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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: 33 Ss 131/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 7 Abs. 2
StGB § 125
Leitsatz

StGB §§ 7 Abs. 2 u. 125

Der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch der Landfriedensbruch (§ 125 StGB) eines Deutschen im Ausland (hier: anlässlich der Fussball-WM 1998 in Lens/Frankreich)

OLG Celle, Urteil vom 27. Juni 2001 - 33 Ss 131/00 -


Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

33 Ss 131/00 123 Js 6104/99 StA

In der Strafsache

wegen Landfriedensbruchs

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Schöffengerichts in ####### vom 20. Juli 2000 in der Sitzung vom 27. Juni 2001, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ####### als Vorsitzender,

Richter am Oberlandesgericht ####### Richter am Oberlandesgericht ####### als beisitzende Richter,

Staatsanwalt ####### als Beamter der Generalstaatsanwaltschaft,

Rechtsanwalt ####### als Verteidiger,

Justizhauptsekretär ####### als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an ein anderes Schöffengericht des Amtsgerichts #######zurückverwiesen.

Gründe

Das Schöffengericht #######hat mit Urteil vom 20. Juli 2000 das Verfahren gegen den Angeklagten, der wegen Landfriedensbruchs gemäß § 125 StGB im Zusammenhang mit den Ausschreitung in #######/Frankreich während der Fußballweltmeisterschaft am 21. Juni 1998 angeklagt war, gemäß § 260 Abs. 3 StPO ein- gestellt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Vorschrift des § 125 StGB auf solche Taten, die ein Deutscher in Frankreich begehe, nicht anwendbar sei, weil es trotz des Wortlauts von § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB tatsächlich an einem Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts fehle. Nach dieser Vorschrift gelte bei Auslandsstraftaten das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht sei (Identität der Tatnorm) und der Täter zur Tatzeit Deutscher sei. Zwar gebe es in Frankreich eine dem Landfriedensbruch vergleichbare Regelung, wonach die unerlaubte Beteiligung an einer Zusammenrottung strafbar sei gemäß § 431 - 3 und 4 Code Pénal. Bei § 125 StGB und den vergleichbaren Vorschriften des Artikel 431 - 3 und 4 Code Pénal handele es sich um solche Vorschriften, die ausschließlich öffentliche Rechtsgüter schützten. Dennoch sei das deutsche Strafrecht hier unanwendbar, weil der Angeklagte durch die vorgeworfene Auslandstat eine ausschließlich dem Schutz fremder Rechtsgüter dienende Norm verletzt habe. § 125 StGB beziehe sich allein auf den Schutz innerstaatlicher deutscher Belange; er schütze nur die öffentliche Sicherheit in der Bundesrepublik. Für einen Schutz für Individualrechtsgüten lasse sich indessen aus § 125 StGB nichts herleiten, vielmehr gehe es lediglich darum, den Gemeinschaftsfrieden zu sichern. Die entsprechende französische Vorschrift wolle ebenfalls allein die französische staatliche Hoheitsgewalt sichern, mithin nur französische Rechtsgüter schützen.

Dagegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

In dem angefochtenen Urteil ist das Verfahren zu Unrecht wegen eines (vermeintlichen) Verfahrenshindernisses gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt worden.

Das Schöffengericht ist für das Verfahren gegen den deutschen Angeklagten zuständig, weil ein Verfahrenshindernis nicht besteht. Die Prüfung des Tatvorwurfs des in Frankreich am 21. Juni 1998 begangenen Landfriedensbruchs nach § 125 StGB unterliegt der deutschen Gerichtsbarkeit gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Die vorgeworfene Straftat ist am Tatort nach französischem Recht strafbar (Art. 431 - 3 und 4 des Code Pénal); danach macht sich strafbar, wer sich an einer Zusammenrottung beteiligt, die durch eine Ansammlung von Menschen auf einer öffentlichen Straße oder an einem öffentlichen Ort begangen wird, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu stören, obwohl die Polizei zweimal dazu aufgefordert hat, sich zu entfernen. Die Strafe beträgt 1 Jahr Gefängnis und 100.000 FF Geldstrafe.

Das hat das Schöffengericht zwar erkannt. Seiner Ansicht, dass dennoch das deutsche Strafrecht nicht anwendbar sei, ist jedoch nicht zu folgen.

Es entspricht herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, dass es für eine Zuständigkeit deutscher Gerichte ausreicht, wenn die Tat am Ort ihrer Begehung unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt mit Strafe bedroht ist (vgl. Niemöller NStZ 1993, 171, 172 m. w. N.). Dabei kommt es nicht darauf an, dass der ausländische Straftatbestand die gleiche oder eine ähnliche Schutzrichtung wie das anzuwendende deutsche Strafrecht hat. Diese Notwendigkeit ergibt sich auch nicht aus Wortlaut oder Gesetzeszweck des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Der Wortlaut bietet keinen Anhalt dafür, dass das Strafgesetz und damit der Straftatbestand des (ausländischen) Tatorts mit der deutschen Strafnorm - hier der des § 125 StGB - vergleichbar sein muss. Im Übrigen liegt in diesem Falle eine Vergleichbarkeit sogar vor, weil es sich jeweils (auch) um den Schutz der öffentlichen Sicherheit handelt. Der Zweck des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB besteht vielmehr darin sicherzustellen, dass die Ahndung von Straftaten, die ein Deutscher im Ausland begeht, nicht am Verbot der Auslieferung Deutscher an das Ausland scheitert (Art. 16 Abs. 2 GG).

Zum anderen ergibt die Auslegung des § 125 StGB weder, dass Schutzgut dieser Vorschrift allein die öffentliche Sicherheit in Deutschland ist, noch dass seine Anwendung daran scheitert, dass die hier vorgeworfene Auslandsstraftat ausschließlich ausländische Rechtsgüter verletzt hat.

Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist die Verletzung des § 125 StGB gleichrangig ein Kollektiv- und ein Individualdelikt, eine Vorschrift also, die eine Vielzahl von Individualrechtsgütern (hier nämlich Leib und Leben des Einzelnen) des durch die Tat Bedrohten schützt. Es handelt sich mithin bei dieser Vorschrift vom Strafzweck her um einen Mischtatbestand, der einen besonders gefährlichen, die öffentliche Sicherheit in hohem Maße beeinträch- tigenden Angriff auf Individualrechtsgüter schützen will (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1990, 2699 f.; v. Bubnoff in LK, StGB, 11. Aufl. § 125 Rdn. 1; Lackner/Kühl, StGB, 23. Aufl. § 125 Rdn. 1; Rudolphi in SK § 125 Rdn. 2; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl. § 125 Rdn. 2; Ostendorf in AK, StGB § 125 Rdn. 5; Lackner in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. § 125 Rdn. 2). Der Schutz von Individualrechtsgütern ist folglich nicht nur ein mittelbarer Schutzreflex, sondern er steht mindestens gleichwertig neben dem Kollektivrechtsgut.

Daraus folgt, dass das von Art. 431 - 3 und 4 des französischen Code Pénal geschützte (ausländische) Kollektivrechtsgut vom Schutzbereich des deutschen Strafrechts, hier des § 125 StGB, mit umfasst wird (vgl. hierzu Obermüller, Der Schutz ausländischer Rechtsgüter im deutschen Strafrecht im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 195).

Das Urteil des Schöffengerichts ####### war deshalb aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Schöffengericht beim Amtsgericht #######zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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