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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 02.02.2005
Aktenzeichen: 3 U 287/04
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
Verrechnungen eines Kreditinstituts im letzten Monat vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die zu einer Verringerung des Sollsaldos bei einem Kontokorrentkredit führen, sind insoweit als inkongruente Deckungsgeschäfte nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

3 U 287/04

Verkündet am 2. Februar 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2005 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 8. Oktober 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt; hiervon ausgenommen sind die dem Streithelfer entstandenen Kosten: Diese trägt der Streithelfer selbst.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 10 % übersteigenden Betrages abwendbar, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet, die die jeweils zu vollstreckende Forderung um 10 % übersteigt.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der B. GmbH. Seiner Bestellung liegt der Insolvenzantrag des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin vom 20. Juni 2002 zugrunde. Dieser war von der beklagten Volksbank ein Kontokorrentkredit mit einer Kreditlinie von 76.692,78 EUR (150.000 DM) gewährt worden, der am 12. Juni 2002 einen Negativsaldo in Höhe von 79.198,03 EUR aufwies. Infolge von Zuflüssen in Höhe von 98.467,15 EUR, denen lediglich Verfügungen in Höhe von 16.528,20 EUR gegenüberstanden, wurde der Schuldsaldo bis zum Insolvenzantrag vollständig zurückgeführt. Im Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrags wies das Konto ein Guthaben in Höhe von 2.743,92 EUR aus. Die Beklagte hat nach Stellung des Insolvenzantrags die bestehende Kontokorrentverbindung gekündigt. Auf ein weiteres Darlehen erhielt sie am 4. Juli 2002 eine Rückzahlung in Höhe von 4.464,59 EUR.

Der Kläger hat die der Rückführung der Kredite zugrundeliegenden Rechtshandlungen angefochten und die Auffassung vertreten, die Anfechtung rechtfertige sich hinsichtlich der Rückführung des Kontokorrentkredits aus § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, hinsichtlich der nach Stellung des Insolvenzantrags erfolgten Darlehensrückzahlung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 83.662,62 EUR zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 79.198,03 EUR seit Zustellung der Klageschrift und aus 83.662,62 EUR seit dem 6. August 2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen einer Anfechtung seien nicht gegeben. Mit der Behauptung, im Vertrauen auf die Rechtswirksamkeit der erlangten Zahlungen andere Sicherheiten aufgegeben zu haben, hat sie ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht.

Das Landgericht hat, der Rechtsauffassung des Klägers in vollem Umfang folgend, der Klage stattgegeben.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die darauf hinweist, dass sie im Zeitraum zwischen dem 12. und 20. Juni 2002 weiter Verfügungen zugelassen habe, weshalb die vorgenommenen Rechtshandlungen als Bargeschäfte anzusehen und daher der Anfechtung entzogen seien. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags beantragt die Beklagte, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der dem Rechtsstreit am 29. November 2004 beigetretene Streithelfer hat keinen Antrag gestellt.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Sach- und Rechtsvortrages.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, wegen des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht dem Zahlungsanspruch des klagenden Insolvenzverwalters entsprochen.

1. Die beklagte Volksbank ist gem. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO verpflichtet, der Insolvenzmasse einen Betrag in Höhe von 79.198,03 EUR zurückzugewähren; die im letzten Monat vor Insolvenzantragstellung erfolgte Rückführung des Kontokorrentkredits ist durch den Kläger wirksam gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO angefochten.

a) Nach § 131 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung der Zahlungsein- und ausgänge, die als Rechtshandlung den Vorschriften der §§ 129 ff. InsO unterfällt (vgl. Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Kirchof, § 129 Rn. 12), ist als inkongruente Deckung anfechtbar; denn die Beklagte hatte keinen Anspruch auf Rückführung des eingeräumten Kontokorrentkredits (vgl. BGH NJW 1999, 3780 ff.; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, Anm. 3.114 b; Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung/Kirchof, a. a. O., § 131 Rn. 44). Ob die Rückführung des Kontokorrentkredits durch die Beklagte veranlasst worden ist, es sich also, wie von ihr als erheblich angesehen, um eine "Zwangsexekution" gehandelt hat, ist ohne entscheidende Bedeutung. Hierauf hat bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen.

b) Aus der von beiden Parteien zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2002 (BGHZ 150, 122 ff.) ergibt sich jedenfalls nichts für die Rechtsauffassung der Beklagten. Zwar heißt es im Leitsatz 2 der Entscheidung, dass Verrechnungen im Kontokorrent kongruent sind, soweit die Bank ihren Kunden und späteren Insolvenzschuldner vereinbarungsgemäß wieder über die Eingänge verfügen lässt, insbesondere eine vereinbarte Kreditlinie offen hält. Unerheblich sei, ob der Kunde diese voll ausnütze.

Der der Entscheidung des Bundesgerichtshof zugrunde liegende Fall ist jedoch mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar. In der vom Bundesgerichtshof entschiedenen Gestaltung hatte das in Anspruch genommene Kreditinstitut bereits den Betrag, um den die verrechneten Einzahlungen im Zeitraum der Anfechtbarkeit die Auszahlungen überstiegen, an den Kläger zurückgezahlt, da in diesem Umfange die Beklagte die Insolvenzschuldnerin letztlich nicht wieder über die Eingänge hatte verfügen lassen. Die Parteien des dortigen Rechtsstreits gingen mithin beide, ohne insoweit an der Verpflichtung des in Anspruch genommenen Bankinstituts zu zweifeln, davon aus, dass jedenfalls der Betrag, um den der Kontokorrentkredit in den letzten 30 Tagen vor der Stellung des Insolvenzantrags nach Saldierung mit belastenden Verfügungen zurückgeführt worden war, vom Kreditinstitut zu erstatten war.

c) Die durch Verrechnung erfolgte Verminderung des Schuldsaldos ist auch nicht als Bargeschäft im Sinne von § 142 InsO der Anfechtung entzogen. Der Annahme eines Bargeschäfts steht entgegen, dass die Beklagte eine inkongruente Deckung erlangt hat.

2. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO ist auch hinsichtlich eines weiteren Betrages in Höhe von 4.464,59 EUR begründet. In dieser Höhe hat die Beklagte nach Stellung des Insolvenzantrags eine Befriedigung ihrer Forderung erlangt; das Anfechtungsrecht des Klägers ergibt sich insoweit aus § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO.

3. Der Beklagten steht gegenüber dem klägerischen Zahlungsanspruch kein Zurückbehaltungsrecht wegen von ihr aufgegebener Sicherheiten zu. Die Richtigkeit des Sachvortrags der Beklagten hierzu kann dahinstehen. Gemäß der ausdrücklichen Anordnung in § 144 Abs. 1 InsO lebt das Recht der Beklagten auf Wiedereinräumung aufgegebener Sicherheiten erst nach Erfüllung des klagweise geltend gemachten Anspruchs wieder auf.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Senat hat die Revision im Hinblick darauf zugelassen, dass die hier zu entscheidende Rechtsfrage, in welchem Umfang ein Kreditinstitut ihr zugute gekommene Verfügungen während des letzten Monats vor Stellung auf Insolvenzeröffnung an die Masse zurückgewähren muss, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Ende der Entscheidung

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