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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 19.03.2007
Aktenzeichen: 22 W 19/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
Auch bei nachträglicher Erledigung einer Freihheitsentziehungssache ist das Feststellen der Rechtswidrigkeit an einen entsprechenden Antrag gebunden.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

22 W 19/07

In der Abschiebungshaftsache

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der Zivilkammer 28 des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 19. März 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 19. Januar 2007 wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung über die sofortige Beschwerde auch über die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. aus H. wird abgelehnt.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

1. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 19. Dezember 2006 (Az.: 43 XIV 167/06) wurde die gegen den Betroffenen angeordnete Abschiebungshaft bis längstens zum 9. Januar 2007 (einschließlich) verlängert. Hiergegen wandte sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde vom 19. Dezember 2006, die er am 8. Januar 2007 und ergänzend am 9. Januar 2007 (dem letzten Tag des angeordneten Haftzeitraums) begründete. Das Landgericht Hannover hat mit Beschluss vom 19. Januar 2007 die sofortige Beschwerde als unzulässig mit der Begründung verworfen, der Betroffene habe trotz zwischenzeitiger Erledigung der angefochtenen Maßnahme (Beendigung des maßgeblichen Zeitraums der vom Amtsgericht bis längstens zum 9. Januar 2007 verlängerten Abschiebungshaft) einen Feststellungsantrag nicht gestellt.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner weiteren sofortigen Beschwerde vom 31. Januar 2007. Er ist der Auffassung, er habe infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum nachträglichen Feststellungsinteresse bei erledigten Freiheitsentziehungsmaßnahmen einen Feststellungsantrag nicht stellen müssen.

2. Die nach § 27 FGG statthafte weitere sofortige Beschwerde ist trotz Erledigung der angefochtenen Maßnahme zulässig und hat in der Sache - jedenfalls einstweilen - Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts hält der auf die weitere sofortige Beschwerde hin vorzunehmenden rechtlichen Nachprüfung nach § 27 Abs. 1 FGG nicht stand. Die Entscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Die Voraussetzungen, nach denen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde mangels gestellten Feststellungsantrags als unzulässig verworfen werden kann, lagen nicht vor.

a) Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2001 (2 BvR 527/99 u.a., BVerfGE 104, 220) klargestellt, dass bei Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person auch nach Erledigung des Eingriffs ein Interesse des Betroffenen an - auch nachträglicher - Feststellung der Rechtswidrigkeit grundsätzlich als schutzwürdig erscheint und somit ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung der Maßnahme unabhängig davon besteht, ob Rechtsschutz typischerweise noch innerhalb der angeordneten Haftzeit erlangt werden kann. Nach dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes dürfe ein Rechtsmittelgericht ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und den Beschwerdeführer hiermit 'leerlaufen' lassen. Dies gelte unabhängig vom konkreten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme.

Hiernach ist nach der zwischenzeitig hierzu vorliegenden Rechtsprechung der Obergerichte unstreitig, dass trotz eingetretener Erledigung einer Freiheitsentziehungsmaßnahme ein nachträgliches Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht versagt werden darf (vgl. statt vieler nur BayObLG vom 25. Oktober 2001 [3Z BR 342/01] und OLG Hamm vom 26. Februar 2002 [15 W 53/02]). Dies entspricht der seither festzustellenden Praxis der mit Freiheitsentziehungssachen befassten Gerichte. Auch der Senat folgt in ständiger Spruchpraxis - dies zeigt auch die vorliegende Entscheidung - dieser Rechtsprechung.

b) Fraglich und vorliegend streitig ist allein, ob der Betroffene, dessen Rechtsmittel sich zwischenzeitig erledigt hat, einen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gerichteten Antrag ausdrücklich stellen muss.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Rahmen seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2001 zu dieser Frage nicht geäußert.

bb) Der Betroffene stützt sein Rechtsmittel auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 23. April 2002 (3 W 76/02). Der dort mit der Sache befasste Senat hat unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Spruchpraxis ausgeführt, dass im Falle der Erledigung der Anordnung von Abschiebungshaft infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein vor Erledigung eingelegtes Rechtsmittel zulässig bleibt. Einen ausdrücklichen Antrag mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit habe der Betroffene nicht stellen müssen. Eine nähere Begründung, weshalb der Betroffene im zugrunde liegenden Verfahren einen ausdrücklichen Antrag nicht habe stellen müssen, enthält die Entscheidung ebenso wenig wie Ausführungen dazu, ob ein Rechtsmittel auch dann zulässig bleibt, wenn ein entsprechender Antrag eines Betroffenen gänzlich fehlt. Die allgemein gültige Aussage, dass es im Falle nachträglicher Erledigung eines auf Feststellung gerichteten Antrags überhaupt nicht bedarf, enthalten die Gründe der Entscheidung nicht.

cc) Demgegenüber lassen Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf (Beschluss vom 14. August 2002, 3 Wx 226/02), Karlsruhe (Beschluss vom 18. Dezember 2002, 11 Wx 74/02) und Celle (Beschluss vom 26. August 2006, 22 W 50/05) erkennen, dass auch im Falle des nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehenden Feststellungsinteresses zumindest ein Rechtsschutzziel des Betroffenen zu Tage treten oder zumindest erkennbar werden muss. Das aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herzuleitende Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes erfordere es nicht, den ursprünglichen Antrag des Betroffenen in jedem Fall dahin auszulegen, dass es für den Fall der Erledigung als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit verstanden werden soll. Das Rechtsschutzziel, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum nachträglichen Feststellungsinteresse bei schwer wiegenden Grundrechtseingriffen nachträglich die Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen, ist hiernach nur anzunehmen, wenn der Betroffene ausdrücklich einen solchen Antrag stellt oder bei einer Gesamtwürdigung seines Vorbringens davon auszugehen ist, dass er konkludent einen solchen Antrag stellt (Senat a.a.O.).

dd) Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht dem nicht entgegen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es nicht, im Falle nachträglich eingetretener Erledigung einen Feststellungsantrag für entbehrlich zu halten. Das Bundesverfassungsgericht hat den Fachgerichten nicht vorgegeben, auf welche Weise sie dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes bei nachträglicher Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Freiheitsentziehungsmaßnahme zu gewährleisten haben. Das Bundesverfassungsgericht hat überdies nicht ausgeführt, dass in jedem Fall der Erledigung einer Freiheitsentziehungsmaßnahme eine nachträgliche Überprüfung der angefochtenen Maßnahme - gleichsam von Amts wegen - erfolgen muss. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt nur, dass Rechtsschutz nicht versagt werden darf. Nach Auffassung des Senats ist hierfür Voraussetzung aber, dass entsprechender Rechtsschutz auch geltend gemacht wird (so auch OLG Karlsruhe a.a.O.: Voraussetzung ist, dass der Betroffene erkennen lässt, ihm sei an einer solchen Feststellung gelegen).

Aus der vom Oberlandesgericht Zweibrücken seiner Entscheidung zugrunde gelegten Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, die Annahme fortgeltenden Rechtsschutzbedürfnisses gelte "unabhängig vom konkreten Ablauf des Verfahrens", kann nicht hergeleitet werden, dass allgemein gültige Verfahrensgrundsätze keine Geltung mehr entfalten. Rechtsschutz ist hiernach nur dann und nur insoweit zu gewähren, wie er auch nachgesucht wird (ne ultra petitum). Ein Mehr erfordert auch die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Vielmehr lässt die Entscheidung vom 5. Dezember 2001 erkennen (dort Rn. 34), dass eine gerichtliche Entscheidung neben dem Rechtsschutzbedürfnis an einen Antrag gebunden ist.

Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass im Falle der nachträglichen Erledigung einer Freiheitsentziehungssache das auf Feststellung gerichtete Rechtsschutzziel nicht selbstredend zum Tragen kommt. Denkbar und möglich ist vielmehr auch, dass der Betroffene sein Rechtsmittel zurücknehmen oder nach Eintritt der Erledigung auf den Kostenpunkt beschränkt wissen will (vgl. etwa BayObLG vom 6. Februar 2002, 3Z BR 407/01). Dem dürfen die Gerichte nicht durch Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsbegehrens vorgreifen. Diese Betrachtung entspricht zumindest der herrschenden Auffassung zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, nach der das Gericht 'auf Antrag' die Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes ausspricht und es nicht genügt, wenn der Kläger nach Hinweis auf die Erledigung seinen ursprünglichen Antrag nicht umstellt, aber auch nicht für erledigt erklärt (OLG Karlsruhe a.a.O. m.w.N.).

Auch den benannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf, Karlsruhe und Celle lag zugrunde, dass der Betroffene seitens des Gerichts auf den Umstand der Erledigung hingewiesen worden war mit der Anheimgabe einer Stellungnahme. Der Senat geht hierbei davon aus, dass das aus Art. 103 Abs. 1 GG herzuleitende Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs eine derartige Möglichkeit zur Stellungnahme grundsätzlich gebietet. Erst nachdem in den benannten Fällen trotz des Hinweises eine Stellungnahme nicht erfolgte, wurden die Rechtsmittel als unzulässig verworfen.

ee) Eine derartige Möglichkeit zur Stellungnahme nach eingetretener Erledigung wurde vorliegend nicht gewährt. Die Kammer ging offenbar davon aus - jedenfalls die Diktion der angefochtenen Entscheidung legt dies nahe -, dass ein entsprechender Hinweis nebst der Möglichkeit zur Stellungnahme deshalb entbehrlich war, weil der Betroffene noch am letzten Tag der maßgeblichen Haftdauer sein - auf Anfechtung gerichtetes - Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde begründet hatte, ohne die erkennbar bevorstehende Erledigung in seinen Vortrag einzubeziehen oder einen entsprechenden Antrag zu stellen. Ob der Betroffene ganz bewusst so verfahren ist, erschließt sich nicht. Nach Auffassung des Senats legt aber der Umstand, dass der Betroffene unmittelbar vor Eintritt der Erledigung an seinem Rechtsmittel festhielt, vielmehr die Annahme nahe, dass er in jedem Falle die angefochtene Maßnahme auch nach Eintritt der Erledigung einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt wissen wollte. Ohne entsprechende Rückfrage (Art. 103 Abs. 1 GG) durfte das Rechtsmittel daher nicht als unzulässig verworfen werden.

c) Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Hannover zur erneuten Entscheidung über die sofortige Beschwerde.

3. Die Voraussetzungen zur Vorlage an den Bundesgerichtshof nach Maßgabe von § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG liegen hiernach nicht vor (vgl. im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Zweibrücken im Übrigen auch schon den Beschluss des OLG Karlsruhe a.a.O.).

4. Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. aus H. war nicht zu bewilligen. Zwar bestanden Erfolgsaussichten für das weitere Beschwerdeverfahren. Der Betroffene hat indessen trotz der seinem Verfahrensbevollmächtigen aus zahlreichen Verfahren bekannten Rechtsprechung des Senats weder Unterlagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt (§§ 14 FGG, 117 ZPO), noch auf bereits vorliegende Unterlagen Bezug genommen noch hierzu anwaltlich Angaben versichert. Eines vorherigen Hinweises seitens des Senats bedurfte es insoweit nicht.

Ende der Entscheidung

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