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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 14.11.2002
Aktenzeichen: 14 U 320/01
Rechtsgebiete: BGB, PflVG


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
PflVG § 3
Zur Haftungsverteilung zwischen auf die Straße laufendem, 10-jährigen Kind (1/3) und mit überhöhter Geschwindigkeit fahrendem Autofahrer (2/3).
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 320/01

Verkündet am 14. November 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels sowie der Anschlussberufung der Beklagten zu 1 und 3 - das am 8. November 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Stade teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1 und 3 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle bei ihm eingetretenen und noch eintretenden immateriellen Schäden aufgrund des Verkehrsunfalls vom 21. April 2000 auf der Ortsentlastungsstraße in der Gemarkung Bad Bederkesa unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote des Klägers von 1/3 zu ersetzen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Die außergerichtlichen Auslagen der Beklagten zu 2 trägt der Kläger. Von den außergerichtlichen Auslagen der Beklagten zu 1 und 3 in erster Instanz tragen diese selbst 67 %, der Kläger 33 %. Von den außergerichtlichen Auslagen der Beklagten zu 1 und 3 in zweiter Instanz tragen diese selbst 89 %, der Kläger 11 %. Von den außergerichtlichen Auslagen des Klägers in erster Instanz tragen er selbst 56 %, die Beklagten zu 1 und 3 44 %. Von den außergerichtlichen Auslagen des Klägers in zweiter Instanz tragen er selbst 22 %, die Beklagten zu 1 und 3 78 %. Von den Gerichtskosten erster Instanz tragen der Kläger 56 % und die Beklagten zu 1 und 3 44 %. Von den Gerichtskosten zweiter Instanz tragen der Kläger 28 % und die Beklagten zu 1 und 3 72 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Wert der Beschwer: für die Beklagten zu 1 und 3 13.634,45 €, für den Kläger 1.704,31 €.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.338,76 € festgesetzt.

Tatbestand entfällt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a. F.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers erweist sich zum größeren Teil als begründet, die Anschlussberufung der Beklagten zu 1 und 3 (hinsichtlich der Beklagten zu 2 hat der Kläger mit deren Zustimmung im Berufungsverfahren die Klage zurückgenommen) hingegen als unbegründet.

Vom Grundsatz her zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass angesichts des festgestellten Sachverhalts der Beklagte zu 1 als Fahrer und die Beklagte zu 3 als Haftpflichtversichererin dem Kläger wegen der ihm entstandenen immateriellen Schäden aus Anlass des streitgegenständlichen Verkehrsunfalles haften, §§ 823, 847 BGB, 3 PflVG. Abweichend von der Auffassung der Kammer bewertet der Senat das dem Kläger anzurechnende Mitverschulden an dem Zustandekommen des Verkehrsunfalles nicht mit 60 %, sondern nur mit 1/3, wohingegen dem Beklagten zu 1 ein Verschuldensanteil von 2/3 anzulasten ist.

1. Dass der Kläger - auch hinsichtlich des möglicherweise bereits jetzt bezifferbaren Anteils seines Schmerzensgeldes - ein Feststellungsinteresse für Vergangenheit und Zukunft hat, hat die Kammer mit zutreffenden und von den Beklagten nicht angegriffenen Erwägungen herausgestellt.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1 den Verkehrsunfall schuldhaft herbeigeführt hat.

Der Beklagte zu 1 ist, wie die Kammer zutreffend festgestellt hat, mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Er hat nicht nur die auf der von ihm befahrenen Straße geltende Geschwindigkeitsbeschränkung von allgemein 70 km/h missachtet und ist mit mindestens 71 bis 76 km/h an die Kollisionsstelle herangefahren (wie der im Ermittlungsverfahren tätige Sachverständige Dipl.-Ing. ####### festgestellt hat, was keine der Parteien angreift), sondern hätte seine Geschwindigkeit angesichts einer von ihm wahrgenommenen und eingeschätzten konkreten Gefahr durch tobende Kinder zusätzlich drastisch reduzieren müssen. Dabei kann es dahinstehen, ob, wie der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1 ihn selber, den Kläger, wahrgenommen hat bzw. hätte wahrnehmen müssen, als er den links der vom Beklagten befahrenen Straße befindlichen Lärmschutzwall hinter einem Hund, der die Straße überquerte, herlief oder ob, wie die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1 eine Gruppe anderer Kinder, zu der der Kläger nicht gehört habe, in einiger Entfernung auf dem Lärmschutzwall tobend wahrgenommen hat. Auch bei Unterstellung des eigenen Sachvortrages trifft den Beklagten zu 1 ein Verschuldensvorwurf gleichen Gewichtes. Er hat nämlich, wie er sich gegenüber dem ihn vernehmenden Polizeibeamten gut zwei Wochen nach dem Unfall geäußert hat (Bl. 10 ff. d. Beiakten 2530 Js 11051/00 StA Stade), die tobenden Kinder - durchaus richtig - als Signal für eine gefährliche Verkehrssituation und als Reaktionsaufforderung zur Herabsetzung der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit verstanden. Der Beklagte zu 1 hat sich, wie seiner Vernehmung wörtlich zu entnehmen ist, noch konkret vorgestellt, dass aus der Gruppe spielender Kinder ein Kind den Wall hinunterlaufen, den Fußweg überqueren und auf die Straße laufen könnte. Angesichts dessen hätte sich der Beklagte zu 1 so verhalten müssen, dass eine Gefährdung der Kinder ausgeschlossen gewesen wäre, § 3 Abs. 2 a StVO. Stattdessen hat er, seiner eigenen Einlassung in der Beschuldigtenvernehmung zufolge, die Geschwindigkeit nur "etwas" reduziert, wobei selbst die von ihm anschließend gefahrene reduzierte Geschwindigkeit ausweislich der insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen oberhalb der überhaupt zulässigen Höchstgeschwindigkeit gelegen hat. Dem Beklagten zu 1 ist deshalb ein erheblicher und offenbar sogar bewusst fahrlässiger Verstoß gegen § 3 Abs. 2 a StVO anzulasten, weil er sich nicht seiner Einsicht zufolge verhalten hat (was im Übrigen seinem Wesen zu entsprechen scheint, wie die Tatsache zeigt, dass er ohne Fahrerlaubnis unterwegs gewesen ist).

Die Tatsache, dass die vom Beklagten wahrgenommenen Kinder "tobten", also sich offensichtlich wild und unkontrolliert bewegten, musste einen solchen Schluss des Beklagten zu 1 geradezu nahe legen, zumal sich die Kinder auf einem zur Straße hin abschüssig geneigten und relativ steilen Lärmschutzwall befanden. Ob sich, wie die Beklagten behaupten, der Kläger selber bei dieser Gruppe nicht befunden habe, ist demgegenüber ohne Belang. Bei einer Gruppe von mehreren tobenden Kindern muss ein Fahrzeugführer damit rechnen, dass sich aus dieser Gruppe einzelne Kinder lösen, ebenso wie sich zuvor nicht wahrgenommene Kinder hinzugesellen können. Im Übrigen hatte der Beklagte zu 1 ausweislich seiner eigenen Einlassung zwischen dem Wahrnehmen dieser Kinder und der Kollision mit dem Kläger ausreichend Gelegenheit, seine Fahrgeschwindigkeit herabzusetzen, da er genau dies getan haben will (wenn auch nur "etwas"). Außerdem will der Beklagte seinem eigenen Sachvortrag zufolge die Gruppe tobender Kinder 150 m vor Erreichen derjenigen Kuppe wahrgenommen haben, hinter der sich die Kollision mit dem Kläger ereignet habe. Angesichts dessen, dass der Bereich zwischen den tobenden Kindern und seiner eigenen Position durch die Kuppe teilweise verdeckt gewesen sein muss, hätte der Beklagte zu 1 spätestens bei Erreichen der Kuppe seine Geschwindigkeit drastisch reduziert haben müssen, um ausschließen zu können, mögliche weitere Kinder aus dieser Gruppe zu gefährden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch nicht davon auszugehen, dass ein Fehlverhalten des Beklagten zu 1 für das Zustandekommen des Verkehrsunfalles jedenfalls nicht kausal gewesen sei. Der Sachverständige Dipl.-Ing. ####### hat in seinem Gutachten festgestellt, dass bei einer Fahrtgeschwindigkeit von 55 km/h oder darunter der Unfall für den Beklagten zu 1 jedenfalls vermeidbar gewesen sei. Soweit die Beklagten die Richtigkeit dieses Gutachtens lediglich dahingehend angreifen, der Sachverständige habe nichts dazu ausgeführt, zu welchem Zeitpunkt der Beklagte zu 1 überhaupt hätte reagieren müssen, ist dies unzutreffend. Der Sachverständige hat auf Bl. 8 seines Gutachtens (Bl. 48 d. Beiakten) ausgeführt, dass er als Reaktionsaufforderung den Zeitpunkt gewählt habe, zu dem der Kläger den links der Straße belegenen Geh-/Radweg in Richtung der Straße verlassen habe. Die weiteren Ausführungen des Sachverständigen zur Vermeidbarkeit des Unfalles für den Beklagten stellen diesen sogar ausgesprochen günstig. Abgesehen davon, dass der Sachverständige (wie auch der Senat im Rahmen der angestellten Erörterungen) zugunsten der Beklagten unterstellt, dass der Kläger zusammen mit seinem Freund zuvor normal auf dem Gehweg in derselben Richtung wie der Fahrbahnverlauf gegangen ist und nicht zu der Gruppe der auf dem Wall bereits tobenden Kinder gehört hat, billigt der Sachverständige dem Beklagten zu 1 insbesondere eine volle Reaktionszeit von 1 bis 1,5 Sekunden zu (ebenfalls Bl. 48 d. Beiakten), obwohl der Beklagte zu 1 nach dem oben Gesagten angesichts der von ihm bereits zuvor wahrgenommenen tobenden Kinder gehalten war, bremsbereit zu sein. Soweit der Sachverständige ferner davon ausgeht, die Stelle, an der der Kläger für den Beklagten eine Reaktionsaufforderung darstellte, läge in Höhe des (von den Beklagten nicht bestrittenen) Kollisionspunktes, kann dies die Beklagten nicht schlechter stellen. Wenn sich der Kläger an einer anderen Stelle als genau auf Höhe des Kollisionspunktes befunden hätte, so hätte sich die Strecke zwischen diesem Punkt und der Kollisionsstelle, die dann nicht genau quer zur Fahrbahn verlaufen wäre, länger dargestellt als die vom Sachverständigen zugrunde gelegte. Für die Zurücklegung einer längeren Strecke hätte der Kläger als laufendes Kind jedoch eine längere Zeit benötigt, die dem Beklagten zu 1 entsprechend zusätzlich für eine Reaktion zur Verfügung gestanden hätte.

3. Das Mitverschulden des Klägers selber, der ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten - offenbar hinter einem Hund her - die Fahrbahn überquert hat, bewertet der Senat mit lediglich 1/3. Auch hinsichtlich dieser Bewertung kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob der Kläger zuvor den gesamten Wall hinuntergelaufen ist, wie er selbst behauptet, oder vom Fußweg aus unvermittelt auf die Straße gelaufen ist, wie die Beklagten behaupten. Im letztgenannten Fall wäre das Fehlverhalten des Klägers spontaner und damit eher entschuldbar gewesen, im erstgenannten wäre es dafür für den Kläger schwieriger gewesen, angesichts des Gefälles des Lärmschutzwalles noch anzuhalten. In jedem Fall überwiegt das Verschulden des Beklagten zu 1 das des Klägers deutlich, dessen Schutz die Vorschrift des § 3 Abs. 2 a StVO, gegen die der Beklagte zu 1 verstoßen hat, gerade zu dienen bestimmt war. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der zum Unfallzeitpunkt 10 Jahre und 4 Monate (nicht 11 Jahre) alte Kläger ohne weiteres als Kind im Sinne dieser Vorschrift anzusehen und auch zu erkennen gewesen.

4. Die Kostenentscheidung folgt §§ 92 Abs. 1, 97, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO; 26 Nr. 8 EGZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO n. F.

Bei der Streitwertfestsetzung ist der Senat den Erwägungen der Kammer (vgl. deren Beschluss vom 20. November 2001, Bl. 205 d. A.) gefolgt, wobei der Kläger in der Berufungsinstanz die Mithaftung nach einer Quote von 1/4 nicht angegriffen hat.

Ende der Entscheidung

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