Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 23.06.2004
Aktenzeichen: 16 W 34/04
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 2
Zur Frage der Anordnung von Abschiebehaft im Anschluss an eine künftig mögliche Strafhaft.
16 W 34/04

Beschluss

In der Abschiebehaftsache

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter ####### sowie die Richter ####### und ####### am 23. Juni 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 29. Januar 2004 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Abschiebehaft vom 3. Oktober 2003 bis 23. Oktober 2003 rechtswidrig gewesen ist.

Für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde wird dem Betroffenen unter Beiordnung von Rechtsanwalt ####### in ####### Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste erstmals im Jahr 1995 unerlaubt in das Bundesgebiet ein. Im April 2001 reiste er erneut ohne Pass bzw. Visum ein mit dem Ziel, eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten. In der Folgezeit tauchte er im Bundesgebiet unter und wurde schließlich im Rahmen eines Polizeieinsatzes am 1. Januar 2003 in ####### festgenommen. Am gleichen Tag erließ das AG Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz u. a., so dass sich der Betroffene seit dem in Untersuchungshaft befand, an die sich - nach Rechtskraft der gegen ihn schließlich verhängten Freiheitsstrafe von 9 Monaten - ab dem 22. Juli 2003 bis zum 2. Oktober 2003 die Strafhaft anschloss.

Bereits am 16. Januar 2003 hatte das AG Hannover Abschiebehaft längstens für die Dauer von drei Monaten, beginnend mit der Entlassung des Betroffenen aus der Untersuchungs- bzw. Strafhaft angeordnet. Im Anschluss an die o. g. Strafhaft befand sich der Betroffene in Abschiebehaft bis zu seiner am 23. Oktober 2003 erfolgten Abschiebung.

Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hatte am 16. Oktober 2003 die Aufhebung des Haftbeschlusses und sofortige Freilassung (Bl. 1 ff.) und nach erfolgter Abschiebung die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung beantragt, die vom AG mit Beschluss vom 6. Januar 2004 (Bl. 68 ff.) zurückgewiesen worden ist. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde ist ebenso erfolglos geblieben (Beschluss des LG Hannover vom 29. Januar 2004 (Bl. 81 ff.). Auf die Beschlüsse wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Dagegen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen, der seine Inhaftierung aus verschiedenen Gründen für rechtswidrig hält und Prozesskostenhilfe beantragt. Auf die Beschwerdeschrift wird Bezug genommen (Bl. 97 ff.).

II.

Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 103 Abs. 2 AuslG, 3 Satz 2 FEVG, 27, 29 FGG). Sie ist im Ergebnis auch begründet.

1. Soweit der Betroffene rügt, der Haftbeschluss des Amtsgerichts vom 16. Januar 2003 sei am 3. Oktober 2003 (Beginn der Abschiebehaft nach Beendigung der Strafhaft) wegen Zeitablaufes nicht mehr vollziehbar gewesen, vermag sich der Senat dieser Auffassung auch in Ansehung der Entscheidung des BVerfG (2 BvR 1992/92) nicht anzuschließen.

Jene Entscheidung betrifft richterliche Durchsuchungsanordnungen und ist nicht übertragbar auf die Verhältnisse der Abschiebehaft. Im vorliegenden Fall geht es um die Anordnung von Abschiebehaft am 16. Januar 2003 zu einem Zeitpunkt, als sich der Betroffene bereits in Untersuchungshaft befand. Das AG musste und konnte bei seiner Entscheidung lediglich berücksichtigen, dass die Abschiebung durch die Haft gesichert wäre. Deshalb unterliegt es angesichts der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 129, 98) keinen Bedenken, die Abschiebehaft erst mit dem Ende der Untersuchungshaft beginnen zu lassen, wie es hier das Amtsgericht auch angeordnet hat. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem nicht entgegen, zumal der Betroffene jederzeit die Möglichkeit hat, die Frage der Haft nach § 10 FEVG überprüfen zu lassen, was er hier mit seinem Antrag vom 16. Oktober 2003 auch wahrgenommen hat.

Wollte man das anders sehen, wäre die Beteiligte (völlig lebensfremd) im Falle von Untersuchungshaft gegen den Betroffenen gezwungen, alle paar Tage einen neuen Haftbeschluss beim Amtsgericht zu beantragen, um einer möglicherweise drohenden plötzlichen Entlassung des Betroffenen aus der Untersuchungshaft und dem nachfolgenden immerhin möglichen Untertauchen in die Illegalität vorzubeugen, was nicht praxisgerecht wäre. Die Beteiligte musste praktisch jeden Tag damit rechnen, dass die Untersuchungshaft aus welchen Gründen auch immer (Wegfall des dringenden Tatverdachts, des Haftgrundes, der Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes oder der Verhältnismäßigkeit) innerhalb von Stunden beendet und der Betroffene aus der Haft entlassen wurde und dann die Möglichkeit des Untertauchens erhält und sich so der gebotenen Abschiebung entzieht. Das zu verhindern ist gerade die Anordnung der Haft nach § 57 AuslG unter den dort genannten Voraussetzungen geschaffen, so dass es gerade bei in Untersuchungshaft befindlichen Ausländern geboten sein kann, die Abschiebehaft im Anschluss an zur Zeit noch laufende (aber möglicherweise plötzlich endende) Untersuchungshaft anzuordnen.

2. Die sofortige weitere Beschwerde ist jedoch aus einem anderen Grund im Ergebnis begründet.

Der Bundesgerichtshof hat sich in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1995 (BGHZ 129, 98; 129, 383) mit der Frage der Anordnung von Abschiebungshaft im Anschluss an eine (1) im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende Untersuchungshaft und (2) eine möglicherweise zu erwartende Strafhaft befasst. Er hat entschieden, dass die Anordnung von Abschiebehaft im Anschluss an eine im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende Untersuchungshaft zulässig ist, nicht jedoch im Anschluss an eine künftig zu erwartende, aber noch nicht verhängte Strafhaft.

Dieser letztere Fall liegt auch im hier zu entscheidenden Beschwerdeverfahren vor. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts (16. Januar 2003) befand sich der Betroffene in Untersuchungshaft. Es begegnete deshalb auf dem Boden der Rechtsprechung des BGH keinen rechtlichen Bedenken, die Abschiebehaft im Anschluss an diese bestehende Untersuchungshaft anzuordnen. Die gleichzeitige Anordnung der Abschiebehaft im Anschluss an (spätere) im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht verhängte Strafhaft war dagegen unzulässig (BGHZ 129, 383). Entscheidend ist danach, ob eine im Hinblick auf den grundgesetzlich garantierten Schutz der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 1, 104 GG) ausreichend klare und eindeutige Grundlage für Anordnung, Dauer und Vollzug der Abschiebungshaft vorliegt. Eine bestimmte Strafhaft, an die sich die Abschiebungshaft hätte anschließen können, war im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts am 16. Januar 2003 noch nicht verhängt. Abschiebungshaft darf aber nur im Anschluss an eine solche Haft angeordnet werden, die der Haftrichter in seine Beurteilung, ob überhaupt Abschiebungshaft erforderlich ist, einbezogen hat und einbeziehen konnte. Das ist nicht der Fall bei einer erst nach Erlass der Haftentscheidung möglicherweise später verhängten Strafhaft.

Im vorliegenden Fall hat sich diese unzulässige Entscheidung des Amtsgerichts auch ausgewirkt. Nach den dazu von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen befand sich der Betroffene vom November 2003 bis zum 21. Juli 2003 in Untersuchungshaft und - nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils seit dem 22. Juli 2003 bis zum Strafende am 2. Oktober 2003 in Strafhaft. Ab dem 3. Oktober 2003 wurde dann die Abschiebungshaft (im Anschluss an die Strafhaft) vollzogen bis zu der am 23. Oktober 2003 erfolgten Abschiebung des Betroffenen. Für diese Haft fehlte es aber an einer rechtlichen Grundlage, die der Haftbeschluss vom 16. Januar 2003 aus den oben dargelegten Gründen nicht bot. Daraus folgt, dass die Abschiebungshaft für den im Tenor genannten Zeitraum rechtswidrig gewesen ist, es hätte nur vor dem 22. Juli ein Abschiebehaftbefehl beantragt und erlassen werden können.

3. Weil die weitere Beschwerde damit bereits Erfolg hat, braucht auf die weiteren Aspekte der Beschwerdeschrift nicht mehr eingegangen zu werden.

4. Für das Verfahren der weiteren Beschwerde war dem Betroffenen mithin auch Prozesskostenhilfe zu gewähren.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 103 Abs. 2 AuslG, 16 FEVG. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten durch den Beteiligten kommt danach nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

Zurück