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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 13.08.2007
Aktenzeichen: 2 W 70/07
Rechtsgebiete: GKG, BGB


Vorschriften:

GKG § 38
BGB § 276
Die Verhängung einer Verzögerungsgebühr ist gerechtfertigt, wenn eine Partei im Termin zur mündlichen Verhandlung in die Säumnis flieht, um der gem. § 296 ZPO drohenden Zurückweisung verspäteten neuen Vorbringens im Termin zu entgehen.
2 W 70/07

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden am Oberlandesgericht R., den Richter am Amtsgericht Dr. L. und den Richter am Oberlandesgericht B. am 13. August 2007 beschlossen:

Tenor:

Die am 18. Juli 2007 beim Landgericht Bückeburg eingegangene Beschwerde der Beklagten vom selben Tage gegen den Beschluss des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 27. Juni 2007 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 398 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die gem. § 69 Abs. 1 Satz 1 und 2 i. V. m. §§ 66 Abs. 3 GKG zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Beschluss des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 27. Juni 2007, durch den gegen die Beklagten jeweils eine besondere Gebühr gem. § 38 GKG festgesetzt worden ist, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.

1. Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Verzögerungsgebühr gem. § 38 GKG lagen vor. Durch Verschulden der Beklagten war die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig, weil die Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Mai 2007 die sog. "Flucht in die Säumnis" angetreten und danach gegen das erlassene Versäumnisurteil Einspruch eingelegt haben.

Die Beklagten haben erst im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Mai 2007 neuen Sachvortrag in den Prozess eingeführt, obwohl sie diesen Sachvortrag bei Beachtung der ihnen obliegenden Prozessförderungspflicht (§ 282 Abs. 1 ZPO) früher hätten halten können und müssen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in seinem Beschluss vom 27. Juni 2007 Bezug genommen.

Die Klage ist beiden Beklagten am 12. Dezember 2006 zugestellt worden, nachdem das Landgericht Bückeburg mit Verfügung vom 7. Dezember 2006 das schriftliche Vorverfahren angeordnet hatte. Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2006, beim Landgericht eingegangen am 2. Januar 2007, haben die Beklagten ihre Verteidigungsbereitschaft angezeigt und sodann nach Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 31. Januar 2007 auf die Klage erwidert. In der Klageerwiderung haben die Beklagten unter Vorlage einer anderen Pachtvertragsurkunde geltend gemacht, dass eine andere Pachtzinshöhe vereinbart worden sei. Ferner haben die Beklagten in Abrede gestellt, dass nur die von der Klägerseite behaupteten Pachtzinszahlungen erfolgt seien. Mit Verfügung vom 5. März 2007 hat das Landgericht Bückeburg Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14. Mai 2007 anberaumt und zu diesem Termin prozessleitend Zeugen geladen.

Erst im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beklagten sodann mündlich umfangreich neu zur Sache vorgetragen, woraufhin das Landgericht darauf hingewiesen hat, dass dieser Sachvortrag verspätet sein dürfte. Nachdem die Klägervertreterin das neue Vorbringen bestritten und Verspätung gerügt hat, regten die Beklagten wegen einer unmittelbar bevorstehenden Veräußerung des streitgegenständlichen Pachtobjekts eine Aussetzung des Verfahrens an, was von der Klägerseite abgelehnt worden ist. Daraufhin erklärte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, dass er nicht auftreten werde.

Dies zu Grunde gelegt, steht fest, dass das Verhalten der Beklagten bzw. das ihnen gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verhalten ihres Prozessbevollmächtigten dafür ursächlich geworden ist, dass die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig war.

2. Die Beklagten können sich insoweit auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bei einer "Flucht in die Säumnis" die Verhängung einer Verzögerungsgebühr nicht statthaft sei.

a) § 38 GKG kommt auch dann zur Anwendung, wenn eine Partei von der Möglichkeit Gebrauch macht, in die Säumnis zu fliehen (vgl. Mayer, GKG, 5. Auflage, § 38 Rdz. 7). Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift hängt allein davon ab, ob das schuldhafte Verhalten einer Partei die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig macht oder nicht. Ein solcher Fall ist aber auch dann gegeben, wenn eine Partei nach Hinweis des Gerichts auf die Verspätung des Sachvortrags die "Flucht in die Säumnis" antritt. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm (NJWRR 1995, 1406) kann dem Wortlaut der Vorschrift keine Einschränkung dahingehend entnommen werden, dass im Falle der Säumnis die Verhängung einer Verzögerungsgebühr ausscheide. Dagegen spricht bereits die in § 38 Abs. 1 Satz 1 genannten Ausnahmeregelung für die Fälle des § 335 ZPO. Durch die Bezugnahme auf die Vorschriften für das Versäumnisurteil und die Bestimmung einer Ausnahmeregelung für die Fälle des § 335 ZPO folgt im Umkehrschluss, dass die Regelung grundsätzlich auch für den Fall gilt, dass nach einem Versäumnisurteil ein Einspruch eingelegt wird (vgl. Beckmann MDR 2004, 430, 431).

Für diese Auslegung spricht im Übrigen auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bzw. der eindeutige gesetzgeberische Wille. Durch das Gesetz zur Änderung des Gerichtskostengesetz vom 21. Dezember 1922 (RGBl. 1923 I S. 1) wurde das Gerichtskostengesetz einer vollständige Überarbeitung unterzogen. Unter anderem wurden dabei in § 48 GKG Abs. 1 Satz 1 a. F. (= 38 GKG n. F.) die Worte "Anberaumung eines Termins zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung" durch die Worte "der Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung ersetzt. Wie sich den Motiven zum vorgenannten Änderungsgesetz entnehmen lässt, sollte dem Richter durch diese sprachliche Neufassung die Möglichkeit gegeben werden, "von der Festsetzung der Verzögerungsgebühr auch in dem Fall Gebrauch zu machen, daß die Verzögerung dadurch veranlasst ist, dass eine Partei gegen sich hat Versäumnisurteil ergehen lassen und alsdann Einspruch einlegt" (Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Band 375, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 5301 "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes", S. 17). Auch in älteren Kommentierungen zum Gerichtskostengesetz entsprach es daher allgemeiner Meinung, dass § 38 GKG auch im Fall der Säumnis zur Anwendung kommen konnte (vgl. Rittmann/Wenz, Das Deutsche Gerichtskostengesetz, 7. Auflage (1923), § 39 Anm. 1; vgl. Rittmann/Wenz, Gerichtskostengesetz, 16. Auflage (1936), § 39 Anm. 2; vgl. Wedewer, Gerichtskostengesetz, 3. Auflage (1948), Anm. 3).

b) Der Verhängung der Verzögerungsgebühr steht auch nicht entgegen, dass die Partei mit der "Flucht in die Säumnis" von einer gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht und daher prozessordnungsmäßig handelt. Richtig ist, dass es keiner Partei verwehrt werden kann, gegen sich ein Versäumnisurteil ergehen zu lassen (vgl. Mayer, a. a. O., Rdz. 7). Anknüpfungspunkt für die Anwendung des § 38 GKG ist vorliegend auch nicht der Umstand, dass die Beklagten gegen sich ein Versäumnisurteil haben ergehen lassen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagten gegen die ihnen obliegenden Prozessförderungspflichten verstoßen haben, indem sie Sachvortrag bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung zurückgehalten haben, und erst nach Hinweis des Gerichts auf die Verspätung in die Säumnis flohen, um der drohenden Sanktion in Form der Präklusion zu entgehen. Insoweit kann nichts anderes gelten, als wenn der Prozess wegen des erst im Termin erfolgten neuen Sachvortrags hätte vertagt werden müssen. Schon das Reichsgericht hat die Anwendung des § 48 GKG a. F. (= § 38 GKG) für gerechtfertigt erachtet, wenn die Vorschriften der ZPO nicht befolgt werden, wonach im Anwaltsprozess die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorzubereiten und ein vorbereitender Schriftsatz, welcher neue Tatsachen enthält, dem Gegner mindestens eine Woche vor der mündlichen Verhandlung zuzustellen ist, weil dieses neue Vorbringen erst im Termin in den Prozess eingeführt worden ist (RG Gruchot-Beiträge 40, Nr. 122 (S. 1136 f.)). Gleiches hat das Reichsgericht für den Fall entschieden, dass trotz geräumiger und ausreichender Ladungsfrist erst im Verhandlungstermin die Anschlussberufung eingelegt worden ist und dadurch die Anberaumung eines anderen Termins notwendig wurde (RG, Beschluss vom 11. Februar 1888, 5. Zivilsenat, zitiert nach Pfafferoth, Das Deutsche Gerichtskostenwesen, 7. Auflage, § 48 Anm. 6).

3. Die Beklagten bzw. deren Prozessbevollmächtigter haben auch schuldhaft gehandelt. Verschulden i. S. des § 38 GKG liegt vor, wenn der Schuldner vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (§ 276 BGB). Ein grobes Verschulden oder eine Verschleppungsabsicht sind entgegen dem Oberlandesgericht Hamm (a. a. O.) nicht erforderlich (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Juli 2006, Az.: 1 O 138/06, zitiert nach JURIS; vgl. Mayer, a. a. O., Rdz. 10). Auch dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Obwohl das Gerichtskostengesetz mehrfach überarbeitet worden ist, hat der Gesetzgeber an der Formulierung "Verschulden" festgehalten und gerade nicht, wie z. B in § 296 Abs. 2 ZPO den Begriff der "groben Nachlässigkeit" gewählt (vgl. Beckmann, a. a. O.; vgl. Hartmann, Kostengesetze, 35. Auflage, § 38 Rdz. 8).

Da die Beklagten bzw. deren Prozessbevollmächtigte zumindest fahrlässig gegen die ihnen obliegende Prozessförderungspflicht verstoßen haben und in Kenntnis drohender Präklusion willentlich die "Flucht in die Säumnis" angetreten haben, ist ein Verschulden zu bejahen.

4. Die Entscheidung über die Verhängung einer Verzögerungsgebühr ist im Zivilprozess auch in jeder Lage des Verfahrens möglich und nicht erst nach der Beendigung des Verfahrens (vgl. BFH, Beschluss vom 7. Januar 2007, Az: VIII B 157/06, zitiert nach JURIS Rdz. 9; OLG Bamberg FamRZ 1979, 834; OLG München FamRZ 2001, 433).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 69 i. V. m. 66 Abs. 8 GKG. Die Wertfestsetzung erfolgt mit Rücksicht auf die anwaltlichen Gebühren nach dem für die Hauptsache maßgeblichen Gegenstandswert, Nr. 3500 Abs. 1 Satz 1 VVRVG. Da sich der Beschwerdewert nach dem Betrag der auferlegten Verzögerungsgebühr richtet (vgl. Schneider-Herget, Streitwertkommentar, 12. Auflage, Rdz. 6054) war der Wert auf 398 EUR festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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