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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 24.09.2003
Aktenzeichen: 3 U 90/03
Rechtsgebiete: LugÜ


Vorschriften:

LugÜ Art. 17
Das Schriftformerfordernis des Art. 17 LugÜ kann trotz zunächst fehlender wirksamer Vereinbarung dadurch gewahrt sein, dass zwischen den Vertragsparteien Schriftverkehr stattfindet, aus dem beide Parteien zu erkennen geben, an den Verträgen in der abgefassten Form festhalten zu wollen.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

3 U 90/03

Verkündet am 24. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ####### sowie der Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11. März 2003 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover einschließlich des der Entscheidung zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschwer der Beklagten zu 1: 6.012,43 EUR der Beklagten zu 2: 15.537,49 EUR

Gründe:

I.

Die Bundesrepublik Deutschland nimmt die Beklagten aus Bürgschaften auf erstes Anfordern in Anspruch, die die Beklagte zu 1 sowie die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 2 im Jahr 1995 erteilt haben. Die Bürgschaften enthalten die Klausel

"Gerichtsstand ist der Sitz der zur Prozessvertretung des Auftraggebers zuständigen Stelle."

Der Text der Bürgschaftserklärung war von der Klägerin ihrer damaligen Vertragspartnerin, der M. AG übermittelt und auf deren Veranlassung hin von den Beklagten in die von diesen erstellten Bürgschaftserklärungen aufgenommen worden.

Die Beklagten bestreiten nunmehr die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung unter Hinweis auf das Erfordernis der beiderseitigen Schriftlichkeit gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 lit. a, 1. Alternative des Luganer Übereinkommens.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die die Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts Hannover für gegeben hält und beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. März 2003 - 18 O 116/02 - aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht Hannover zurückzuverweisen,

hilfsweise,

1. die Beklagte zu 1 zu verurteilen, an die Klägerin 6.012,43 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2001 bis zum 31. Dezember 2001 und in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2002 zu zahlen;

2. die Beklagte zu 2 zu verurteilen, an die Klägerin 15.537,49 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2001 bis zum 31. Dezember 2001 und in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2002 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, wegen des Vortrages der Parteien in der Berufungsinstanz auf den Inhalt der zwischen den beiden gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig; sie hat auch - im Sinne des Hauptantrags - Erfolg. Das Landgericht Hannover ist für die Entscheidung des Rechtsstreits international sowie sachlich und örtlich zuständig.

1. Da die Beklagten ihren Sitz in der Schweiz und damit im Hoheitsgebiet eines Staates haben, der nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft ist, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach dem Lugano-Abkommen vom 16. September 1988, Art. 54 b II lit. a LugÜ, Art. 53 LugÜ. Die Zuständigkeit des Landgerichts Hannover ist durch eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien gemäß Art. 17 LugÜ begründet worden.

a) Mit dem Landgericht ist allerdings davon auszugehen, dass die schriftliche Erklärung der Klägerin, mit der diese ihrer Vertragspartnerin den Text der beizubringenden Bürgschaftserklärung vorgegeben hat, als solche keine schriftliche Erklärung i. S. v. Art. 17 LugÜ ist. Der übersandte Formulartext enthält keine auf den Abschluss des späteren Bürgschaftsvertrages gerichtete Willenserklärung der Klägerin, was bereits daraus folgt, dass das Bürgschaftsmuster als solches keinen Hinweis auf die Urheberschaft der Klägerin enthält. Das Muster selbst ist auch nicht Gegenstand des Vertrages geworden, sondern als Erklärung der nunmehr in Anspruch genommenen Bürgen von diesen in Vertragsform umgesetzt worden (vgl. ähnlich BGH NJW 2001, 1731).

b) Eine schriftliche Zuständigkeitsvereinbarung ist auch nicht dadurch zustande gekommen, dass die Beklagten die Bürgschaftserklärungen entsprechend dem Muster der Klägerin mit den darin enthaltenen Gerichtsstandsklauseln in Vertragsform umgesetzt und ihrerseits schriftlich abgegeben haben. Damit haben zwar die Beklagten das Schriftformerfordernis hinsichtlich der Gerichtsstandsvereinbarung gewahrt. Die Klägerin hat den vereinbarten Gerichtsstand jedoch nicht schriftlich bestätigt. Ein Verzicht auf eine schriftliche Bestätigung kommt auch nicht bereits deshalb in Betracht, weil sowohl die Bürgschaften als auch die Gerichtsstandsklauseln für die Klägerin lediglich begünstigenden Inhalts sind. Ein Verzicht auf eine schriftliche Erklärung unter diesem Gesichtspunkt stünde im Widerspruch zu der aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gebotenen wortnahen Auslegung des Art. 17 LugÜ (BGH NJW 2001, 1731, 1732).

c) Das Erfordernis der beiderseitigen Schriftlichkeit i. S. v. Art. 17 Abs. 1 Satz 2 lit. a, 1. Alt. LugÜ ist allerdings durch den im Jahr 1999 zwischen den Parteien anlässlich der Reduzierung der Bürgschaftssummen geführten Schriftwechsel gewahrt. Bei diesem Schriftwechsel wurde zwar der Gerichtsstand nicht nochmals ausdrücklich erwähnt. Eine Zuständigkeitsvereinbarung kann jedoch auch konkludent erfolgen (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 1997, Art. 17 Rn. 78; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2002, Art. 23 Rn. 25; Münchener Kommentar zur ZPO/Gottwald, Bd. 3 1992, Art. 17 IZPR Rn. 14). Mit der Reduzierung der in den Bürgschaftsurkunden vereinbarten Haftungssummen haben die Parteien konkludent eine Zuständigkeitsvereinbarung getroffen. Dadurch, dass sie in Kenntnis der in den Bürgschaftserklärungen enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarungen eine Reduzierung der Haftungssummen der Bürgschaften vereinbarten, haben sie beiderseits zu erkennen gegeben, dass sie an den Verträgen in der abgefassten Form festhalten wollten. Dementsprechend heißt es im Schreiben der Oberfinanzdirektion ####### an die Beklagte zu 1 vom 10. Dezember 1999 eindeutig: "Ein Austausch der Bürgschaftsurkunde findet dabei nicht statt." In dem Antwortschreiben der Beklagten ist formuliert: "Alle übrigen Bedingungen der Bürgschaft bleiben unverändert." bzw. "Alle übrigen vereinbarten Bedingungen bleiben unverändert." Damit haben die Parteien schriftlich die Fortgeltung der Bürgschaftsverträge im Übrigen und somit auch die Bindung an die darin enthaltene Gerichtsstandsklausel vereinbart.

d) § 141 BGB steht der Annahme einer konkludenten Zuständigkeitsvereinbarung nicht entgegen; insbesondere ist unbeachtlich, ob sich die Parteien im Jahr 1999 bei der Bestätigung der vereinbarten Vertragsbedingungen, insbesondere der Gerichtsstandsklausel darüber im Klaren waren, dass bis zu diesem Zeitpunkt dem Erfordernis der beiderseitigen Schriftlichkeit nicht genügt war. Maßgeblich ist, dass die Frage des Vorliegens einer Willenseinigung autonom anhand von Art. 17 LugÜ und ohne Rückgriff auf das nationale Recht zu beantworten ist (vgl. Kropholler, a. a. O., Art. 23 Rn. 18; Geimer/Schütze, a. a. O., Art. 17 Rn. 75; Haß, IPRax 2000, 494; andere Auffassung Schlosser, EUZivilprozessrecht, 2. Aufl. 2003, Art. 23 EuGVVO, Rn. 3). Dies folgt aus dem Zweck des Übereinkommens, einheitliche Grundsätze für Gerichtsstandsregelungen zu schaffen. Lediglich in Art. 17 LugÜ nicht erwähnte Voraussetzungen wie etwa die Vertretungsmacht, die Geschäftsfähigkeit oder das Fehlen von Willensmängeln sind nach dem jeweils maßgeblichen nationalen Recht zu beurteilen. § 141 BGB betrifft jedoch die Frage des Vorliegens einer Willenseinigung als solcher und ist daher nicht anwendbar. Nach dem Zweck des Art. 17 LugÜ ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer Willeneinigung der Parteien über den Gerichtsstand auszugehen ist, im Interesse der Rechtssicherheit für alle Vertragsstaaten einheitlich zu bestimmen. Maßgeblich für die Feststellung einer Willenseinigung ist die Auslegung des Parteiwillens, aus der sich ergeben muss, dass die Parteien eine Zuständigkeitsvereinbarung konkret gewollt haben (Geimer/Schütze, a. a. O., Art. 17 Rn. 78; Haß, IPRAX 2000, 494). Dies entspricht der Zielsetzung der genannten Bestimmung, die vor allem gewährleisten will, dass Zuständigkeitsvereinbarungen nicht unbemerkt Inhalt eines Vertrages werden (Kropholler, a. a. O., Art. 23 Rn. 25). Vorliegend bestehen weder Zweifel, dass die Parteien im Zeitpunkt der Vereinbarung der Gerichtsstandsklausel gewillt waren, dieser Geltung zu verschaffen, noch bestand die Gefahr einer unbemerkten Zuständigkeitsvereinbarung. Die Klägerin hatte die Stellung der Bürgschaften unter Einschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung verlangt. Die Beklagten haben daraufhin dem Erfordernis der Klägerin entsprechende Bürgschaftserklärungen selbst formuliert und abgegeben. Damit steht fest, dass ein übereinstimmender Parteiwille hinsichtlich der Vereinbarung des Gerichtsstandes bereits 1995 und auch noch 1999 vorlag. Die erforderliche Schriftlichkeit ist damit jedenfalls durch die wechselseitigen Erklärungen der Parteien im Jahr 1999 anlässlich der Reduzierung der Bürgschaftssummen gewahrt.

e) Unabhängig hiervon wäre die Berufung der Beklagten auf eine etwaige Formunwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarungen rechtsmissbräuchlich. Die Beklagten haben die in den Erklärungen enthaltene Klausel, wonach Gerichtsstand der Sitz des zur Prozessvertretung des Auftraggebers zuständigen Stelle ist, selbst formuliert. Die inhaltliche Ausgestaltung der Bürgschaftserklärungen einschließlich der Gerichtsstandsvereinbarung war Voraussetzung dafür, dass die Klägerin die Bürgschaften als vertragsgemäße Sicherheiten akzeptiert hat und letztlich damit auch für die Erteilung des Auftrags an die M. AG. Es verstößt gegen das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens, dass sich die Beklagten nunmehr auf die Formunwirksamkeit der von ihnen selbst formulierten Klauseln berufen, nachdem sie über mehrere Jahre hinweg in Form von Avalprovisionen aus den in dieser Weise gestalteten Erklärungen Vorteile gezogen und auch noch 1999 anlässlich der Reduzierung der Bürgschaftssummen gegenüber der Klägerin ausdrücklich zum Ausdruck gebracht haben, dass sie sich an die übrigen Bürgschaftsbedingungen und damit auch an die Gerichtsstandsvereinbarungen gebunden fühlten. Auch insoweit würde die Berufung auf eine Formunwirksamkeit der Gerichtsstandsklausel als widersprüchliches Verhalten der Beklagten gegen das auch im Prozessrecht geltende Verbot von Treu und Glauben verstoßen.

2. Die Gerichtsstandsklausel ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch hinreichend bestimmt. Insoweit genügt es, dass in der Klausel objektivere Kriterien genannt sind, anhand derer die Zuständigkeit im Einzelfall bestimmbar ist, wobei sich das zuständige Gericht nicht schon aus dem Wortlaut ergeben muss, vielmehr eine Bestimmbarkeit anhand der Umstände bei Klagerhebung ausreichend ist (vgl. Kropholler, a. a. O., Art. 23 Rn. 71; Schlosser, a. a. O., Art. 23 EuGVVO Rn. 12). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende, § 18 Nr. 1 VOB/B entlehnte Gerichtsstandsvereinbarung.

III.

Die von der Klägerin beantragte Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ist sachdienlich, um eine weitere Aufklärung des Sachverhalts zu ermöglichen. Sie erhält den Parteien das Recht, ein erstmals in der Sache selbst ergangenes Urteil im Berufungsrechtszug überprüfen zu lassen.

IV.

Die Kostenentscheidung war der Entscheidung des Landgerichts vorzubehalten. Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO). Insbesondere weicht der Senat mit der hier zu treffenden Einzelfallentscheidung nicht von dem anders gelagerten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Februar 2001 ab.

Ende der Entscheidung

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