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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 02.01.2003
Aktenzeichen: 6 U 178/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 234
ZPO § 236
1. Ein Rechtsanwalt muss namentlich in der Übergangszeit nach Inkrafttreten des neuen Berufungsrechts am 1. Januar 2002 durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass die mit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils laufende Berufungsbegründungsfrist richtig im Fristenkalender eingetragen wird und ein Streichen der Berufungsfrist erst erfolgt, wenn der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist notiert ist.

2. Wird einem Rechtsanwalt die Akte im Zusammenhang mit einem Schriftsatz der Gegenseite im Kostenfestsetzungsverfahren vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass der Gegenseite noch keine Berufungsbegründung vorliegt, so muss er sich vergewissern, wann die Berufungsbegründungsfrist abläuft und ob sie überhaupt im Fristenkalender eingetragen ist.

3. Ein Rechtsanwalt, der einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stellt, muss sich zuvor vergewissern, wann die Frist überhaupt abläuft.


6 U 178/02

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 2. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

I. Der Antrag des Klägers vom 27. November 2002 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

II. Die Berufung des Klägers gegen das am 26. Juli 2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird als unzulässig verworfen.

III. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe:

Die Berufung war gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht binnen zwei Monaten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils begründet worden ist (§ 520 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Zustellung des landgerichtlichen Urteils erfolgte am 9. August 2002 (Bl. 136 d. A.), die Berufung wurde dagegen erst mit einem am 27. November 2002 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz begründet (Bl. 155 d. A.).

Der ebenfalls mit Schriftsatz vom 27. November 2002 gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zurückzuweisen, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, dass ihn an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kein Verschulden trifft, § 233 ZPO (zu 1). Jedenfalls hat der Kläger aber den Wiedereinsetzungsantrag zu spät gestellt, § 234 Abs. 1 und 2, § 236 Abs. 1 ZPO (zu 2).

1. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dargelegt, in seiner Kanzlei bestehe die Übung, bei mit Notfristen verbundenen Eingängen auf dem Schriftstück einen Eingangsstempel anzubringen und auf dem oberen Rand des Eingangsstempels zu vermerken, dass der Posteingang gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wurde, sowie bei erstinstanzlichen Urteilen zusätzlich die Berufungsfrist zu notieren (Bl. 157 d. A.). Entsprechend sei auch vorliegend verfahren und die Berufungsfrist zutreffend mit dem 9. September 2002 im Fristenkalender vermerkt worden (Bl. 157 d. A.). Ein entsprechender Fristeintrag befindet sich auch in der betreffenden Seite des vorgelegten Kalenders (Bl. 208 d. A.). Ferner bestehe eine mündliche Anweisung dahingehend, auf Grund des seit dem 1. Januar 2002 geltenden neuen Berufungsrechts auch sofort die Frist für den Ablauf der Berufungsbegründung zu notieren, da diese bereits mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginne. Ein weiterer handschriftlicher Zusatz auf den erstinstanzlichen Urteilen, ähnlich wie bei der Berufungsfrist auch die Berufungsbegründungsfrist hinzuzufügen, werde demgegenüber nicht angebracht. Über die Umstellung des Berufungsrechts und die Berechnung der Frist zur Berufungsbegründung seien die für die Führung des Fristenkalenders zuständigen Mitarbeiterinnen auch Ende 2001 unterrichtet worden. Vorliegend habe indessen die Rechtsanwaltsfachangestellte #######, die ihre urlaubsbedingt abwesende Kollegin ####### vertreten habe, versehentlich nur die Berufungsfrist notiert, weil sie ausgehend von der Rechtslage bis zum 31. Dezember 2002 davon irrig angenommen habe, die Berufungsbegründungsfrist beginne erst am Tag der Einlegung der Berufung zu laufen (Bl. 158 d. A.). Die für den Fristenkalender an sich zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte ####### habe dann nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub die Berufungsschrift vom 21. August 2002 (Bl. 138 d. A.) abgesandt und die für den 9. September 2002 eingetragene Frist zur Einlegung der Berufung gestrichen. Eine weitere Frist zur Berufungsbegründung sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr eingetragen worden, weil dies bereits mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils hätte erfolgen sollen.

Diese Büroorganisation gewährleistet indessen nicht mit hinreichender Sicherheit, dass auch Berufungsbegründungsfristen eingetragen und kontrolliert werden. Angesichts der mit der Neuregelung hinsichtlich des Beginns der Frist für die Berufungsbegründung verbundenen Änderungen sowie der für eine Übergangszeit zu notierenden Fristen sowohl nach altem als auch nach neuem Recht ist es bereits zweifelhaft, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich - jedenfalls für die erste Zeit nach Inkrafttreten des neuen Rechts - auf seine mündliche Anweisung verlassen durfte, Berufungsbegründungsfristen sofort mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils sowie der Eintragung der Berufungsfrist im Fristenkalender einzutragen. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - nicht die hierfür an sich zuständige Mitarbeiterin, sondern ihre Vertreterin tätig wird, die ausweislich ihrer Eidesstattlichen Versicherung vom 22. November 2002 bis zu der Urlaubsvertretung im Zeitraum vom 29. Juli - 18. August 2002 mit den Fristen nicht befasst war (zu erhöhten Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts bei wegen Vertretungsfällen innerhalb des Personals BGH NJW-RR 1999, 1664). Hier lag es nahe, zumindest während des ersten Jahres nach Inkrafttreten des neuen Rechts eine Organisation zu wählen, die sicherstellt, dass Berufungsbegründungsfristen zutreffend eingetragen werden. Dies konnte entweder dadurch erfolgen, dass auf dem zugestellten erstinstanzlichen Urteil neben der Berufungsfrist zusätzlich noch die Begründungsfrist notiert wird. Entsprechendes wäre mit einem vergleichsweise geringen Aufwand verbunden gewesen und hätte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eine hinreichende Kontrolle ermöglicht.

Vor allem musste aber sichergestellt werden, dass jedenfalls bei einer Streichung der Berufungsfrist eine Kontrolle dahin stattfindet, ob die Berufungsbegründungsfrist (richtig) eingetragen ist. Dies wurde hier aber nach dem eigenen Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht mehr kontrolliert (Bl. 158 d. A.). Eine Kontrolle der Notierung dieser Frist war auch gerade im vorliegenden Fall nicht entbehrlich. Aus dem Fristenkalender für den 9. September 2002, dem Tag des Ablaufs der Berufungsfrist, ergibt sich nämlich für die Sache ####### ./. ####### ausdrücklich noch der handschriftliche Zusatz 'Berufungsbegründungsfrist noch nicht notiert' (Bl. 208 d. A.). Gleichwohl ist diese Frist gestrichen worden, ohne dass eine Eintragung oder zumindest eine Überprüfung der Berufungsbegründungsfrist erfolgte. Insoweit stimmt auch die Eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten ####### nicht mit den Eintragungen im Kalender überein. Sie hat angegeben, beim Streichen der Berufungsfrist selbstverständlich davon ausgegangen zu sein, einer gesonderten Eintragung der Berufungsbegründungfrist bedürfe es nicht mehr (Bl. 172 f. d. A.). Hiervon durfte sie angesichts des Vermerks im Fristenkalender, dass eine Berufungsbegründungsfrist nicht eingetragen war, indessen gerade nicht ausgehen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat auch nicht dargelegt, durch welche organisatorische Maßnahmen die fehlerhafte oder gänzlich unterbliebene Eintragung einer Berufungsbegründungsfrist verhindert oder gegebenenfalls nachträglich korrigiert werden sollte.

2. Hinzu kommt, dass der Kläger die Wiedereinsetzungsfrist schuldhaft versäumt hat. Diese beginnt gem. § 234 ZPO an dem Tag, an dem der verantwortliche Rechtsanwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können (BGH NJW-RR 1999, 429 f.; NJW 1998, 1498). Maßgebend ist, wann der Rechtsanwalt Anlass hatte zu prüfen, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten war. Zwar muss ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen nicht bei jeder Vorlage von Handakten, sondern nur dann eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden oder sich sonst die Notwendigkeit einer Überprüfung aufdrängt (BGH a. a. O.; NJW-RR 1998, 1526, 1527).

Dies war hier indessen bereits am 25. Oktober 2002 erstmals der Fall. An diesem Tag erhielt der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Schriftsatz des Beklagten vom 17. Oktober 2002 mit der Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen zugestellt (Bl. 204 f. d. A.). Hierbei handelte es sich um die Erwiderung auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 9. Oktober 2002 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts vom 2. Oktober 2002. Der Beklagtenvertreter hat in diesem Schriftsatz darauf hingewiesen, ihm liege bisher keine Berufungsbegründungsschrift vor. Bereits dies hätte den Prozessbevollmächtigten des Klägers zu einer Überprüfung veranlassen müssen, wann die Berufungsbegründungsfrist abläuft. Bei entsprechender Kontrolle hätte er mithin bereits bei Vorlage der gerichtlichen Verfügung vom 23. Oktober 2002 erkannt, dass überhaupt keine Berufungsbegründungsfrist notiert war.

Ferner hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 7. November 2002 feststellen müssen, dass keine Berufungsbegründungsfrist eingetragen war. Nach seinem Vortrag war er an diesem Tag erkrankt und hatte wegen der bevorstehenden Fristabläufe mit seiner Mitarbeiterin ####### telefoniert. Diese sprach ihn auch auf die im Kalender für den 8. November 2002 eingetragene Frist in dieser Sache an. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ging nach seinem eigenen Vortrag sofort und unmittelbar davon aus, es handele sich um die Berufungsbegründungsfrist (Bl. 159 d. A.). Das ergibt sich indessen gerade nicht aus dem Fristenkalender. Dort ist eine Frist in Sachen ####### ./. ####### unter dem Stichwort 'Stellungnahme z. SS GegenS v. 17.10.' eingetragen (Bl. 203 d. A.). Hierbei handelte es sich mithin um die Frist zur Stellungnahme in dem Verfahren wegen der vom Kläger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts eingelegten sofortigen Beschwerde. Mit der Berufungsbegründung hatte diese Frist ersichtlich nichts zu tun. Dies wäre für den Prozessbevollmächtigten des Klägers auch hinreichend erkennbar gewesen, wenn er sich - wozu er verpflichtet war - den Eintrag im Kalender hätte vollständig vorlesen lassen. Sollte dies erfolgt sein und hat er ihn missverstanden, begründet dies erst recht ein schuldhaften Verhalten. Bei einer entsprechenden Überprüfung hätte er dann feststellen können, dass überhaupt keine Berufungsbegründungsfrist notiert war.

Schließlich hat auch der den Prozessbevollmächtigten des Klägers während seiner Krankheitsabwesenheit vertretende Rechtsanwalt #######, der in derselben Kanzlei wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers tätig ist, gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen, als er am 8. November 2002 einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stellte (Bl. 151 d. A.). Ausweislich der Eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten ####### hat sie den von Rechtsanwalt ####### telefonisch diktierten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründung gefertigt und diesen zusammen mit der Akte Rechtsanwalt ####### zur Unterschrift vorgelegt (Bl. 171 d. A.). Diesen Schriftsatz hat Rechtsanwalt ####### unterschrieben und an das Berufungsgericht übermitteln lassen, ohne sich vorher zu vergewissern, wann die Berufungsbegründungsfrist überhaupt abläuft. Indessen hat ein Rechtsanwalt bei fristwahrenden Prozesshandlungen zunächst den Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt wird, eigenverantwortlich auf der Grundlage der Handakten zu überprüfen (BGH NJW 2001, 2336, 2337). Hätte Rechtsanwalt ####### dem Genüge getan, so wäre ihm aufgefallen, dass am 8. November 2002 überhaupt keine Frist zur Berufungsbegründung ablief, sondern es sich um eine Stellungnahmefrist im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts handelte. Bei weiterer Überprüfung hätte er dann ohne weiteres feststellen können, dass die Berufungsbegründungsfrist überhaupt nicht notiert war.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte mithin bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht erst am 13. November 2002, als er die Verfügung des Senatsvorsitzenden betreffend die Versäumung der Berufungsbegründungfrist erhielt (Bl. 153, 154 d. A.), sondern bereits am 25. Oktober 2002, am 7. November 2002 und am 8. November 2002 erkennen müssen, dass keine Berufungsbegründungsfrist notiert und diese bereits am 9. Oktober 2002 abgelaufen war. Der erst am 27. November 2002 gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte daher die Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 und 2 ZPO nicht mehr wahren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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