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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 07.06.2000
Aktenzeichen: 3 U 148/99
Rechtsgebiete: BRAO
Vorschriften:
BRAO § 43 |
2. Eine Haftung des Rechtsanwalts für fehlerhafte rechtliche Beurteilungen eines Gerichts kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Anwalt keine Möglichkeit hatte, der möglicherweise irrigen Rechtsauffassung des Gerichts entgegenzuwirken.
3. Die Haftung des in Regress genommenen Anwalts setzt zunächst eine die Ausgangsentscheidung mitverursachende Pflichtverletzung voraus. Nur und soweit diese feststeht, obliegt dem Regressgericht die Prüfung, wie bei pflichtgemäßem Handeln des Anwalts das Ausgangsverfahren richtigerweise hätte entschieden werden müssen.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil
3 U 148/99 5 O 71/99 LG Lüneburg
Verkündet am 7. Juni 2000
#######, Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ####### sowie der Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 13. Juli 1999 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird zurückgewiesen. Die erweiterte Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung seitens der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000 DM abzuwenden, soweit nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Sicherheit ist auch die selbstschuldnerische, unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und schriftliche Bürgschaft einer Bank mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, die einem anerkannten Einlagensicherungsfonds angehört, oder einer öffentlichen Spar- oder Darlehnskasse.
Beschwer der Klägerin: 85.515,38 DM.
Tatbestand
Die Beklagten waren die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin in einem Bauprozess, den diese als Bauherrin eines Einfamilienhauses gegen die Generalunternehmerin, die Firma ####### geführt hat. Sie nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen Schlechterfüllung ihrer anwaltlichen Pflichten in Anspruch.
Im Ausgangsverfahren stritten die Parteien des Bauvertrages über die Frage, ob die Klägerin wegen Verzögerungen beim Baufortschritt sowie zahlreicher von ihr behaupteter Mängel der Bauleistungen zur Einhaltung vereinbarter Raten berechtigt war oder sie - was die Generalunternehmerin im Wege der Widerklage geltend gemacht hatte - dieser durch den Zahlungseinbehalt einen Grund für die Kündigung des Bauvertrages gegeben hatte.
Das Landgericht hat, nachdem über die behaupteten Mängel ein selbstständiges Beweisverfahren, in dem die Parteien umfangreich zu den einzelnen von der Klägerin behaupteten Mängeln vorgetragen hatten, durchgeführt worden war, selbst ein Gutachten des Sachverständigen ####### eingeholt und auf der Grundlage der Ausführungen dieses Sachverständigen, der den ihm bekannten Darlegungen des Diplom-Ingenieurs ####### überwiegend nicht gefolgt war, die auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete Klage abgewiesen sowie die Klägerin auf die Widerklage der Generalunternehmerin hin zur Zahlung von 50.000 DM verurteilt. Die von der Klägerin geltend gemachten Mängel seien, so das Landgericht, nicht gravierend, nämlich lediglich mit 5.900 DM - so der Gutachter ####### im selbstständigen Beweisverfahren - bzw. 9.700 DM - so der gerichtlich bestellte Gutachter ####### - zu bewerten und rechtfertigten nicht die Abstandnahme der Klägerin vom Vertrag.
In dem gegen die landgerichtliche Entscheidung geführten Berufungsverfahren hat der Beklagte zu 2 im Rahmen der Berufungsbegründung vorrangig geltend gemacht, die angefochtene Entscheidung sei, soweit sie Schadensersatzansprüche der Klägerin verneine, unzutreffend, da es im Hinblick auf die Weigerung der Beklagten zur Mängelbeseitigung einer ausdrücklichen Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung nicht bedurft hätte. Hinsichtlich der Mängel im Einzelnen hat der Beklagte zu 2 zu den Einzelpositionen jeweils auf den erstinstanzlichen Sachvortrag nebst der dortigen Beweisantritte verwiesen. Der im Berufungsverfahren zuständige 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat daraufhin zu zwei Einzelfragen eine Beweiserhebung durch Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens angeordnet. Vier Tage vor dem Verhandlungstermin ist beim Senat ein weiterer, umfassender Schriftsatz des Beklagten zu 2 eingegangen, mit dem dieser eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen ####### vorgelegt hat. Zu einer weiteren Beweiserhebung ist es nicht gekommen: Der Senat hat die Berufung der Klägerin bis auf einen Teilbetrag von 2.329,68 DM zurückgewiesen und ausgeführt, der Bauvertrag sei zwischen den Parteien einvernehmlich aufgehoben worden. Die Generalunternehmerin könne daher auf der Grundlage der erbrachten Werkleistungen ihre Forderung abrechnen. In Abzug zu bringen seien nur die von ihr ersparten Aufwendungen, welche durch die Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen hinreichend belegt seien. Das teilweise grob verspätete Vorbringen der Klägerin in dem unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz greife gegenüber den Ausführungen des Sachverständigen nicht durch. Dessen Gutachten stellten eine hinreichende Grundlage für die Beurteilung der Mängel, wegen derer die Klägerin ihrerseits Ansprüche geltend machen könne, dar.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin nunmehr ihre ursprünglich im Bauprozess erhobenen Ansprüche im Wege des Regresses. Sie vertritt die Auffassung, die Beurteilung des 14. Zivilsenats im Ausgangsverfahren zur Frage der Beendigung der Vertragsbeziehungen der Bauprozessparteien sei unrichtig. Jedenfalls aber habe das verspätete Vorbringen des Beklagten zu 2 dazu geführt, dass der Senat über die behaupteten und tatsächlich auch bestehenden Mängel nicht ergänzend Beweis erhoben habe. Bei weiterer Beweisaufnahme, die bei rechtzeitigem Vorbringen hätte durchgeführt werden müssen, wäre das Verfahren zu Gunsten der Klägerin ausgegangen und hätte zu einer anderen Sach- und Kostenentscheidung geführt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an
die Klägerin 85.050,38 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 4. März 1999 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben vorrangig geltend gemacht, eine mögliche Pflichtverletzung durch verspäteten Vortrag scheide als Ursache für die Zurückweisung der Berufung aus, da diese nicht wegen verspäteten Vorbringens, sondern aus sachlichen Gründen erfolgt sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung zieht die Klägerin zunächst die Rechtsauffassung des 14. Senats im Ausgangsverfahren, der Bauvertrag sei zwischen den Parteien einvernehmlich beendet worden, in Zweifel. Im Übrigen wiederholt die Klägerin die bereits erstinstanzlich vorgebrachten Argumente und vertieft ihre Darlegung zu den einzelnen, von ihr behaupteten Mängeln, die bei rechtzeitigem Sachvortrag im Ausgangsverfahren hätten aufgeklärt werden müssen.
Die Klägerin beantragt nunmehr - teilweise im Wege der Klagerweiterung -,
1. das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 13. Juli 1999 abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner der Klägerin 85.515,38 DM nebst 4 % Zinsen auf 85.050,38 DM seit dem 4. März 1999 sowie auf weitere 465 DM seit Zustellung der Berufungsbegründung zu zahlen;
2. für den Fall der Anordnung einer Sicherheitsleistung der Klägerin zu gestatten, Sicherheit in Form der Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse, Volksbank oder Spar- und Darlehnskasse zu leisten.
Die Beklagten beantragen,
die gegnerische Berufung zurückzuweisen;
für den Fall einer Maßnahme nach § 711 ZPO anzuordnen, dass die Sicherheitsleistung auch durch eine schriftliche, unbefristete, unwiderrufliche, unbedingte und selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank, öffentlichen Sparkasse oder Bank, die einem anerkannten Einlagensicherungsfonds angehört, geleistet werden darf.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und vertreten insbesondere die Auffassung, ein möglicherweise verspätetes Vorbringen der Beklagten sei nicht kausal für die Entscheidung im Ausgangsverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der vom Senat beigezogenen Akten 3 O 201/94 LG Verden und 8 OH 16/93 LG Verden nebst den in jenen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig; sie hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Die Beklagten - hier der Beklagte zu 2 - haben die ihnen auf Grund des angenommenen Mandats obliegenden Pflichten dadurch verletzt, dass sie die ihnen von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme des Privatsachverständigen ####### die ihnen noch in der ersten Hälfte des Jahres 1997 zur Verfügung stand, erst am 9. Januar 1998 und damit vier Tage vor dem Verhandlungstermin beim 14. Senat eingereicht haben. Die Beklagten wären schon auf Grund des Gebotes des sichersten Weges verpflichtet gewesen, ihnen von der Mandantin übermittelte Informationen so rechtzeitig vorzutragen, dass diese Informationen, soweit sie erheblich waren, vom erkennenden Senat hätten berücksichtigt werden können und müssen und nicht die Gefahr bestand, dass der Vortrag der Klägerin wegen Verspätung zurückgewiesen würde.
2. Die Pflichtverletzung der Beklagten ist jedoch ohne Auswirkung auf die Sachentscheidung des Senats im Ausgangsverfahren geblieben, da der Senat den Sachvortrag der Beklagten im am Folgetag eingegangenen Schriftsatz vom 8. Januar 1998 zwar als verspätet bezeichnet, nicht jedoch aus Verspätungsgründen zurückgewiesen, sondern sich vielmehr mit den sachlichen Argumenten der Klägerin auseinandergesetzt und diese auch unter Berücksichtigung der weiteren tatsächlichen Behauptungen in dem von den Beklagten verspätet eingereichten Schriftsatz zurückgewiesen hat.
a) Soweit die Klägerin ihrem Berufungsbegehren die Auffassung zu Grunde legt, die im Urteil des Ausgangsverfahrens vertretene Rechtsansicht, beide Vertragsparteien hätten eine Auflösung des Vertrages gewollt, sei unrichtig, führt dies nicht zur Haftung der Beklagten. Dem Berufungsvorbringen der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, welchen weiteren Sach- oder Rechtsvortrag die Beklagten unterlassen haben, der zu einer anderen Beurteilung dieser Frage hätte führen können. Die Beklagten haben insoweit - als Kernpunkt ihrer Berufungsbegründung - das landgerichtliche Urteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend angegriffen, die abweichende Auffassung der Klägerin dargelegt und damit ihre Pflichten aus dem Mandatsverhältnis insoweit vollständig erfüllt. Dass die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchgedrungen ist, beruht insoweit nicht auf unterlassenem oder verspätetem Vortrag der Beklagten, sondern - wie im Urteil dargelegt - darauf, dass sich das Gegenteil dessen, was im Berufungsrechtszug zu dem der Beendigung des Bauvertrages vorausgehenden Vereinbarungen der Parteien vorgetragen worden ist, aus dem vorgelegten Schriftverkehr ergab. Zum tatsächlichen Vorbringen der Klägerin hat der Senat dort ausgeführt, es sei in offensichtlich irreführender Absicht erfolgt.
Auf die Richtigkeit dieser Beurteilung - die der erkennende Senat im Ergebnis teilt - kommt es im Regressprozess ohnehin nicht an. Eine Haftung des Rechtsanwalts - hier der Beklagten - für fehlerhafte rechtliche Beurteilungen eines Gerichts kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Anwalt keine Möglichkeit hatte, der möglicherweise irrigen Rechtsauffassung des Gerichts entgegenzuwirken (vgl. Borgmann/Haug, Rechtsanwaltshaftung, 3. Aufl. V Rdn. 59 ff.).
b) Aber auch der verspätete Sachvortrag der Beklagten hat den für die Klägerin ungünstigen Prozessausgang im Ausgangsverfahren nicht verursacht. Dies ergibt sich bereits aus den Gründen jenes Urteils. Das Vorbringen der Klägerin aus dem Schriftsatz des Beklagten zu 2 vom 8. Januar 1998 hat der Senat nicht als verspätet zurückgewiesen, sondern sich im Einzelnen mit diesem Vorbringen, das auf der Grundlage der Stellungnahme des Sachverständigen ####### die Richtigkeit des Gutachtens des Sachverständigen ####### in Zweifel zog, auseinandergesetzt, ausdrücklich das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen als hinreichend sichere Grundlage für eine Sachentscheidung bezeichnet und sich in den von der Klägerin vorgebrachten Einzelpunkten mit deren Angriffen befasst, so insbesondere mit den behaupteten Mängeln und Unvollständigkeiten der Treppenanlage, dem Einbau einer Windsperre, den Zustand des Balkonfussbodens, der Beschaffenheit der Nebeneingangstür, dem Höhenniveau des Bauvorhabens sowie Fehlern der Dachkonstruktion. Dabei beruht das Urteil in mehreren Punkten, insbesondere zur Frage eines Mangels der Treppenanlage sowie der erforderlichen Beschaffenheit der Nebeneingangstür, nicht auf tatsächlichen, sondern der rechtlichen Erwägung, dass die von der Klägerin beschriebenen, unstreitigen Bauausführungen nicht als Mängel anzusehen seien.
Darauf, ob die Beurteilung des zur Entscheidung anstehenden Sachverhalts durch das Berufungsgericht zutreffend ist, kommt es hier nicht an. Richtig ist zwar, dass im Regressprozess grundsätzlich nicht darauf abzustellen ist, wie das Ausgangsgericht voraussichtlich entschieden hätte, sondern maßgeblich ist, wie richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass - ohne dass es auf die Kausalität der anwaltlichen Pflichtverletzung ankäme - im Regressverfahren der Sachverhalt des Ausgangsprozesses, nun unter dem Blickwinkel der Anwaltshaftung, erneut in gleicher Weise mit dem Ziel einer anderen Beurteilung, gleichsam einer Superrevision, zur Überprüfung gestellt werden kann. Die Haftung des in Regress genommenen Anwalts setzt vielmehr zunächst eine die Ausgangsentscheidung mitverursachende Pflichtverletzung voraus. Nur und soweit diese feststeht, obliegt dem Regressgericht die Prüfung, wie bei pflichtgemäßem Handeln des Anwalts das Ausgangsverfahren richtigerweise hätte entschieden werden müssen. An einer solchen, die Ausgangsentscheidung kausal beeinflussenden Pflichtverletzung fehlt es jedoch hier bereits.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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