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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 13.12.1995
Aktenzeichen: 4 U (Baul) 125/77
Rechtsgebiete: BBauG, NStrG


Vorschriften:

BBauG § 19
BBauG § 116
BBauG § 157
BBauG § 164
NStrG § 3
NStrG § 6 Abs. 5
NStrG § 20
NStrG § 38
NStrG § 42 Abs. 5
NStrG § 43 Abs. 1 Nr. 3
NStrG § 47
NStrG § 48
NStrG § 53
NStrG § 54
Zu den Voraussetzungen der Rückeinweisung in den Besitz der Teilfläche eines Flurstücks
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

4 U (Baul) 125/77 2 O (Baul) 258/76 LG Lüneburg

Verkündet am 13. Dezember 1977

.....

.....

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

betreffend die Rückeinweisung in den Besitz bezüglich einer Teilfläche der Flurstücke 103 und 104 der Flur 5 der Gemarkung ..... , eingetragen im Grundbuch von ..... Band 1 Blatt 25

Beteiligte:

1. Landwirtin ............. ,

Eigentümerin, Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren und Berufungsgegnerin,

- Verfahrensbevollmächtigte: ............... -

2. Stadt ..........., vertreten durch ihren Stadtdirektor,

Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren und Berufungsführerin,

- Verfahrensbevollmächtigte: ............... -

3. der Regierungspräsident ..... als Enteignungsbehörde,

hat der Senat für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 1977 unter Mitwirkung seiner Mitglieder .................. für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Stadt Cuxhaven gegen das am 16. März 1977 verkündete Urteil der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Lüneburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsbeschwer: 5.000 DM.

Tatbestand

Die Antragstellerin, die Eigentümerin der im Grundbuch von ..... Band 1 Blatt 25 eingetragenen Flurstücke 103 und 104 der Flur 5 ist, begehrt die Wiedereinräumung des Besitzes an Teilflächen ihres Grundstücks, die die Antragsgegnerin für den Bau einer Straße in Anspruch genommen hat.

Die beiden Flurstücke der Antragstellerin liegen teilweise im Bereich eines auf Grund des Bebauungsplanes Nr. 63/2 der Antragsgegnerin gebauten Straßenzuges vom .........-Weg im Ortsteil ..... zum Ortsteil ..... der Stadt ....., der zusammen mit anderen Straßen als 'Bäderring' das geschlossene Stadtgebiet im Westen umgehen soll.

Der Bebauungsplan ist am 12. Januar 1971 vom Rat der Antragsgegnerin beschlossen, am 12. November 1971 genehmigt und am 26. November 1973 bekannt gemacht worden. Der seinerzeit gültige Flächennutzungsplan in der Fassung vom 22. Februar 1966 stellte die beiden Flurstücke der Antragstellerin als landwirtschaftlich genutzte Flächen dar und sah die Straßentrasse nicht vor. Mit Beschluß vom 22. Februar 1974 hat der Regierungspräsident in ..... die Antragsgegnerin in den Besitz der betreffenden Teilflächen eingewiesen. Mit Urteil des Senats vom 15. August 1975 - 4 U (Baul) Ž51/75 - wurde der Besitzeinweisungsbeschluß aufgehoben, nachdem die Straße auf dem Grundstück der Antragstellerin fertiggestellt war.

Die Antragsgegnerin machte in der ......... Zeitung vom 12. März 1976 als Zeitpunkt der Verkehrsübergabe der durch den Bebauungsplan 63/2 festgesetzten Teilstrecke des ......... den 30. Mai 1974 bekannt.

Da die Antragsgegnerin die Wiedereinräumung des Besitzes mit dem Hinweis auf die Widmung ablehnte, forderte die Antragstellerin den beteiligten Regierungspräsidenten mit Schreiben vom 10. März 1976 auf, ihr den Besitz an den für den ..... in Anspruch genommenen Grundstücksteilen wiedereinzuräumen. Der Regierungspräsident in ..... lehnte mit Verfügung vom 17. Mai 1976, die eine Rechtsmittelbelehrung nicht enthält, die Wiedereinweisung der Antragstellerin in den Besitz ab.

Gegen die Verfügung des Regierungspräsidenten vom 17. Mai 1976 hat die Antragstellerin am 5.Juli 1976 Widerspruch erhoben, mit dessen Umdeutung in einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung sie später ihr Einverständnis erklärte. Die Antragstellerin hat vorgetragen, nach der Aufhebung der vorläufigen Besitzeinweisung habe sie einen Folgenbeseitigungsanspruch auf Einräumung des Besitzes. Die Widmung der auf ihrem Grundstück gebauten Straße sei wegen fehlender Besitzeinweisung unwirksam.

Die Antragstellerin hat beantragt,

den Bescheid des Regierungspräsidenten in ..... vom 17. Mai 1976 aufzuheben und die Antragstellerin wieder in den Besitz einzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.

Sie hat entgegnet, da eine wirksame Besitzeinweisung nicht vorliege, sei eine Wiedereinweisung der Antragstellerin in den Besitz weder erforderlich noch möglich.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 16. März 1977, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, den Bescheid des Regierungspräsidenten in ..... vom 17. Mai 1976 aufgehoben und ihn verpflichtet, die Antragstellerin in den Besitz der umstrittenen Fläche einzuweisen.

Gegen das ihr am 3. Juni 1977 zugestellte Urteil richtet sich die am 27. Juni 1977 eingegangene Berufung der Antragsgegnerin. Sie trägt vor, eine Rückeinweisung in den Besitz durch die Enteignungsbehörde sehe das BBauG nur für den Fall vor, dass nach erfolgter Besitzeinweisung der Enteignungsantrag abgewiesen werde. Damit sei die Aufhebung der Besitzeinweisung vor Entscheidung über den Enteignungsantrag nicht vergleichbar. Die Widmung der Straße für den öffentlichen Verkehr hindere die Antragstellerin, irgendwelche Besitzrechte wahrzunehmen, die über den Gemeingebrauch hinausgingen. Die Widmung werde in ihrer Wirksamkeit nicht dadurch berührt, dass der Besitzeinweisungsbeschluß nachträglich entfalle. Der Antragstellerin gehe es im Grunde auch gar nicht um den Besitz der Straßenfläche, sondern nur darum, eine höhere Entschädigung durchzusetzen. Zudem fordere sie mit der Rücküberweisung des Besitzes etwas, was sie nach Abschluß des Enteigungsverfahrens alsbald wieder zurückgeben müsse, denn der Regierungspräsident in ..... habe mit Beschluß vom 30. September 1977 die Enteignung der Antragstellerin ausgesprochen und ihr, der Antragsgegnerin, das Eigentum an den umstrittenen Flächen übertragen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils den Bescheid des Regierungspräsidenten vom 17. Mai 1976 zu bestätigen,

hilfsweise,

unter Änderung des angefochtenen Urteils den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Sie entgegnet, sie sei nach wie vor an einer Wiedereinweisung in den Besitz interessiert, weil der mitten durch ihre Grünfläche verlaufende ....... sie an einer einheitlichen Bewirtschaftung der Flächen hindere. Außerdem werde ihr eine erhebliche Fläche vorenthalten. Da das BBauG Rechtsmittel gegen die Besitzeinweisung zulasse, könne auch eine drohende Enteignung - der Enteigungsbeschluß des Regierungspräsidenten sei angefochten - der Wiedereinweisung in den Besitz nicht entgegenstehen. Die mit der Bekanntgabe der Verkehrsübergabe am 12. März 1976 ausgesprochene Widmung sei nichtig, weil der Besitzeinweisungsbeschluß vorher aufgehoben worden sei. Auch der Bebauungsplan 63/2 sei unwirksam, u. a. weil er nicht aus einem Flächennutzungsplan entwickelt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt ihrer in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Verwaltungsvorgänge des Regierungspräsidenten in ....., die Verfahrensakte für den Bebauungsplan Nr. 63/2 der Stadt ..... und ein Ausschnitt des Flächennutzungsplanes der Stadt ..... in der Fassung vom 22. Februar 1966 haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Für die Entscheidung über den von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruch auf Wiedereinweisung in den Besitz sind die Baulandgericht zuständig. § 157 BBauG weist den Baulandgerichten die Entscheidung über bestimmte Verwaltungsakte zu. Die Wiedereinweisung eines Grundstückseigentümers in den Besitz nach Aufhebung der Besitzeinweisung ist zwar weder in § 157 BBauG noch in dem in § 157 BBauG in Bezug genommenen fünften Teil des BBauG ausdrücklich genannt. Da der von der Antragstellerin geltend gemachte Anspruch der Beseitigung eines Zustands dienen soll, der im Zuge eines Besitzeinweisungsverfahrens entstanden ist, erscheint jedoch allein die Zuständigkeit der für die Anfechtung der vorzeitigen Besitzeinweisung nach §§ 157, 116 BBauG zuständigen Baulandgerichte sachgerecht. Das BBauG hat den Baulandgerichten die Entscheidung aller Streitigkeiten übertragen, die im Zusammenhang mit Umlegungs-, Grenzregelungs- oder Enteignungsverfahren stehe (BGH, Urt. v. 25.11.1976 - II ZR 45/74 -, NJW 1977, 716). Dazu gehört auch der Streit um die Wiedereinweisung des Grundstückseigentümers in den Besitz nach Aufhebung des Besitzeinweisungsbeschlusses.

Die Antragstellerin beansprucht als Grundstückseigentümerin zu Recht, wieder in den Besitz der Teilflächen eingewiesen zu werden, auf denen die beteiligte Stadt nach der Besitzeinweisung im Frühjahr 1974 einen Straßenabschnitt gebaut hat. Die Verpflichtung der Enteignungsbehörde, die Antragstellerin in den Besitz wieder einzuweisen, ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 116 Abs. 6 BBauG. Diese Vorschrift verpflichtet die Enteignungsbehörde unmittelbar nur in den Fällen, in denen der Enteignungsantrag abgewiesen wurde, die durch die vorzeitige Besitzeinweisung veränderten Besitzverhältnisse rückgängig zu machen. Das ist gerechtfertigt, weil die Besitzeinweisung als vorweggenommene Teilvollziehung des Enteignungsbeschlusses von der Entscheidung über den Enteignungsantrag abhängig ist: Ist eine Enteignung nicht zulässig, kann auch der Besitz des Enteignungsbegünstigten nicht aufrecht erhalten werden. Entsprechendes muß aber gelten, wenn der Besitzeinweisungsbeschluß durch das Baulandgericht aufgehoben wird, denn damit entfällt die Rechtfertigung für den Besitz des in Aussicht genommenen Enteignungsbegünstigten. Wenn die Anfechtung der vorzeitigen Besitzeinweisung zum Erfolg geführt hat, dann muß der Grundstückseigentümer auch durchsetzen können, dass die veränderten Besitzverhältnisse rückgängig gemacht werden. Die Aufhebung der vorzeitigen Besitzeinweisung durch das Baulandgericht allein läßt die ursprünglichen Besitzverhältnisse nicht wieder aufleben, vielmehr muß dazu noch die Rückeinweisung des vorherigen unmittelbaren Besitzers in den Besitz treten. Die Aufhebung der Besitzeinweisung durch das Baulandgericht hat keine weitergehende Wirkung als die Aufhebung durch die Enteignungsbehörde. Muß die Enteignungsbehörde nach § 116 Abs. 6 BBauG die vorzeitige Besitzeinweisung durch ein zweiaktiges Verfahren - Aufhebung der vorzeitigen Besitzeinweisung und Wiedereinweisung des vorherigen unmittelbaren Besitzers in den Besitz - rückgängig machen, dann muß sie auch nach einer gerichtlichen Aufhebung der Besitzeinweisung den vorherigen unmittelbaren Besitzer wieder in den Besitz einweisen.

Da die Widmung der Straße für den öffentlichen Verkehr der öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung der Straße den Vorrang vor privatrechtlichen Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers einräumt, würde eine wirksame Widmung dem Anspruch der Antragstellerin auf Rückeinweisung in den Besitz des Straßengrundstücks entgegenstehen. Da die Antragstellerin die fiktive Widmung, die in der Bekanntmachung der Verkehrsübergabe vom 12. März 1976 liegt, nicht angefochten hat und im Hinblick auf § 58 Abs. 2 VwGO auch nicht mehr anfechten kann, kann die Widmung nur außer Betracht bleiben, wenn sie nichtig ist, nicht aber wenn sie nur anfechtbar wäre. Die von der Antragsgegnerin nach § 6 Abs. 5 des Niedersächsischen Straßengesetzes - NStrO - vom 14. Dezember 1962 (Nds. GVBl S. 251) durchgeführte Widmung ist jedoch unwirksam, weil sie ohne Angabe der Straßengruppe unbestimmt ist.

Die von der Antragsgegnerin praktizierte Festsetzung einer Straße in einem Bebauungsplan und die Bekanntgabe des Zeitpunktes ihrer Verkehrsübergabe stellt einen zulässigen Widmungsersatz nach § 6 Abs. 5 NStrG dar. Nach dieser Vorschrift gilt eine Straße mit der Verkehrsübergabe als gewidmet, wenn sie in einem förmlichen Verfahren auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften, an denen der Träger der Straßenbaulast beteiligt war, für den öffentlichen Verkehr ausgewiesen wird. Die vom II. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Urt. v. 29.6.1971 - II OVG A 131/69 - DVBl 1971 792) ERHOBENEN Bedenken; dass ein Bebauungsplanverfahren nicht als ein förmliches Verfahren im Sinne des § 6 Abs. 5 NStrG anerkannt werden könne, weil dies zu einer Verweigerung des Rechtsschutzes führe und der Bebauungsplan nichts über die Straßengruppe aussage, mögen sich im Ergebnis ausräumen lassen (vgl. neuerdings § 17 Abs. 3 FStrG i.d.F. d.G.v.18.8.1976 - BGBl. V S. 2221). Die in der Fiktion -' ... so gilt die Straße ... als gewidmet' (§ 6 Abs. 5 NStrG) enthaltene Verweisung auf die Rechtsregeln, die für den fingierten Tatbestand gelten, dürfte die Anfechtbarkeit einschließen (vgl. Steiner DVBl 1970, 34 zu § 19 BBauG). Da der Zeitpunkt der Verkehrsübergabe mit einem Hinweis auf die zugrunde liegende Anordnung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 NStrG in gleicher Weise wie die ausdrückliche Widmung nach § 6 Abs. 3 NStrG öffentlich bekanntzumachen ist, wird die fiktive Widmung in gleicher Weise angefochten werden können wie die ausdrückliche Widmung. Ob die für eine Widmung erforderliche Einordnung einer Straße in eine der in § 3 NStrG aufgeführten Straßengruppen im Bebauungsplan zulässigerweise getroffen werden kann, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Der Senat muß zu dieser Frage nicht Stellung nehmen. Er ist nämlich der Meinung, dass sich die Entscheidung über die Straßengruppe und über eventuelle Widmungsbeschränkungen auch der Bekanntmachung der Verkehrsübergabe nach § 6 Abs. 5 Satz 2 NStrG zuweisen lassen (vgl. Beschluss d. I. Senats des OVG Lüneburg v. 13.7.73 - I OVG A 161/71).

Grundlage eines Widmungsverfahrens nach § 6 Abs. 5 NStrG kann allerdings nur ein wirksamer Bebauungsplan sein. Der Bebauungsplan Nr. 63/2 ist jedoch unwirksam, weil ihm keine ausreichende Begründung beigefügt ist und er nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt ist. Bereits in der Begründung des ausgelegten Bebauungsplanentwurfes muß das planerische Konzept in groben Zügen dargelegt werden, weil ohne dies eine sinnvolle Beteiligung der Bürger an der Planung nicht möglich ist (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 9 Rdn. 92 m. Nachw.); VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.9.1973 - II 480/72 - BRS 27 Nr. 12). Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Bebauungsplanentwurfes Nr. 63/2 nicht, weil sie sich in der textlichen Umschreibung der Festsetzungen des Bebauungsplanentwurfes erschöpft und keinerlei Darlegungen zur Linienführung der Straße enthält. Das gleiche gilt für die mit der des Entwurfs identische Begründung des als Satzung beschlossenen Bebauungsplanes. Auch wenn man an Stelle bzw. ergänzend zur Begründung des Bebauungsplanes die Heranziehung der Ratsprotokolle für die Festlegung der gemeindlichen Planungserwägungen zuläßt (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.5.1971 - IV C 76.68 -, DVBl 1971, 759), bleibt völlig offen, welche Belange der Rat der Antragsgegnerin bei der Planung abgewogen hat. Selbst die Ausschußprotokolle ergeben nur, dass noch 'andere Vorschläge für die Führung des ..... erörtert' wurden, nicht aber welche Überlegungen für die beschlossene Planung und gegen andere Lösungen sprechen.

Ein weiterer Fehler des Bebauungsplanes liegt darin, dass er entgegen § 8 BBauG nicht aus dem seinerzeit geltenden Flächennutzungsplan entwickelt worden ist. Am 12. Januar 1971, als der Bebauungsplan Nr. 63/2 vom Rat der Antragsgegnerin beschlossen wurde, galt noch der Flächennutzungsplan in der Fassung vom 22. Februar 1966, der das Grundstück der Antragstellerin als Fläche für die Landwirtschaft darstellte. Dieser Flächennutzungsplan war durch die kommunalen Gebietsänderungen im Jahre 1970, mit denen die Gemeinden ..... und ..... in die Stadt ..... eingegliedert wurden (Gesetz v. 20.4.1970 - Nds GVBl S. 127), nicht außer Kraft getreten. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass eine Darstellung landwirtschaftlicher Nutzflächen in erheblicher Entfernung von den eingegliederten Gebieten durch diese Eingemeindungen in einer Weise erschüttert wäre, die sie unter den veränderten Umständen als nicht mehr brauchbar oder als Interessenabwägung nicht mehr vertretbar erscheinen ließ (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.2.1974 - IV C 6.73 - BRS 28 Nr. 3). Das Niedersächsische Gesetz über das Außerkrafttreten von Flächennutzungsplänen bei der Neugliederung von Gemeinden vom 26. März 1974 (GVBl S. 201) galt seinerzeit noch nicht. Die Ausweisung einer Hauptverkehrsstraße, wie sie eine 21 m breite Straße für eine Stadt der Größenordnung ..... notwendigerweise darstellt, liegt nicht mehr im Rahmen dessen, was die Darstellung einer Fläche für die Landwirtschaft an konkretisierender Entwicklung zuläßt (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.2.1975 - IV C 74.72 - BRS 29 Nr. 8), sondern steht im Widerspruch zu dieser Darstellung. Die Antragsgegnerin hätte den Flächennutzungsplan jedenfalls für diesen Bereich parallel zur Aufstellung des Bebauungsplanes 62/2 ändern müssen. Die Möglichkeit, aus zwingenden Gründen einen Bebauungsplan vor Aufstellung eines Flächennutzungsplanes aufzustellen (§ 8 Abs. 2 Satz 3 BBauG), rechtfertigt nicht die Aufstellung eines Bebauungsplanes in Widerspruch zu Darstellungen eines vorhandenen - möglicherweise auch änderungsbedürftigen - Flächennutzungsplanes (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.2.1975 aaO).

Beide Fehler des Bebauungsplanes führen zu seiner Unwirksamkeit, nicht aber zur - hier allein entscheidenden - Unwirksamkeit der Widmung. Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil er unter Verstoß gegen zwingende rechtliche Vorschriften ergangen ist, sondern nur dann, wenn er einen besonders schweren Form- oder Inhaltsfehler enthält, der überdies für den urteilsfähigen Bürger offensichtlich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1974 - IV C 42.73 -, DÖV 1974, 418; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 51 III). Sowohl Fehler der Begründung eines Bebauungsplanes als auch die fehlende Entwicklung des Bebauungsplanes aus dem Flächennutzungsplan betreffen Details der Bauleitplanung, die dem juristischen Laien kaum verständlich sind.

Die Widmung ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht deshalb unwirksam, weil die Antragsgegnerin den Zeitpunkt der Verkehrsübergabe erst nach der Anfechtung der Besitzeinweisung bekanntgemacht hat. Nach § 6 Abs. 2 NStrG ist allerdings Voraussetzung der Widmung, dass der Träger der Straßenbaulast Eigentümer des der Straße dienenden Grundstücks ist oder der Eigentümer und ein sonst zur Nutzung dinglich Berechtigter der Widmung zugestimmt haben oder der Träger der Straßenbaulast den Besitz durch Vertrag, durch Einweisung nach § 42 Abs. 5 NStrG oder in einem sonstigen gesetzlich geregelten Verfahren erlangt hat. Nach § 6 Abs. 5 NStrG reicht es zunächst aus, dass im Zeitpunkt der Verkehrsübergabe - und nicht im Zeitpunkt der Bekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 NStrG - eine wirksame Besitzeinweisung vorlag. Die Bekanntmachung des Zeitpunktes der Verkehrsübergabe hat auf den Zeitpunkt der Widmung keinen Einfluß: '... gilt die Straße mit der Verkehrsübergabe als gewidmet' (vgl. auch Sieder/Zeitler, BayStrWG, 2. Aufl. 1972, Art. 7 Rdn. 38).

Auch die Anfechtung der Besitzeinweisung ändert daran nichts. Wenn dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine vorzeitige Besitzeinweisung aufschiebende Wirkung zukäme, wäre die Antragsgegnerin gehindert gewesen, für die Dauer der aufschiebenden Wirkung rechtliche oder tatsächliche Folgerungen aus der vorzeitigen Besitzeinweisung zu ziehen (BVerwG, Urt. v. 7.6. 1973 - IV C 79.69 - DÖV 1973, 785). Da nach § 164 BBauG nur Zwangsmaßnahmen zur Verschaffung des tatsächlichen Besitzes der Zustimmung des Gerichtes bedürfen, ist im übrigen von der Wirksamkeit der Besitzeinweisung auszugehen (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 164 Rdn. 4; a.A. Schrödter, 3. Aufl. 1973, § 164 f Rdn. 3). Die Regelung des § 164 BBauG wäre überflüssig, wenn dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung aufschiebende Wirkung zukäme.

Auch die spätere Aufhebung der Besitzeinweisung führt nicht zur - nachträglichen - Unwirksamkeit der Widmung. Der Fehler, der in dem Wegfall einer Voraussetzung der Widmung liegt, mag aus der Sicht des Eigentümers erhebliches Gewicht haben (vgl. Zippelius, DÖV 1958, 838/845), jedoch darf das öffentliche Interesse am Fortbestand auch der fehlerhaften Widmung im Hinblick auf ihre Wirkungen für Dritte nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.1967 - V ZR 61/74, BGHZ 48, 239). Da der Eigentümer die fehlerhafte Widmung anfechten kann, rechtfertigt das Interesse des Eigentümers gegenüber dem allgemeinen Vertrauen auf den Fortbestand der Widmung die Annahme der Nichtigkeit nicht (vgl. Marschall, FStrG, 4. Aufl. 1977, § 2 Rdn. 2.4).

Die Widmung des Straßenabschnittes, der über das Grundstück der Antragstellerin führt, ist aber unwirksam, weil weder der Bebauungsplan noch die Bekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 NStrG die Straßenklasse festlegen. Die Widmung hat eine doppelte Funktion: Sie begründet die öffentliche Zweckbestimmung der Straße und stuft sie gleichzeitig in eine Straßenklasse ein (vgl. Marschall aaO., § 2 Rdn. 1.4). Das Gesetz kennt den Begriff der öffentlichen Straße nur als Sammelbegriff. Eine Widmung zur öffentlichen Straße ohne Bestimmung der Straßengruppe ist unbestimmt (Sieder/Zeitler, aaO. Art. 3 Rdn. 1). Eine ersatzweise Zuordnung der ohne Klassifizierung gewidmeten Straße zur Straßengruppe der sonstigen öffentlichen Straßen (so Nedden/Mecke, Handbuch des Niedersächsischen Straßenrechts, 1964, § 3 Anm. 1) ist ausgeschlossen, weil nach § 53 NStrG Voraussetzung für die Entstehung dieser Straßen ist, dass der Eigentümer der Straßenfläche auch Eigentümer des durch die Straße erschlossenen Geländes ist. Die durch den Bebauungsplan Nr. 63/2 festgesetzte Teilstrecke des ..... liegt nicht innerhalb einer demselben Eigentümer gehörenden zusammenhängenden Grundfläche. Auch eine ersatzweise Widmung als Gemeindestraße nach § 47 NStrG ist nicht angängig, weil die öffentlichen Straßen nach ihrer Verkehrsbedeutung in Straßengruppen eingeteilt werden: Eine 'hilfsweise' Eingruppierung einer Straße, die nach ihrer Verkehrsbedeutung Ortsdurchfahrt einer Landesstraße ist, in die Gruppe der Gemeindestraßen ist unzulässig. Auch die Widmung durch die Antragsgegnerin als zuständigen Träger der Straßenbaulast (§ 6 Abs. 5 NStrG) läßt keinen Rückschluß auf die Straßengruppe zu. Die Antragsgegnerin nämlich ist nicht nur Träger der Straßenbaulast für Gemeindestraßen (§ 48 NStrG) und ggf. für sonstige öffentliche Straßen (§ 54 NStrG), sondern nach § 43 Abs. 1 Nr. 3 NStrG auch für Ortsdurchfahrten der Landes- und Kreisstraßen. Die Bestimmung der Straßengruppe ist nicht von lediglich theoretischem Interesse; vielmehr bestimmt sich nach ihr das anzuwendende Recht. Die Beurteilung einer Zufahrt im Außenbereich als Sondernutzung (§ 20 NStrG), die Geltung der Anbauverbote und -beschränkungen (Schriftsatz 24 f NStrG) ist ebenso von der Klassifizierung abhängig, wie die Notwendigkeit einer Planfeststellung (§ 38 NStrG).

Die fehlende Klassifizierung der über das Grundstück der Antragstellerin gebauten Straße stellt einen schweren und offenkundigen Fehler dar, der zur Nichtigkeit der Widmung führt. Da das NStrG in zahlreichen Vorschriften unterschiedliche Regelungen für die einzelnen Straßengruppen enthält, stellt eine undifferenzierte Widmung einen schwerwiegenden Mangel dar. Auch dem juristischen Laien ist bekannt, dass es unterschiedliche Straßengruppen gibt und für diese unterschiedliche Regelungen gelten.

Ist die Widmung wegen fehlender Bestimmtheit nichtig, kann sie dem Anspruch der Antragstellerin auf Rückeinweisung in den Besitz nicht entgegengehalten werden.

Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin kann nicht mit dem Hinweis auf die fertiggestellte Straße auf ihrem Grundstück in Frage gestellt werden. Das wäre nur der Fall, wenn vom Fortbestand der Straße und ihrer Nutzung auszugehen wäre. Da die Widmung unwirksam ist, braucht die Antragstellerin die Straße nicht hinzunehmen. Die vom BGH (Urt. v. 22.2.1965 - III ZR 104/64 - BRS 19 Nr. 158) angedeutete Pflicht des Enteignungsbegünstigten, im Rahmen der Entschädigung nach § 116 Abs. 6 Satz 2 BBauG die auf dem Grundstück geschaffenen Anlagen zu beseitigen, macht deutlich, dass vom Fortbestand der Straße auf dem Grundstück der Klägerin nicht ausgegangen werden kann.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 546 Abs. 2, Satz 1, 708 Nr. 10 ZPO i.V.m. § 161 Abs. 1 BBauG.

Ende der Entscheidung

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