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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 10.02.2004
Aktenzeichen: 3 U 15/04
Rechtsgebiete: GVG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1b
ZPO § 517
ZPO § 233
Wird in einem Streit über Ansprüche, die von einer Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat, Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts beim wegen § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG unzuständigen Landgericht eingelegt, ist keine Wiedereinsetzung zu gewähren. Der Berufungskläger kann seinen Wiedereinsetzungsantrag nicht darauf stützen, das Landgericht habe die Akten fristwahrend dem Oberlandesgericht übersenden müssen, wenn die Berufung als Blattberufung erst am vorletzten Tag der Berufungsfrist beim - bis dahin mit der Sache nicht befassten - Landgericht einging; BVerfG, NJW 1995, 3173, steht dem nicht entgegen.
3 U 15/04

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle am 10. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag des Beklagten vom 6. Februar 2004 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung des Beklagten gegen das am 30. Oktober 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gifhorn - 13 C 1193/02 - wird verworfen.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Klägerin, eine Bank mit Sitz in Innsbruck, macht den Ausgleich eines Minussaldos auf einem Girokonto geltend. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben.

Das Urteil wurde dem Beklagtenvertreter am 3. November 2003 zugestellt. Der Berufungsschriftsatz ging als Fax am Morgen des 2. Dezember 2003 beim Landgericht Hildesheim ein. Mit Verfügung der Geschäftsstelle vom gleichen Tag wurden die Akten der ersten Instanz erfordert. Das Original des Berufungsschriftsatzes ging am 3. Dezember 2003 beim Landgericht Hildesheim ein. Es wurde am gleichen Tag verfügt, die Berufung an den Gegner zuzustellen. Weiter wurde eine Zweiwochenfrist mit dem Zusatz "Akten" notiert. Die Akten gingen am 10. Dezember 2003 beim Landgericht ein. Mit Verfügung vom 11. Dezember 2003 wurde durch den Vorsitzenden der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim Termin bestimmt. Mit Beschluss vom 21. Januar 2004 erklärte sich das Landgericht Hildesheim für unzuständig und verwies den Rechtsstreit unter Hinweis auf § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG an das Oberlandesgericht Celle. Der Beklagte wurde sodann mit Verfügung vom 27. Januar 2004 auf die nicht fristgerechte Einlegung der Berufung beim Oberlandesgericht hingewiesen. Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2004 beantragte der Beklagtenvertreter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Die Berufung sei so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres habe erwartet werden können.

II.

1. Die Berufung war gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Sie ist unzulässig, da sie entgegen § 517 ZPO nicht binnen Monatsfrist eingelegt wurde. Die Einlegung der Berufung beim Landgericht Hildesheim war zur Fristwahrung nicht geeignet. Gemäß § 519 Abs. 1 ZPO wird die Berufung durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. Berufungsgericht vorliegend ist, was auch der Beklagte nicht in Abrede stellt, das Oberlandesgericht aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat, § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG (dazu s. a. BGH, NJW 2003, 1672).

2. Erfolglos muss auch der Antrag vom 6. Februar 2004 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist bleiben.

Wiedereinsetzung kann einer Partei nur gewährt werden, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder eine sonstige in § 233 ZPO genannte Frist einzuhalten. Der Beklagte muss sich das Verschulden seines Bevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dieses Verschulden liegt darin, dass in offenbarer Unkenntnis des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG die Berufung beim unzuständigen Gericht eingelegt wurde.

Entgegen seiner Auffassung konnte sich der Beklagte auch nicht darauf verlassen, dass seine beim Landgericht eingelegte Berufung noch fristgerecht an das Oberlandesgericht weitergeleitet würde. Für die Ansicht des Beklagten ergibt sich auch nichts aus der von ihm angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1995, 3173 ff.). Das BVerfG (a. a. O., 3175 unter II.) hat darauf hingewiesen, dass zwischen richterlicher Fürsorge einerseits und den Belangen einer funktionsfähigen Justiz andererseits abzuwägen sei. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten sei, dürfe sich nicht nur am Interesse der Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern müsse auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden müsse. Danach müsse der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen falle jedenfalls dann zugunsten des Rechtssuchenden aus, wenn das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig sei, jedoch vorher selbst mit dem Verfahren befasst gewesen sei. Für ein solches Gericht bestehe, während die Sache bei ihm anhängig sei, die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgende Fürsorgepflicht gegenüber den Prozessparteien. Es werde nicht unangemessen belastet, wenn ihm auch noch eine nachwirkende Fürsorgepflicht auferlegt werde. In einem solchen Fall liege es auch noch im Rahmen des Angemessenen, das Gericht für verpflichtet zu halten, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht würden, im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Eine ins Gewicht fallende Belastung des Gerichts trete dadurch nicht ein, weil ihm die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt sei und daher die Ermittlung des richtigen Adressaten, selbst wenn dieser in dem Schriftsatz nicht deutlich bezeichnet sein sollte, keinen besonderen Aufwand verursache.

An diesen oder vergleichbaren Voraussetzungen fehlt es freilich im vorliegenden Fall. Das Landgericht Hildesheim war bis zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn mit der Sache noch nicht befasst gewesen. Es kommt hinzu, dass ein schützenswertes Vertrauen des Rechtssuchenden auf fristgemäße Weiterleitung nicht voraussetzungslos besteht. Vorliegend konnte aufgrund der Besonderheiten des Falles ein solches Vertrauen erst gar nicht entstehen. Die Berufung ging als sogenannte Blattberufung per Fax am vorletzten Tag der Frist beim Landgericht ein. Das Landgericht ist durch seine Geschäftsstelle auch unverzüglich tätig geworden und hat die Akten erfordert. Als am letzten Tag der Frist das Original des Berufungsschriftsatzes einging, lagen die Akten noch nicht vor. Die Geschäftsstelle konnte nicht erkennen, dass eine Zuständigkeit des Landgerichts Hildesheim für die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil in Abweichung von der Regel nicht bestand. Eine richterliche Prüfung hatte zu einer Zeit, als eine fristwahrende Weiterleitung noch möglich gewesen wäre, noch nicht stattgefunden und hatte auch nicht stattfinden müssen. Im ordentlichen Geschäftsgang war eine fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Oberlandesgericht folglich nicht zu erreichen.

Geht man davon aus, dass der Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 21. Januar 2004 dem Beklagtenvertreter, wie dies in den Akten festgehalten ist, am frühen Morgen des 22. Januar 2004 per Fax übermittelt wurde, dürfte der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 6. Februar 2003 zudem ohnehin verspätet gestellt und damit unzulässig sein, weil die Frist von zwei Wochen gemäß § 234 ZPO, falls sie tatsächlich am 22. Januar 2004 zu laufen begonnen haben sollte, bereits am 5. Februar 2004 ablief. Es kommt darauf aus den oben genannten Gründen aber nicht entscheidend an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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