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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 13.05.2008
Aktenzeichen: 22 W 18/08
Rechtsgebiete: FreihEntzG, GG


Vorschriften:

FreihEntzG § 5
GG Art. 104 Abs. 2
Eine mündliche Anhörung durch das Beschwerdegericht nach § 5 FreihEntzG ist jedenfalls dann nicht entbehrlich, wenn der Betroffene sich vor dem Amtsgericht nicht geäußert hatte und eine Begründung der sofortigen Beschwerde nicht vorliegt.

Im Verfahren über die Anordnung von Abschiebungshaft ist das Beiziehen der Ausländerakte auch durch das Beschwerdegericht zum Zwecke hinreichender Sachverhaltsaufklärung jedenfalls dann geboten, wenn nach dem Inhalt der Akten oder nach dem Beschwerdevorbringen hierzu Anlass besteht.

Die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde beurteilt sich gem. § 100 Abs. 1 Nds. SOG danach, in wessen Bezirk die schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden.

Das Gericht der weiteren sofortigen Beschwerde ist an die Nichtzulassung des Rechtsmittels durch das Beschwerdegericht grundsätzlich gebunden.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

22 W 18/08

In der Abschiebehaftsache

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts H. vom 12. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 13. Mai 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Der Betroffenen wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. aus H. für ihre weitere sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über die Anordnung der Abschiebungshaft bewilligt.

Im Übrigen wird Prozesskostenhilfe abgelehnt.

2. Die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen gegen die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme wird als unzulässig verworfen.

3. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit er die Anordnung der Abschiebungshaft betrifft.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Betroffenen sowie über die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde an das Landgericht H. zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000, EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Betroffene wendet sich mit ihrer weiteren sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des Landgerichts, mit welchem die gegen einen Beschluss des Amtsgerichts H. vom 5. März 2008 gerichtete sofortige Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen worden war. Das Amtsgericht hatte auf Antrag der Beteiligten gegen die am 23. Februar 2008 in H. festgenommene Betroffene am 24. Februar 2008 die Abschiebungshaft für längstens drei Monate angeordnet, und zugleich festgestellt, dass die vorläufige Ingewahrsamnahme der Betroffenen rechtmäßig war. Die Abschiebungshaft dauert noch an. Das Landgericht hat entschieden, dass die vorläufige Ingewahrsamnahme der Betroffenen aufgrund von § 18 Nds. SOG erfolgt sei, und gemäß § 19 Abs. 2 Satz 4 Nds. SOG die weitere sofortige Beschwerde nicht zugelassen.

II.

1. Die weitere sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme ist unzulässig.

Das Landgericht hat seine Entscheidung auf die Annahme einer Maßnahme nach § 18 Nds. SOG gestützt und hiernach die weitere sofortige Beschwerde nicht zugelassen. An diese Entscheidung, die weitere sofortige Beschwerde nicht zuzulassen, ist das weitere Beschwerdegericht ebenso gebunden wie an die vom Landgericht hierzu getroffenen Feststellungen (vgl. Senat vom 19.7.2007, 22 W 33/07. ebenso OLG München vom 19.6.2006, 34 Wx 75/06. Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27 Rn. 42). Die Entscheidung über die Zulassung der weiteren sofortigen Beschwerde ist nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich dem Landgericht übertragen und nach ständiger Rechtsprechung sowohl der Anfechtung durch die Beteiligten als auch der Nachprüfung und Abänderung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen (BGH FamRZ 1990, 1228. 1992, 1063. BayObLGZ 1980, 286). Hat das Landgericht die weitere Beschwerde nicht zugelassen, ist jegliche Nachprüfung der Vorentscheidung unzulässig, weil dem Beschwerdegericht hierzu die Eigenschaft als gesetzlicher Richter fehlt (vgl. Senat a.a.O.).

Das Rechtsmittel führt auch als außerordentliche Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn Zulässigkeitsvoraussetzung einer außerordentlichen Beschwerde ist das Vorliegen einer greifbaren Gesetzwidrigkeit (vgl. Senat a. a. O.. hierzu näher Kahl, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 19 Rn. 39 m.w.N.). Eine solche ist vorliegend aber weder dargetan, noch ersichtlich. Nach den Feststellungen des Landgerichts erfolgte die Festnahme der Betroffenen im Rahmen einer polizeilichen Milieukontrolle in dem Bordell "B. P." in H., bei der sich die Betroffene mit einem auf ihre Aliaspersonalien ausgestellten Pass auswies. Es ist angesichts dessen nicht fernliegend - jedenfalls keineswegs willkürlich - anzunehmen, dass die Festnahme gemäß § 18 Nds. SOG zur Identitätsfeststellung und zur Verhinderung der Fortsetzung einer Straftat erfolgte. Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die weitere Ingewahrsamnahme jedenfalls mit dem Stellen des Antrags auf Erlass eines Abschiebungshaftbefehls eine solche nach dem Aufenthaltsgesetz war. Allein diese Möglichkeit einer materiellrechtlich unzutreffenden Entscheidung begründet indessen noch nicht die Annahme einer willkürlichen, bar jeder gesetzlichen Grundlage erlassenen oder schlichtweg nicht hinnehmbaren und somit greifbar gesetzwidrigen Entscheidung. Für eine außerordentliche Beschwerde war hiernach kein Raum.

2. Im Übrigen ist die weitere sofortige Beschwerde zulässig und hat - zumindest vorläufig - auch Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Landgericht. Denn die angefochtene Entscheidung hält der auf die sofortige weitere Beschwerde nach § 27 FGG vorzunehmenden Überprüfung auf Rechtsfehler nicht in allen Punkten Stand.

a) Zutreffend hat das Landgericht allerdings die örtliche Zuständigkeit der Beteiligten für die Antragstellung angenommen. Das AufenthG enthält in § 71 nur eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit, die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach Landesrecht (vgl. Renner, Ausländerrecht, AufenthG, § 71 Rdnr. 2. ebenso Nr. 71.1.2.1 VAH zu § 71 AufenthG). Nach der neueren Rechtsprechung des Senats ist die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde in Abschiebehaftsachen nach § 100 Abs. 1 Nds. SOG zu beurteilen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 31.1.2008, 22 W 2/08, und vom 6.2.2008, 22 W 8/08).

Nach § 100 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG ist die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Dies kann zu einer konkurrierenden Zuständigkeit mehrerer Behörden führen. Zu schützende Interessen wurden hier in jedem Falle am Festnahmeort H. durch den illegalen Aufenthalt verletzt, wodurch die Zuständigkeit der Beteiligten begründet wurde. Es kann daher dahin stehen, ob die Betroffene früher einmal im Landkreis E. aufhältig war und möglicher Weise auch dort eine Verletzung zu schützender Interessen zu verorten wäre.

b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist die angefochtene Entscheidung indessen, soweit das Landgericht von einer mündlichen Anhörung der Betroffenen absah. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats trotz der Vorschrift des § 5 FreihEntzG eine Anhörung im Beschwerdeverfahren ausnahmsweise entbehrlich, wenn sie gegenüber der Anhörung durch das Amtsgericht keine neuen Erkenntnisse für die Sachverhaltsaufklärung verspricht (vgl. Beschluss vom 18.2.2008, 22 W 9/08. auch Marschner/Volckart, 4. Aufl., § 5 FreihEntzG Rn. 4 m.w.N.). Dies setzt jedoch u. a. voraus, dass die Betroffene sich vor dem Amtsgericht geäußert hat, was hier gerade nicht der Fall war. Auch ist die sofortige Beschwerde vom Verfahrensbevollmächtigten nicht begründet worden.

c) Ein weiterer, zur Aufhebung führender Rechtsmangel der angefochtenen Entscheidung besteht darin, dass das Landgericht die Akten der Ausländerbehörde nicht beigezogen und keine ausreichenden Feststellungen zum Sachverhalt und zum Einhalten des Beschleunigungsgebotes getroffen hat.

Nach Art. 104 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG müssen Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht ((vgl. BVerfG Nds. Rpfl. 2008, 96). Dementsprechend verpflichtet § 12 FGG das Gericht auch im Beschwerdeverfahren, die zur Feststellung der relevanten Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die hieraus gewonnenen Erkenntnisse mitzuteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 28.1.2007, 22 W 1/07). Dem wird die vorliegend angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Zwar besteht auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Pflicht zum Beiziehen der Akten der Ausländerbehörde nicht ausnahmslos, sondern sind diese "regelmäßig beizuziehen" (BVerfG a. a. O.). Ein Ausnahmefall lag hier aber erkennbar nicht vor, zumal die Betroffene vor dem Amtsgericht keine Angaben gemacht und ihr früherer Verfahrensbevollmächtigter das Rechtsmittel nicht begründet hatte. Es ist vorliegend nicht erkennbar, dass die Entscheidung in jeder Hinsicht auf einer genügenden Tatsachengrundlage erfolgte. So findet im Beschluss zwar eine Zurückschiebung der Betroffenen vom 20.4.2006 Erwähnung. Es fehlen aber Feststellungen dazu, wohin diese Zurückschiebung erfolgt ist und ob nach der erneuten unerlaubten Einreise wieder eine Zurückschiebung in Betracht kam oder aus welchen Gründen dies nicht der Fall war. Insoweit hat die weitere sofortige Beschwerde sachliche Umstände aufgezeigt, die das Landgericht zu ermitteln versäumt hat. Dem angefochtenen Beschluss lassen sich auch keine Umstände entnehmen, aus denen sich ableiten läßt, dass der in Freiheitsentziehungssachen geltende Beschleunigungsgrundsatz hinreichend Beachtung gefunden hat. Welche Schritte die Beteiligte zur Durchführung der Abschiebung oder einer zunächst beabsichtigten Zurückschiebung unternommen hat und ob diese Bemühungen hinreichend beschleunigt erfolgt sind, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Da es dem Senat als Gericht der weiteren Beschwerde verwehrt ist, selbst ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen, ist das Verfahren an das Landgericht zurück zu verweisen.

III.

Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme war aus den obigen Gründen (II.1.) mangels Erfolgsaussicht zu versagen.

Im Übrigen war der Betroffenen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. zu bewilligen, weil ihr Rechtsmittel insoweit aus den obigen Gründen (II.2.) von Anfang an hinreichende Erfolgsaussicht hatte und sie aktuelle Unterlagen über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat, aus denen sich ihre Bedürftigkeit ergibt.

Ende der Entscheidung

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