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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 25.09.2002
Aktenzeichen: 3 U 67/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
Eine ausschließlich politisch motivierte Kündigung eine Kontoverbindung durch die Bank verstößt jedenfalls dann gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung, wenn die betroffene politische Organisation vom Bundesverfassungsgericht nicht als verfassungswidrig erklärt und verboten worden ist, damit als verfassungsgemäß gilt (vgl. Art. 21 Abs. 2 Satz 3 GG) und deshalb dem besonderen Schutz des Art. 21 GG untersteht
3 U 67/02

Verkündet am 25. September 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. ###### sowie der Richter am Oberlandesgericht Dr. ###### und Dr. ###### für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 18. Januar 2002 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das angefochtene Urteil teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, das für den Kläger geführte Konto mit der Konto- Nr. ########## fortzuführen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung 10 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe eines Betrags leistet, der die jeweils zu vollstreckende Forderung um 10 % übersteigt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger - ######################### - unterhält seit dem 25. Juli 1990 ein Girokonto bei der Beklagten. Nachdem die Beklagte im August/September 2000 durch Presseberichte, u. a. in der ########## sowie in der ############, in denen ihre Geschäftsverbindungen zu rechtsextremen Parteien und Organisationen dargestellt wurden, in die öffentliche Kritik geraten war, kündigte die Beklagte am 12. September 2000 mit Wirkung zum 24. Oktober 2000 das bestehende Vertragsverhältnis. Während das Kündigungsschreiben selbst die Formulierung enthält, die Beklagte habe 'kein Interesse an der Fortführung der Geschäftsverbindung', heißt es in einem Schreiben der Beklagten vom 6. September 2000 an ein Mitglied des Klägers, die ########## unterhalte zu kriminellen und verfassungsfeindlichen Organisationen keine Geschäftsbeziehungen. In einer weiteren Stellungnahme der ############## ist ausgeführt, der Vorstand der ######## habe beschlossen, sämtliche Kontoverbindungen von rechtsradikalen Parteien und Organisationen zu kündigen. Dies betreffe insbesondere Konten der ###, der ### und der ######; in einem zweiten Schritt sollten auch Konten von Verlagen und anderen diesen Parteien nahestehenden Institutionen gekündigt werden. Der Vorstand verstehe diese Entscheidung als einen wichtigen Beitrag zur politischen Hygiene, mit der die ########### sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stelle.

Der Kläger hält die Kündigung der Geschäftsbeziehung für unwirksam. Als Landesverband einer politischen Partei komme ihm die - durch Art. 21 GG geschützte - Aufgabe zu, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Zur Erfüllung dieser Aufgabe sei er darauf angewiesen, seinen Zahlungsverkehr unbar abwickeln zu können. Diese Möglichkeit sei ihm durch die Kontokündigung genommen, da kein anderes Kreditinstitut zur Begründung einer Geschäftsbeziehung und zur Eröffnung eines Kontos für den Kläger bereit sei. Der Kläger hat insoweit die abschlägig beschiedenen Anfragen bei einer Vielzahl regionaler und überregionaler Banken und ##########n vorgelegt.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, das für den Kläger geführte Konto mit der Konto-Nr. ######### einstweilen fortzuführen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich auf ihre jetzige Organisationsform als privatisiertes Kreditinstitut, für das der Grundsatz der Vertragsfreiheit gelte, berufen und die Auffassung vertreten, der Kläger sei gehalten, gegebenenfalls gerichtlich gegenüber der ####### ###### als Anstalt des öffentlichen Rechts die Eröffnung eines Girokontos durchzusetzen. Dieser Möglichkeit habe er sich selbst begeben, da er eine entsprechende, an das Verwaltungsgericht Hannover gerichtete Klage nach Verweisung an das Landgericht Hannover zurückgenommen hat.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Da der Kläger zur Erfüllung seiner Aufgaben auf eine Kontoverbindung angewiesen sei, müsse der für die Beklagte streitende Grundsatz der Vertragsfreiheit zurücktreten, da nur so der Kläger seinen durch Art. 21 GG gewährleisteten Verfassungsauftrag wahrnehmen könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sach- und Rechtsvortrags die Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung sowie die Abweisung der Klage erstrebt. Der Kläger seinerseits begehrt die Zurückweisung der Berufung und im Wege der unselbständigen Anschlussberufung eine Verpflichtung der Beklagten zur dauerhaften Fortführung der bestehenden Kontoverbindung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg; die Anschlussberufung des Klägers führt zur beantragten Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung. Die von der Beklagten gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung der Geschäftsbeziehung ist wegen Verstoßes gegen § 242 BGB unwirksam.

I.

Die Beklagte ist grundsätzlich berechtigt, ihre Geschäftsbeziehung zu einem Kunden unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen aufzulösen, ohne dass eine solche Kündigung einer besonderen Begründung bedürfte. Diese in § 19 AGB ######## enthaltene Regelung ist Ausdruck der Vertragsfreiheit und als solche rechtlich nicht zu beanstanden.

II.

Ungeachtet dessen kann im Einzelfall eine - den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 AGB ######## genügende - Kündigung nach § 242 BGB unwirksam sein. Dies ist hier anzunehmen; die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung stellt sich als unzulässige Rechtsausübung dar.

1. Für § 242 BGB, der seinem Wortlaut nach nur die Art und Weise der geschuldeten Leistung regelt, ist anerkannt, dass dem Inhalt der Norm eine weit über diesen Wortsinn hinausreichende Bedeutung zukommt. § 242 BGB statuiert den allgemeinen Grundsatz, dass jedermann bei Ausübung seiner Rechte und Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat (BGHZ 85, 48). § 242 BGB setzt der Rechtsausübung dort eine Schranke, wo sie zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen führt (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 242 Rn. 2 m. w. N.). § 242 BGB verpflichtet damit die Beklagte, bei Ausübung ihres Kündigungsrechts auf Belange des Klägers Rücksicht zu nehmen. Schon im Regelfall ist dieses an eine - nach § 19 Abs. 1 AGB ######## an sich 'voraussetzungslose' - Kündigung zu stellende Kriterium zu beachten, was u. a. darin zum Ausdruck kommt, dass die Kündigung nicht zur Unzeit erfolgen darf. Diese Einschränkung des Kündigungsrechts trägt dem tatsächlichen Umstand Rechnung, dass im heutigen Wirtschaftsleben der Großteil aller Geldbewegungen unbar abgewickelt wird, weshalb nahezu jedermann auf eine bestehende Kontoverbindung angewiesen ist. Jeder Bankkunde kann daher erwarten, dass eine Bank von dem ihr zustehenden Kündigungsrecht nur nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls Gebrauch macht. Dabei wird das Kreditinstitut dem Interesse des von der Kündigung betroffenen Kunden dann besondere Bedeutung beimessen müssen, wenn dieser seinerseits keinen Anlass für die Kündigung gegeben hat.

2. Unter diesen Voraussetzungen erweist sich die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung wegen Verstoßes gegen § 242 BGB als unwirksam.

a) Spezifische, auf das Vertragsverhältnis mit dem Kläger bezogene Gründe hat die Beklagte weder mit der Kündigung selbst noch sonst im Rechtsstreit überzeugend dargetan. Insbesondere beruht die Kündigung nicht auf Umständen, die den wirtschaftlichen Bereich und damit den Kernbereich des Vertragsverhältnisses der Prozessparteien betreffen. Der Kläger hat, soweit ersichtlich und auch unstreitig, das betreffende Konto stets im Guthaben geführt. Zwischen den Parteien besteht keine Auseinandersetzung über die Abwicklung der bankspezifischen Leistungen. Grund der Kündigung ist vielmehr der - möglicherweise durch öffentlichen Druck seitens verschiedener Presseorgane initiierte Wille der Beklagten, zu (so deren Begründung außerhalb des eigentlichen Kündigungsschreibens) kriminellen und verfassungsfeindlichen Organisationen keine Geschäftsbeziehungen unterhalten zu wollen.

b) Eine solche, ausschließlich politisch motivierte Kündigung eine Kontoverbindung verstößt jedenfalls dann gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung, wenn die betroffene politische Organisation - wie hier der Kläger - vom Bundesverfassungsgericht nicht als verfassungswidrig erklärt und verboten worden ist, damit als verfassungsgemäß gilt (vgl. Art. 21 Abs. 2 Satz 3 GG) und deshalb dem besonderen Schutz des Art. 21 GG untersteht.

Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Das Grundgesetz hat sie in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben (BVerfG 1, 208, 225; 85, 264, 284). Sie sind dazu berufen, die Bürger zu politischen Handlungseinheiten zusammenzuschließen und ihnen so einen Einfluss auf das politische Geschehen zu ermöglichen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist es erforderlich, dass der grundgesetzliche Schutz der Parteien nicht auf ihre freie Gründung (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG) beschränkt wird; die Parteien benötigen vielmehr auch, um ihre Aufgaben in tatsächlicher Hinsicht erfüllen zu können, den hierfür erforderlichen technischen Apparat und die dazu gehörige technische Ausstattung (so ausdrücklich Klein in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, 38. Erg.-Lief., Art. 21 Anm. 167). Den Parteien kommt darüber hinaus der Schutz der Grundrechte zugute, so der besondere Bedeutung erlangende Gleichheitsgrundsatz, der zwar in erster Linie Schutz vor und Anspruch auf staatliches Handeln auslöst, der jedoch, auch ohne dass ihm unmittelbare Drittwirkung im privaten Bereich zuzumessen wäre, Ausstrahlungswirkung auf privatrechtliche Verhältnisse entfaltet (Klein, a. a. O., Rn. 271), was sich etwa in der Vergabe von Fernsehzeiten für die Ausstrahlung von Wahlwerbesendungen niederschlägt.

Dieser besondere Status und Schutz der politischen Parteien, der auch dem Kläger zukommt, führt bei Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien dieses Rechtsstreits dazu, dass das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Interesse der Beklagten an einer Beendigung der Geschäftsbeziehung zum Kläger hinter dessen ebenfalls grundgesetzlich geschützter Position zurücktreten muss. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beklagte, wie hier, keine bankspezifischen Gründe für die Aufkündigung der Vertragsbeziehung vorweisen kann, der Kläger seinerseits hingegen auf das Fortbestehen der Kontoverbindung angewiesen ist.

aa) Dass eine politische Partei grundsätzlich die ihr zugewiesenen Aufgaben in organisatorischer Hinsicht nur erfüllen kann, wenn sie über die notwendigen technischen Voraussetzungen und Einrichtungen verfügt - wozu auch das Bestehen einer allgemeinen, nicht etwa nur über technische Medien wie das Internet zugänglichen Bankverbindung gehört - bedarf keiner vertieften Erörterung. Nur so ist die Partei in die Lage, ihre Mitgliedsbeiträge einzuziehen, die staatliche Wahlkostenerstattung entgegenzunehmen und eingegangene Verbindlichkeiten auszugleichen. Der Bestand einer Bankverbindung ist eine elementare Voraussetzung für ein effektives Wirken einer politischen Partei, die auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes für den Kläger zu sichern ist.

bb) Im konkreten Fall ist der Kläger auf die Fortsetzung der bestehenden Bankverbindung mit der Beklagten angewiesen, da andere Kreditinstitute nicht bereit sind, neu in eine Geschäftsbeziehung mit dem Kläger einzutreten. Dies hat der Kläger hinreichend dargetan und auch bewiesen: Die zu den Akten gereichten zig-fachen Anfragen bei verschiedenen Kreditinstituten sowie deren Ablehnungsschreiben belegen dies.

cc) Der Kläger ist auch nicht gehalten, den Versuch zu unternehmen, im Klage-wege gegenüber der örtlichen ########## als Anstalt des öffentlichen Rechts die Eröffnung einer Kontoverbindung durchzusetzen. Abgesehen davon, dass dieser Versuch beim zuständigen Verwaltungsgericht - in der Sache als so offensichtlich unbegründet, dass das Gericht nicht einmal seine Zuständigkeit angenommen hat - gescheitert ist, ist die Beklagte auch nicht berechtigt, die Weiterführung der von ihr freiwillig begründeten Vertragsbeziehung von der Durchführung eines solchen Rechtsstreits abhängig zu machen. Insoweit zutreffend hat bereits das Verwaltungsgericht Hannover in seinem Beschluss vom 29. Mai 2001 (I A 1782/01 sowie I B 1801/01) darauf hingewiesen, dass als Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers lediglich ein zivilrechtlicher Kontrahierungszwang in Betracht käme, der jedoch nur dann besteht, wenn die Ablehnung des Vertragsschusses eine unerlaubte Handlung darstellt (vgl. Palandt/Heinrichs, Einführung vor § 145 Rn. 8), was im Ergebnis jedoch nur und gerade dann anzunehmen ist, wenn dem Vertragspartner eine marktbeherrschende Stellung zukommt. Dies trifft auf die örtliche ########## offensichtlich nicht zu. Insoweit wirkt sich aus, dass die Ablehnung einer Kontoeröffnung und die Beendigung einer freiwillig eingegangenen Vertragsbeziehung unterschiedlichen rechtlichen Voraussetzungen unterliegt (vgl. ebenso Boemke, NJW 2001, 43 f.).

III.

Die Unwirksamkeit der Kontokündigung bedingt zugleich den Erfolg der Anschlussberufung des Klägers: Die Beklagte ist verpflichtet, das Konto des Klägers fortzuführen. Diese Verpflichtung ist zeitlich unbefristet, insbesondere nicht von einem erneuten gerichtlichen Versuch des Klägers abhängig, die ########## Hannover zur Begründung einer Geschäftsbeziehung zu verpflichten.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Senat hat die Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 zugelassen. Zugleich mit der hier ausgesprochenen Kündigung hat die Klägerin ihre Vertragsbeziehung zu weiteren Landesverbänden der ########, darüber hinaus auch zu anderen rechtsgerichteten politischen Organisationen aufgekündigt. In den hieraufhin angestrengten Rechtsstreitigkeiten sind Entscheidungen verschiedenen Inhalts ergangen: In mehreren Fällen sind die Kündigungen mit der Begründung für wirksam erklärt worden, die hiergegen streitenden Kläger hätten nicht hinreichend dargetan, dass sie nicht in der Lage seien, bei einer anderen Bank oder ########## ein Konto zu eröffnen. Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Dresden (NJW 2002, 757) einer Klage auf Fortsetzung der Vertragsbeziehung stattgegeben. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, dass in ######## ein Parallelverfahren mit der Begründung ausgesetzt worden ist, vorrangig sei zu klären, ob die örtliche ########## gerichtlich verpflichtet werden könne, dem Kläger ein Girokonto zur Verfügung zu stellen.

Ende der Entscheidung

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