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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 26.08.2009
Aktenzeichen: 4 AR 29/09
Rechtsgebiete: ZPO, GVG


Vorschriften:

ZPO § 281
GVG § 98
GVG § 102
Ein Verweisungsbeschluss einer Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen ist wegen objektiver Willkür nicht bindend, wenn sich der Beschluss nicht mit dem offenkundigen und der Kammer bekannten Problem auseinandersetzt, dass nicht alle Beklagten einen Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen gestellt haben.
4 AR 29/09

Beschluss

In dem Verfahren

über die Bestimmung des zuständigen Gerichts

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht H., die Richterin am Oberlandesgericht V. und den Richter am Oberlandesgericht K. am 26. August 2009 beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Kammer für Handelssachen Stade ist zuständig.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus unterschiedlichsten Rechtsgründen von den vier Beklagten.

Die Beklagte zu 1 ist die ehemalige Komplementärin und Geschäftsführerin der Klägerin. Die Beklagten zu 2 und 3 waren zum streitgegenständlichen Zeitraum die Geschäftsführer der Beklagten zu 1. Die Beklagte zu 4 ist die Muttergesellschaft der Beklagten zu 1. Die Klägerin erhob Klage zu einer Zivilkammer des Landgerichts Stade. Nach einem Hinweis der zuständigen Einzelrichterin beantragten die Beklagten zu 1, 2 und 4 die Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen. Die Beklagte zu 3 stellte zunächst weder einen Antrag noch äußerte sie sich zu dem Hinweis der Einzelrichterin. Nach Anhörung der Beklagten verlängerte die Einzelrichterin mit Verfügung vom 22. April 2009 die Replikfrist bis zum 11. Juni 2009.

Mit Beschluss vom 22. Juni 2009 verwies die 3. Zivilkammer des Landgerichts Stade auf die gestellten Anträge hin den Rechtsstreit an die zuständige Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stade mit der Begründung, dass Ansprüche aus dem Verhältnis zwischen einer Handelsgesellschaft und der Gesellschaft bzw. deren Mitgliedern geltend gemacht würden.

Die Kammer für Handelssachen erklärte sich unter dem 25. Juni 2009 für funktionell unzuständig. Zur Begründung hat die Kammer für Handelssachen angegeben, dass der Verweisungsbeschluss der Zivilkammer deswegen nicht bindend sei, weil nicht sämtliche Beklagten einen rechtzeitigen Verweisungsantrag nach den §§ 98, 101 GVG gestellt hätten. Eine Begründung dafür, warum bei vier Beklagten Anträge von nur drei Beklagten für eine Verweisung zur Kammer für Handelssachen ausreichen würde, hätte das Landgericht nicht vorgenommen. Eine Prozesstrennung gem. § 145 ZPO sei nicht erfolgt.

Mit dem oben genannten Beschluss hat die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stade das Oberlandesgericht Celle um Bestimmung der zuständigen Kammer ersucht.

Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2009 hat auch der Beklagte zu 3 die Verweisung an die Kammer für Handelssachen beantragt. Die Verspätung des Antrags hat der Prozessbevollmächtigte mit einer versehentlichen Löschung des eigentlich gewollten und mit den anderen Beklagten abgesprochenen Antrags auf Verweisung durch das Büropersonal begründet. Dies sei ihm bei der Überarbeitung und Ausfertigung des 57 Seiten langen Schriftsatzes nicht aufgefallen.

Der Senat hat das Verfahren daraufhin zunächst dem Landgericht - Kammer für Handelssachen - zurückgesandt, ob nach dortiger Auffassung genügend Gründe für eine Entschuldigung der Verspätung gem. § 101 GVG i. V. m. § 296 Abs. 3 ZPO vorliegen. Dies hat die Kammer für Handelssachen - nachdem die Klägerin auf Anfrage ihre Zustimmung zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dieser Kammer nicht erteilt hat - mit Beschluss vom 6. August 2009 verneint und die Sache dem Oberlandesgericht erneut vorgelegt.

II.

1. Das Oberlandesgericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog zur Entscheidung für die Frage zuständig, ob die Zivilkammer oder die Kammer für Handelssachen zuständig ist. Beide Kammern haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt.

2. Der Senat hat die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stade für zuständig bestimmt.

a) Die Zuständigkeit ergibt sich allerdings nicht aus dem Verweisungsbeschluss der Zivilkammer vom 22. Juni 2009. Dieser ist nicht bindend.

aa) Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschl. v. 27. Mai 2008, Az.: X ARZ 45/08 m. w. N. aus juris). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, etwa weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z. B. BGH NJW 2003, 3201). Ein Ausnahmefall ist allerdings dann gegeben, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH NJW 1993, 1273. NJW 2002, 3634).

Bei einer Verweisung des Rechtsstreits durch eine Zivilkammer an eine Kammer für Handelssachen ist der Maßstab der Bindung § 102 Satz 2 GVG zu entnehmen. Auch insoweit gilt allerdings, dass eine Bindungswirkung ausscheidet, wenn sie zu einer willkürlichen Ausschaltung des gesetzlichen Richters führt (OLG München, Beschluss vom 18. Juli 2007, Az: 31 AR 180/07 - aus juris. Zöller-Lückemann, ZPO, 27. Aufl., § 102 GVG, Rn 6 m. w. N.).

bb) Dies ist hier der Fall. Nach Ansicht des Senats leidet ein Beschluss auch dann an objektiver Willkür und ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen ist, nicht bindend, wenn er sich in seiner Begründung in keiner Weise mit dem offenkundigen und der Zivilkammer bekannten Problem auseinander setzt, dass von den vier Beklagten nur drei Beklagte einen Antrag auf Verweisung für die Kammer für Handelssachen gestellt hat. Dies bedeutet nämlich, dass die beklagte Partei, die keine Verweisung an die Kammer für Handelssachen möchte, ihrem gesetzlichen Richter entzogen wird. Dies gilt unabhängig davon, dass der Rechtsstreit wohl insgesamt vor die Kammer für Handelssachen gehören würde, weil es sich um eine Rechtsstreitigkeit i. S. v. § 95 Abs. 1 Nr. 4 a GVG handeln dürfte. Die Klägerin hat jedoch die Klage vor einer Zivilkammer des Landgerichts Stade erhoben und damit ihr Wahlrecht verbraucht. Beantragt eine der beklagten Parteien, jedenfalls bei einer hier gegebenen einfachen Streitgenossenschaft, in diesem Fall nicht die Verweisung an die Kammer für Handelssachen, erklärt sie sich mit dem ausgeübten Wahlrecht der klagenden Partei einverstanden und darf nicht gegen ihren Willen vor der Kammer für Handelssachen weiter verhandeln müssen, also ihrem gesetzlichen Richter entzogen werden.

Dabei kann zur Richtigkeit dieser Auffassung darauf verwiesen werden, dass - sofern nur eine beklagte Partei vorhanden wäre - eine Verweisung des Rechtsstreits ohne Antrag von der Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen, also von Amts wegen, ebenfalls wegen des Verstoßes gegen § 98 Abs. 3 GVG objektiv willkürlich wäre. Ferner kommt selbst bei einem Antrag aller Beklagten eine Verweisung nur in Betracht, wenn - bei subjektiver Klagenhäufung - der gesamte Rechtsstreit einheitlich Handelssache ist (Musielak-Wittschier, ZPO, 6. Aufl., § 95 GVG Rn 5). Dies zeigt, dass eine einheitliche Betrachtung auch geboten ist, soweit es um Anträge der Beklagten auf Verweisung des Rechtsstreits von der Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen geht.

Dies gilt selbst dann, wenn sich zu der hier aufgeworfenen Frage in der Literatur und Rechtsprechung soweit ersichtlich keinerlei Ausführungen zur Lösung dieses Problems finden und es keine Anhaltspunkte für eine dafür oder dagegen sprechende Auffassung gibt. In diesem Fall hätte sich die Zivilkammer zumindest selbst mit der Rechtmäßigkeit der Verweisung auseinandersetzen müssen. Aus den Gründen des Verweisungsbeschlusses oder dem sonstigen Inhalt der Akte ergibt sich derartiges nicht. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation eine Verweisung mit einer auf das o. a. Problem eingehenden Begründung überhaupt bindend gem. § 102 Satz 2 GVG gewesen wäre.

b) Die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen ergibt sich aber daraus, dass nunmehr alle Beklagten wirksam einen Antrag auf Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen gestellt haben. Der Beklagte zu 3 hat die Verspätung nach Ansicht des Senats hinreichend entschuldigt. Einer Glaubhaftmachung bedarf es nicht.

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 3 hat vorgetragen, der Verweisungsantrag sei in dem Entwurf der Klagerwiderung enthalten gewesen und nur durch ein Versehen des Sekretariats bei der Überarbeitung des Schriftsatzes gelöscht worden. der Verweisungsantrag sei mit den übrigen Beklagten abgestimmt gewesen. Dies entbehrt nicht einer gewissen Plausibilität. Denn der Beklagte zu 3 hat in seiner Klagerwiderung vom 9. März 2009 auf Seite 2 vorgetragen, der Inhalt der Teile 1 und 2 seines Schriftsatzes werde von den übrigen Beklagten wortgleich vorgetragen. Das legt den Schluss nahe, dass auch die übrige Vorgehensweise - Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen - abgestimmt war und der Verweisungsantrag lediglich versehentlich unterbleiben ist, ohne dass den Beklagten zu 3 hieran ein ihm zuzurechnendes Verschulden trifft. Denn das auf dem fehlerhaften Löschen des Verweisungsantrags beruhende Verschulden des Büropersonals ist dem Beklagten zu 3 nicht gem. § 85 Abs. 2 ZPO oder auf einer anderen Grundlage zuzurechnen. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 3 bei der Unterzeichnung der endgültigen Fassung diese Löschung nicht auffiel, erachtet der Senat dies auf der Grundlage seines Vorbringens in dem Schriftsatz vom 30. Juni 2009 für ausreichend entschuldigt.

Der Hinweis der Kammer für Handelssachen in dem Beschluss vom 6. August 2009, der Beklagte zu 3 hätte wegen der Verlängerung der Replikfrist durch die Zivilkammer jedenfalls zu einem früheren Zeitpunkt merken können und müssen, dass es an einem Verweisungsantrag fehle, da andernfalls bei Vorliegen der Voraussetzungen die Zivilkammer den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen verwiesen und diese über den Verlängerungsantrag entschieden hätte, geht fehl. Denn nach der Auffassung der Kammer für Handelssachen hätte konsequenterweise auch die Zivilkammer vor der Entscheidung über die Replikfrist oder zumindest zeitgleich das Verfahren an die Kammer für Handelssachen verweisen (oder richtigerweise: die Verweisung ablehnen) müssen, da nach deren Ansicht die Voraussetzungen hierfür vorlagen. ein Abwarten bis zum Eingang der Replik wäre nicht notwendig gewesen. Wenn aber die Zivilkammer dennoch so lange mit einer - zudem noch bejahenden - Entscheidung über die Verweisung zuwartet, bis die Replik zu den Akten gelangt ist, kann dem Beklagten zu 3 nicht zum Vorwurf gemacht werden, er hätte den Antrag auf Verweisung wesentlich zu spät gestellt und früher erkennen können, dass die Voraussetzungen für eine Verweisung nicht vorlagen. Es tritt hinzu, dass der Beklagte zu 3 unmittelbar in Anschluss die Beschlüsse vom 22. und 25. Juni 2009 mit dem Schriftsatz vom 30. Juni 2009 den Verweisungsantrag nachgeholt hat.

Ende der Entscheidung

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