinblick auf etwaige den Kläger dauerhaft beeinträchtigende Unfallfolgen treffen lassen.

Der dem Kläger zugesprochene Betrag von 15.338,76 € ist gemäß §§ 291, 288 BGB a. F. lediglich mit 4 % seit dem 27. März 2001, d. h. dem Tag der Zustellung der Klage an die Beklagte, zu verzinsen. § 288 BGB in der seit dem 1. Mai 2000 geltenden Fassung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 des Art. 229 EGBGB nur auf Forderungen anzuwenden, die von diesem Zeitpunkt an fällig werden. Die hier in Rede stehende Schmerzensgeldforderung ist jedoch vor dem 1. Mai 2000 fällig gewesen und auch bereits mit Anwaltsschreiben des Klägers vom 23. März 2000 gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden (vgl. Bl. 4). Dies ist jedoch offenbar ohne eine Fristsetzung geschehen. Auch eine Mahnung im Sinne von § 284 Abs. 1 BGB hat der Kläger nicht an die Beklagte gerichtet. In seinem Anwaltsschreiben vom 28. Juni 2000 (Bl. 9) hat er die Beklagte lediglich im Hinblick auf den von dieser eingewandten Haftungsausschluss um eine abschließende Stellungnahme bis zum 13. Juli 2000 gebeten. Mangels einer wirksamen vorprozessualen Inverzugsetzung der Beklagten kann der Kläger daher lediglich sog. Prozesszinsen ab dem Tag der Zustellung der Klage an die Beklagte erhalten.

4. Darüber hinaus kann der Kläger mit Erfolg die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle zukünftigen derzeit noch nicht hinreichend sicher vorhersehbaren immateriellen Schäden aufgrund des Verkehrsunfalls vom 15. März 2000 begehren. Das hierfür notwendige Feststellungsinteresse ist ohne weiteres zu bejahen, weil angesichts der schweren Unfallverletzungen und der Ungewissheit von Dauer- und Spätfolgen eine künftige Schadensersatzpflicht der Beklagten als möglich erscheint.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Den Wert der Beschwer hat der Senat im Hinblick auf § 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt.

Trotz der entsprechenden Anregung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Senatstermin vom 16. April 2002 war die Revision nicht zuzulassen. Angesichts der bereits bestehenden Rechtsprechung zu der oben unter 1. erörterten Rechtsfrage hat der Fall weder grundsätzliche Bedeutung noch fordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 ZPO n. F.).

Ende der Entscheidung

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