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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 29.01.2008
Aktenzeichen: 14 W 43/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 130
ZPO § 411 Abs. 4
ZPO § 492
1. Die Unterzeichnung eines Beglaubigungsvermerks kann die fehlende Unterschrift unter einem Schriftsatz ersetzen, selbst wenn die Abschrift des Schriftsatzes nicht in der Gerichtsakte verbleibt. Entscheidend ist, ob sich aus anderen Anhaltspunkten als der Unterschrift eine hinreichende Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, ergibt. Ist das der Fall, kann auch das vollständige Fehlen einer Unterschrift unbeachtlich sein.

2. Auch wenn das Gericht keine Frist im Sinne des § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzt hat, endet das Beweisverfahren mit seiner sachlichen Erledigung durch Übersendung des Gutachtens an die Parteien, wenn die Parteien nicht gegenüber dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen vorbringen oder Anträge bzw. Ergänzungsfragen formulieren. Hierfür wird ein Zeitraum von ein bis zwei Monaten in der Regel noch angemessen sein, mehr als drei Monate genügen aber ohne besondere Umstände nicht.

3. Das selbständigen Beweisverfahrens dient nicht dazu, die Grundlage für eine weitere Beweisaufnahme oder für eine Klage nach Maßgabe der im Beweisverfahren erhaltenen Kenntnisse zu schaffen. Es soll stattdessen eine Beweisaufnahme außerhalb eines Hauptsacheverfahrens durchgeführt werden, um im Interesse einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien einen Rechtsstreit möglichst zu vermeiden.


14 W 43/07

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 8. Oktober 2007 gegen den Beschluss des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 27. August 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter am 29. Januar 2008 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das selbständige Beweisverfahren ist beendet.

I.

Das Landgericht hatte nach dem Beweisbeschluss vom 22. Mai 2006 (Bl. 166 d. A.) im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens über folgende Fragen Beweis zu erheben durch Einholung eines schriftlichen orthopädischen Sachverständigengutachtens:

a) Erlitt die Antragstellerin durch den Verkehrsunfall vom 16. März 2002 ein Halswirbelschleudertrauma und eine hartnäckige Cervicalneuralgie mit erheblicher Radiculipatzie und Schmerzsymptomatik im Bereich der HWS mit Ausstrahlung in den Schulterbereich?

b) Ist die derzeitige Minderung der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin durch den Unfall vom 16. März 2002 verursacht worden?

c) Hilfsweise, soweit die Frage zu b) nicht zu bejahen ist:

Wie groß war die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab dem Unfall bis zur Rückbildung der HWS-Blockierung im Jahr 2003?

Das Landgericht hat darauf zunächst ein Gutachten des Sachverständigen Dr. A. vom 28. August 2006 eingeholt (Bl. 203 d. A.), außerdem - nach einem Hinweis des Sachverständigen Dr. A. (Bl. 190 d. A.) gem. Verfügung vom 8. November 2007 (Bl. 199 d. A.) - ein neurologisches Zusatzgutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 12. Februar 2007 (Bl. 268 d. A.) und eine ergänzende Stellungnahme dieses Gutachters vom 2. Juli 2007 (Bl. 312 d. A.). Mit Verfügung des Einzelrichters vom 4. Juli 2007 ist der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme "binnen zwei Wochen" auf das letzte nervenärztliche Gutachten vom 2. Juli 2007 (Bl. 312 f. d. A.) gewährt worden, allerdings ohne dass die Partei auf die Folgen einer Nichtbeachtung der Frist hingewiesen worden ist (Bl. 317 d. A.). Diese Verfügung ist der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin zusammen mit der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 6. Juli 2007 zugestellt worden (Bl. 321 d. A.). Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2007 hat die Antragstellerin eine kurze Stellungnahme zu dem erwähnten Gutachten abgegeben und "angekündigt", dass "hier noch einmal eine neurologische Untersuchung gegebenenfalls durch einen anderen unabhängigen und weniger beeinflussten Gutachter durchgeführt werden" müsste. Ferner hieß es wörtlich: "Einen Antrag dazu werde ich stellen, sobald mir die Gerichtsakten zur Einsichtnahme vorgelegen haben" (Bl. 324 d. A.). Das Schreiben enthielt im Übrigen keinen Antrag und keinen Vorhalt an den Sachverständigen. Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2007 hat die Antragstellerin eine Würdigung der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen vorgenommen, die sie nicht für ausreichend hielt. Sodann hat die Antragstellerin beantragt, den Gutachter "aufzufordern, eine neurologische Untersuchung vorzunehmen" bzw. ihn "dazu zu veranlassen, die ihm gestellte Frage nun zu beantworten und entsprechende Untersuchungen vorzunehmen oder mitzuteilen, dass er dazu nicht in der Lage ist" (Bl. 327, 328 d. A.). Ferner enthielt dieser Schriftsatz eine Anlage, in dem dargelegt wurde, was nach Ansicht der Antragstellerin unter einer "neurologischen Untersuchung" zu verstehen ist (Bl. 329 f. d. A.).

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 334 d. A.) das selbständige Beweisverfahren für beendet erklärt, weil die Antragstellerin nicht fristgerecht zu den eingeholten Gutachten Stellung genommen habe. Hiergegen richtet sich die beim Landgericht Lüneburg am 8. Oktober 2007 eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der (vgl. Bl. 339 d. A.) die Einholung eines weiteren neurologischen Zusatzgutachtens beantragt wird

"zu den Fragen:

1. Untersuchung und Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und distalen motorischen Latenz zur Beantwortung der Frage, ob eine zentrale oder periphere Störung des Nervensystems oder eine andere Ursache der Lähmung des linken Armes der Antragstellerin vorliegt und der Spezifizierung:

2. Ist der Plexusschaden durch den Autounfall vom 16. März 2002 verursacht worden?

3. Ist die Ursache der Irritation der peripheren Nerven ein Halswirbelschleudertrauma oder peripher?

4. Gibt es eine psychosomatische Begleitkomponente?"

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, unter anderem auch deshalb, weil der Beschwerdeschriftsatz erst am 10. Oktober 2007 unterschrieben worden und damit nicht mehr fristgerecht eingegangen sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Der Umstand, dass der Schriftsatz, mit dem die sofortige Beschwerde bei dem Landgericht eingelegt worden ist, nicht innerhalb der Frist gem. § 569 Abs. 1 ZPO von der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin unterschrieben worden ist (vgl. Bl. 342 d. A.), ist hier nicht erheblich. Denn die Unterzeichnung eines Beglaubigungsvermerks kann die fehlende Unterschrift unter einem Schriftsatz ersetzen, selbst wenn die Abschrift des Schriftsatzes nicht in der Gerichtsakte verbleibt. Das Erfordernis der Schriftlichkeit ist kein Selbstzweck. Entscheidend ist, ob sich aus anderen Anhaltspunkten als der Unterschrift eine hinreichende Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, ergibt. Ist das der Fall, kann auch das vollständige Fehlen einer Unterschrift unbeachtlich sein (vgl. BGH, Beschl. v. 14. Februar 2006 - VI ZB 44/05, NJW 2006, 1521, juris Rdnr. 6. Urt. v. 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, jurisRdnr. 20 f.).

Entsprechend verhält es sich hier. Die Beschwerdeschrift hat nach dem unwidersprochenen Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin (Bl. 359 d. A.) eine beglaubigte Abschrift enthalten, die wiederum im Original unterzeichnet gewesen ist, und deren fristgemäßer Eingang durch den Eingangsstempel des Landgerichts Lüneburg feststeht (Bl. 339, 359 d. A.). Damit bestand kein Zweifel an der Urheberschaft und dem Willen, dass mit dem Schriftsatz vom 8. Oktober 2007 die Beschwerde der Antragstellerin eingelegt werden sollte.

III.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Das selbständige Beweisverfahren ist allerdings nicht mit Ablauf der seitens des Einzelrichters am 4. Juli 2007 gesetzten Frist zur Stellungnahme auf das letzte Gutachten beendet worden. Hierzu hätte es einer Fristsetzung gemäß § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO bedurft (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 492, Rdnr. 4), wofür die "formlose" Verfügung nicht genügte (vgl. Zöller/Greger a. a. O., § 411, Rdnr. 5 e). Denn der Ablauf einer richterlichen Frist zum Vorbringen von Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten und von die Begutachtung betreffenden Anträgen kann eine Präklusionswirkung gem. § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur dann auslösen, wenn keine Fehlvorstellungen über diese Wirkung bei der Partei aufkommen konnten. das setzt voraus, dass sie auf die Folgen einer Nichtbeachtung der Frist ordnungsgemäß hingewiesen wurde (BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2005 - V ZR 24104, NJWRR 2006, 428, juris Rdnr. 8). Hieran fehlt es vorliegend. Die Verfügung gab lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme, ohne weitere Hinweise auf eventuelle Folgen einer nicht fristgerechten Stellungnahme.

2. Das Beweisverfahren ist gleichwohl beendet, weil die Antragstellerin nicht innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs mit der Zustellung des Gutachtens einen Antrag auf Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens gestellt hat. Für eine vom Beweisbeschluss abweichende weitere Beweiserhebung, wie sie die Antragstellerin nunmehr begehrt, besteht keine Veranlassung.

a) Auch wenn das Gericht keine Frist im Sinne des § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzt hat, endet das Beweisverfahren mit seiner sachlichen Erledigung durch Übersendung des Gutachtens an die Parteien, wenn die Parteien nicht gegenüber dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwendungen vorbringen oder Anträge bzw. Ergänzungsfragen formulieren (vgl. BGH, Urt. v. 20. Februar 2002 - VIII ZR 228/00, BGHZ 150, 55). Dabei lässt sich der genaue Zeitpunkt der Beendigung erst rückschauend beurteilen (BGH a. a. O., juris Rdnr. 13). In der Rechtsprechung wird ein Zeitraum von mehreren Monaten überwiegend als angemessen erachtet. mehr als drei Monate genügen regelmäßig jedoch nicht mehr (vgl. Senat, MDR 2001, 108. OLG München, MDR 2001, 531. OLG Düsseldorf, BauR 2000, 1775. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 492, Rdnr. 3. vgl. auch Zöller/Herget a. a. O., § 492, Rdnr. 4 m. w. N.).

Diese Frist hat die Antragstellerin nicht eingehalten: Sie hat nach Erhalt der letzten ergänzenden Stellungnahme am 6. Juli 2007 innerhalb der richterlich gesetzten Frist - die mit dem 20. Juli 2007 ablief - ausdrücklich weder eine Frage oder einen Vorhalt an den Sachverständigen formuliert noch überhaupt einen Antrag gestellt, sondern lediglich einen "angekündigt". Im Schriftsatz vom 27. Juli 2007 hat die Antragstellerin wiederum keine konkreten Fragen an den Sachverständigen formuliert, sondern eine "neurologische Untersuchung" eingefordert, die allerdings in der von der Antragstellerin allein für richtig gehaltenen Form nicht Gegenstand der Beweisaufnahme nach dem Inhalt des Beweisbeschlusses vom 22. Mai 2006 war. Erst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens im Schriftsatz vom 8. Oktober 2007 also über drei Monate nach Zugang des Gutachtens - hat die Antragstellerin konkret (neue) Beweisfragen und -anträge formuliert. Soweit die Antragstellerin ergänzende Fragen oder Vorhalte an den Sachverständigen gehabt haben sollte, stand ihr aber bis dahin genügend Zeit zur Verfügung, diese rechtzeitig zu formulieren. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum sie dazu nicht schon innerhalb der ersten Wochen nach Kenntnisnahme vom letzten Gutachten in der Lage gewesen sein sollte. Sie hat in dieser Hinsicht auch nichts geltend gemacht.

b) Die Antragstellerin hat stattdessen erst über ein Vierteljahr nach Kenntnisnahme der letzten ergänzenden Stellungnahme konkrete Einwände gegen die Art der Beweiserhebung erhoben, um damit eine Änderung des Beweisbeschlusses und eine andere Beweiserhebung zu rechtfertigen. Das war erst recht verspätet. Die Beweisfragen und auch die Art der Beweiserhebung sind in dem Beweisbeschluss vom 22. Mai 2006 klar aufgeführt. Die Antragstellerin hatte dagegen nichts einzuwenden. Erst nach Durchführung der Beweisaufnahme hat sie - allem Anschein nach aufgrund des ihrer Ansicht nach für sie nicht vorteilhaften Ausgangs der Beweisaufnahme - eine abweichende Beweiserhebung beantragt. Die Antragstellerin hat aber grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Erweiterung der vorgenommenen Beweiserhebungen, sondern nur darauf, dass die Beweisaufnahme den Beweisbeschluss mit den dort im Einzelnen angeführten Beweisfragen ausführt. Das ist geschehen: Das Landgericht hat - wie erwähnt - zu den Beweisfragen insgesamt drei Gutachten (einschl. der ergänzenden Stellungnahme) eingeholt. Der Beweisbeschluss ist damit erfüllt, die Beweisfragen sind hinreichend klar beantwortet (vgl. insbesondere Bl. 248 bis 250, 287 bis 290 und 312 bis 316 d. A.).

Sinn des selbständigen Beweisverfahrens ist demgegenüber nicht, die Grundlage für eine weitere Beweisaufnahme oder für eine Klage nach Maßgabe der im Beweisverfahren erhaltenen Kenntnisse zu schaffen, so dass es gleichsam beliebig lang durch immer neue Vorhalte und Ergänzungsfragen und die Einholung weiterer Gutachten zur Widerlegung der schon vorliegenden ausgedehnt wird, bis sich evtl. ein Anspruch ergeben könnte. Es soll stattdessen eine Beweisaufnahme außerhalb eines Hauptsachverfahrens durchgeführt werden, um im Interesse einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien einen Rechtsstreit möglichst zu vermeiden (vgl. Zöller/Herget a. a. O., § 485, Rdnr. 6). Diesem rechtlich geschützten Interesse der Antragstellerin ist das Landgericht nachgekommen. Die Beweiswürdigung selbst betrifft zudem nicht das selbständige Beweisverfahren, sondern ist ggf. im Hauptsacheverfahren vorzunehmen. Schließlich sind auch keine Gründe ersichtlich, die eine neue Begutachtung im Sinne von § 412 ZPO erfordern.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne von § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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