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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 07.05.2007
Aktenzeichen: 4 AR 27/07
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 3
InsO § 4
ZPO § 281
1. Ein Verweisungsbeschluss in dem ein Insolvenzgericht seine örtliche Zuständigkeit verneint, ist objektiv willkürlich und damit nicht bindend, wenn der Beschluss erst nach Rechtskraft der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergeht.

2. Nach rechtskräftiger Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Insolvenzgericht aufgrund der Heilung aller verfahrensrechtlichen Mängel, die nicht derart schwerwiegend sind, dass sie zur Nichtigkeit des Beschlusses über die Verfahrenseröffnung führen, seine Zuständigkeit für das Verfahren nicht mehr zu prüfen, eine Verweisung an ein anderes Gericht kommt ohnehin nicht mehr in Betracht.


4 AR 27/07

Beschluss

In dem Insolvenzverfahren

über das Vermögen des S. K., ...

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ... am 7. Mai 2007 beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Celle - Insolvenzgericht - ist zuständig.

Gründe:

I.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 16. Januar 2007 hat der vormals selbstständige Schuldner, der einen Briefzustelldienst betrieben hat, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden mit einem Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten und Erteilung der Restschuldbefreiung bei dem Amtsgericht Celle - Insolvenzgericht - gestellt. Aufgrund dieses Antrags hat das Amtsgericht Celle dem Schuldner am 19. Januar 2007 die Stundung der Verfahrenskosten bewilligt und mit Beschluss vom 22. Januar 2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Im Eröffnungsbeschluss hat es den Beteiligten zum Insolvenzverwalter bestellt und weitere Anordnungen hinsichtlich der Anmeldung der Forderungen usw. erlassen sowie Termin zur ersten Gläubigerversammlung auf den 24. April 2007 anberaumt.

Erst nach Veröffentlichung der Anordnungen im Eröffnungsbeschluss im Bundesanzeiger am 2. Februar 2007 hat das Amtsgericht mit Verfügung vom 9. Februar 2007 bei der Gemeinde W. angefragt, ob der Gewerbehof L. , im Gebiet der Gemeinde W. und damit im Bezirk des Amtsgerichts Soltau, für den das Amtsgericht Celle als Insolvenzgericht zuständig ist, oder im gemeindefreien Bezirk O. liegt, der in den Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Walsrode, das über ein eigenes Insolvenzgericht verfügt, fällt. Nach Mitteilung der Gemeinde W., der Gewerbehof L. gehöre zum gemeindefreien Bezirk O., hat das Amtsgericht Celle beim Schuldner angeregt, einen Antrag auf Verweisung des Insolvenzverfahrens an das Amtsgericht Walsrode zu stellen. Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners daraufhin mit Schriftsatz vom 2. März 2007 einen entsprechenden Antrag gestellt hat, hat das Amtsgericht Celle sich mit Beschluss vom 7. März 2007 für unzuständig erklärt und das Verfahren an das seiner Auffassung nach örtlich zuständige Amtsgericht Walsrode abgegeben.

Auf diesen Beschluss hat das Amtsgericht Walsrode seinerseits nach Übersendung der Akten mit Beschluss vom 29. März 2007 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Celle sei nicht bindend, weil es nicht zulässig sei, ein Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung an ein anderes - örtlich zuständiges - Insolvenzgericht zu verweisen. Dies sei bei Erlass des Verweisungsbeschlusses offensichtlich übersehen worden. Hierauf hat das Amtsgericht Celle - Insolvenzgericht - das Verfahren mit Verfügung vom 4. April 2007 zur Zuständigkeitsbestimmung dem Senat vorgelegt, wobei es zur Begründung der Vorlage ausgeführt hat, der Verweisungsbeschluss vom 7. März 2007 sei seiner Auffassung nach bindend, weil er nicht auf Willkür beruhe. Dem Gericht sei erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bekannt geworden, dass der Schuldner seinen Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Walsrode habe und eine vom Amtsgericht Walsrode herangezogene Kommentarstelle (Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 3 Rz. 26), sei dem Insolvenzgericht zum Zeitpunkt des Erlasses des Verweisungsbeschlusses nicht bekannt gewesen.

II.

Das Oberlandesgericht Celle ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem zunächst befassten Amtsgericht - Insolvenzgericht - Celle und dem Amtsgericht - Insolvenzgericht - Walsrode gemäß § 4 InsO i. V. m. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO berufen.

Die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Celle als auch das Amtsgericht Walsrode haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht Celle hat die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 37 Abs. 1 dem Senat vorgelegt.

Zuständig für die Durchführung des Insolvenzverfahrens ist das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Celle. Das Insolvenzgericht hätte das Insolvenzverfahren nach seiner rechtskräftigen Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ungeachtet der Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht mehr an ein anderes Insolvenzgericht verweisen dürfen. Es hat mit seiner Entscheidung, trotz der bereits rechtskräftigen Verfahrenseröffnung aufgrund fehlender örtlicher Zuständigkeit das Verfahren an ein anderes Insolvenzgericht zu verweisen, gegen den elementaren Grundsatz des Insolvenzrechts verstoßen, dass der Eröffnungsbeschluss mit Eintritt der Rechtskraft für alle Beteiligten - gleiches gilt auch für die Gerichte - grundsätzlich bindend ist und - sieht man einmal von der hier nicht in Rede stehenden Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses, die etwa bei der fehlenden Unterzeichnung der Eröffnungsentscheidung durch den Richter gegeben ist (dazu Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 27 Rz. 13), ab - verfahrensrechtliche Mängel, zu denen etwa auch das Fehlen der örtlichen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts gehört, nicht mehr geltend gemacht werden können (s. dazu BGH, ZIP 2003, 356, dazu Pape, EWiR 2003, 281; BGH ZIP 1991, 233; sowie ausdrücklich in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, BGH, ZIP 1998, 477; Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 27 Rz. 9).

Nach Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses sollen verfahrensrechtliche Mängel nicht mehr geltend gemacht werden können, weil der Eröffnungsbeschluss grundsätzlich eine Bindungswirkung für sämtliche Gerichte - etwa auch die Prozessgerichte - entfaltet und die Verfahrenseröffnung aufgrund ihrer vielfältigen Wirkungen nicht mehr in Frage gestellt werden darf. Ein Insolvenzgericht, das im Eröffnungsbeschluss, der unanfechtbar geworden ist, seine Zuständigkeit bejaht hat, ist an diese Entscheidung gebunden.

Entsprechend diesen Grundsätzen ist es einhellige Auffassung, dass eine Rüge der örtlichen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts und eine Verweisung des Verfahrens nicht mehr in Betracht kommt, wenn das Insolvenzgericht - und sei es auch örtlich unzuständig - das Verfahren eröffnet hat und der Eröffnungsbeschluss unangefochten geblieben ist (dazu Kübler/Prütting, InsO, § 3 Rz. 14, 16; MünchKommInsO/Ganter, § 3 Rz. 32; Heidelberger KommentarInsO/Kirchhof, § 3 Rz. 25; Hamburger KommentarInsO/Rüther, § 3 Rz. 26; Hess, InsO, § 3 Rz. 70; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 3 Rz. 19; Wimmer/Schmerbach, InsO, 4. Aufl., § 3 Rz. 26, wonach eine Verweisung des Verfahrens nur bis zur Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses zulässig ist).

Die dem - insoweit nicht näher begründeten - Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Celle vom 7. März 2007 wohl zugrunde liegende Auffassung, dass eine Verweisung des Insolvenzverfahrens auch nach Eröffnung des Verfahrens noch in Betracht komme, sofern der Insolvenzrichter erst nachträglich seine fehlende örtliche Zuständigkeit bemerke, wird an keiner Stelle vertreten. Sie ist auch nicht mit dem Gesetz zu vereinbaren, weil Folge dieser Auffassung wäre, dass die Anordnungen des Eröffnungsbeschlusses zumindest teilweise neu erlassen werden müssten und beispielsweise die Frist zur Anmeldung der Forderungen, die Aufforderung zur Anzeige von Sicherungsrechten und der Termin zur ersten Gläubigerversammlung sowie der regelmäßig auch im Eröffnungsbeschluss bestimmte Prüfungstermin neu bestimmt und öffentlich bekannt gemacht werden müssten. Gleichzeitig wären die bereits erfolgten öffentlichen Bekanntmachungen rückgängig zu machen und die Gläubiger müssten darauf hingewiesen werden, dass das Insolvenzverfahren nunmehr bei einem anderen Gericht geführt wird. All dies soll durch den Grundsatz vermieden werden, nach dem Verfahrensfehler, die nicht so schwerwiegend sind, dass sie zur Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses führen, durch den Eröffnungsbeschluss geheilt werden. All dies hat das Amtsgericht Celle, das nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses gar keine Veranlassung mehr hatte, seine örtliche Zuständigkeit in Frage zu stellen, sondern diese schon vor der Verfahrenseröffnung abschließend hätte prüfen müssen, bei Erlass des Verweisungsbeschlusses übersehen.

III.

Zwar vertritt das Amtsgericht Celle in der Vorlageverfügung vom 4. April 2007 de Auffassung, sein Verweisungsbeschluss vom 7. März 2007 entfalte gleichwohl Bindungswirkung, weil das Gericht in Unkenntnis der Rechtslage entschieden habe und die Entscheidung deshalb nicht als willkürlich anzusehen sei. Auch diese Auffassung kann indessen nicht geteilt werden. Zwar ist § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO über die Verweisungsvorschrift des § 4 InsO grundsätzlich auch in Insolvenzverfahren anzuwenden (s. Kübler/Prütting, InsO, § 3 Rz. 15; MünchKommInsO/Ganter, § 3 Rz. 28; Hamburger KommentarInsO/Rüther, § 3 Rz. 30 f.; Uhlenbruck, InsO, § 3 Rz. 16). Die Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO tritt jedoch nicht ein, wenn der Verweisungsbeschluss an einem schwerwiegenden Mangel leidet und deshalb als objektiv willkürlich einzustufen ist (s. dazu neben den vorzitierten Fundstellen für den Fall der Verweisung des Insolvenzeröffnungsverfahrens bei "gewerblicher Firmenbestattung" Senat, Beschl. v. 5. September 2006 - 4 AR 60/06, ZInsO 2006, 1106 = ZIP 2006, 2098). Von einem entsprechenden Fall der objektiv willkürlichen Verweisung ist hier auszugehen. Selbst wenn dem Amtsgericht Celle die einhellig vertretene Auffassung, dass nach rechtskräftiger Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Verweisung des eröffneten Verfahrens wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit nicht mehr in Betracht kommt, nicht bekannt gewesen sein sollte und es - aus welchen Gründen auch immer - sich nicht durch einen Blick in einen Kommentar zur Insolvenzordnung darüber informiert hat, dass eine Verweisung nicht mehr zulässig ist, hätte es zumindest im Hinblick auf die im Eröffnungsbeschluss für das Verfahren bereits getroffenen Anordnungen eine Verweisung nicht mehr in Erwägung ziehen dürfen. Es hätte insofern unschwer erkennen können, dass nach der öffentlichen Bekanntmachung des auf den 24. April 2007 anberaumten Berichts und Prüfungstermins beim Amtsgericht Celle von einer Verweisung des Verfahrens abzusehen war, weil damit die bindenden Anordnungen des Eröffnungsbeschlusses hinfällig wurden, ohne dass das Insolvenzgericht überhaupt darüber entschieden hat, was aus diesen Anordnungen werden sollte.

Ein solches Verfahren ist dem Gesetz derart fremd, dass es dem Fall gleichgestellt werden muss, in dem ein Insolvenzgericht trotz seiner offensichtlich gegebenen örtlichen Zuständigkeit im Eröffnungsverfahren das Eröffnungsverfahren auf Antrag ohne eigene Sachprüfung an ein örtlich unzuständiges Insolvenzgericht verweist (dazu bereits Senat, Beschl. v. 5. September 2006 - 4 AR 60/06; ). Die Verweisung war objektiv willkürlich (dazu BGH, ZInsO 2006, 146 = NJW 2006, 383 = MDR 2006, 703 = ZIP 2006, 442; BGH, NJW 1993, 1273; BayObLG, NZI 2001, 372, 373; OLG Celle, ZIP 2006, 921 = ZInsO 2006, 503 = Nds. Rpfl. 2006, 218; OLG Celle, ZInsO 2004, 205; Senat, Beschl. v. 17.08.2004 - 4 AR 71/04, ZInsO 2005, 100; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 3 Rz. 7; Zöller/Greger, ZPO, § 36 Rz. 17, 17 a), weil das Amtsgericht Celle seine örtliche Zuständigkeit verneint hat, obwohl es nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich zuständig war und die Verweisung an ein anderes Gericht nicht mehr in Betracht kam.

Eine solche Verfahrensweise bleibt dem Gesetz auch dann fremd, wenn - wie vorliegend - die Verweisung aufgrund eines vom Insolvenzgericht eingeholten Antrags des Schuldners erfolgt. Ein solcher Antrag ist im Hinblick auf die dargestellten Konsequenzen, die die Verweisung des rechtskräftig eröffneten Insolvenzverfahrens hat, irrelevant. Zwar mag der Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör formal gewahrt sein, dem Gesetz fremd und damit nicht bindend bleibt die Entscheidung gleichwohl.

Ende der Entscheidung

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