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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 28.02.2006
Aktenzeichen: 4 W 17/06
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 4
ZPO § 299
1. Ein rechtlich geschütztes Interesse an der Einsicht in die Akten eines laufenden Insolvenzverfahrens i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO ist auch dann gegeben, wenn es sich um ein Verfahren handelt, dass ein Unternehmen der Firmengruppe betrifft, die der Antragsteller vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleitet hat.

2. Es kann offen bleiben, ob ein Fall der entsprechenden Anwendung des § 299 Abs. 1 InsO auch dann geben ist, wenn der Antragsteller nur deshalb gehindert ist, seine Forderung im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft anzumelden, weil auch über sein privates Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.


4 W 17/06

Beschluss

In dem Insolvenzverfahren

über das Vermögen der

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht H. und die Richter am Oberlandesgericht R. und P. am 28. Februar 2006 beschlossen:

Tenor:

1. Auf den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hameln vom 23. November 2005 wird das Amtsgericht angewiesen, dem Antragsteller Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens 37 IN .../04 zu gewähren.

2. Die Beschwerde des Antragstellers vom 14. Dezember 2005 gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts Hameln Insolvenzgericht - vom 23. November 2005 wird zurückgewiesen.

3. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Das Rechtsmittel des Antragstellers, mit dem dieser sich dagegen wendet, dass ihm Akteneinsicht und Prozesskostenhilfe für die Einsicht in die Akten des über das Vermögen der VG B. GmbH & Co. KG eröffneten Insolvenzverfahrens versagt worden ist, muss als zulässig angesehen werden, nachdem das Landgericht Hannover - Beschwerdekammer - mit Beschluss vom 3. Januar 2006 (20 T 84/05, LG Hannover) die Vorlageverfügung des Amtsgerichts Hameln aufgehoben und die Sache dem Oberlandesgericht Celle zur Entscheidung vorgelegt hat, weil es sich nach Auffassung des Landgerichts Hannover nicht um eine Beschwerdesache in einem Insolvenzverfahren handele, sondern vielmehr um ein Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG.

I.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Die Entscheidung des Amtsgerichts Hameln, der Gläubigerin keine Einsicht in die Insolvenzakten zu gewähren, ist nach den §§ 23 ff. EGGVG anfechtbar (s. auch OLG Brandenburg, ZInsO 2002, 1085 = ZIP 2002, 2320; OLG Brandenburg, NZI 2002, 49 = InVo 2002, 20; OLG Celle, ZInsO 2004, 204; OLG Celle, ZIP 2004, 370; OLG Celle, ZInsO 2002, 73 = ZIP 2002, 446; OLG Dresden, ZIP 2003, 39; OLG Dresden, ZInsO 2003, 1148; OLG Hamburg, ZInsO 2002, 36 = ZIP 2002, 266 = NJWRR 2002, 408; OLG Jena, ZVI 2002, 318;OLG Stuttgart, ZVI 2002, 459; Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 20 Rz. 63 ff.). Die Entscheidung ist zwar durch den Rechtspfleger und nicht durch den Vorstand des Amtsgerichts Hameln erlassen worden, es ist aber davon auszugehen, dass - wie weitgehend üblich - die Befugnis zur Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht durch den Vorstand des Gerichts auf die Abteilung delegiert worden ist. Die für die Antragstellung einzuhaltende Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG wurde gewahrt.

Zwar könnte Hinblick auf die behauptete Gläubigerstellung des Antragstellers zweifelhaft sein, ob die Aufhebung der Vorlageverfügung und die Weitergabe des Verfahrens an den Senat durch die Beschwerdekammer des Landgerichts Hannover zu Recht erfolgt ist, weil mit dem Ausschluss der Akteneinsicht eines Insolvenzgläubigers, der versucht hat seine Forderung im Verfahren anzumelden, eine Entscheidung vorliegt, die keine Verfügung oder sonstige Maßnahme einer Justizbehörde i. S. des § 23 EGGVG darstellt, sondern vielmehr eine Entscheidung gegeben ist, die im Instanzenzug der ZPO überprüft werden kann (vgl. OLG Celle, ZInsO 2004, 204; Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 20 Rz. 63 ff.). Entscheidungen des Insolvenzgerichts über die Einsicht in Insolvenzakten unterliegen bei Akteneinsichtsgesuchen von Gläubigern, die ihre Forderung angemeldet haben ebenso wie die Verweigerung von Akteneinsicht oder Erteilung von Abschriften gegenüber den Parteien eines Zivilprozesses - der sofortigen Beschwerde, wenn die Entscheidung durch den Vorsitzenden des Gerichts getroffen wird (s. Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 299 Rn. 5 a; Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 20 Rz. 66 f.). Für den Fall, dass ein am Verfahren beteiligter Insolvenzgläubiger während des noch nicht abgeschlossenen Insolvenzverfahrens Akteneinsicht oder die Erteilung von Abschriften aus den Akten begehrt, ist nahezu einhellige Auffassung, dass über eine Ablehnung des Einsichtsgesuchs bzw. des Antrags auf Fertigung von Abschriften, Auszügen, Ausfertigungen usw. im Wege der sofortigen Beschwerde gemäß § 4 InsO i. V. m. § 567 ZPO und nicht im Antragsverfahren nach den §§ 23 ff. GVG zu entscheiden ist (vgl. Pape, ZIP 1997, 1367, 1368; MünchKommInsO/Ganter, § 4 Rn. 69; Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 20 Rz. 67.). Die Insolvenzgläubiger werden mit der Eröffnung des Verfahrens kraft Gesetzes in das Verfahren einbezogen und sind somit als Parteien i. S. d. § 299 Abs. 1 ZPO mit den vollen, in dieser Vorschrift aufgeführten Rechten anzusehen (s. auch Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 4 Rn. 29; Wimmer/Schmerbach, InsO, § 4 Rn. 62). Letztlich muss dem Antragsteller hier aber Rechtsschutz nach den §§ 23 ff. EGGVG gewährt werden, nachdem das Landgericht Hannover einen Fall der entsprechenden Anwendung des § 299 Abs. 1 ZPO verneint hat.

Auch wenn der Rechtspfleger des Amtsgerichts Hameln offenkundig eine Entscheidung über das Akteneinsichtsrecht eines am Verfahren Beteiligten i. S. d. § 299 Abs. 1 ZPO treffen wollte und insoweit auch auf die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen diese Entscheidung in dem Nichtabhilfebeschluss vom 20. Dezember 2005 hingewiesen hat, ist das Landgericht in seiner Entscheidung vom 3. Januar 2006 gleichwohl davon ausgegangen ist, dass es sich um eine Entscheidung im Justizverwaltungsverfahren handelt, die dann zu treffen ist, wenn ein Akteneinsichtsgesuch nach § 299 Abs. 2 ZPO zu bescheiden ist (s. OLG Celle, ZInsO 2004, 154). Im Hinblick auf diese Rechtsauffassung muss letztlich auch der Senat davon ausgehen, dass die Entscheidung des Amtsgerichts gemäß § 23 ff. EGGVG anfechtbar ist, weil anderenfalls dem Antragsteller jeglicher Rechtsschutz versagt werden würde. Der Antragsteller hat sein Akteneinsichtsgesuch sowohl auf § 299 Abs. 1 ZPO als auch auf § 299 Abs. 2 ZPO gestützt. Beide Vorschriften sind im Insolvenzverfahren entsprechend anzuwenden (s. OLG Celle; ZInsO 2004, 154; OLG Celle, ZInsO 2004, 204).

2. Das Amtsgericht hätte dem Antragsteller jedenfalls nach § 299 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO Akteneinsicht bewilligen müssen. Der Antragsteller hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens ausreichend dargelegt.

Allerdings könnte vorliegend schon zweifelhaft sein, ob nicht auch ein Anspruch des Antragstellers auf Akteneinsicht besteht, weil er als Insolvenzgläubiger Beteiligter des Insolvenzverfahrens ist und deshalb einen Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 InsO hat, der letztlich auch im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG zur Bewilligung der Akteneinsicht führen müsste. Das OLG Celle hat insoweit zwar entschieden, dass eine Akteneinsicht nach § 299 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht kommt, wenn ein Insolvenzgläubiger darauf verzichtet, am Insolvenzverfahren teilzunehmen (OLG Celle, ZInsO 2004, 204). Der vorliegende Fall unterscheidet sich aber von dem freiwilligen Verzicht auf eine Teilnahme im Insolvenzverfahren insofern, als der Antragsteller nur deshalb gehindert ist, seine Forderung im Insolvenzverfahren anzumelden, weil über sein eigenes Vermögen ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und er deshalb nicht selbst zur Anmeldung der Forderungen berechtigt ist, sondern diese vielmehr dem Insolvenzverwalter obliegt, solange dieser nicht die Ansprüche an den Schuldner freigibt. Ob dieser Fall, in dem der Antragsteller selbst keinen Einfluss darauf hat, ob er am Insolvenzverfahren teilnimmt, mit dem Fall zu vergleichen ist, dass der Antragsteller freiwillig darauf verzichtet, seine Forderung im Insolvenzverfahren zu verfolgen, braucht hier aber letztlich nicht entschieden zu werden. Zwar spricht Einiges dafür, dem Gläubiger, der aufgrund des Verlustes der Verwaltungs und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen gehindert ist, die Forderung selbst anzumelden, gleichwohl einen Anspruch auf Akteneinsicht zuzubilligen, weil er nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen unbefriedigt gebliebene Ansprüche wieder selbst verfolgen kann und deshalb auch die Möglichkeit haben muss, sich die nötigen Informationen zur Verfolgung seiner Ansprüche zu verschaffen. Diese Frage kann letztlich aber dahingestellt bleiben, denn das Amtsgericht hätte dem Antragsteller bei fehlerfreier Ermessensausübung auch bereits Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 4 InsO gewähren müssen.

Der Antragsteller ist zwar selbst nicht Schuldner des Insolvenzverfahrens, weil es um das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH & Co. KG geht, deren Verwaltungsgesellschaft er ursprünglich einmal geleitet hat. Als vormaliger gesetzlicher Vertreter der Verwaltungsgesellschaft, der unstreitig für Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft persönliche Mitverpflichtungen übernommen hat, ist ihm aber ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht nicht abzusprechen. Insoweit ist deshalb auch nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Amtsgericht dem Antragsteller Akteneinsicht versagt hat.

Der Antragsteller hat als vormaliger Leiter der sogenannten "G.F." ein rechtlich geschütztes Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft gemacht. Dass er einen rechtlichen Bezug zu dem Streitstoff der Akten hat, dürfte im Hinblick auf seine vormalige Stellung in der Gesellschaftsgruppe unbestritten sein. Da nicht bestritten ist, dass er für Verbindlichkeiten der Gesellschaftsgruppe persönlich haftet, ist auch nicht begründbar, dass ihm ein rechtlich geschütztes Interesse an der Akteneinsicht abgesprochen werden soll. Die Versagung des Rechts auf Einsicht in die Insolvenzakten im vorliegenden Fall ist mit einer Fallgestaltung vergleichbar, in der dem Schuldner des Insolvenzverfahrens - trotz dessen unbestreitbaren Interesses an der Akteneinsicht - die Einsicht aus formalen Gründen versagt wird.

Das Interesse des Antragstellers folgt im übrigen auch aus der Tatsache, dass er sich berühmt, Ansprüche gegen die Gesellschaft zu haben, an deren Anmeldung er allein aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen gehindert ist. Auch wenn er diese Ansprüche aktuell nicht anmelden kann, ist er nicht gehindert, Akteneinsicht zu nehmen. In seinem Interesse kann es etwa liegen, festzustellen, ob und wie der im Insolvenzverfahren über sein Vermögen bestellte Insolvenzverwalter die Ansprüche verfolgt, deren er sich berühmt und diese im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft angemeldet hat, während er selbst an der Anmeldung gehindert ist.

Der Insolvenzverwalter hat auch keine Umstände vorgetragen, die es erforderlich machen könnten, das Insolvenzverfahren vor dem Schuldner geheim zu halten. Er macht lediglich formale Einwände geltend, die wohl Ausdruck der Konfrontation mit dem Antragsteller sind. Dass Störungen des Verfahrens aufgrund einer Akteneinsicht durch den Schuldner zu erwarten sind, ist nicht ersichtlich. Ein Interesse an der Geheimhaltung des Verfahrens ist deshalb nicht zu erkennen, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt nicht nachvollziehbar ist, warum der Schuldner gehindert werden soll, Einsicht in die Verfahrensakten zu nehmen. Die Entscheidung des Insolvenzgerichts, dem Antragsteller Akteneinsicht zu versagen, beruht auf einer fehlerhaften Ermessensausübung.

II.

Die nach den §§ 29 Abs. 3 EGGVG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Akteneinsicht ist unbegründet. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Akteneinsicht erforderlich sein soll. Er macht geltend, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens praktisch alleiniger Inhaber der Schuldnerin gewesen zu sein und die gesamte "G.G." geführt zu haben. Aufgrund dieses Vortrages ist davon auszugehen, dass der Antragsteller kaufmännisch tätig gewesen ist und über entsprechende Erfahrungen und Kenntnisse verfügt. Im Hinblick auf diese Vorgeschichte ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Antragsteller der Beiordnung eines Rechtsanwaltes bedarf, um Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens zu nehmen. Es handelt sich insofern um einen einfachen tatsächlichen Vorgang, den der Antragsteller ohne weiteres selbst wahrnehmen kann. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist nicht erforderlich. Ein kontradiktorisches Verfahren, in dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes aus Gründen der Waffengleichheit erforderlich sein könnte oder ein bestehender Anwaltszwang die Beiordnung unentbehrlich macht, liegt nicht vor.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO und auf § 30 Abs. 2 EGGVG. Der Senat hält es wegen des Erfolgs der Beschwerde hinsichtlich des Akteneinsichtsrechts für billig, von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen.

Ende der Entscheidung

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