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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 06.06.2002
Aktenzeichen: 14 U 284/01
Rechtsgebiete: GG, BGB, StVG


Vorschriften:

GG Art. 34
BGB § 829
BGB § 839
StVG § 17
1. Führt ein Privatunternehmen Straßenmarkierungsarbeiten aus, wird es nicht hoheitlich tätig, wenn es die Arbeiten in eigener Verantwortung durchführt. Die Haftung entfällt daher nicht gemäß Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB.

2. Ragt die Peilstange eines außerhalb der Fahrbahn stehenden Arbeitsfahrzeugs in die Fahrbahn, sind Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Verkehrsteilnehmer zu treffen. Die Einschaltung von Rundumleuchten reicht allein nicht zur Warnung aus.

3. Wer an einer solchen Arbeitsmaschine vorbeifährt, muss seine Geschwindigkeit so verringern, dass er jederzeit vor der Arbeitsmaschine noch anhalten kann.

4. Das Ausweichen vor einer 30 cm in die Fahrbahn hineinragenden, nur wenige Zentimeter dicken Peilstange, die sich nur 2 - 5 cm über dem Boden befindet, stellt keine nachvollziehbare Fehlreaktion in Schreck oder Verwirrung aufgrund plötzlich auftretender Gefahr dar.


14 U 284/01

Verkündet am 6. Juni 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ####### und der Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen des Klägers und der Drittwiderbeklagten sowie die Berufungen der Beklagten zu 1 und zu 2 gegen das am 26. September 2001 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien wie folgt:

Gerichtskosten tragen der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu 1 zu 2/3.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Beklagte zu 1 zu 2/3. Die außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt die Beklagte zu 2 zu 2/3. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 trägt der Kläger zu 1/3, die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagte gesamtschuldnerisch zu 1/3. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer des Klägers und Drittwiderbeklagten: unter 1.800 €.

Beschwer der Beklagten: unter 3.500 €.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die wechselseitigen Berufungen haben in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat der Klage und der Widerklage, mit denen sowohl der Kläger als auch die Beklagte zu 2 jeweils vollen materiellen Schadensersatz aus dem Unfallereignis vom 17. Oktober 2000 begehrt haben, dem Grunde nach jeweils zu 50 % stattgegeben. Es hat den Erstbeklagten zur Zahlung von 6.660,79 DM und den Kläger und die Drittwiderbeklagte zur Zahlung von 100 DM jeweils nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte zu 1 den Unfall aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Einsatz der von ihm geführten Arbeitsmaschine bei Fahrbahnmarkierungsarbeiten und der hierbei erforderlichen Sicherung der Fahrbahn schuldhaft mitverursacht habe. Die Drittwiderbeklagte treffe ebenfalls ein Verschulden an der Verursachung des Unfalls, weil bereits die von ihr eingeräumte Geschwindigkeit von 50 km/h angesichts des deutlich sichtbaren Arbeitsgeräts zu hoch gewesen sei und das Abkommen von der Fahrbahn der Drittwiderbeklagten mit dem Pkw des Klägers sich als schuldhafte Fehlreaktion darstelle. Die wechselseitigen Mitverursachungs- und Mitverschuldensbeiträge wögen gleich schwer. Das Urteil des Landgerichts, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, trifft zu. Die Angriffe der Berufungen, mit denen der Kläger und die Drittwiderbeklagte die Änderung der Haftungsquote auf 75 % zu Lasten der Beklagten und die Beklagten auf 100 % zu Lasten des Klägers und der Drittwiderbeklagten erstreben, rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

1. Eine Haftung des Erstbeklagten scheidet im Streitfall nicht wegen hoheitlicher Tätigkeit aus, denn dieser hat nicht in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amts (Artikel 34 Satz 1 GG, § 839 BGB) gehandelt. Es kommt deshalb nach diesen Vorschriften keine Haftungsverlagerung auf die öffentliche Hand mit der Folge in Betracht, dass der Erstbeklagte persönlich nicht in Anspruch genommen werden kann. Bedient sich der Staat - wie hier - zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben eines privaten Unternehmens, ist stets zu prüfen, ob der Unternehmer hoheitlich tätig geworden ist. Für die Beurteilung der Frage, ob Fahrbahnmarkierungsarbeiten auf einer Kreisstraße, mit denen die Beklagte zu 2 beauftragt war, und die damit zusammen hängenden Sicherungsmaßnahmen bei Durchführung der Arbeiten als hoheitliche Betätigung anzusehen sind, kommt es nach gefestigter Rechtsprechung maßgeblich darauf an, ob die öffentliche Hand in so weit gehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss genommen hat, dass sie die Arbeiten des privaten Unternehmers wie eigene gegen sich gelten lassen und es so angesehen werden muss, wie wenn der Unternehmer lediglich als Werkzeug der öffentlichen Behörde bei der Durchführung ihrer hoheitlichen Aufgaben tätig geworden wäre. Dabei ist anerkannt, dass je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers ist, es desto näher liegt, diesen als Beamten im haftungsrechtlichen Sinn anzusehen. Dies gilt für die öffentliche Hand jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung, bei der sie sich wegen fehlerhaften Verhaltens ihrer Bediensteten der Amtshaftung nicht dadurch entziehen kann, dass sie die Durchführung einer von ihr angeordneten Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt (vgl. zu Vorstehendem insgesamt BGH NJW 1993, 1258, 1259 m. w. N.). Im Streitfall ist der Beklagte zu 1 als Mitarbeiter der Beklagten zu 2 nicht lediglich als Erfüllungsgehilfe der öffentlichen Hand anzusehen. Zwar werden Fahrbahnmarkierungen im Rahmen der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben, die dem Träger der Straßenbaulast obliegen, durchgeführt. Das rechtfertigt jedoch noch nicht die Annahme einer hoheitlichen Tätigkeit. Es ist im Streitfall nichts dafür ersichtlich, dass der Entscheidungsspielraum des beauftragten Unternehmens für die Durchführung der Arbeiten in irgendeiner Weise eingeengt gewesen ist, sodass die Annahme einer bloßen Werkzeugfunktion nicht gerechtfertigt erscheint. Die Durchführung der Markierungsarbeiten nebst Sicherungsmaßnahmen sollten offensichtlich von der Beklagten zu 2 in eigener Verantwortung organisiert werden. Hierfür spricht insbesondere, dass der Beklagte zu 1 nicht allein, sondern mit zwei weiteren Arbeitern, die an der Unfallstelle zu Verkehrssicherungsmaßnahmen eingesetzt werden sollten, tätig gewesen ist. Mitarbeiter der Straßenbehörde waren hingegen nicht bei den Arbeiten zugegen. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 1 seine Arbeiten aufgrund von strikten Weisungen der Straßenbehörde auszuführen hatte, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Da es sich bei den übertragenen Arbeiten auch nicht um Aufgaben aus dem Bereich der Eingriffsverwaltung handelt, steht der hoheitliche Charakter der Arbeiten nicht im Vordergrund. Vielmehr handelt es sich um Tätigkeiten aus der leistenden Verwaltung, in der auch der Staat in der Regel zwischen privatrechtlicher und hoheitlicher Erfüllung seiner Aufgaben wählen kann. Nach alledem war der Beklagte zu 1 nicht als Beamter im haftungsrechtlichen Sinn anzusehen.

2. Darüber hinaus lassen die Angriffe der wechselseitigen Berufungen, die die vom Landgericht errechnete Schadenshöhe nicht in Abrede nehmen, nicht erkennen, dass die vom Landgericht getroffene Haftungsverteilung unzutreffend ist. Den tragenden Ausführungen zur Haftungsverteilung im angefochtenen Urteil tritt der Senat bei. Nur ergänzend ist auszuführen:

a) Den Erstbeklagten trifft ein erhebliches Verschulden, weil er die Peilstange des Arbeitsfahrzeugs in die Fahrbahn hat ragen lassen, ohne zuvor ausreichende Sicherheitsmaßnahmen ergriffen zu haben. Die eingeschalteten Rundumkennleuchten sowie der orangefarbene Anstrich nebst zwei kleineren rotweißen Warnmarkierungen an der Arbeitsmaschine - wie sie sich aus den zur Akte gereichten Lichtbildern ergeben - reichten unter den gegebenen Umständen noch nicht als Warnung aus, um andere Verkehrsteilnehmer hinreichend vor derartigen Gefahren zu warnen. Die bloße Anwesenheit zweier weiterer Mitarbeiter der Zweitbeklagten in orangefarbener Arbeitskleidung führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Beklagten haben insofern selbst nicht vorgetragen, dass diese zum Unfallzeitpunkt bereits als Sicherungsposten tatsächlich eingesetzt gewesen waren. Weitere Warnschilder waren (noch) nicht aufgestellt. Darauf, ob zusätzlich an der Arbeitsmaschine der gelbe Leuchtpfeil am Heck eingeschaltet gewesen ist, kommt es nicht an, weil die Drittwiderbeklagte die Arbeitsmaschine bereits aufgrund der Rundumleuchte bemerkt und ihre Geschwindigkeit auf 50 km/h reduziert hatte, sodass nicht davon auszugehen ist, dass die Beklagte durch den eingeschalteten Gelbpfeil zu einer weiteren Geschwindigkeitsreduzierung veranlasst worden wäre. Maßgeblich ist, dass die Drittwiderbeklagte die Arbeitsmaschine in der Mitte der Fahrbahn als Gefahrenquelle wahrgenommen hat.

b) Auch die Drittwiderbeklagte trifft ein Verschulden an der Verursachung des Unfalls. Sie hat schuldhaft gegen § 3 Abs. 1 StVO verstoßen, indem sie mit einer für die Verkehrssituation unangepassten Geschwindigkeit in die Gefahrenstelle eingefahren ist, obwohl sie die von der Arbeitsmaschine ausgehenden Warnzeichen wahrgenommen hatte. Bei derart objektiv erkennbaren widrigen Umständen, wie sie beispielhaft in § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO aufgezählt sind, ist der Kraftfahrer gezwungen, seine Fahrgeschwindigkeit auf diejenige zu verringern, die diesen Umständen entspricht. Er hat diesen Anforderungen durch vorbeugende Vorsicht zu genügen (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 3 StVO Rn. 17). Das Landgericht hat insofern zutreffend ausgeführt, dass die von der Drittwiderbeklagten eingeräumte Geschwindigkeit von 50 km/h für die gegebenen Umstände zu hoch gewesen ist. Sie hätte von vornherein mit Gefahren, die von der Arbeitsmaschine und den von ihr durchgeführten Arbeiten ausgehen, rechnen und die Geschwindigkeit drastisch reduzieren müssen. Dies gilt umso mehr, weil die Unfallstelle, wie es sich aus den zur Akte gereichten Lichtbildern ergibt, mit der in der Fahrbahnmitte befindlichen Arbeitsmaschine und der leichten Linkskurve für die Drittwiderbeklagte nicht gut zu übersehen war. Bei entsprechender vorbeugender Vorsicht hätte die Klägerin die Geschwindigkeit weiter reduzieren müssen, sodass sie in der Lage gewesen wäre, jederzeit vor der Arbeitsmaschine anzuhalten.

Darüber hinaus stellt das Abkommen von der Fahrbahn nach rechts eine vorwerfbare Fehlreaktion der Drittwiderbeklagten dar. Das Ausweichen vor einer mindestens 30 cm in die Fahrbahn hineinreichenden Peilstange, die unstreitig maximal 2 bis 5 cm über dem Boden und nur wenige Zentimeter stark war, stellt keine nachvollziehbare Fehlreaktion in Schreck oder Verwirrung aufgrund plötzlicher Gefahr dar. Zum einen wäre es der Drittwiderbeklagten ohne weiteres zumutbar gewesen, mit dem Pkw ####### einfach über die Peilstange zu fahren, weil nennenswerte Schäden am Pkw nicht zu erwarten gewesen waren. Insoweit kommt es auch nicht auf die Frage an, ob die Peilstange tatsächlich nahezu über die gesamte Fahrbahn geragt hat. Zum anderen kann sich die Drittwiderbeklagte nicht auf eine Schreckreaktion berufen, weil sie sich bereits vorher schuldhaft infolge zu hoher Geschwindigkeit in die Gefahrensituation hinein begeben hat. Wer sich jedoch schuldhaft in eine Gefahrenlage begibt, kann sich nicht auf eine Schreckreaktion berufen.

Nach alledem erweist sich die Haftungsabwägung des angefochtenen Urteils als zutreffend.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, 92, 100 Abs. 2 ZPO. Der Drittwiderbeklagten und der Beklagten zu 2 waren keine Gerichtskosten aufzuerlegen, weil ihr Unterliegen jeweils geringfügig ist und keine höheren Kosten veranlasst worden sind. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Beschwer hat der Senat im Hinblick auf § 26 Nr. 8 EGZPO gemäß § 546 Abs. 2 ZPO a. F. festgesetzt.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache gemäß § 543 ZPO n. F. weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.



Ende der Entscheidung

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