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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 19.12.2008
Aktenzeichen: 2 W 272/08
Rechtsgebiete: RVG VV


Vorschriften:

RVG VV Nr. 3201
RVG VV Nr. 3202
Vergleichen sich Parteien in einem Verhandlungstermin über rechtshängige und nicht rechtshängige Ansprüche und vereinbaren sie hinsichtlich der Kosten, dass die Kosten des Rechtsstreits quotiert werden und die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben werden, so sind die etwaigen durch die Verhandlungen über die nicht rechtshängigen Ansprüche verdienten anwaltlichen Gebühren bzw. Gebührenerhöhungen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen.
2 W 272/08

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. L. als Einzelrichter am 19. Dezember 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 18. November 2008 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 30. Oktober 2008 geändert.

Die aufgrund des vollstreckbaren Vergleiches des Oberlandesgerichts Celle vom 12. August 2008 von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 2.697,15 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 20. Oktober 2008 festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.346,96 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 46.038,91 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. In der Berufungsverhandlung vom 12. August 2008 haben die Parteien einen Widerrufsvergleich geschlossen, in dem sich die Beklagte unter Einschluss nicht rechtshängiger Ansprüche des Klägers verpflichtet hat, an den Kläger 150.000 EUR zu zahlen. Hinsichtlich der Kosten haben die Parteien vereinbart, dass die Kosten des Rechtsstreits zu 1/4 der Kläger und zu 3/4 die Beklagte trägt und die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben werden. Das Oberlandesgericht hat den Wert des Vergleiches auf 150.000 EUR festgesetzt. Der Vergleich ist nicht widerrufen worden.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Oktober 2008 hat die Rechtspflegerin die von der Beklagten an die Klägerin für die zweite Instanz zu zahlenden Kosten auf 4.044,11 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Hierbei hat sie antragsgemäß bei den außergerichtlichen Kosten des Klägers neben der 1,6 Verfahrensgebühr nach einem Gegenstandwert von 46.038,91 EUR eine zusätzliche 1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV-RVG angesetzt sowie die 1,2 Terminsgebühr nach einem Gegenstandswert von 150.000 EUR berechnet. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde.

II.

Die gemäß §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere form und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten ist in vollem Umfang begründet. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sind im Rahmen de Kostenausgleichung weder eine zusätzliche 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV-RVG zu berücksichtigen, noch ist die Terminsgebühr nach Nr. 3202 VV-RVG nach einem Streitwert von 150.000 EUR zu berechnen.

1. Das Landgericht hat sich bereits nicht mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG bzw. eine Terminsgebühr nach dem höheren Streitwert geltend gemacht werden können. Voraussetzung für den Anfall der Gebühr bzw. der nach einem erhöhten Wert zu berechnenden Gebühr ist, dass dem Rechtsanwalt zuvor für die geltend gemachten oder abgewehrten Ansprüche ein Auftrag zur Vertretung im gerichtlichen Verfahren erteilt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2008, Az. VII ZB 43/08 = AGS 2008, 582 f.). Feststellungen hierzu hat das Landgericht nicht getroffen und konnte sie auch nicht treffen, weil der Kläger im Verfahren eine solche Beauftragung zu keiner Zeit behauptet hat. Allein der Umstand, dass der Vergleich im Beisein des Klägers geschlossen worden ist, rechtfertigt nicht die Annahme einer ergänzenden Beauftragung für das gerichtliche Verfahren. Bereits aus diesem Grunde wäre die geltend gemachte Gebühr nach Nr. 3201 VV-RVG abzusetzen gewesen bzw. die Terminsgebühr nur nach dem Streitwert von 46.038,91 EUR zu berechnen gewesen.

2. Selbst wenn man annehmen würde, der Kläger habe seinem Prozessbevollmächtigten auch hinsichtlich der nicht rechtshängigen Ansprüche einen Auftrag zur Vertretung im gerichtlichen Verfahren erteilt, müsste die Beschwerde der Beklagten Erfolg haben. Denn wenn in einem gerichtlichen Vergleich eine bisher nicht rechtshängige Forderung einbezogen wird, können die aufgrund der Vergleichsverhandlungen erwachsenen Gebühren in der Regel nicht gemäß §§ 103 f. ZPO festgesetzt werden (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1731). Denn das Festsetzungsverfahren nach §§ 103 f. ZPO ist nur für "Prozesskosten" vorgesehen. Anwaltsgebühren sind nur insoweit Prozesskosten, als sie eine Tätigkeit des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren vergüten. Schließen aber die Parteien im Berufungsverfahren vor dem Berufungsgericht einen Vergleich, durch den nicht rechtshängige Ansprüche mitgeregelt werden, sind die hiermit im Zusammenhang stehenden Gebühren außerhalb des Prozesses angefallen, da die in den Vergleich einbezogenen Forderungen vor dem Abschluss des Vergleiches nicht rechtshängig waren. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sind mithin in einem Fall wie dem hier streitigen keine Gebühren festsetzungsfähig, soweit diese im Zusammenhang mit nicht rechtshängigen Ansprüchen stehen. Mithin hätte das Landgericht auch nur Verfahrens und Terminsgebühren für beide Parteien nach einem Gegenstandswert von 46.038,91 EUR im Rahmen der Kostenfestsetzung berücksichtigen dürfen.

3. Selbst wenn man annähme, der Kläger habe seine Prozessbevollmächtigten mit der gerichtlichen Wahrnehmung seiner Interessen auch im Hinblick auf die nicht rechtshängigen Ansprüche beauftragt, und man weiter annähme, die geltend gemachten Gebühren seien entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs festsetzungsfähig, hätte das Landgericht die geltend gemachte Verfahrensdifferenzgebühr nicht festsetzen dürfen und auch die Terminsgebühr nicht nach einem Gegenstandswert von 150.000 EUR ansetzen dürfen. Das Landgericht hat nicht zureichend berücksichtigt, dass eine Festsetzung nur dann in Betracht kommt, wenn eine Kostengrundentscheidung besteht, nach der eine Kostenfestsetzung möglich ist. Eine solche existiert im Rechtsstreit aber nicht.

Eine Kostenausgleichung käme nur dann in Betracht, wenn man die streitigen Gebühren als Kosten des Rechtsstreits ansehen würde. Das hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zwar angenommen, hierzu aber keine Begründung gegeben. Die Ausführungen der Rechtspflegerin stehen in keinem Zusammenhang mit entscheidungserheblichen Fragen. Ob die insoweit vom Kläger geltend gemachten Gebühren auch entstanden wären, wenn es zu keiner Einigung gekommen wäre, und ob es Voraussetzung für die Gebühren ist, ob die Einigung auch tatsächlich zustande kommt, hat nämlich nichts mit der Frage zu tun, ob es sich bei den geltend gemachten Gebühren um Kosten des Rechtsstreits oder Kosten des Vergleichs handelt.

Die Frage, ob es sich bei den geltend gemachten streitigen Gebühren um ausgleichsfähige Kosten des Rechtsstreits oder nichtausgleichsfähige Kosten des Vergleichs handelt, ist ausschließlich und allein danach zu beantworten, welchen Regelungsinhalt die Vereinbarung zwischen den Parteien über die Kosten im Vergleich hat. Nur dann, wenn die Einigung dahin zu verstehen wäre, dass die Parteien die durch die Gespräche und Verhandlungen über den Abschluss eines Vergleiches angefallenen Gebühren als Kosten des Rechtsstreits angesehen hätten, wären die streitigen Gebühren im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu berücksichtigen. Für die Frage, welchen Inhalt die vertragliche Abrede hat, ist es aber gänzlich ohne Belang, ob die Gebühren auch entstehen, wenn es zu keiner Einigung kommt, und die Gebühr schon dann entsteht, wenn eine Vergleichsprotokollierung erfolgt.

Dazu, welche Vorstellungen die Parteien bei Abschluss des Vergleiches hinsichtlich der hier streitigen Gebühren hatten, hat keine der Parteien vorgetragen. Auch dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2008 lässt sich insoweit nichts entnehmen.

Insoweit ist maßgeblich, was Parteien im allgemeinen damit meinen, wenn sie im Rahmen eines Vergleichsschlusses über rechtshängige und nicht rechtshängige Ansprüche vereinbaren, dass die Kosten des Rechtsstreits nach einer bestimmten Quote auszugleichen sind, die Kosten des Vergleichs aber jede Partei selbst zu tragen hat. Insoweit vertritt der Senat in Übereinstimmung mit der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung, dass eine Teilvereinbarung wie die streitgegenständliche in einem Vergleich regelmäßig dahin auszulegen ist, dass eventuelle Gebühren, die durch Anwaltsgespräche entstanden sind, die auf Erledigung ganz anderer Streitpunkte abzielen, nicht dem Rechtsstreit, sondern dem Vergleich zuzuordnen sind (vgl. OLG Hamm JurBüro 1998, 544 und 2003, 22. HansOLG Hamburg, MDR 1999, 1527. OLG Köln, MDR 2001, 653. OLG Frankfurt, AGS 2003, 516. OLG Brandenburg MDR 2006, 1017. OLG Koblenz, AGS 2007, 367). Denn Parteien dürfte bei einer solchen Regelung im Vergleich regelmäßig nach dem allgemeinen Sprachverständnis die Vorstellung haben, dass sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit dem Vergleichsschluss stehen, von der Partei selbst zu tragen sind, wenn der Vergleich zustande kommt, und damit eben auch die Verfahrensdifferenzgebühr und die Erhöhung der Terminsgebühr.

4. Für den Streitfall bedeutet dies, dass hinsichtlich beider Parteien eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV-RVG nach einem Streitwert von 46.038,91 EUR in Höhe von 1.673,60 EUR anzusetzen ist, sowie eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3202 VV-RVG bei gleichem Streitwert in Höhe von 1.255,20 EUR. Zzgl. der unstreitigen Positionen der Telekommunikationspauschale, der Fahrtkosten sowie der Tage und Abwesenheitsgelder sind außergerichtliche Kosten des Klägers in Höhe von 3.657,82 EUR in die Kostenausgleichung einzustellen, außergerichtliche Kosten der Beklagten in Höhe von 3.562,86 EUR. Zusammen sind damit außergerichtliche Kosten in Höhe von 7.220,68 EUR entstanden. Davon hat der Kläger 1/4 = 1.805,17 EUR zu tragen. Bei eigenen Kosten in Höhe von 3.657,82 EUR ergibt sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von 1.852,65 EUR. Unter Berücksichtigung des Ausgleichsanspruchs hinsichtlich der Gerichtskosten in Höhe von 844,50 EUR ergibt sich ein von der Beklagten an den Kläger zu erstattender Betrag in Höhe von insgesamt 2.697,15 EUR.

5. Die Kostenentscheidung rechtfertigt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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