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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 09.12.2002
Aktenzeichen: 16 W 72/02
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 719 Abs. 1 Satz 2 |
16 W 72/02
Beschluss
In der Beschwerdesache
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle am 9. Dezember 2002 durch den Vorsitzenden Richter #######, den Richter ####### und die Richterin ####### beschlossen:
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg - Einzelrichter - vom 10. Oktober 2002, dieser in Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 14. November 2002, dahin geändert, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Lüneburg vom 11. September 2002 ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt wird.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdegegnerin zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 6.600 € festgesetzt.
Gründe:
1. Das Rechtsmittel der Beklagten ist hier ausnahmsweise statthaft und zulässig, da es sich nicht gegen die Ermessensentscheidung des Landgerichts selbst richtet, sondern geltend macht, die rechtlichen Voraussetzungen des Ermessens seien verkannt worden. In solchen Fällen ist grundsätzlich auch die Beschwerde gegen sonst unanfechtbare Entscheidungen über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil zulässig (vgl. z. B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. August 2001, Az. 10 W 71/01; OLG Köln, Beschluss vom 1. Oktober 1999, Az. 16 W 24/99; OLG Celle, Beschluss vom 31. März 1999, Az. 16 W 21/99; OLG Dresden, Beschluss vom 22. Januar 1996, Az. 16 W 48/96, sämtlichst zitiert nach JURIS).
Dem steht auch nicht der Beschluss des 2. Zivilsenats des OLG Celle vom 24. September 2002 (Az. 2 W 57/02, OLG-Report 2002, 304 ff.) entgegen, wonach es seit dem Inkrafttreten der ZPO-Reform 2001 eine außerordentliche weitere Beschwerde gegen unanfechtbare Entscheidungen der Beschwerdegerichte im zivilprozessualen Instanzenzug nicht mehr geben könne, denn die Gefahr, dass der Rechtsbehelf hier nicht in das Instanzensystem der ZPO integriert werden kann, besteht bei der erstmaligen Anrufung einer höheren Instanz gerade nicht.
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
Das Landgericht hat seinen Ermessensspielraum verkannt, weil es die Voraussetzungen des § 719 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz ZPO als nicht gegeben angesehen hat, obwohl der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, gegen die im Termin vom 11. September 2002 Versäumnisurteil ergangen ist, durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, dass er an einem rechtzeitigen Erscheinen im Termin durch einen unvorhergesehenen Verkehrsstau gehindert gewesen ist (so in einem vergleichbaren Fall auch OLG Dresden, a. a. O.). Es hat die Anordnung der Sicherheitsleistung nämlich nicht etwa darauf gestützt, dass Zweifel an dem eidesstattlich versicherten Geschehensablauf bestünden oder die Glaubhaftmachung unvollständig sei; vielmehr hat es die Auffassung vertreten, die Säumnis sei verschuldet, weil mit Verkehrsbehinderungen auf Autobahnen stets zu rechnen sei.
Diese dem angefochtenen Beschluss zugrunde gelegte Auffassung ist jedoch nicht haltbar: Der pauschale Hinweis, mit Verkehrsbehinderungen auf Autobahnen müsse immer gerechnet werden, überspannt die Anforderungen, die an die Prozessbeteiligten und ihre Vertreter zu stellen sind. Ihm ist auch nicht zu entnehmen, was denn eine Partei oder ein Anwalt tun müsse, um verkehrsbedingte Verspätungen bzw. eine schuldhafte Säumnis zu vermeiden. Konkret: Muss ein Celler Anwalt, der nach Lüneburg zu fahren hat, 1 Stunde 'Sicherheitszuschlag' einplanen, 2 Stunden oder gar 3 Stunden? Wo ist im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit eine vernünftige Grenze zu ziehen?
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Beklagtenvertreter in seiner Beschwerdeschrift vom 29. Oktober 2002 dargelegt und glaubhaft gemacht hat, dass er zu der üblichen Fahrtzeit von 1 Stunde 15 Minuten tatsächlich bereits eine halbe Stunde hinzugerechnet hatte. Da besondere Umstände wie Glatteis, Stauwarnungen oder Ähnliches nicht vorlagen, ist nicht ersichtlich - und vom Landgericht auch nicht nachvollziehbar dargetan -, dass er die an ihn vernünftigerweise zu stellenden Sorgfaltsanforderungen damit nicht erfüllt hätte. An der hinreichenden Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens bestehen daher keine Zweifel.
Die Zwangsvollstreckung war somit auf den entsprechenden Antrag der Beklagten ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, ohne dass insofern noch ein Ermessen des Gerichts bestand (vgl. OLG Celle, a. a. O.).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Entgegen Thomas/Putzo (a. a. O., § 572 Rn. 24) ist eine Entscheidung über die Kosten auch veranlasst (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. November 1995, Az. 4 W 202/95, Nds. Rpfl. 1996, 11 f.).
Ende der Entscheidung
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