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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 24.07.2001
Aktenzeichen: 15 UF 98/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 1612 a | |
ZPO § 640 c Abs. 1 |
15 UF 98/01
Beschluss
In der Familiensache - Kindschaftssache -
pp.
wegen im Vaterschaftsfeststellungsverbund ausgeurteilter Zahlung des Regel betragsunterhaltes;
hier: Prozesskostenhilfe für die Berufung
hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #### sowie die Richter am Oberlandesgericht #### und #### am 24. Juli 2001 beschlossen:
Tenor:
Dem Beklagten wird die nachgesuchte Prozesskostenhilfe verweigert.
Gründe:
Der Beklagte, der durch das angefochtene Urteil als Vater des klagenden Kindes festgestellt worden und zur Zahlung des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes verurteilt worden ist, sucht um Prozesskostenhilfe für den Antrag nach, die Regelbetragsunterhaltsklage abzuweisen, weil er infolge Inhaftierung offensichtlich leistungsunfähig sei.
Diesem Antrag ist nicht zu entsprechen. Die nach § 114 ZPO erforderlichen Voraussetzungen für eine Prozesskostenhilfebewilligung liegen nicht vor.
1. Die Klage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Den Einwand der Leistungsunfähigkeit berücksichtigt der Senat im Unterhaltsannex zum Vaterschaftsstellungsverfahren nicht.
a) Ausgehend von der dem § 1612 a BGB inhaltlich zugrundeliegenden Vermutung, dass der Unterhaltsschuldner selbst bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit den Unterhaltsregelbetrag aufbringen kann und dass das unterhaltsberechtigte Kind jedenfalls dieses Betrages zu seiner Lebensführung unbedingt bedarf (BT-Drs. 13/7338 S. 36), sowie von dem daran anknüpfenden Gesetzesziel, dem Kind im Annex zum Vaterschaftsfeststellungsprozess (§ 640 c Abs. 1 Satz 3 ZPO) ein einfach ausgestaltetes und schnell zu führendes Verfahren zur Erlangung eines entsprechenden Vollstreckungstitels zur Verfügung zu stellen, befugt § 653 ZPO das Kind, den Regelbetrag nach Maßgabe der Kindergeldanrechnung (§ 1612 b Abs. 1, Abs. 5 BGB) ausurteilen zu lassen (Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift); den als Vater festgestellten Mann verweist § 653 Abs. 1 Satz 3 ZPO mit Einwendungen zur von seiner Leistungsfähigkeit abhängigen Höhe des Unterhalts auf die - nicht an die Voraussetzungen des § 323 ZPO gebundene und auch nicht den Beschränkungen des § 767 ZPO unterworfene - Abänderungsklage nach § 654 ZPO. Einem ihm im Abänderungsprozess eventuell drohenden Kostenrisiko im Rahmen eines abschätzbaren (Teil-)Unterliegens kann das Kind vorbeugen, indem es bereits im Annexverfahren nur einen geringeren Unterhalt verlangt (§ 653 Abs. 1 Satz 2 ZPO); der Mann hingegen kann seinem Unterliegensrisiko erst im Verfahren nach § 654 ZPO bei der Antragstellung zum Umfang der die Höhe des Unterhalts herabsetzenden Abänderung des auf Antrag des Kindes im Vaterschaftsfeststellungsannex ausgeurteilten Unterhalts Rechnung tragen. Dieses Prinzip gilt nicht nur bei eingeschränkter, sondern auch fehlender Unterhaltsleistungsfähigkeit.
b) Der Grund hierfür besteht darin, dass der Vaterschaftsstellungsprozess grundsätzlich dem Verbot der Verbindung mit einer Klage anderer Art unterliegt (§ 640 c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und deshalb das Annexverfahren des § 653 ZPO nicht einen regelrechten Unterhaltsprozess eröffnen soll, in welchem Wertungen und - etwa temporäre oder gegenständlich modifizierte - Differenzierungen vorzunehmen wären. Wertungen und Differenzierungen sind aber gerade dann für die Höhe des Unterhalts von ausschlaggebender Bedeutung, wenn bei Berücksichtigung der tatsächlichen Einkommensverhältnisse eine Leistungsfähigkeit "offensichtlich" nicht besteht. Bei in Ansehung nur des tatsächlich bezogenen Einkommens "offensichtlicher" Leistungsunfähigkeit muss die Frage gestellt und - lässt man diesen Einwand zu - aufgeklärt (§§ 640 Abs. 1, 616 Abs. 1 ZPO) werden, ob das Kind diese hinzunehmen hat oder aber dem Mann Pflichtverstöße zur Last fallen, die bei Anlegung des Anforderungsmaßstabs aus § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Fiktion seiner vollen oder teilweisen Leistungsfähigkeit führen. Derartige regelmäßig nicht unproblematische Fragen belasten den Vaterschaftsfeststellungsprozess und verzögern seinen frühzeitigen Abschluss nur insoweit nicht, als das Kind sich den Wertungen des Mannes anschließt und dementsprechend (§ 653 Abs. 1 Satz 2 ZPO) sein Unterhaltsverlangen beschränkt. Diese Regelung entspricht derjenigen des § 650 Satz 2 ZPO im Vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger; sie trägt dem Gesichtspunkt der "Unstreitigkeit" einer Leistungsfähigkeitseinschränkung Rechnung, nicht aber dem der - postulierten - "Offensichtlichkeit". Auf letzteren Gesichtspunkt gestützte, aber nicht zur "Unstreitigkeit" führende Einwendungen sind in das streitige Unterhaltsverfahren zu verweisen (§ 651 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 ZPO) oder mit der Abänderungsklage (§ 654 i. V. m. §§ 649 Abs. 1, 648 Abs. 2 Satz 1, 3 ZPO) geltend zu machen. Diese Aufteilung ist auch im Annexverfahren des § 653 ZPO einschlägig. Ihre Übernahme bedeutet, dass im Verbund mit der Vaterschaftsfeststellung eine umfassendere Prüfung der Unterhaltsleistungsfähigkeit, als sie bei Erlass eines Festsetzungsbeschlusses nach § 649 Abs. 1 ZPO oder eines Teilbeschlusses nach § 650 Satz 2 ZPO zu beachten ist, ebenfalls unterbleibt und für sie - nur - die Abänderungsklage nach § 654 ZPO in Frage kommt.
c) Dieses Verständnis entspricht den mit dem KindUG verfolgten gesetzgeberischen Intentionen, denen seit dem 1. Juli 1998 Rechnung zu tragen ist. Eine gerichtliche Auseinandersetzung über den individuell geschuldeten Unterhalt (BT-Drs. 13/7338 S. 59) soll nicht im Statusverfahren stattfinden (BT-Drs. 13/7338 S. 42/43), in diesem "ergeht ... die Verurteilung nach § 653 ZPO ohne nähere Prüfung des Unterhaltsanspruchs", deshalb "kann das nach § 653 Abs. 1 Satz 3 ZPO im Kindschaftsprozess ausgeschlossene Verlangen auf ... Herabsetzung des Unterhalts im Rahmen der Klage auf Abänderung nach § 654 ZPO geltend gemacht werden" (BT-Drs. 13/7338 S. 43, Abs. 2 der amtlichen Begründung zu § 654 Abs. 1 ZPO), während dem Regelbetragsverfahren die Funktion zukommt, "in einem unkomplizierten und zügigen Verfahren den Kindern zu einem Titel jedenfalls über einen solchen Unterhaltsbetrag zu verhelfen, der für die Mehrzahl der Leistungsverpflichteten tragbar ist", (BT-Drs. 13/7338 S. 59) und "etwaige Korrekturen des Titels in das Abänderungsverfahren nach § 654 zu verlagern" (wie vor S. 58).
d) Der Senat sieht sich daher nicht veranlasst, von seiner ständigen Rechtsprechung, wonach Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners, auch wenn sie als "offensichtlich" bezeichnet wird, im Annexverfahren zur Vaterschaftsfeststellung nicht geltend gemacht werden kann, abzuweichen. Eine Auseinandersetzung mit den diesen Einwand im Rahmen des früheren § 643 ZPO a. F. für diskutabel haltenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte Stuttgart (FamRZ 1996, 621, 622 = DAVorm. 1995, 382, 385; DAVorm. 1995, 387) und Karlsruhe (FamRZ 1993, 712) hat sich schon deshalb erübrigt, weil die genannten Gerichte im jeweils entschiedenen Fall eine "Offensichtlichkeit" der Leistungsunfähigkeit verneint haben und es daher auf die Relevanz ihrer Einwendbarkeit im Ergebnis nicht ankam. Der neueren, zwar ebenfalls noch zum früheren § 643 ZPO a. F. ergangenen, aber Übereinstimmung mit § 653 ZPO annehmenden Entscheidung des OLG Brandenburg (FamRZ 2000, 1581, 1583 = DAVorm. 2000, 496, 500/501) - die hinsichtlich der Formulierung der Grundsätze mit einer weiteren Entscheidung desselben Gerichts (DAVorm. 2000, 502, 503), in der es § 653 ZPO angewandt hat, nur schwer zu vereinbaren ist - vermag der Senat keine über die bloße These der Einwendbarkeit "offensichtlicher" Leistungsunfähigkeit hinausgehende rechtliche Argumentation zu entnehmen; sie bietet schon deshalb keinen Ansatz für eine grundsätzliche Auseinandersetzung. Demgegenüber wird die gleiche Rechtsansicht wie vom Senat von den Oberlandesgerichten Hamm (DAVorm. 2000, 65, 66 = ZfJ 2000, 477) und Bremen (DAVorm. 2000, 429) sowie in der Kommentarliteratur von Zöller/Philippi (22. Aufl., Rz. 4 zu § 653 ZPO) vertreten.
2. Die Berufung ist mutwillig, sofern sie darauf setzt, dass die Situation des § 653 Abs. 1 Satz 2 ZPO noch - sei es durch Teilrücknahme der Klage, sei es durch Vergleich - eintreten könnte. Ein sich im Vaterschaftsfeststellungsprozess auf eigene Kosten und nicht auf Kosten der Staatskasse verteidigender Mann, der sich für den Unterhalt für leistungsunfähig hält, hätte die Frage, ob und gegebenenfalls für welche Zeit und in welchem Umfang das Kind den Einwand der Leistungsunfähigkeit akzeptiert, die Einschränkung der Leistungsfähigkeit also "unstreitig" stellt und demzufolge nur einen geringeren Unterhalt als den Regelbetrag verlangt oder zeitweilig keinen Unterhalt einklagt, rechtzeitig außergerichtlich oder jedenfalls noch im ersten Rechtszug klären lassen. Im Misserfolgsfalle hätte er das gegenüber einem Berufungsverfahren deutlich billigere Abänderungsverfahren nach § 654 ZPO betrieben. Der Beklagte hingegen hat den Einwand der Leistungsunfähigkeit erstmals in der Berufungsbegründung erhoben. Die Beschreitung des Berufungsrechtszuges nur um in Erfahrung zu bringen, ob das Kind möglicherweise die jetzt behauptete Leistungsunfähigkeit - ganz oder teilweise - "unstreitig" stellen wird, ist keine die Unterstützung mit Steuermitteln verdienende sinnvolle und auf kostengünstige Rechtswahrung bedachte Prozessführung (so auch OLG Hamm a. a. O.). Seiner etwaigen Bereitschaft, dem Beklagten entgegenzukommen, kann das Kind außergerichtlich (für die Vergangenheit etwa durch Vollstreckungsverzicht) und im gerichtlichen Abänderungsverfahren nach § 654 ZPO (etwa durch sofortiges Anerkenntnis) - ohne das es sonst treffende Prozesskostenrisiko bei einem Nachgeben im derzeitigen Berufungsverfahren - Ausdruck verleihen.
3. Letztlich bliebe der Berufung der Erfolg auch dann versagt, wenn der Einwand fehlender Unterhaltsleistungsfähigkeit im Vaterschaftsfeststellungsverbund nicht gänzlich ausgeschlossen wäre.
a) Die Grenzen der möglichen Berücksichtigung nach dem früheren § 643 ZPO a. F. hat das OLG Stuttgart (FamRZ 1996, 621, 622 = DAVorm. 1995, 382, 385) in einer äußerst engen Näherung zum Grund des Unterhaltsanspruchs gesehen, die nur dann vorliegt, "wenn die Leistungsunfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ... so offensichtlich ist, dass es keiner weiteren Feststellungen bedarf, also in keiner Weise ersichtlich ist, dass dem Unterhaltsgläubiger in einem Nachverfahren [sc. jetzt: Abänderungsklage-Verfahren] ein herabgesetzter, wenn auch geringer Unterhaltsanspruch verbleiben könnte. ... Im Annexverfahren kann der Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit immer dann nicht greifen, wenn sein Erfolg von Wertungen abhängt und zu diesem Einwand unter Berücksichtigung der konkreten Sachlage unterschiedliche Auffassungen vertreten werden können. ..., die Klärung streitiger Fragen zur tatsächlichen und rechtlichen Bewertung der Leistungsfähigkeit [wird] in das Abänderungsverfahren verwiesen". Solche Wertungsprobleme hat das OLG Stuttgart in der Konkurrenz zwischen der Arbeitspflicht des beklagten Mannes zur Erzielung von Unterhaltseinkommen und seinem Recht auf Ausbildung gesehen. Bei einem gleich gelagerten Wertungskonflikt hat auch das OLG Karlsruhe (FamRZ 1993, 712, 713) den Leistungsunfähigkeitseinwand in das Abänderungsverfahren verwiesen; auf "eine allenfalls vorübergehende Leistungsunfähigkeit, wie sie durch eine Berufsausbildung hervorgerufen werden kann", könne sich der Mann im Unterhaltsannex zum Statusverfahren nicht berufen. Auch nach Auffassung des OLG Brandenburg (FamRZ 2000, 1581, 1583 = DAVorm. 2000, 496, 501) kommt eine Berücksichtigung nur in Frage, wenn die eingewandte Leistungsunfähigkeit offensichtlich dauerhaft ist; allerdings hat es diese Voraussetzung (bei einem Schüler) bejaht, wenn die Leistungsfähigkeit begründende Umstände weder jetzt feststehen noch ihr unzweifelhafter Eintritt unmittelbar bevorsteht.
b) Der Beklagte begründet seine Leistungsunfähigkeit mit seiner Inhaftierung. Er verbüßt seit dem 19. November 2000 infolge Widerrufs der nach Teilverbüßung gewährten Aussetzung zur Bewährung zwei Restfreiheitsstrafen; das Haftende ist auf den 17. November 2001 errechnet. In Betracht kommt noch die anschließende Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 16. Mai 2002, die jedoch durch Zahlung von (180 Tagessätzen zu 50 DM =) insgesamt 9.000 DM abgewendet werden kann. Dem Personalblatt der Justizvollzugsanstalt zufolge hat er einen Beruf nicht erlernt, hat aber zuletzt eine Tätigkeit als Arbeiter ausgeübt. Hiernach ist weder offensichtlich, dass der Beklagte in der Zeit zwischen der Geburt des Kindes (19. April 2000) und der Festnahme (19. November 2000) keinen Unterhalt leisten konnte, noch dass er nach seiner zeitlich absehbaren Entlassung aus der Haft in etwa 3 ? Monaten oder - bei Verbüßung auch der Ersatzfreiheitsstrafe - in 9 ? Monaten dauerhaft keinen Unterhalt wird leisten können und sich auf dieses Unvermögen berufen darf, zumal er, falls er seinen Arbeitsplatz verloren haben sollte, auch während der Haftzeit verpflichtet ist, sich um eine anschließende Erwerbstätigkeit zu bemühen. Ob das klagende Kind das Leistungsunvermögen während der Dauer der Inhaftierung des Beklagten gegen sich gelten lassen muss, kann im Rahmen des § 653 ZPO dahinstehen; eine Haftzeit von 12 Monaten bzw. - bei Verbüßung auch der Ersatzfreiheitsstrafe - von insgesamt 18 Monaten ist vorübergehender und nicht von so dauerhafter Natur, dass es gerechtfertigt wäre, die Verurteilung zum Regelbetrag, auf den sich das Kind durch entsprechenden Antrag (§ 653 Abs. 1 Satz 2 ZPO) auch für die Zeit ab 1. Januar 2001 das hälftige Kindergeld voll (und nicht nur nach Maßgabe der Neufassung des § 1612 b Abs. 5 BGB) anrechnen lässt, für die durch die Haftzeit eingegrenzte Zeitspanne zu "unterbrechen" und für diesen zeitlichen Ausschnitt von der Verweisung des Beklagten auf das Verfahren nach § 654 ZPO, das er bei Weiterverfolgung seines Antrags auf zeitlich uneingeschränkte und vollständige Abweisung des Unterhaltsantrags des Kindes bereits ab dessen Geburt ohnehin betreiben muss, abzusehen.
Ende der Entscheidung
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