Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 19.12.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 365/08
Rechtsgebiete: BRAO, RVG


Vorschriften:

BRAO § 53
RVG § 5
RVG § 56 Abs. 2 Satz 2
RVG § 56 Abs. 2 Satz 3
Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als Vertreter des Pflichtverteidigers ist zulässig.

Die Pflichtverteidigergebühren entstehen im Fall der Vertretung aber insgesamt nur einmal.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

2 Ws 365/08

In der Strafsache

wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.

hier: Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die befristete Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Einzelrichters der 1. großen Strafkammer des Landgerichts V. vom 1. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 19. Dezember 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Dem Angeklagten war durch Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 3. April 2007 Rechtsanwalt Dr. M. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Zu den Hauptverhandlungstagen am 12. und 20. September 2007 war Rechtsanwalt Dr. M. verhindert. Für ihn erschien der Antragsteller, den der Vorsitzende jeweils "für den heutigen Hauptverhandlungstag" bzw. "für den heutigen Hauptverhandlungstermin" als Pflichtverteidiger beiordnete.

Rechtsanwalt Dr. M. hatte unter dem 27. September 2007 die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren beantragt und dabei eine Grundgebühr gemäß Nrn. 4101, 4100 VV-RVG, zwei Verfahrensgebühren gemäß Nr. 4104 f. VV-RVG bzw. 4112 f. VV-RVG, eine Terminsgebühr gemäß Nrn. 4112, 4114 f. VV-RVG für den von ihm wahrgenommenen Hauptverhandlungstermin am 21. August 2007, die Post- und Dokumentenpauschalen sowie Mehrwertsteuer geltend gemacht. Der Gesamtbetrag von 949,68 € war antragsgemäß festgesetzt worden.

Unter dem 1. Oktober 2007 beantragte auch der Antragsteller die Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren. Er machte ebenfalls die Grundgebühr gemäß Nrn. 4101, 4100 VV-RVG in Höhe von 162,00 € sowie eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 f. VV-RVG in Höhe von 151,00 € geltend und daneben zwei Terminsgebühren gemäß Nrn. 4112, 4114 f. VV-RVG in Höhe von 526,00 €, die Postpauschale von 20 € und 19 % Umsatzsteuer.

Die Kostenbeamtin fragte nach Eingang dieses Antrags beim Vorsitzenden der Strafkammer an, ob der Antragsteller lediglich für die jeweiligen Hauptverhandlungstermine beigeordnet oder ob er als weiterer Pflichtverteidiger neben Rechtsanwalt Dr. M. bestellt worden sei. Der Vorsitzende vermerkte in den Akten, dass - wie beantragt - die Beiordnung lediglich für die jeweiligen Sitzungstage erfolgt sei.

Die Kostenbeamtin setzte darauf mit Verfügung vom 25. Januar 2008 die Pflichtverteidigergebühren für den Antragsteller auf 649,74 € inklusive Postpauschale und Mehrwertsteuer fest. Die Grund- und die Verfahrensgebühr setzte sie mit der Begründung ab, diese Gebühren stünden einem "nur für den jeweiligen Hauptverhandlungstermin in Vertretung beigeordneten Anwalt" nicht zu.

Die dagegen gerichtete Erinnerung des Antragstellers wies der Einzelrichter der 1. großen Strafkammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurück. Unter Berufung u. a. auf die Entscheidung des 1. Strafsenates dieses Gerichts vom 25. August 2006 (1 Ws 423/06, Nds.Rpfl. 2006, 375) führte er aus, dass es dem erkennenden Gericht vor dem Hintergrund der Zulässigkeit einer Vertretung des bestellten Pflichtverteidigers im Falle von dessen vorübergehender Verhinderung auch möglich sein müsse, den Vertreter nur unter Beschränkung auf den Zeitraum der Abwesenheit des Pflichtverteidigers beizuordnen. Der Vergütungsanspruch, der dem als Vertreter beigeordneten Verteidiger in seiner Person entstehe, könne dann nicht höher sein als jener Anspruch, den der verhinderte Pflichtverteidiger hätte geltend machen können. Insbesondere entstünden die Grundgebühr für die erstmalige Einarbeitung und die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts nur einmal. Hier sei der Antragsteller lediglich als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers Dr. M. beigeordnet worden, weil die Beiordnung jeweils nur für einen einzelnen Sitzungstag erfolgt sei und sich aus dem Verfahrensablauf ergebe, dass ein zweiter Pflichtverteidiger nicht habe bestellt werden sollen. Dabei sei es ohne Bedeutung, wenn aus den Beiordnungsbeschlüssen vom 12. und vom 20. September 2007 die Beiordnung als Vertreter des weiterhin bestellten Pflichtverteidigers Dr. M. nicht ausdrücklich hervorgehe.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er ist der Auffassung, die Gebühren eines Pflichtverteidigers stünden ihm vollumfänglich zu. Er sei weder als Vertreter noch lediglich für jeweils einen Hauptverhandlungstermin beigeordnet worden, sondern uneingeschränkt als (weiterer) Pflichtverteidiger. Dies ergebe sich bereits aus dem Umfang der von ihm entfalteten Tätigkeiten und aus der Dauer der jeweils wahrgenommenen Sitzungstermine. Unter dem 31. August 2007 habe der Vorsitzende der Kammer den Angeklagten gebeten, "einen anderen Pflichtverteidiger vorzuschlagen", weil bei dem beigeordneten Verteidiger Dr. M. Terminprobleme bestanden. Darauf habe der Angeklagte um die Beiordnung des Antragstellers ersucht, dem der Vorsitzende mit den Beiordnungsbeschlüssen gefolgt sei. Zudem habe der Antragsteller nicht nur an den beiden zeitaufwändigen Hauptverhandlungsterminen teilgenommen, sondern auch maßgeblich am Zustandekommen der verfahrensbeendenden Absprache mitgewirkt.

Der Einzelrichter hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil Klärungsbedarf bestand, ob die bisherige Rechtsprechung der hiesigen Strafsenate (Beschluss des 1. Strafsenates a. a. O.; Beschluss des 2. Strafsenates vom 10. Oktober 2006, 2 Ws 241 und 258/06) angesichts der abweichenden neuen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 16. Juli 2008 (3 Ws 281/08, StraFo 2008, 349) und des Oberlandesgerichts München vom 23. Oktober 2008 (4 Ws 140/08, juris) fortgeführt werden soll.

II.

Das zulässige Rechtsmittel bleibt aus den im Ergebnis zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung ohne Erfolg.

1. Insbesondere geht die angefochtene Entscheidung zu Recht davon aus, dass der Antragsteller an den beiden Hauptverhandlungstagen nicht als zweiter Pflichtverteidiger, sondern als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Dr. M. beigeordnet worden ist.

Dies folgt zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Beiordnungsbeschlüsse, nach denen der Antragsteller jeweils für die beiden einzelnen Hauptverhandlungstage als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde, es folgt aber aus dem Zusammenhang. Der Vorsitzende der Strafkammer hatte es zuvor abgelehnt, dem Angeklagten wegen der Terminschwierigkeiten des Pflichtverteidigers Dr. M. einen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen und dies dem Angeklagten mit Schreiben vom 31. August 2007 mitgeteilt. Gleichzeitig bat er vorsorglich um Benennung eines anderen Pflichtverteidigers. Daraufhin benannte der Angeklagte den Antragsteller, betonte aber ausdrücklich, dass er "auf jeden Fall mit Rechtsanwalt Dr. M." das Verfahren beenden wolle. Der Vorsitzende veranlasste daraufhin bezüglich der Pflichtverteidigung zunächst nichts mehr, weder entband er Rechtsanwalt Dr. M. noch ordnete er den Antragsteller als weiteren Pflichtverteidiger bei. Erst als Rechtsanwalt Dr. M. zum zweiten Hauptverhandlungstermin am 12. September 2007 nicht erschien, erfolgte eine Beiordnung des Antragstellers ausdrücklich nur für diesen Tag, dasselbe geschah am 20. September 2007. Für beide Tage weist das Hauptverhandlungsprotokoll aus, der Antragsteller sei "für Rechtsanwalt Dr. M." erschienen. Dieser Ablauf belegt, dass der Antragsteller an beiden Tagen nur in die Vertretung des weiterhin bestellten Pflichtverteidigers Dr. M. eingewiesen werden sollte.

2. Die Beiordnung als sogenannter "Terminsvertreter" ist verfahrensrechtlich zulässig und hat gebührenrechtlich zur Folge, dass nur ein Pflichtverteidigermandat abzurechnen ist (ebenso schon die bisherige Auffassung beider Strafsenate des OLG Celle a. a. O.; KG NStZ-RR 2005, 327 f. und StraFo 2008, 349; OLG Hamm RVG-Report 2007, 71; a. A. OLG Karlsruhe und OLG München a. a. O.).

a) Die Vertretung des Pflichtverteidigers durch einen anderen Verteidiger ist nach weitgehend einhelliger Meinung zulässig. Der bestellte Verteidiger kann sich bei vorübergehender Verhinderung mit Genehmigung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen (vgl. KG NStZ-RR 2005, 327, 328 und StraFo 2008, 349; OLG Hamm, Beschluss vom 3. Oktober 1983, 1 Ws 144/83, juris; OLG Frankfurt NJW 1980, 1703; LR-Lüderssen/Jahn, StPO 26. Aufl. 2007, Rdnr. 36 zu § 142; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., Rdnr. 15 zu § 142) und der allgemeine Vertreter des beigeordneten Verteidigers i. S. von § 53 BRAO kann die Pflichtverteidigung für den beigeordneten Verteidiger führen (BGH NStZ 1992, 248; NStZ-RR 2002, 12). Diesen Zusammenhang verkennt das OLG Karlsruhe mit seiner Erwägung (a. a. O.), eine Beiordnung als Vertreter des bereits bestellten Pflichtverteidigers dergestalt, "dass der Beigeordnete gleichsam als Hilfsperson des eigentlichen Pflichtverteidigers in dessen Beiordnungsverhältnis mit einbezogen wird", kenne das Strafverfahrensrecht nicht. Der vom Gericht beigeordnete Vertreter des Pflichtverteidigers (zur Empfehlung, ihn beizuordnen und ihn nicht ohne Beiordnung auftreten zu lassen vgl. Meyer-Goßner a. a. O. Rdnr. 15 zu § 142) hat vielmehr gegenüber dem Angeklagten, dem Gericht und den anderen Verfahrensbeteiligten alle strafprozessualen Rechte und Pflichten eines Verteidigers, eine Einschränkung dieser Rechtsstellung kennt das Strafprozessrecht tatsächlich nicht. Ob im Innenverhältnis eine Abstimmung mit dem bestellten Pflichtverteidiger und mit dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie erfolgt, wie sie auch in anderen Vertretungsfällen üblich ist, berührt die strafprozessuale Stellung des Vertreters in keiner Weise.

b) Unter dem Blickwinkel des Gebührenrechts gilt nichts anderes. Die Vorschrift des § 5 RVG, die die Vertretung von Rechtsanwälten gebührenrechtlich regelt, nimmt die Vertretung eines Pflichtverteidigers gerade nicht aus dem Regelungsbereich aus, obschon dem Gesetzgeber bei Einführung des RVG bekannt war, dass die Rechtsprechung eine Vertretung auch des Pflichtverteidigers bis dato einhellig für zulässig erachtet hatte. Entsprechend geht die Kommentarliteratur ohne Weiteres davon aus, dass § 5 RVG auch im Falle der Vertretung des Pflichtverteidigers anwendbar und dass eine solche Vertretung zulässig ist (siehe nur Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Aufl., Rdnr. 21 zu § 5 m. w. N.; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., Rdnr. 2, 5 zu Nr. 4100 VV- RVG).

Gebührenrechtlich besteht im Fall der Vertretung lediglich ein einziges Mandat zur (Pflicht-)Verteidigung mit der Folge, dass in diesem Mandat alle Gebühren nur einmal entstehen (vgl. dazu die amtliche Begründung zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5. Mai 2004, BT-Drs. 15/1971 S. 221; s. a. Hartmann a. a. O., Rdnr. 5 zu Nr. 4100 VV-RVG). Für die Abrechnung gelten die in § 5 RVG niedergelegten Grundsätze, für die Tätigkeit des Vertreters entstehen also grundsätzlich dieselben Gebühren, die auch für den vertretenen Pflichtverteidiger angefallen wären.

3. Danach ist die Beschwerde des Antragstellers insgesamt unbegründet. Er hat neben den von Rechtsanwalt Dr. M. geltend gemachten Gebühren weder einen Anspruch auf die Grundgebühr noch auf die Verfahrensgebühr eines Pflichtverteidigers. Er hat auch, wie der angefochtene Beschluss zutreffend ausführt, keinen Anspruch auf die Postpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG, die Rechtsanwalt Dr. M. in dem bestehenden Mandatsverhältnis bereits abgerechnet hat.

4. Im übrigen neigt der Senat unter Hinweis auf § 5 RVG zu der Auffassung, dass ein als Vertreter beigeordneter Rechtsanwalt in eigener Person gegen die Staatskasse keinen Vergütungsanspruch geltend machen kann. Aus dieser Vorschrift dürfte in der vorliegenden Konstellation folgen, dass der Vergütungsanspruch dem bestellten und vertretenen Pflichtverteidiger zusteht (so auch Gerold/Schmidt-Madert a. a. O., Rdnr. 21 zu § 5; a. A. KG StraFo 2008, 349 ohne Begründung) mit der Folge, dass im Hinblick auf sämtliche im Verfahren entstandenen Gebühren der jeweilige Aufwand beider Anwälte für die Wahrnehmung der Verteidigung im Innenverhältnis auszugleichen ist (vgl. Gerold/Schmidt-Madert a. a. O., Rdnr. 2 zu § 5). Dies betrifft dann auch die Grund- und die Verfahrensgebühr sowie die Postpauschale.

Beantragt allerdings der Pflichtverteidiger die Gebühren für die von seinem Vertreter wahrgenommenen Termine nicht selbst, sondern überlässt diesen Antrag dem Vertreter, so begründet dies mindestens der Anschein einer Vollmacht für den Vertreter, die durch seine eigene Tätigkeit entstandenen Gebühren selbst geltend zu machen. Eine solche Vollmacht dürfte in aller Regel dem Ausgleich im Innenverhältnis beider Anwälte geschuldet sein. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte begründet eine solche Vollmacht auch die Befugnis des Vertreters gegenüber der Staatskasse, eine Auszahlung an sich selbst zu beantragen.

So liegt der Fall hier. Auf die Frage, ob die Terminsgebühren vom 12. und 20. September 2007 in der Person des Pflichtverteidigers oder in der Person seines Vertreters, des Antragstellers, entstanden sind, kommt es deshalb nicht an.

5. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG. Der Ausspruch zur Auslagenerstattung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.

Ende der Entscheidung

Zurück