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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 21.06.2007
Aktenzeichen: 32 Ss 86/07
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 268a | |
StPO § 453 |
Oberlandesgericht Celle Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen S. U. ,
geboren am ####### in H.,
wohnhaft A. d. M., S.,
wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer Schusswaffe u. a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf das als Beschwerde gegen den Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts H. vom 4. September 2006 zu behandelnde Rechtsmittel des Angeklagten nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Landgericht ####### am 21. Juni 2007 beschlossen:
Tenor:
Der Senat ist derzeit zu einer Entscheidung nicht berufen.
Das Verfahren wird an das Amtsgericht H. - Abteilung 218 - zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts H. - Abt. 218 - vom 04.09.2006 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Bewährungsbeschluss vom selben Tage setzte das Amtsgericht die Dauer der Bewährungszeit auf vier Jahre fest und erteilte dem Angeklagten die Auflage, binnen einer Frist von sechs Monaten 300 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung der Gerichtshilfe zu leisten.
Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung. Ausweislich seines Antrages in der Berufungshauptverhandlung erstrebte er allein die Herabsetzung der Dauer der Bewährungszeit von vier auf drei Jahre. Die Strafkammer hat die Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 10.01.2007 verworfen. Ein Bewährungsbeschluss wurde durch die Strafkammer nicht erlassen.
Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Angeklagte das Rechtsmittel der Revision eingelegt, nach Einlegung der Revision gegenüber dem Senat jedoch ausdrücklich klargestellt, dass sich das Rechtsmittel nur gegen die Dauer der Bewährungszeit von vier Jahren richtet.
II.
1.
a) Das Rechtsmittel des Angeklagten ist nicht als Revision gegen das Urteil des Landgerichts H. vom 10.01.2007, sondern als Beschwerde gemäß §§ 304, 305 a Abs. 1 StPO gegen den Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts H. vom 04.09.2006 zu behandeln. Die in der Rechtsmitteleinlegung des Angeklagten liegende Erklärung ist gemäß § 300 StPO unter Zugrundelegung des Begehrens des Angeklagten dahin auszulegen, dass dieser nicht die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe, sondern lediglich die Dauer der Bewährungszeit angreifen will. Da eine Überprüfung des Bewährungsbeschlusses im Revisionsverfahren nicht möglich ist, ist das Rechtsmittel zur Gewährleistung eines möglichst wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes als Beschwerde gemäß §§ 304, 305 a Abs. 1 StPO zu behandeln.
b) Der Senat ist zu einer Entscheidung über diese Beschwerde nicht berufen, denn es fehlt an einer anfechtbaren Entscheidung.
Entscheidet das Berufungsgericht über die Berufung in der Sache, so entfällt der ursprüngliche Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 268 a Rdnr. 2; KK-Engelhardt, StPO, 5. Aufl., § 268 a Rdnr. 1; OLG Dresden NJ 2001, 323). Das Berufungsgericht muss nach § 332 i. V. m. § 268 a Abs. 1 StPO einen neuen selbstständigen Bewährungsbeschluss erlassen, wenn auch sein Urteil dies erfordert (vgl. Meyer-Goßner a.a.O.; OLG Dresden a.a.O.).
Ausweislich des Protokolls der Berufungshauptverhandlung hat das Landgericht keinen Bewährungsbeschluss verkündet, ein solcher findet sich auch nicht in den Akten. Nach dem Wegfall des amtsgerichtlichen Bewährungsbeschlusses fehlt es daher an einer beschwerdefähigen Entscheidung.
2. Da der Senat deshalb zu einer Entscheidung nicht berufen ist, war die Sache an das für die Nachholung des unterbliebenen Bewährungsbeschlusses zuständige Amtsgericht H. zurückzugeben.
a) Die Nachholung eines versehentlich nicht erlassenen Bewährungsbeschlusses ist grundsätzlich zulässig.
aa) Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, die Nachholung eines versehentlich unterlassenen Bewährungsbeschlusses sei unzulässig, sofern sich nicht der von dem erkennenden Gericht beabsichtigte Inhalt des Bewährungsbeschlusses bereits aus den Urteilsgründen ergebe (OLG Dresden a.a.O.; OLG Hamm NStZ-RR 2000, 126 f.; OLG Düsseldorf StV 2001, 225 f.; Horn in SK-StGB, § 56 Rdnr. 34; KK-Fischer, StPO, 5. Aufl., § 453 Rdnr. 3) und seine Nachholung somit eine bloße Dokumentation dessen sei, was das erkennende Gericht gewollt und in den Urteilsgründen auch zum Ausdruck gebracht habe (so etwa OLG Dresden a.a.O.).
Diese Meinung folgert aus dem Wortlaut des § 268 a StPO, wonach der Bewährungsbeschluss "mit dem Urteil" zu verkünden ist, dass ein Bewährungsbeschluss nicht nachträglich gefasst werden könne. Hierfür spreche der innere sachliche Zusammenhang zwischen Urteil und Bewährungsbeschluss, dessen Inhalt bei der Urteilsberatung unter Beteiligung der Schöffen mitzuentscheiden sei (OLG Hamm a.a.O.; LG Kempten, NJW 1978, 839 f.). Da sich die Entscheidungen über die Strafaussetzung und die Ausgestaltung der Bewährung auf die in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse und den persönlichen Eindruck, den das erkennende Gericht von dem Angeklagten gewonnen hat, gründeten, sei mangels einer solchen Entscheidungsgrundlage die Nachholung eines nicht lediglich die Mindestdauer der Bewährungszeit von zwei Jahren festsetzenden Bewährungsbeschlusses unzulässig (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Auch dürfe der Verurteilte in einem solchen Fall darauf vertrauen, dass die ausgesprochene Bewährung nicht nachträglich mit Auflagen und Weisungen versehen werde (OLG Düsseldorf a.a.O.).
bb) Der Senat folgt dieser Auffassung nicht. Ein versehentlich unterbliebener Bewährungsbeschlusses kann unter den Voraussetzungen von § 268 a Abs. 1 StPO vielmehr auch nachträglich erlassen werden.
Jede Strafaussetzung zur Bewährung steht unter dem Vorbehalt späterer Änderungen sowohl hinsichtlich ihrer Dauer als auch hinsichtlich der erteilten Auflagen und Weisungen (vgl. Gollwitzer in LK-StGB, 25. Aufl., § 268 a Rdnr. 22). Deshalb vermag ein rechtsfehlerhaft unterlassener Bewährungsbeschluss keinen Vertrauenstatbestand für den Angeklagten mit der Folge zu schaffen, dass über die Festsetzung der Mindestdauer der Bewährungszeit hinausgehende, beschwerende Anordnungen nicht noch nachträglich ergehen dürften. Der Angeklagte hat nämlich dadurch nicht eine Bewährung ohne Auflagen und Weisungen erhalten, sondern tatsächlich wurde über die Ausgestaltung der Bewährung gar nicht entschieden. Die Ausgestaltung der Bewährungsaufsicht durch den Bewährungsbeschluss ist gesetzlich zwingend vorgesehen und dient nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit, sondern als Lebens- bzw. Resozialisierungshilfe auch dem Verurteilten (so Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. § 56 b Rdnr. 2; vgl. bereits OLG Frankfurt NJW 1971, 720).
Die Strafaussetzung findet ihre Rechtfertigung nicht allein in Gerechtigkeitserwägungen, sondern dient auch dazu, auf den Täter ohne die Notwendigkeit der Verbüßung einer Freiheitsstrafe im Sinne seiner Resozialisierung einzuwirken (Schönke/Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 56 Rdnr. 3; OLG Frankfurt a. a. O.). Die Ausgestaltung der Bewährung hat hiernach - neben der Genugtuungsfunktion, die bestimmten Auflagen zukommt - vor allem präventiven Charakter, was insbesondere für die nach § 56 c StGB zu erteilenden Weisungen gilt (Schönke/Schröder-Stree, § 56 c Rdnr. 1, 2). Eine effektive Bewährungsüberwachung und damit auch die Überwachung der Resozialisierung des Verurteilten wird durch die Erteilung von Weisungen erleichtert, wenn nicht sogar erst ermöglicht (insoweit zustimmend OLG Dresden a.a.O.).
Der Zulässigkeit einer Nachholung des versehentlich unterbliebenen Bewährungsbeschlusses steht auch nicht entgegen, dass bei einer Nachholung des unterbliebenen Bewährungsbeschlusses die ursprünglich bei der Entscheidung nach § 268 a StPO zur Mitwirkung berufenen Schöffen nicht mitwirken und die Tatsachenbasis, auf deren Grundlage das Gericht zu entscheiden hat, nicht dem unmittelbaren Eindruck des Angeklagten in der Hauptverhandlung entspricht. Denn die Regelung des § 56 e StGB, wonach das Gericht Entscheidungen nach den §§ 56 b bis d StGB nachträglich treffen, ändern oder aufheben kann, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse des Verurteilten geändert haben, zeigt, dass der Gesetzgeber es grundsätzlich für zulässig erachtet hat, solche nachträglichen Entscheidungen ohne Beteiligung der Schöffen und ohne unmittelbar vorangegangene Hauptverhandlung zu treffen.
Die nachzuholende Entscheidung über die Ausgestaltung der Bewährung wird allerdings durch das hierzu berufene Gericht auf einer möglichst umfassenden Tatsachengrundlage zu treffen sein. Dies zwingt zur Auswertung des Akteninhaltes und der Urteilsgründe sowie zur persönlichen Anhörung des Verurteilten vor Erlass der Entscheidung. Im Einzelfall kann die Inanspruchnahme der Gerichtshilfe (§ 453 i. V. m. § 463 d StPO) zur Vorbereitung der Entscheidung geboten sein. Dabei ist das zuständige Gericht nicht an die von § 56 a StGB vorgesehene Mindestdauer der Bewährungszeit von zwei Jahren gebunden, weil allein durch den Nichterlass des Bewährungsbeschlusses durch das Landgericht H. kein Vertrauensschutztatbestand zugunsten des Angeklagten geschaffen worden ist.
b) Die Entscheidung über die Ausgestaltung der Bewährung durch die Nachholung des versehentlich unterbliebenen Bewährungsbeschlusses ist aufgrund ihres Inhalts und ihrer Gestaltungswirkung eine Entscheidung, die ihrem Wesen nach einer Nachtragsentscheidung gemäß § 453 StPO gleich kommt. Der unterbliebene Bewährungsbeschluss ist deshalb in entsprechender Anwendung von § 453 StPO nachzuholen (vgl. Gollwitzer in LK-StGB, § 268 a Rdnr. 22; Meyer-Goßner, § 268 a Rdnr. 8 und § 453 Rdnr. 2; OLG Köln NStZ 1991, 453 f.; OLG Koblenz MDR 1981, 423; OLG Celle MDR 1970, 68; LG Osnabrück NStZ 1985, 378 f.; so bereits KG Berlin NJW 1957, 275).
c) Das Verfahren war deshalb an das Amtsgericht H. als das Gericht des ersten Rechtszuges zur Nachholung des unterbliebenen Bewährungsbeschlusses zurückzugeben. Das Urteil des Landgerichts H. vom 10.01.2007 ist rechtskräftig, da das Rechtsmittel des Angeklagten nicht als Revision gegen das vorgenannte Urteil, sondern als Beschwerde gegen den Bewährungsbeschluss zu behandeln war. Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils ist zur Nachholung des Bewährungsbeschlusses das Gericht des ersten Rechtszuges gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 1 StPO berufen, da die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer im vorliegenden Fall nicht begründet ist (OLG Köln NStZ a.a.O.; Meyer-Goßner, § 268a Rdnr. 8).
Ende der Entscheidung
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