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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 30.07.2008
Aktenzeichen: 14 U 74/08
Rechtsgebiete: StVO
Vorschriften:
StVO § 3 Abs. 1 S. 1 | |
StVO § 3 Abs. 1 S. 2 |
2. Ein Fahrzeugführer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein Pkw-Fahrer, der sich auf der Geradeausspur eingeordnet hat, tatsächlich auch in diese Richtung fahren will.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 30. Juli 2008
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juli 2008 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. Februar 2008 verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg teilweise geändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.966,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent seit dem 1. Juni 2007 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die Klägerin kann vollständigen Ersatz des ihr bei dem Verkehrsunfall vom 8. März 2007 auf der P.straße in C. entstandenen Schadens verlangen, §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 3, 18 Abs. 1 StVG, bezgl. der Beklagten zu 2 zudem § 3 PflVG a. F.
1. Der Unfall stellte sich für beide Fahrzeugführer nicht nachweislich als unabwendbar dar.
Die Beklagten nehmen dies für die Beklagte zu 1 nicht in Anspruch. Sie hat auch tatsächlich gegen alle Pflichten beim Fahrstreifenwechsel verstoßen.
Auch die Klägerin konnte indessen nicht nachweisen, dass der Unfall für den Fahrer ihres Pkw unabwendbar war. Zwar hat der Sachverständige T. bei seiner Anhörung vor dem Landgericht im Termin vom 4. Februar 2008 (Bl. 181 d. A. oben) ausgeführt, der Unfall sei für den Zeugen W. bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h unvermeidbar gewesen, da er mit seinem Pkw ca. 25 m von dem Polo der Beklagten zu 1 entfernt gewesen sei, als sich dieser in Bewegung setzte, um auf die linke Spur auszuscheren.
Aus diesem Abstand ergibt sich aber, dass der Zeuge W. bei einer geringeren Geschwindigkeit (nämlich bei ca. 40 km/h) den Unfall hätte vermeiden können.
Im Rahmen der Beurteilung der Unabwendbarkeit folgt der Senat daher dem Landgericht in der Bewertung, dass ein besonders sorgfältiger, umsichtiger Autofahrer (sog. Idealfahrer) die Fahrzeugschlange auf der rechten Fahrspur nicht mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit überholt hätte, sondern seine Geschwindigkeit etwas reduziert hätte.
2. Dementsprechend hängt die Abwägung der Haftungsanteile von einem etwaigen weiteren Verursachungsbeitrag der Parteien am Zustandekommen des Unfalls ab.
a) Die Beklagte zu 1 trifft ein erhebliches Verschulden, denn ihr oblag die nach § 7 Abs. 5 StVO erhöhte Sorgfaltspflicht beim Fahrstreifenwechsel, wonach ein solcher nur durchgeführt werden darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Ein Fahrstreifenwechsel ist rechtzeitig und deutlich anzukündigen, wobei die Fahrrichtungsanzeiger zu benutzen sind. Letzteres behauptet die Beklagte zu 1 nicht einmal. Ebenso hat sie keine Rückschau gehalten.
b) Demgegenüber ist dem Fahrer des klägerischen Pkw entgegen der Auffassung des Landgerichtes ein Verschulden nicht vorzuwerfen, weil er nach eigenen Angaben mit der innerorts erlaubten Höchstgeschwindigkeit gefahren ist. Zwar verweist das Landgericht im Grundsatz zutreffend darauf, dass nach § 3 Abs. 1 S. 1 und 2 StVO die erlaubte Höchstgeschwindigkeit nicht ausgenutzt werden darf, wenn es die Straßen, Verkehrs, Sicht und/oder Wetterverhältnisse erfordern.
Zunächst ist jedoch von dem Grundsatz auszugehen, dass bei normalen Verhältnissen die innerörtlich erlaubte Höchstgeschwindigkeit ausgenutzt werden darf (BGH NZV 2002, 365). Die Fahrgeschwindigkeit ist erst bei unklarer Verkehrslage zu reduzieren z. B., wenn sie sich nach den Umständen nicht eindeutig beurteilen lässt.
Die konkrete Verkehrssituation war indes für den Zeugen W. nicht unklar, wobei zu beachten ist, dass der Zeuge W. keinen typischen Überholvorgang i. S. d. § 5 StVO durchgeführt hat, sondern als Linksabbieger einen dafür gesondert vorgesehenen eigenen Fahrstreifen benutzte. Die Fahrzeuge vor ihm - insbesondere das weit vorne stehende Fahrzeug der Beklagten zu 1 - wollten eindeutig geradeaus fahren und benutzten hierfür die eigens vorhandene Geradeausspur. Es bestanden keinerlei Anhaltspunkte dafür, eines dieser Fahrzeuge würde plötzlich und ohne vorherige Anzeichen wie Blinken nunmehr doch nach links abbiegen.
Der hier zur Beurteilung anstehende Sachverhalt ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vergleichbar mit typischen Unfällen zwischen einem Linksabbieger und einem Überholer einer vor ihm befindlichen Kolonne, weil in dieser Situation jeweils nur ein Fahrstreifen vorhanden ist, nicht jedoch - wie im vorliegenden Fall - eine Geradeaus sowie eine eigene Linksabbiegespur. In Fällen wie dem vorliegenden darf ein Fahrzeugführer grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein Pkw, der sich auf der Geradeausspur eingeordnet hat, tatsächlich auch in diese Richtung fahren will.
Eine andere Wertung ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Senates vom 19. Dezember 2007 (OLGR 2008, 146 f.). Zum einen befuhren die Unfallbeteiligten in jenem Fall zunächst beide die rechte von zwei in gleiche Richtung führenden Geradeausspuren einer mehrspurigen Straße und wechselten dann beide zum Zweck des Überholens einer Kolonne auf die linke dieser beiden Fahrspuren. Zum anderen nahm der Fahrer des hinteren der beiden Fahrzeuge den Fahrspurwechsel nach den Feststellungen des Senates "Formel-1-haft" vor, sodass zweifelhaft war, ob der Fahrer des vorderen Fahrzeuges bei ordnungsgemäßer Beachtung der ihm nach § 7 Abs. 5 StVO obliegenden Pflichten den nachfolgenden Pkw überhaupt rechtzeitig hätte erkennen können.
c) Die Beklagten haben auch nicht bewiesen, dass der Fahrer des Fahrzeuges der Klägerin W. vorschriftswidrig bereits vor Beginn der Linksabbiegespur die vor ihm fahrenden, sich stauenden Pkw links überholt und dadurch eine Unfallursache gesetzt hat.
Der Zeuge W. hat angegeben, er erinnere sich nicht daran, wann er zum Linksabbiegen angesetzt habe. Zudem ist die Kausalität eines etwaigen Fehlverhaltens nicht erkennbar, denn der Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge hat sich nicht am Beginn der Linksabbiegespur ereignet (aus Fahrtrichtung der Unfallbeteiligten gesehen), sondern an deren Ende.
d) Nach der Rechtssprechung ist im Regelfall davon auszugehen, dass derjenige, der einen Fahrstreifenwechsel vornimmt und dabei - wie die Beklagte zu 1 - auch noch erheblich gegen seine Sorgfaltspflichten verstößt, für den Schaden allein haftet. Eine etwaige Betriebsgefahr des anderen unfallbeteiligten Pkw tritt zurück (BGH, VersR 1970, 89. OLG Celle, SchadenPraxis 2001, 45 f. VersR 1972, 1145. KG, MDR 2003, 507 f.. OLG Hamm, NZV 2000, 85 f.. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 10. Aufl., Rn. 155). Dies erscheint dem Senat im vorliegenden Fall auch deshalb gerechtfertigt, weil die Beklagte zu 1 keine der ihr obliegenden Sorgfaltspflichten beim Fahrstreifenwechsel beachtet hat.
Der Höhe nach ist die Klageforderung nicht streitig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 713, 543 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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