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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 21.09.2000
Aktenzeichen: 322 Ss 140/00 (Owiz)
Rechtsgebiete: BKatV
Vorschriften:
BKatV § 2 Abs. 2 S. 2 |
Oberlandesgericht Celle Beschluss
322 Ss 140/00 (Owiz) 24 Js 7389/00 StA Verden
In der Bußgeldsache
pp.
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck vom 8. Juni 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ###, den Richter am Oberlandesgericht ### und den Richter am Landgericht ### am 21. September 2000 beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h zu einer Geldbuße von 360 DM verurteilt.
Nach den Feststellungen fuhr die Betroffene am 29. Dezember 1999 gegen 23:37 Uhr auf der Landesstraße 133 in der Gemarkung Liliental außerhalb geschlossener Ortschaft bei zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h mit einer Geschwindigkeit von 101 km/h. - Von der Verhängung eines Fahrverbots, das nach der BKatV für diese Geschwindigkeitsüberschreitung grundsätzlich zu verhängen ist, weil die Betroffene innerhalb eines Jahres vor Begehung der Ordnungswidrigkeit rechtskräftig wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 38 km/h mit einer Geldbuße belegt worden war, hat das Amtsgericht mit der Begründung abgesehen, diese Maßnahme würde für die Betroffene eine schwere Härte bedeuten. Stattdessen hat es die nach der BKatV vorgesehene Geldbuße auf 360 DM erhöht.
Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde eingelegt, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründet hat.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
Der Schuldspruch und die ihm zugrunde liegenden Feststellungen sind rechtskräftig und damit bindend, und zwar nicht nur infolge der Beschränkung der Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft, sondern bereits wegen der Beschränkung des Einspruchs der Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 28. Januar 2000, mit dem sie ausdrücklich nur eine Überprüfung des Fahrverbots begehrte.
III.
Der Rechtsfolgenausspruch kann keinen Bestand haben. Die Gründe, mit denen das Amtsgericht trotz des von ihm erkannten Vorliegens eines Regelfalls von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen hat, halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1.Die von der Betroffenen begangene Geschwindigkeitsüberschreitung erfüllt den Tatbestand des § 2 Abs. 2 BKatV. Die wiederholte erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb relativ kurzer Zeit ist 'Ausdruck dafür, dass der Kraftfahrer ein erhöhtes Maß an Gleichgültigkeit an den Tag gelegt, die Chance zur Besinnung nicht ergriffen hat und dass der erzieherische Erfolg daher auch mit einer wesentlich höheren Geldbuße nicht erreichbar ist. Unter diesen Umständen erscheint die Unrechtsfolge des Fahrverbots nicht nur als verhältnismäßig, sondern angesichts der Unfallsituation auf unseren Straßen als geboten' (so BRDrucks. 140/89 S. 30 - zitiert vom BGH in BGHSt 38, 231, 235).
Für eine Einzelfallprüfung, ob trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV eine beharrliche Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, für die vorsätzliches Handeln nicht Voraussetzung ist, zu verneinen ist, ist nur eingeschränkt Raum. Die Erfüllung des Tatbestands des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV indiziert vielmehr grundsätzlich das Vorliegen eines beharrlichen Verstoßes, so dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl. BGH a.a.O). Der richterlichen Entscheidungsfreiheit wird dadurch Rechnung getragen, dass beim Vorliegen eines Regelfalls nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV die Anordnung eines Fahrverbots nicht zwingend vorgesehen ist, sondern lediglich 'in Betracht kommt'. Im Zusammenhang mit der Ausnahmeregelung des Absatzes 4 können die Umstände des konkreten Falls in objektiver und subjektiver Hinsicht bei der Bewertung und Entscheidung berücksichtigt werden. Dieser Möglichkeit muß sich der Tatrichter bewusst sein und dies in den Entscheidungsgründen zu erkennen geben; er braucht die Angemessenheit der verhängten Rechtsfolgen aber nicht besonders zu begründen, wenn keine Anhaltspunkte für ein Abweichen ersichtlich sind. Gewinnt er die Überzeugung, dass trotz eines Regelfalls die Verhängung eines Fahrverbots unangemessen ist und der notwendige Warneffekt auch mit einer angemessenen Erhöhung der Regelgeldbuße erreicht werden kann, so hat er dafür eine auf Tatsachen gestützte eingehende Begründung zu geben (vgl. BGH, a.a.O. S. 235 ff).
Das Vorliegen von Härten ganz außergewöhnlicher Art oder sonstiger, das äußere und innere Tatbild beherrschender außergewöhnlicher Umstände, möglicherweise schon das Vorliegen erheblicher Härten oder einer Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände kann ein Absehen vom Regelfahrverbot rechtfertigen (vgl. BGH, a.a.O. S. 134).
Nach der Rechtsprechung der hiesigen Senate für Bußgeldsachen liegt ein Härtefall in diesem Sinne dann vor, wenn feststeht, dass die Verhängung des Fahrverbots für den Betroffenen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen würde (vgl. Beschluss des früheren 1. Senats für Bußgeldsachen in Nds. Rpfl. 1996, 40; Senatsbeschluss vom 14. Februar 1997 - 2 Ss (Owi) 24/97). Für die Überzeugung, der Betroffene werde bei Verhängung eines Fahrverbots seinen Arbeitsplatz verlieren, reicht es indes nicht aus, dass sich der Tatrichter allein auf dessen nicht näher belegte Angaben verlässt. Lediglich als nicht widerlegt angesehene Behauptungen können keine Beurteilungsgrundlage für die Frage der Verhängung oder Nichtverhängung eines Fahrverbots sein. Die Behauptungen des Betroffenen dürfen nicht einfach hingenommen werden. Der Tatrichter muss ein solches Vorbringen ausweislich seiner Urteilsgründe besonders kritisch würdigen (vgl. den o.g. Beschluss des früheren 1. Senats sowie dessen Beschlüsse vom 27. Januar 2000 - 211 Ss 104/90 (Owi) - und 4. Februar 2000 - 311 Ss 6/00 (Owi) -; OLG Düsseldorf VRS 97, 214).
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gibt dem Tatrichter allerdings die Möglichkeit, seine Feststellungen aus der Einlassung des Betroffenen zu gewinnen, wenn er daraus klare, lückenlose und widerspruchsfreie Feststellungen herleiten kann, die insbesondere allgemeinen Erfahrungssätzen standhalten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Juli 1997 - 22 Ss 148/97 (Owi) - und vom 5. August 1997 - 22 Ss 171/97 (Owi) -).
2.Mit diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Amtsgerichts, von der Anordnung eines Fahrverbots abzusehen, nicht vereinbar.
Offensichtlich hat das Amtsgericht die seiner Entscheidung zugrunde gelegten Feststellungen allein der Einlassung der Betroffenen entnommen. Dem Senat ist es aber nicht möglich zu prüfen, ob der Amtsrichter die Behauptungen der Betroffenen lediglich für nicht widerlegt angesehen hat oder von ihrer Richtigkeit überzeugt war.
Die Begründung des Amtsgerichts für das Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots weist darüber hinaus wesentliche Lücken auf. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen werden nicht mitgeteilt. Im Urteil heißt es dazu nur, die Betroffene sei darauf angewiesen, in den Abendstunden in Liliental als Serviererin in einem Speiserestaurant erwerbstätig zu sein; Urlaub habe sie in letzter Zeit aus finanziellen Gründen nicht genommen und auch nicht während der Sommerferien eingeplant. Ohne Kenntnis der sonstigen Einkünfte und Vermögensverhältnisse lässt sich aber nicht beurteilen, ob die Unterbrechung der Serviertätigkeit für einen Monat eine erhebliche Härte für die Betroffene bedeuten würde. Ungeklärt ist, ob der Betroffenen nicht möglich und zumutbar ist, innerhalb von 4 Monaten nach der Rechtskraft der Entscheidung für einen Monat Arbeitsurlaub zu nehmen. Offen ist auch, ob sie ihre Arbeitszeit nicht vorübergehend so einrichten kann, dass sie während eines Monats nicht nachts bei Dunkelheit zur Arbeitsstelle gelangen muss. Die Feststellung, dass zwischen ihrem Wohnort und Liliental, wo die Kinder der Betroffenen ihren Freundeskreis haben, die Schule besuchen und Hobbys nachgehen, keine ausreichenden öffentlichen Verkehrsverbindungen zur Verfügung stehen, ist unzureichend. Danach kann nicht beurteilt werden, ob es den Kindern nicht möglich und zumutbar ist, gegebenenfalls unter Verzicht auf einige ihrer Aktivitäten Liliental mit dem Schulbus oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
3.Der Eindruck, den das Gericht in der Hauptverhandlung von der 'abgehärmt wirkenden Betroffenen' gewonnen hat und der es zu der Überzeugung gebracht hat, dass sie nunmehr durch die Gerichtsverhandlung und die ihr deutlich vor Augen stehende Gefahr eines Fahrverbots so sehr beeindruckt ist, dass sie sich zukünftig auch an bestehende Geschwindigkeitsregelungen halten wird, rechtfertigt die beanstandete Entscheidung ebenfalls nicht. Abgesehen davon, dass diese Annahme des Gerichts im Hinblick auf die nur kurze Zeit vorher zweimal begangenen Geschwindigkeitsüberschreitungen äußerst zweifelhaft erscheint und schon deshalb einer näheren Begründung bedurft hätte, bleibt grundsätzlich für eine derartige Einzelfallprüfung nur ein erheblich eingeschränkter Prüfungsspielraum (vgl. OLG Düsseldorf a.a.o. S. 216). Eine individuelle Prognosenentscheidung bereitet für die Massenverfahren der Verkehrsordnungswidrigkeiten - auch soweit es sich um schwerwiegende Verstöße handelt - unverhältnismäßige Schwierigkeiten. Sie führt im Einzelfall zu ganz unterschiedlichen Wertungen und würde dem Interesse einer möglichst gleichmäßigen Behandlung gleich gelagerter Sachverhalte zuwider laufen, die gesetzliche Anordnung des Fahrverbots in der Praxis zum 'stumpfen Schwert' machen und seine erzieherische Wirkung, die mit Blick auf die Verkehrssicherheit bezweckt war, weitgehend aufheben (vgl. BGHSt, a.a.O. S. 131). Es bedarf daher in der Regel besonderer tatsächlicher Umstände, die das Gericht zu der Ansicht führen können, des Fahrverbots bedürfe es nicht (mehr). Diese Einschränkungen gelten insbesondere in Fällen der beharrlichen Pflichtverletzung für die Überzeugung des Gerichts, in der Einstellung des Betroffenen zu den Verkehrsvorschriften sei ein Wandel eingetreten.
IV.
Da es für die Frage des Vorliegens einer erheblichen Härte des Fahrverbots für die Betroffene bisher an notwendigen Feststellungen fehlt, die gegebenenfalls nachgeholt werden können, sieht sich der Senat zu einer eigenen Sachentscheidung im Sinne des § 79 Abs. 6 OWiG nicht in der Lage.
Ende der Entscheidung
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