Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 23.12.2004
Aktenzeichen: 211 Ss 145/04 (Owi)
Rechtsgebiete: STVG, BKatV


Vorschriften:

STVG § 25
BKatV § 4 Abs. 1
Wann die Verhängung eines Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung bei langer Verfahrensdauer nicht mehr geboten ist, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls.

Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es aber schon besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

211 Ss 145/04 (Owi)

In der Bußgeldsache

gegen K. K.,

geboren 1958 in B.,

wohnhaft C. Straße , N.,

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 2. Juli 2004 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und der Betroffenen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 23. Dezember 2004 beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 400 EUR verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat das Gericht trotz Vorliegen eines Regelfalles nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 der Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) abgesehen.

Nach den Feststellungen fuhr die Betroffene am 6. November 2002 gegen 11.45 Uhr mit dem "PKW #######" in der Gemarkung H. auf der Bundesautobahn 7 in Richtung K.. Bei Kilometer 154,0 ist eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zugelassen. Durch das Geschwindigkeitsmessgerät Police Pilot PDRS1245 wurde eine vom Fahrzeug der Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit von 156,58 km/h ermittelt, so dass ihr eine Geschwindigkeitsüberschreitung nach Abzug einer Toleranz von 5 % in Höhe von 48 km/h vorzuwerfen ist.

Zu den persönlichen Verhältnissen stellt das Gericht fest, dass die Betroffene ein Kleinunternehmen betreibe, welches sich u.a. mit der Herstellung und Änderung von hochwertigen Mode und Pelzartikeln beschäftige. In diesem Geschäft kämen die Kunden nicht zu der Betroffenen, sondern umgekehrt die Betroffene zu den Kunden, so dass sie teilweise hochwertige Bekleidungsgegenstände transportieren müsse. Durch Vorlage der Einnahme/Überschussrechnungen habe - so das Gericht - die Betroffene glaubhaft gemacht, dass sich das von ihr betriebene Unternehmen wirtschaftlich gerade noch trage, jedoch für zusätzliche Ausgaben, etwa die befristete Einstellung eines Fahrers, keine Möglichkeit lasse. Auch die Hilfe von Familienangehörigen sei nicht möglich; der Ehemann der Betroffenen sei mit einem eigenen Unternehmen ebenfalls berufstätig; die Kinder seien minderjährig.

Angaben dazu, ob und - falls ja - wann und wie oft die Betroffene bereits verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist, enthält das Urteil nicht.

Das Gericht hat von der nach der Bußgeldkatalogverordnung an sich gebotenen Verhängung des Fahrverbotes unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße abgesehen und zur Begründung ausgeführt, dass bereits zweifelhaft sein könne, ob angesichts der seit dem Vorfall verstrichenen Zeit der mit dem Fahrverbot beabsichtigte Zweck überhaupt noch erreicht werden könne. Jedenfalls aber träfe die Verhängung eines Fahrverbotes die Betroffene auch unverhältnismäßig hart.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Rechtsbeschwerde, die die Generalstaatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.

1. Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Die - wenn auch knappen - Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch.

2. Der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Nachprüfung indes nicht stand.

a. Nach ständiger Rechtsprechung der hiesigen Senate für Bußgeldsachen (zuletzt etwa Senatsentscheidung vom 27. Februar 2004 - 211 Ss 15/04 ((Owi)) bedarf das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots trotz Vorliegens eines Regelfalls nach der Bußgeldkatalogverordnung einer auf Tatsachen gestützten eingehenden Begründung und kommt nur bei Härten ganz außergewöhnlicher Art, sonstiger das Tatbild beherrschender außergewöhnlicher Umstände oder einer Vielzahl zusammentreffender durchschnittlicher Umstände in Betracht. Die Prüfung, ob ein derartiger Ausnahmefall gegeben ist, hat hierbei zweistufig zu erfolgen. Zunächst ist zu prüfen, ob aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbots unter Erhöhung der Regelgeldbuße abgesehen werden kann. Sodann ist zu prüfen, ob außergewöhnliche Härten, z.B. der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der wirtschaftlichen Existenz als Folge des Fahrverbots, einer Verhängung desselben entgegenstehen. Bloße wirtschaftliche und berufliche Nachteile, die bei einer Vielzahl von Berufen regelmäßig Folge des Fahrverbots sind, reichen hingegen nicht für ein Absehen aus, sondern sind als selbstverschuldet hinzunehmen (BVerfG DAR 1996, 196, 199; BayObLG VRS 101, 441, 443; OLG Köln VRS 99, 288, 290; OLG Frankfurt/M. DAR 2002, 82, 83). Im Rahmen seiner Überzeugungsbildung darf der Tatrichter diesbezügliche Behauptungen des Betroffenen aber nicht einfach hinnehmen, sondern er muss sie im Urteil besonders kritisch hinterfragen und entsprechend würdigen. Auch wenn es dem Tatrichter dabei nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht grundsätzlich verwehrt ist, die Feststellungen im Einzelfall allein oder im Wesentlichen auf die Einlassung des Betroffenen zu stützen, kommt ein solches Vorgehen nur dann in Betracht, wenn aus der Einlassung nachvollziehbar lückenlose und widerspruchsfreie Feststellungen hergeleitet werden können, die auch allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen standhalten.

b. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Die Begründung des Amtsgerichts für das Absehen vom Verhängen eines Fahrverbots ist lückenhaft.

So wird bereits nicht mitgeteilt, wie oft und in welchem Umfang die Betroffene für ihr Kleinunternehmen Bekleidung und Pelze transportieren muss. Es fehlt an Angaben zu Anzahl und Wohnort der Kunden.

Weiter sind die Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen unvollständig. Es bleibt unklar, ob das Unternehmen tatsächlich die existenzsichernde Haupteinnahmequelle der Betroffenen ist. Ob und inwieweit auch der Ehemann zum Familieneinkommen beiträgt, bleibt offen. Ferner enthält das Urteil keine Angaben dazu, ob die Betroffene das Fahrverbot - eine viermonatige Antrittsfrist vorausgesetzt - nicht während eines Urlaubs hätte ableisten können.

Schließlich stützt das Gericht seine Feststellungen lediglich auf die Angaben der Betroffenen und die "Vorlage der Einnahme/Überschussrechnungen", ohne dass aber der Inhalt oder auch nur das Datum dieser betriebswirtschaftlichen Unterlagen mitgeteilt wird. Es ist dem Senat daher nicht möglich nachzuvollziehen, ob diese Unterlagen die behaupteten Angaben der Betroffenen zur behaupteten aktuellen wirtschaftlichen Situation ihres Kleinunternehmens hinreichend belegen.

III.

Der Senat hat die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückverwiesen. Weitere Feststellungen erscheinen möglich und erforderlich.

Der Senat hat geprüft, ob ihm eine eigene Sachentscheidung möglich war, dies aber im Ergebnis verneint.

Besondere Berücksichtigung hat hier der Umstand gefunden, dass zwischen der Tat und der jetzt zu treffenden Entscheidung mehr als zwei Jahre und ein Monat vergangen sind. Dieser Umstand allein rechtfertigt hier aber mangels weiterer erforderlicher Feststellungen das Absehen vom Fahrverbot nicht.

Das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (BVerfGE 27, 36). Das Fahrverbot kann daher seinen Sinn verloren haben, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereiches des Betroffenen liegen und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat (BayObLG NStZRR 2004, 57).

Wann bei langer Verfahrensdauer wegen des Zeitablaufs allein oder zusammen mit anderen Umständen die Verhängung eines Fahrverbotes nicht mehr geboten ist, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls. Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es nach Auffassung des Senats aber schon besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist (s.a. OLG Düsseldorf MDR 2000, 829; BayObLG aaO; zum Ganzen Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., StVG, § 25, Rd. 24 m.w.N.). Ein Absehen vom Fahrverbot setzt allerdings regelmäßig voraus, dass der Betroffene in der Zwischenzeit nicht verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist.

Dazu aber enthält das Urteil keinerlei Feststellungen. Allein dass das Urteil keine Angaben zu etwaigen Eintragungen der Betroffenen im Verkehrszentralregister enthält, lässt nicht ohne weiteres den (Umkehr)Schluss zu, dass die Betroffene sich seit der Tat verkehrsgerecht verhalten hat.

Falls ja, dürften dem Absehen vom Fahrverbot hier - unter Zugrundelegung der bisherigen Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch - allerdings keine durchgreifenden Bedenken entgegenstehen.

Insbesondere kann die Dauer des Verfahrens der Betroffenen nicht angelastet werden. Die Betroffene hat gegen das erste - am 26. November 2003 und damit schon mehr als ein Jahr nach der Tat ergangene - Urteil in dieser Sache Rechtsbeschwerde eingelegt, woraufhin das Urteil vom Senat aufgehoben und die Sache erst am 2. Juli 2004 erneut verhandelt worden ist. Die dadurch entstandene Verfahrensverzögerung hat aber außer Betracht zu bleiben, weil die Wahrnehmung von gesetzlich vorgesehenen und zudem begründeten Rechtsbehelfen der Betroffenen nicht vorgeworfen werden kann (vgl. BGH NStZ 2001, 106).

IV.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass nach Ziff. 11.3.7 des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage der BKatV die Regelgeldbuße für die Tat 100 EUR und nicht - wie vom Amtsgericht angenommen - 200 EUR beträgt. Dieser Regelsatz für eine fahrlässige Begehungsweise (§ 1 Abs. 2 BKatV) wird im Hinblick auf den rechtskräftig festgestellten Vorsatz angemessen zu erhöhen sein.

Eine weitere Erhöhung wegen des Absehens vom Fahrverbot kommt nicht mehr in Betracht, weil der Denkzettel und Besinnungsfunktion des Fahrverbotes bereits durch den Zeitablauf hinreichend Rechnung getragen ist.

Ende der Entscheidung

Zurück