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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 09.03.2006
Aktenzeichen: 14 W 6/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 114 | |
ZPO § 485 | |
ZPO § 487 |
Der Antrag, ein selbständiges Beweisverfahren einzuleiten, ist mutwillig, wenn bei Würdigung des Vortrags des Antragstellers eine Beweisbedürftigkeit entfällt und deshalb eine Beweiserhebung im Hinblick auf das Ziel eines selbständigen Beweisverfahrens wertlos wäre.
14 W 6/06
Beschluss
In der Beschwerdesache
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die am 15. Februar 2006 begründete sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 1. November 2005 gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 6. Oktober 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter am 9. März 2006 beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 48.000 EUR.
Gründe:
Die Beschwerde ist unbegründet. Wie vom Landgericht im angefochtenen Beschluss zu Recht angenommen, ist die vom Antragsteller beabsichtigte Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens mutwillig.
1. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren bedarf einer gesonderten Bewilligung. Voraussetzung ist die Darlegung und gegebenenfalls Glaubhaftmachung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485, 487 ZPO (vgl. nur Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 490 Rn. 5 m. w. N.). Für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist daneben nicht entscheidend, ob eine eventuell später zu erhebende Klage Erfolgsaussichten hätte; maßgeblich ist allein, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen für das selbständige Beweisverfahren vorliegen (vgl. OLG Hamm, BauR 2005, 1360; OLG Celle, BauR 2004, 1659).
2. Darüber hinaus ist im Rahmen des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens aber auch zu prüfen, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig erscheint, § 114 Satz 1 ZPO. Mutwillig wäre ein selbständiges Beweisverfahren dann, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil abzusehen ist, dass das Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit weder einer gütlichen Einigung dienen noch in einem Rechtsstreit Nutzen bringen wird (vgl. OLG Koblenz, OLGR 2001, 214; OLG Oldenburg, BauR 2002, 825). Denn ein selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO - ein Fall gemäß Abs. 1 dieser Vorschrift liegt nicht vor - soll mit seinem Beweisergebnis die Voraussetzung für ein erfolgversprechendes Güteverfahren schaffen, also unter Meidung eines sonst zu erwartenden Prozesses eine gütliche Einigung der Parteien in einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren ermöglichen; Ziel des Verfahrens ist also die Entlastung der Gerichte von Prozessen, deren Streitfragen weniger rechtlich als tatsächlicher Art sind und für deren Entscheidung daher das Fachgutachten eines Sachverständigen eine maßgebliche Bedeutung hat (Zöller/Herget, a. a. O., § 485 Rn. 6).
Von mutwilliger Beantragung eines selbständigen Beweisverfahrens ist ebenso auszugehen, wenn die durch dieses Verfahren zu klärenden Behauptungen oder nachzuweisenden Tatsachen bereits Gegenstand eines kurzfristig zurückliegenden anderen Gerichtsverfahrens waren und dort umfassend und abschließend gewürdigt wurden. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn der Antragsteller über die bereits im vorangehenden Verfahren der anderen Gerichtsbarkeit (hier: Klage vor dem Sozialgericht) gewürdigten Stellungnahmen und Gutachten hinaus keine neuen Erkenntnisse beibringt. Unter diesen Umständen entfällt zwar noch nicht das rechtliche Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO, weil dieses erst dann zu verneinen ist, wenn kein Rechtsverhältnis, kein möglicher Prozessgegner oder kein Anspruch ersichtlich ist (vgl. OLG Celle, BauR 2004, 1659; Zöller/Herget, a. a. O., § 485 Rn. 7 a) m. w. N.). Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist jedoch mutwillig, wenn bei Würdigung des Vortrags des Antragstellers eine Beweisbedürftigkeit entfällt und deshalb eine Beweiserhebung im Hinblick auf das erwähnte Ziel eines selbständigen Beweisverfahrens wertlos wäre.
So liegt es hier.
a) Wie im angefochtenen Beschluss erwähnt, waren die vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen und Beschwerden aus dem Verkehrsunfall vom 15. November 1997 bereits Gegenstand der Verfahren vor dem Sozialgericht Stade und Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, das die dort vom Kläger begehrten Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Urteil vom 16. Januar 2003 (Bl. 234 d. Beiakte der BauBG Hannover [BA]) rechtskräftig abgewiesen hat; die gegen dieses Urteil gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist durch Beschluss des Bundessozialgerichts vom 5. Mai 2003 verworfen worden (Bl. 254 BA). In jenem Verfahren sind im Einzelnen und wiederholt die vom Antragsteller vorgelegten zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten gerade im Hinblick auf die hier im Rahmen des Beweisverfahrens entscheidende Frage, ob die von ihm weiterhin geltend gemachten Beeinträchtigungen und Beschwerden unfallbedingt sind, gewürdigt worden (vgl. insbesondere die Beschlüsse des Sozialgerichts Stade vom 30. November 2001, Bl. 186 BA, des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 5. April 2002, Bl. 199 BA, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 4. Juni 2002, Bl. 203 BA, sowie das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. Januar 2003, Bl. 234 BA). Der Antragsteller legt darüber hinaus nur eine ärztliche Stellungnahme vom 1. August 2003 des Arztes Dr. H. (Bl. 28 d. A.) vor, nach der sich allerdings kein anderes Beschwerdebild, insbesondere in Bezug auf die von ihm behauptete Kausalität mit dem Unfallgeschehen, ergibt.
b) Unter den gegebenen Umständen erscheint es somit ausgeschlossen, dass ein Sachverständiger die vom Antragsteller gestellten Beweisfragen (Bl. 2 d. A.) zufriedenstellend beantworten kann, weshalb das angestrebte Gutachten keine Überzeugungskraft im Rahmen von Verhandlungen über eine gütliche Einigung oder in einem etwa zu führenden Rechtsstreit haben könnte (vgl. OLG Koblenz, a. a. O.). Denn zum einen ist die - worauf es allein ankommt - Ursächlichkeit der unfallbedingten Verletzungen und Beschwerden des Antragstellers in keinem der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten bestätigt worden, obwohl diese Frage auch Gegenstand jener Untersuchungen war (vgl. insbesondere den neurologischen Befundbericht Dr. B. vom 28. Januar 1998, Bl. 56 BA; den Bericht des Arztes M. vom 16. Februar 1998, Bl. 66 BA; den Befund von Dr. O. vom 20. Februar 1998, Bl. 78 BA; die Berichte von Prof. Dr. O. vom 19. Mai 1998 und 13. Februar 2001, Bl. 96 und 166 BA; und die nervenärztliche Stellungnahme von Dr. Bu. vom 3. September 2002, Bl. 229 BA; der Bericht Dr. Os. vom 23. März 1998, Bl. 8 d. A.; der Arztbericht der Fachklinik a. H. vom 14. März 2000, Bl. 9 d. A.; das ärztliche Gutachten der LVA Oldenburg-Bremen vom 13. März 2001, Bl. 17 d. A.; das ärztliche Gutachten Dr. J. vom 6. März 2002, Bl. 25 d. A.; der erwähnte Bericht Dr. H. vom 1. August 2003, Bl. 28 d. A.; und der Bericht Dr. Bu. vom 13. September 2004, Bl. 31 d. A.). Zum andern wird wegen des seit dem Unfall verstrichenen erheblichen Zeitablaufs von mehr als acht Jahren kein Gutachter und kein Gericht - was der mit Verkehrsunfallsachen ständig befasste Senat aus eigener Anschauung weiß - an den zahlreichen vorangehenden ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten vernünftigerweise "vorbeigehen" können.
Zudem hätte ein Gutachter bei der Beantwortung der vom Antragsteller aufgeworfenen Beweisfragen im Hinblick auf die behauptete Kausalität mit dem Unfallgeschehen zu berücksichtigen, dass der Antragsteller am 20. August 1998 und am 13. September 2004 weitere Verkehrsunfälle erlitten hat (vgl. Bl. 117 BA und Bl. 4, 31 d. A.), wobei er sich wiederum seinem eigenen Vortrag nach bei dem letzten Unfall ebenfalls ein HWS-Schleudertrauma zuzog. Da die aktuellen Beschwerden des Antragstellers durch ein HWS-Schleudertrauma verursacht worden sein sollen (Bl. 2 d. A.), ist fraglich, ob hier überhaupt eine klare Abgrenzung des jeweiligen Beschwerdebildes möglich ist.
Nicht unberücksichtigt dürfte weiter bleiben, dass der Antragsteller bereits 1984 im Bereich der Halswirbelsäule operativ behandelt werden musste (vgl. ärztliches Gutachten der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen vom 13. März 2001, Bl. 17 d. A.), und weiterhin unter einem etwa walnussgroßen, subcutan gelegenen Tumor links neben der Halswirbelsäule leidet (vgl. Bericht M. vom 16. Februar 1998, Bl. 41 d. A.). Ferner können die geltend gemachten Beschwerden (u. a. Kribbelparästhesien, Schlafstörungen, Schwindelanfälle mit Übelkeit, verminderte Gedächtnisleistung, Konzentrationsstörung, Schädigung zweier Kopfhalsbänder, Schweißausbrüche) auch im Zusammenhang mit einem deutlichen Nikotinabusus des Antragstellers stehen (gemäß Bericht der Fachklinik a. H. vom 14. März 2000 30 bis 40 Zigaretten täglich, Bl. 10 d. A.) sowie dessen Übergewicht und eventuell auch erhöhten Blutzuckerwerten (vgl. ebenda, Bl. 10, 14 d. A.). Dass er im März 1993 von einem Gerüst gefallen ist und sich dabei die Schulter ausgekugelt hat (Bl. 122 BA), erscheint daneben weniger bedeutsam.
Vor allem aber ist zu beachten, dass der Antragsteller nach der eigenen Schilderung gegenüber der Bauberufsgenossenschaft vom 26. Oktober 1999 (Bl. 116 ff. BA) seit März 1998 unter einer ungewöhnlich starken Medikamentenabhängigkeit gelitten hat (vgl. Bl. 117, 122 BA), die - nach der Darstellung des Antragstellers - von seiner damaligen Freundin, einer Frau S. H., maßgeblich hervorgerufen worden sein soll. Dieser Medikamentenabusus musste ärztlich behandelt werden (vgl. Bescheinigung Dr. E. vom 20. August 1999, Bl. 126 BA; Bescheinigung Dr. G. vom 20. Oktober 1999, Bl. 125 BA; Bericht Fachklinik a. H. vom 14. März 2000, Bl. 10 d. A.; Gutachten LVA Oldenburg-Bremen vom 13. März 2001, Bl. 17 d. A.).
c) All dieser Stellungnahmen und Gutachten wegen sind verlässliche Aussagen zur Kausalität des Verkehrsunfalls vom 15. November 1997 für die Beschwerden des Antragstellers nicht zu erwarten. Diese im Hinblick auf das Ziel eines selbständigen Beweisverfahrens - nicht das einer etwaig späteren Klage (OLG Hamm a. a. O.; OLG Celle, BauR 2004, 1659) - vorweggenommene Beweiswürdigung ist nicht unzulässig. Sie setzt allerdings voraus, dass bei einer Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung ausscheidet (vgl. nur KG, KGR 2004, 445; Senat, Beschluss vom 22. Dezember 2005, 14 W 42/05 m. w. N.). Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist das aber anzunehmen. Denn selbst wenn ein Gutachter nunmehr eine Kausalität zwischen dem Unfall im November 1997 und den behaupteten Beschwerden des Antragstellers - wider Erwarten - (teilweise) bejahen wollte, könnte ein Gericht aufgrund der zahlreichen anders lautenden ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten sowie der vielfältigen möglicherweise nicht minder beschwerdeauslösenden Ereignisse vor und nach dem Unfall nicht ohne weiteres einen Schadensersatz und Schmerzensgeldanspruch des Antragstellers begründen.
Für den behaupteten Verdienstausfall gilt das auch deshalb, weil der Antragsteller nach den von ihm eingereichten Gutachten jedenfalls für leichte bis mittelschwere Arbeiten oder Büroarbeiten vollschichtig arbeitsfähig sein soll (vgl. Bl. 13, 14, 20, 22, 24, 25 d. A.). Dann aber hat das gewünschte Gutachten weder für eine eventuelle gütliche Einigung noch in einem etwa zu führenden Rechtsstreit eine ausschlaggebende Bedeutung.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass - wie der Antragsteller meint (Bl. 98 im Beiheft PKH) - "in zivilrechtlicher Hinsicht noch keine Begutachtung erfolgte". Auch im Rahmen eines bürgerlichen Rechtsstreits nach der Zivilprozessordnung sind die außergerichtlich eingeholten und vorgelegten Gutachten und Stellungnahmen nicht unbeachtlich. Das gilt umso mehr, als der Antragsteller selbst nicht behauptet, dass diese Stellungnahmen und Gutachten falsch sind.
Da unter den gegebenen Voraussetzungen das Ergebnis eines selbständigen Beweisverfahrens mit sehr großer Wahrscheinlichkeit weder einer gütlichen Einigung dienen noch in einem Rechtsstreit Nutzen bringen könnte, würde eine verständige Person von dessen Durchführung absehen. Tut sie das gleichwohl nicht, wie hier der Antragsteller, erscheint ihr Begehren mutwillig (vgl. OLG Koblenz, a. a. O.).
Die Beschwerde gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe war danach zurückzuweisen. Auf die etwaige Bedürftigkeit des Antragstellers kommt es nicht an.
3. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.
Der Beschwerdewert richtet sich nach dem Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens. Dieser wiederum bemisst sich nach dem vollen mutmaßlichen Hauptsachewert, weil das selbständige Beweisverfahren als vorweggenommener Teil eines späteren Hauptsacheverfahrens anzusehen ist (vgl. BGH NJW 2004, 3488; Senat, Beschluss vom 23. Februar 2006, 14 W 2/06 m. w. N.). Da der Antragsteller den Streitwert unter Ansatz eines vermeintlichen Schmerzensgeldes von 28.000 EUR und dazu Verdienstausfall und Haushaltsführungsschaden mit insgesamt 48.000 EUR annimmt (Bl. 1, 3 d. A.), war der Beschwerdewert entsprechend festzusetzen.
Ende der Entscheidung
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