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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 28.05.2001
Aktenzeichen: 2 W 65/01
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 4
InsO § 6
InsO § 7
ZPO § 850 f
1. Es kann offen bleiben, ob das Insolvenzgericht über einen Antrag des Schuldners auf Heraufsetzung seines pfändungsfreien Einkommens im Verfahren nach § 11 Abs. 2 RPflG abschließend zu entscheiden hat, oder ob auch für eine solche Entscheidung der Instanzenzug der Insolvenzordnung eröffnet ist.

2. Der Grundsatz, dass dem Betroffenen eines staatlichen Verfahrens in jedem Fall das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum zu belassen ist, gilt auch im Insolvenzverfahren und muss von den Insolvenzgerichten bei der Anwendung der §§ 850 ff. ZPO beachtet werden.

3. Die Entscheidung der Frage, ob dem Schuldner wegen seiner vermehrten Bedürfnisse ein erhöhter pfändungsfreiere Betrag zuzugestehen ist, kann auch im Insolvenzverfahren weder den Gläubigern überlassen bleiben, noch in einem Feststellungsrechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten zwischen Schuldner und Treuhänder geklärt werden.


2 W 65/01

Beschluss

In dem Verbraucherinsolvenzverfahren

pp.

am Verfahren beteiligt:

pp.

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richter am Oberlandesgericht ####### und #######

am 28. Mai 2001 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde des Schuldners vom 18. April 2001 gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 28. Februar 2001 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Schuldner zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.700 DM festgesetzt.

Gründe:

Mit dem nach Erklärung der Betreuerin des Schuldners vom 10. Mai 2001 als soortige weitere Beschwerde zu behandelnden Antrag vom 18. April 2001 wendet sich der Schuldner, vertreten durch seine Betreuerin, gegen einen Beschluss des Landgerichts, in dem das Landgericht einem Antrag des Schuldners auf Heraufsetzung des unpfändbaren Betrages seiner Einkünfte gemäß § 850 f ZPO teilweise stattgegeben hat. Der Schuldner begehrt im Hinblick auf den erhöhten Betreuungsaufwand, der durch eine schwerwiegende Erkrankung eingetreten ist, die zu einer langwierigen stationären Unterbringung des Schuldners geführt hat, eine weitere Heraufsetzung des pfändungsfreien Betrages seiner Einkünfte, nachdem das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss eine abweisende Entscheidung des Insolvenzgerichts insoweit teilweise geändert hat, als es den pfändungsfreien Betrag um 200 DM bereits heraufgesetzt hat.

I.

Die gegen den Beschluss des Landgerichts vom 28. Februar 2001, der Betreuerin des Schuldners zugestellt durch Niederlegung am 19. März 2001, eingelegte sofortige weitere Beschwerde des Schuldners ist unzulässig. Der Antrag auf Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde ist nicht innerhalb der Notfrist des § 577 Abs. 2 S. 1 ZPO, die auf die Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde nach § 7 Abs. 1 InsO entsprechend anzuwenden ist (s. OLG Köln, ZIP 2000, 463; Hess, InsO, 2. Aufl., § 7 Rn. 43; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 7 Rn. 8; Prütting, in: Kübler/Prütting, InsO, § 7 Rn. 19), eingelegt worden. Auf die weitergehende Frage, ob überhaupt eine Entscheidung im Insolvenzverfahren gegeben ist, die mit der sofortigen weiteren Beschwerde nach § 7 Abs. 1 InsO angegriffen werden kann, ob eine Gesetzesverletzung durch das Landgericht ausreichend dargetan ist und weiterhin eine Rechtsfrage zur Entscheidung gestellt wird, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat, kommt es im Hinblick auf die nicht fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde nicht an. Das Rechtsmittel ist schon deshalb als unzulässig zu verwerfen, weil die sofortige weitere Beschwerde nicht in zulässiger Art und Weise eingelegt worden ist (s. auch Senat, Beschl. v. 13. September 2000 - 2 W 85/00 -, ZInsO 2000, 556 = ZIP 2000, 1192 = DZWIR 2001, 75 m. Anm. Becker).

II.

Der Senat merkt jedoch im Hinblick auf weitere Verfahren der vorliegenden Art vorsorglich an, dass zweifelhaft sein kann, ob gegen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts nach § 4 InsO i. V. m. §§ 850 ff. ZPO im Instanzenzug der Insolvenzordnung überhaupt ein Rechtsmittel gegeben ist. Zwar hat der Senat diese Frage vorliegend nicht abschließend zu entscheiden, weil ohnehin kein zulässiges Rechtsmittel vorliegt. Im Hinblick auf das Fehlen einer Auseinandersetzung der Vorinstanzen mit der Frage, ob Beschlüsse über die Heraufsetzung der Pfändungsfreigrenzen im Rahmen des Insolvenzverfahrens mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden können, weist der Senat jedoch vorsorglich darauf hin, dass nach Auffassung mehrerer anderer Oberlandesgerichte gegen derartige Entscheidungen ein Rechtsmittel nach § 6 Abs. 1 InsO - entgegen der hier zumindest inzident vom Landgericht vertretenen Auffassung - nicht statthaft ist, weil eine ausdrückliche Anordnung der sofortigen Beschwerde i. S. d. § 6 Abs. 1 InsO fehlt (s. hierzu OLG Frankfurt/M., ZInsO 2000, 614 = NZI 2000, 531 = DZWIR 2000, 32; OLG Hamburg, Beschl. v. 4. Januar 2001 - 6 W 69/00 -; OLG Köln, ZInsO 2000, 499, dazu Grote, ZInsO 2000, 490 f.; OLG Köln, ZInsO 2000, 603 = ZIP 2000, 274 = NZI 2000, 590). Insolvenzgericht und Landgericht werden deshalb im Fall einer erneuten Befassung mit einem vergleichbaren Sachverhalt zu prüfen haben, ob eine sofortige Beschwerde nach § 6 Abs. 1 InsO gleichwohl zulässig ist, oder ob - wie die zuvor zitierten Oberlandesgerichte entschieden haben - das Insolvenzgericht im Verfahren nach § 11 Abs. 2 RPflG abschließend über die Frage der Anwendung der §§ 850 ff. ZPO zu entscheiden hat. Der Senat lässt dabei die Frage, ob er zukünftig im entsprechenden Beschwerdeverfahren die sofortige weitere Beschwerde zulassen und das Verfahren dem BGH gemäß § 7 Abs. 2 InsO zur Entscheidung vorlegen wird, ausdrücklich offen.

III.

In sachlicher Hinsicht weist der Senat allerdings vorsorglich darauf hin, dass entprechend den Ausführungen des OLG Köln (ZInsO 2000, 499; ZInsO 2000, 603) auch im Insolvenzverfahren die Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts, die dem Schuldner ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen sollen, zu beachten sind. Eine kategorische Ablehnung der Anwendung dieser Vorschriften, wie sie vorliegend durch das Insolvenzgericht erfolgt ist, kann im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Beachtung der Menschenwürde und des Sozialstaatsrinzips keinen Bestand haben. Inhaltlich ist die Entscheidung des Landgerichts, den dem Schuldner zuzubilligenden pfändungsfreien Betrag im Hinblick auf desen äußerst schwerwiegende Erkrankung heraufzusetzen deshalb auch nicht zu beanstanden. Die Frage, ob bei der Festsetzung des Unterhaltsbedarfs des Schuldners ein Mehraufwand zu berücksichtigen ist, kann auch im Insolvenzverfahren nicht der Entscheidung der Gläubiger überlassen werden, sondern muss anhand der gesetzlichen Regelungen des Zwangsvollstreckungsrechts entschieden werden.

IV.

Der Senat weist insoweit im Hinblick auf eine mögliche Nichtbeachtung dieser Grundsätze vorsorglich weiter darauf hin, dass eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips, die in der Nichtanwendung der §§ 850 ff. ZPO zum Ausdruck kommen kann, im Einzelfall auch eine außerordentliche Beschwerde wegen 'greifbarer Gesetzwidrigkeit' rechtfertigen könnte, sofern man die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde nach § 6 Abs. 1 InsO und einer sofortigen weiteren Beschwerde nach § 7 Abs. 1 InsO verneint. Auch im Hinblick darauf, dass eine Entscheidung über die Heraufsetzung der Pfändungsfreigrenzen im Insolvenzverfahren keine Entscheidung im Zwangsvollstreckungsverfahren darstellt und deshalb auch ein Rechtsmittel nach § 793 ZPO nicht gegeben ist, kann eine Nichtbeachtung des Grundsatzes, dass dem Schuldner in jedem rechtsstaatlichen Verfahren das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum zu belassen ist, nicht folgenlos bleiben. Eine Entscheidung, wie sie etwa das AG Köln (ZInsO 2001, 139 ff.) mit der Verweisung des Schuldners auf den Weg der Klage gegen den Treuhänder zwecks Bestimmung der Pfändungsfreigrenzen getroffen hat, ist für den Senat inakzeptabel und müsste unabhängig von der Frage, in welchem Rechtszug die Entscheidung zu überprüfen ist, geändert werden.

Vorliegend ist die Zulassung des Rechtsmittels als außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit allerdings schon deshalb nicht geboten, weil sich das Landgericht ausführlich und zutreffend mit den Anträgen des Schuldners zur Heraufsetzung der Pfändungsfreigrenzen auseinandergesetzt und den Belangen des Schuldners in adäquater Art und Weise Rechnung getragen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 InsO i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts ist in Übereinstimmung mit der nicht angegriffenen Wertfestsetzung durch das Beschwerdegericht erfolgt.

Ende der Entscheidung

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