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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 12.09.2006
Aktenzeichen: 8 W 66/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
1. Der Betreiber eines Freibades verletzt nicht seine Verkehrssicherungspflicht, wenn er an einer geraden und übersichtlichen Rutsche im Bereich eines Nichtschwimmerbeckens durch eine Tafel mit Warnhinweisen und eine zusätzliche Gestaltung durch Piktogramme darauf hinweist, welche Rutschhaltungen erlaubt sind (Sitzend und Liegend Blick je nach vorn) und darauf aufmerksam macht, dass der Rutschenauslauf sofort zu verlassen ist, es aber gleichwohl zu einem Unfall kommt, wenn ein achtjähriger Junge den Auslaufbereich nicht sofort verlässt, ein weiterer Zwölfjähriger auf den Knien sitzend runterrutscht und den Achtjährigen mit den Knien am Kopf trifft und verletzt.

2. Grundsätzlich ist der Betreiber einer solchen übersichtlichen Rutsche weder verpflichtet, zusätzliche technische Hilfsmittel wie Ampeln oder Schranken anzubringen noch besteht eine Verpflichtung, jeden einzelnen Rutschvorgang durch einen am Rutscheneinstieg postierten Bademeister auf seine Ordnungsgemäßheit zu überwachen.


8 W 66/06

Beschluss

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Richter am Oberlandesgericht ... auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 15. August 2006 gegen den Beschluss der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 17. Juli 2006 am 12. September 2006 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens.

Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 127 Abs. 2 S. 2 und 3, § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO), in der Sache aber unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers hat - wie das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen festgestellt hat - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO). Dem Antragsteller stehen keine Ansprüche auf Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens gem. § 823 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB gegen die Antragsgegnerin wegen seines Unfalls vom 27. Mai 2003 im Freibad H. in L. zu. Zu dem Unfall kam es, als am 27. Mai 2003 der damals knapp achtjährige Antragsteller gegen 17.00 Uhr eine Rutsche im Bereich des Nichtschwimmerbeckens nach unten rutschte, sich dann nicht sofort aus dem Auslaufbereich entfernte, weil er noch seinen beim Rutschen verloren gegangenen Ball suchte und der sodann rutschende Zeuge S., zum Zeitpunkt des Unfalls 11 1/2 Jahre alt, sitzend auf den Knien die Rutsche herabkam, den Antragsteller mit dem Knie am Kopfbereich traf und dieser hierdurch schwere Kopf und Gesichtsverletzungen erlitt.

1. Der Betreiber eines Schwimmbades hat die Benutzer grundsätzlich vor den Gefahren zu schützen, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen, vom Benutzer nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar sind (BGH VersR 2000, 984). Insoweit trifft den Betreiber des Schwimmbades die deliktische Garantenpflicht, dafür zu sorgen, dass keiner der Besucher durch solche Risiken beim Badebetrieb zu Schaden kommt. Der Umfang der Kontrollpflichten hängt von den Umständen des Einzelfalles, wie etwa Größe und Lage des Freibades, Anzahl der Besucher, Vorhandensein besonderer Spiel und Sportgeräte etc. ab. Hierbei ist ferner in Betracht zu ziehen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich unvernünftig zu verhalten. Daher kann die Verkehrssicherungspflicht auch die Vorbeugung gegenüber solchem missbräuchlichen Verhalten erfassen (BGH VersR 2004, 657). Allerdings kann und muss nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden, da eine Verkehrssicherheit, die jeden Gefährdungsfall ausschließt, nicht erreichbar ist. Geboten sind mithin nur solche Sicherheitsmaßnahmen, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zumutbar sind.

2. Auf dieser Grundlage kommt hier die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nicht in Betracht.

a) Die Wasserrutsche selbst weist von ihrer Konstruktion her keine besonderen Gefahren aus. Sie verläuft - unterbrochen durch einige Absätze - gerade in das Nichtschwimmerbecken. Sowohl vom Standpunkt einer sich oben an der Rutsche befindlichen Person als auch eines bereits nach Ende des Rutschvorganges im Wasser befindlichen Besuchers ist die Anlage auf einen Blick gut zu überschauen. Der oben stehende Benutzer kann leicht erkennen, ob sich im Auslaufbereich, der überdies farblich ringförmig abgesetzt ist, noch andere Personen befinden, so dass er solange zu warten hat, bis diese sich entfernen. Umgekehrt kann jedermann im Bereich des Schwimmbeckens erkennen, ob ein weiterer Badegast oben an der Rutsche steht und diese herunterrutschen will, so dass er sich zu entfernen hat, wenn er sich noch im Bereich der Auslaufzone befindet. Bei derartigen geraden und ohne weiteres zu überblickenden Anlagen sind - anders als etwa bei langen in Kurven verlaufenden Röhrenrutschen, bei denen Beginn und Ende der Rutsche nicht zu überblicken sind (hierzu etwa BGH VersR 2005, 279; 2004, 657) - grundsätzlich keine weiteren technischen Hilfsmittel anzubringen. Weder eine Ampelanlage, eine mechanische Schranke oder ein Monitor mit einem Bild des Auslaufbereichs müssen hier installiert werden, um Besucher vor möglichen Gefahren zu warnen, da sie den erforderlichen Sicherheitsabstand grundsätzlich selbst einschätzen können (OLG Stuttgart VersR 2004, 252).

b) In derartigen Fällen kommt der Betreiber seiner Verkehrssicherungspflicht vielmehr nach, wenn er durch inhaltlich und optisch klar gestaltete Hinweisschilder vor Benutzung der Rutsche die Besucher darauf hinweist, welche Rutschtechniken erlaubt und verboten sowie welche sonstigen Verhaltensmaßregeln zu beachten sind (BGH VersR 2005, 279; OLG Stuttgart, a. a. O.; OLG Köln VersR 1989, 159). Diesen Anforderungen entspricht das unten am Treppenaufgang zur Rutsche angebrachte Hinweisschild, weil auf ihm auch durch Piktogramme für Kinder klar erkennbar darauf hingewiesen wird, dass als Rutschpositionen nur Rückenlage Blick nach vorn sowie Sitzend Blick nach vorn zugelassen sind. Ein Rutschen auf Knien ist mithin nicht erlaubt. Ferner wird ausdrücklich durch ein weiteres Piktogramm darauf hingewiesen, dass sofort vom Rutschenauslauf wegzutreten ist. Im weiteren Text werden die Benutzer ferner darauf hingewiesen, Abstand zu halten, Rücksicht zu nehmen und den Auslauf freizumachen. Diese Warnhinweise waren hier sowohl für den Kläger als auch für den Zeugen S. klar ersichtlich. Wenn dann trotz dieser klaren und unmissverständlichen Hinweise einerseits der Zeuge S. auf den Knien sitzend rutscht und nicht abwartet, bis der Auslaufbereich völlig frei ist, andererseits der Kläger sich nicht sofort aus dem Auslaufbereich entfernt, sondern in diesem verbleibt bzw. zurückkehrt, um nach seinem Ball zu suchen, obwohl die Rutsche erneut durch andere Personen benutzt wird, so hat sich hierin ein Risiko verwirklicht, für das die Antragsgegnerin nicht verantwortlich ist. Es ist schlicht nicht möglich, die Gefahr jeden Unfalls in einem Freibad mit einer Wasserrutsche zu verhindern, wenn missbräuchliches Verhalten der Benutzer vorliegt. Erfahrungsgemäß ist nämlich auch durch noch so deutliche Warnungen und Mahnungen nicht zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche in Freibädern auf Rutschen die notwendigen Sicherheitsvorschriften einhalten (BGH VersR 1980, 863).

Zwar muss die Antragsgegnerin durch ihre Mitarbeiter darauf achten, dass die von ihr aufgestellten Sicherheitsregeln auch eingehalten werden und bei deren Verletzung einschreiten. Soweit der Antragsteller hierzu geltend macht, die Warnschilder würden nicht beachtet und Verstöße hätten sich als üblich eingebürgert, beruht ihr Vortrag indessen auf nicht durch Tatsachengrundlagen gestützten Spekulationen. Es ist weder ersichtlich noch vom Antragsgegner mit Substanz vorgetragen, dass es vor dem Unfall bereits Verstöße gegen die Benutzungsregeln durch den Zeugen S., den Kläger oder andere Personen gegeben hätten, die die Antragsgegnerin zu einem Einschreiten hätten veranlassen müssen. Als der Zeuge S. indessen bereits auf den Knien losgerutscht war und der Kläger sich nicht aus dem Auslaufbereich entfernte bzw. in diesen zurückkehrte, war der Antragsgegnerin ein Einschreiten aber schon aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich. Eine Möglichkeit des Anhaltens bestand für den Zeugen S., wie sich aus seiner Aussage ergibt, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Als er dem Antragsteller eine Warnung zurief, war es bereits zu spät.

c) Die Antragsgegnerin war auch nicht etwa verpflichtet, gesondert einen Bademeister nur für die Rutsche abzustellen und durch seine Positionierung oben auf dem Rutschenturm dafür Sorge zu tragen, dass ein Benutzer die Rutsche nur in der vorgeschriebenen Haltung und erst dann benutzt, wenn der Auslaufbereich frei ist. Insoweit entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass die Gewährleistung einer ständigen und lückenlosen Aufsicht am Rutscheneinstieg durch einen präsenten Bademeister nicht üblich und dem Betreiber eines Schwimmbades nicht zumutbar ist (BGH VersR 2005, 279; 2004, 657; OLG Koblenz r+s 2003, 519; LG Aachen ZfS 1995, 323). In Schwimmbädern drohen an vielen Stellen Gefahren. Ihnen durch eine allgegenwärtige Aufsicht zu begegnen, ist weder geboten noch möglich. Der Besucher eines Schwimmbades kann eine Badeaufsicht, aber keine lückenlose "Rundum"Kontrolle erwarten. Sie wird deshalb auch wegen des damit verbundenen erheblichen Kostenaufwandes nicht geschuldet. Hinzu kommt, dass auch der durch eine Anlage vermittelte Freizeitspaß nicht durch Überregulierung zu weit eingeschränkt werden soll. Insoweit sind der Anordnung von Sicherheitsmaßnahmen Grenzen gesetzt durch das berechtigte Interesse der Benutzer eines Freibades, nicht übermäßig gegängelt und in ihrer Bewegungsfreiheit mehr als notwendig eingeschränkt zu werden (BGH NJW 1980, 1159).

Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, bei der Antragsgegnerin bestehe eine Dienstvorschrift dahin, es solle immer eine Aufsichtsperson an der Rutsche postiert sein, fehlt es hierfür jedenfalls für das Prozesskostenhilfeverfahren angesichts des Bestreitens der Antragsgegnerin an hinreichenden Anhaltspunkten. Hinzu kommt, dass der Unfall - wenn überhaupt - nur dadurch zu verhindern gewesen wäre, dass ein Bademeister oben unmittelbar am Rutscheneinstieg neben dem jeweiligen Badegast steht und jeden einzelnen Rutschvorgang im Hinblick auf die erlaubte Rutschposition sowie einen nicht mehr benutzten Auslaufbereich freigeben müsste. Dass die nicht belegte Dienstvorschrift gerade diesen Inhalt hat, hat der Antragsteller aber selbst nicht schlüssig vorgetragen. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus dem Vermerk des PHM L. vom 11. Juni 2003. Hätte sich ein Bademeister nur neben der Rutsche am Beckenrand aufgehalten, so hätte er diesen konkreten Unfall ohnehin nicht verhindern können, da der Zeuge S. den wieder bzw. noch im Auslaufbereich anwesenden Antragsteller ohnehin erst wahrnahm, als er sich bereits auf der Rutsche befand. In diesem Augenblick wäre ein Anhalten indessen nicht mehr möglich und der Unfall deshalb durch einen Bademeister nicht zu verhindern gewesen. Dass der Zeuge S. und /oder der Antragsteller bereits zuvor die Rutsche ordnungswidrig benutzt haben, so dass ein unmittelbar an der Rutsche stehender Bademeister hier weiteren Verstößen hätte Einhalt bieten können, behauptet der Antragsteller selbst nicht.

d) Im Ergebnis ohne Erfolg beruft der Antragsteller sich ferner darauf, die Antragsgegnerin habe ihre Verkehrssicherungspflicht bereits deshalb verletzt, weil diese überhaupt nur einen Bademeister für das gesamte aus Schwimmer und Nichtschwimmerbecken nebst Sprunganlage und Wasserbecken bestehende Freibad eingeteilt habe, so dass im Zeitpunkt des Unfalls niemand mit der Beaufsichtigung des Nichtschwimmerbeckens und der Rutsche befast gewesen sei. Grundsätzlich ist der Betreiber eines Schwimmbades allerdings verpflichtet, der Aufsichtsperson einen geeigneten Standort zuzuweisen, von dem aus sie das Bad überblicken und Sicht auf die Schwimmbecken und Rutschen haben kann (BGH VersR 2004, 252; 2000, 984). Erforderlichenfalls muss er die Aufsicht anweisen, den Standort öfter zu wechseln, um das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln verfolgen und nötigenfalls frühzeitig eingreifen zu können. Grundsätzlich ist hierbei ausreichend, wenn je Beckenbereich eine Aufsicht zur Verfügung steht (OLG Koblenz, a. a. O.).

Auf dieser Grundlage ist es bereits zweifelhaft, ob hier tatsächlich für die gesamte Anlage nur ein Bademeister zur Verfügung stand. Aus dem Vermerk des PHM L. vom 11. Juni 2003 ergibt sich vielmehr, dass insgesamt drei Aufsichtspersonen für die Anlage zur Verfügung standen. Entsprechendes ist auch von der Antragsgegnerin unter Vorlage eines Lageplanes und der Position der drei Aufsichtspersonen vorgetragen worden. Hiernach befand sich ein Bademeister im Bereich des Nichtschwimmerbeckens auf der der Rutsche gegenüberliegenden Seite des Beckens. Selbst wenn indessen der Vortrag des Antragstellers zutreffen sollte, der gesamte Bereich des Nichtschwimmerbeckens einschließlich der Rutsche sei nicht überwacht worden, würde hieraus keine Haftung der Antragsgegnerin folgen. Auch ein im Bereich des Nichtschwimmerbeckens anwesender Bademeister hätte nämlich den Unfall, selbst wenn er in diesem Moment gerade das Verhalten des Antragstellers und des Zeugen S. wahrgenommen hätte, nicht verhindern können. Der Zeuge S. war nämlich bereits auf den Knien sitzend losgerutscht, als sich im Auslaufbereich wieder bzw. immer noch der Antragsteller aufhielt. Ein Ausweichen bzw. Anhalten war ihm Aussage gerade nicht mehr möglich. Es ist nicht ersichtlich, wie ein hier anwesender Bademeister diesen Unfall dann noch hätte verhindern sollen. Ein Eingreifen war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Insoweit fehlt es jedenfalls an der Kausalität einer Verletzung der Aufsichtspflicht für den eingetretenen Schaden (zu diesem Aspekt vgl. OLG Stuttgart, a. a. O.).

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Gerichtskosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG Kostenverzeichnis Nr. 1811. Außergerichtliche Auslagen des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

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