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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 28.09.2006
Aktenzeichen: 14 U 80/06
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 42 Abs. 6 Nr. 2 Zeichen 341
Das Überfahren einer unterbrochenen Wartelinie (Zeichen 341 zu § 42 Abs. 6 Nr. 2 StVO) ist an sich noch nicht verkehrswidrig. Die Wartelinie empfiehlt lediglich dem, der wartepflichtig ist, an der bezeichneten Stelle anzuhalten. Damit handelt es sich um eine vorgezogene, "empfohlene" Wartelinie und noch kein verbindliches Gebot im Sinne der Straßenverkehrsordnung. Gleichwohl kann schon das Überfahren der Wartelinie im Einzelfall - leicht - haftungsverschärfend ins Gewicht fallen, wenn dadurch eine Fehlreaktion des bevorrechtigten Kraftfahrers provoziert wurde.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 80/06

Verkündet am 28. September 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 5. September 2006 unter Mitwirkung der Richterin am Oberlandesgericht ... als Vorsitzende sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 16. März 2006 abgeändert und neu gefasst wie folgt:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 6.584,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2005 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 1/3.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 13.169,92 EUR.

Gründe:

(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO)

Die zulässige Berufung ist begründet.

Im Rahmen der gem. § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge an dem streitbefangenen Verkehrsunfall vom 22. März 2005 hält der Senat die von der Berufung angesetzte Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zum Nachteil der Beklagten für richtig. Der unstreitige bzw. nachweisbare Unfallhergang rechtfertigt nicht, den Beklagten die gesamte Haftung aufzuerlegen und die Betriebsgefahr des Lkw der Klägerin dahinter zurücktreten zu lassen, wie es der Verurteilung des Landgerichts zugrunde liegt.

1. Der Senat folgt dem angefochtenen Urteil bereits nicht im Ansatz:

Nicht den Beklagten obliegt vorrangig der Nachweis einer schuldhaften Unfallverursachung durch den Fahrer des Lkw der Klägerin, den Zeugen H. ... . Zunächst ist es Sache der Klägerin, ihre Unfallschilderung zu beweisen. Das aber ist nicht möglich:

a) Schon der äußere Anschein spricht gegen die Darstellung der Klägerin:

Nach den Lichtbildern der Beiakte (2201 Js 9232/05 StA Lüneburg) befand sich ihr Lkw eindeutig - und nicht nur "ein bisschen" - auf der Gegenfahrbahn (vgl. Bl. 23 und 26 der BA). Das zeigt auch die polizeiliche Skizze im Rahmen der Unfallaufnahme (Bl. 6 der BA).

Darüber hinaus ist nach dem Kollisionspunkt der Pkw des Beklagten zu 1 nicht vor dem Lkw der Klägerin abgebogen - was für deren Darstellung sprechen könnte , sondern der Pkw in die Seite des Lkw hineingefahren bzw. der Lkw in die vordere linke Seite des Pkw. Dieser kann danach also dem Lkw nicht die Vorfahrt genommen haben. Das gälte selbst dann, wenn man den Anstoßpunkt deutlich weiter nach vorne (aus Sicht des Beklagten zu 1) verlegte. Auch die Skizze auf Bl. 6 der BA hält einen Anstoßpunkt allein im Bereich der Gegenfahrspur fest. Dem Beklagten zu 1 könnte allenfalls dann ein Vorwurf gemacht werden, wenn er den Lkw übersehen und diesem ohne weiteres in die Seite hineingefahren wäre. Das lässt sich aber nicht einmal aus der Unfalldarstellung des Zeugen H. ... herleiten (vgl. Bl. 12 der BA und Bl. 109 f. d. A.).

b) Aus welchem Grund der Lkw der Klägerin auf die von dem Beklagten zu 1 mit seinem Pkw befahrene Gegenfahrbahn geriet, ist nicht geklärt. Es kann auf einer Ausweichbewegung beruht haben, wie es der Zeuge H. ... dargestellt hat, oder auf einem Fahrfehler bzw. "Kurvenschneiden", wie das die Beklagten behaupten. Selbst wenn man aber die Aussage des Zeugen H. ... zugrundelegt, ist der Anspruch der Klägerin nicht nachgewiesen. Denn dieser Zeuge hat lediglich bekundet, es "zog der weiße Wagen [des Beklagten] an zum Abbiegen", und "als ich sah, er will vor mir abbiegen, bremste ich" (BA 122). Dabei will er lediglich "den Eindruck" gehabt haben, dass der Beklagte zu 1 "ca. mit einem Viertel oder einer Hälfte der Fahrzeugbreite bereits in meine Spur hineingeraten war" (Bl. 109 R. d. A.). Dies spricht dafür, dass der Zeuge H. ... einer Fehleinschätzung erlegen ist oder den tatsächlichen Verhältnissen nicht angemessen reagiert hat, indem er ohne weiteres auf die Gegenfahrbahn ausscherte. Darauf kann auch nach den Bekundungen des Zeugen POK S. ... geschlossen werden. Er hat vor der Kammer angegeben, der Zeuge H. ... habe ihm gegenüber ausgesagt, "er habe den Eindruck gehabt, dass der Pkw auf ihn zufahre, und er habe deshalb nach links ausweichen wollen", denn - nochmals - "er habe den Eindruck gehabt, dass der Pkw-Fahrer es noch schaffen würde, vor ihm links abzubiegen; darauf habe er sich eingestellt" (Bl. 109 R d. A.). Ebenso spricht die weitere Zeugenaussage des Beifahrers im Pkw der Beklagten - des Polizeibeamten V. ... - jedenfalls nicht für die Klägerin. Deren Lkw soll danach dem Pkw des Beklagten zu 1 "direkt entgegen" gekommen sein (Bl. 110 d. A.).

c) Aus diesen Zeugenaussagen lässt sich vernünftigerweise nicht das vermeintlich eindeutige Bild herauslesen, das das Landgericht hat sehen wollen. Die Kammer hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass das von ihr ohne weiteres angenommene Ausweichmanöver möglicherweise auf einer - dem Zeugen H. ... vorwerfbaren - Fehleinschätzung des von ihm befürchteten Fahrverhaltens des Beklagten zu 1 beruht haben könnte und insoweit dem Beklagten zu 1 kein eigenständiger Verursachungs- oder Verschuldensbeitrag anzulasten wäre.

d) Dem Beklagten zu 1 kann nach den objektiv feststellbaren Unfallumständen über die Betriebsgefahr des von ihm geführten Pkw haftungsverschärfend hinaus nur angelastet werden, die Wartelinie (Zeichen 341 zu § 42 Abs. 6 Nr. 2 StVO) überfahren und dadurch eine etwaige Fehleinschätzung des Zeugen H. ... provoziert zu haben. Das kann allerdings nicht sonderlich schwer ins Gewicht fallen. Zum einen sprechen - wie erwähnt - die Anstoßpunkte und Endstellungen der Fahrzeuge dafür, dass der Beklagte zu 1 seinen Spurbereich noch nicht verlassen, sondern sich lediglich etwas weiter in den Kreuzungsbereich auf seiner Fahrspur hineingetastet hatte. Das hätte dem Zeugen H. ... noch keine Veranlassung geben dürfen, auf die Gegenfahrspur zu wechseln. Zum anderen ist das Überfahren einer unterbrochenen Wartelinie an sich noch nicht verkehrswidrig. Nach dem Verordnungstext zu § 42 Abs. 6 Nr. 2, Zeichen 341 StVO "empfiehlt" die Wartelinie lediglich "dem, der warten muss, hier zu warten". Damit handelt es sich um eine vorgezogene, "empfohlene" Wartelinie und noch kein verbindliches Gebot im Sinne der Straßenverkehrsordnung (vgl. auch LG Berlin ZfS 2001, 8).

e) Nach alledem ist aus dem Unfallhergang, soweit er anhand der äußerlichen Umstände und den Zeugenaussagen feststellbar ist, insbesondere kein Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 9 Abs. 1 und 3 StVO zu erkennen, so dass eine über die von den Beklagten im Berufungsverfahren selbst angesetzte Quote hinausgehende Haftung der Beklagten nicht gerechtfertigt ist. Der Verkehrsunfall war für alle Beteiligten nicht unabwendbar. Für die Klägerin nachteilig hatte sich zudem die im Gegensatz zum Pkw der Beklagten erhöhte Betriebsgefahr ihres Lkw auszuwirken. Damit berücksichtigt die Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zum Nachteil der Klägerin sogar ein leichtes Mitverschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls seitens des Beklagten zu 1. Eine weitergehende Haftung der Beklagten ist nicht begründbar.

2. Zur Schadenshöhe wird die Berechnung des Landgerichts (LGU 5) nicht angegriffen. Der Senat legt sie deshalb auch seiner Berechnung zugrunde. Danach sind von den seitens der Klägerin geltend gemachten 20.186,87 EUR - wie vom Landgericht dargelegt - 432 EUR abzuziehen, so dass 19.754,87 EUR verbleiben. Ein Drittel hiervon ergibt den der Klägerin zuzusprechenden Betrag von 6.584,95 EUR.

Die zugesprochen Zinsen folgen aus Verzug (vgl. LGU 5).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision i. S. von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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