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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 13.09.2000
Aktenzeichen: 9 U 110/00
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 611
GG Art. 12
1. Bei der Prüfung der Wirksamkeit eines Wettbewerbsverbotes können nicht die bei Abschluss des Vertrages gegebenen Verhältnisse zugrunde gelegt werden, sondern es ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens abzustellen.

2. In räumlicher Hinsicht ist eine große Ausdehnung eines Wettbewerbsverbotes zulässig, wenn es sich um Massengut mit längerer Haltbarkeit handelt, bei dem es den Abnehmern der Ware nicht darauf ankommt, diese an einem bestimmten Ort zu beziehen (hier: Lebensmittelkonserven).


9 U 110/00

Verkündet am 13. September 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ############## sowie die Richter am Oberlandesgericht ############## und ####### auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 2000 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 12. April 2000 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten zu. Denn das in Artikel 8 Abs. A. des zwischen den Parteien am 1. September 1998 geschlossenen Anstellungsvertrages vereinbarte Wettbewerbsverbot ist wirksam.

1. Der Senat ist der Auffassung, dass gemäß Artikel 28 Abs. 2 i. V. m. Artikel 30 Abs. 2 EGBGB das niederländische Recht Anwendung findet, weil die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben, der Beklagte seine Verpflichtungen aus dem Anstellungsvertrag gewöhnlich in #######, dem Sitz der Klägerin, zu erfüllen hatte (Artikel 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB) und es sich bei dem Wettbewerbsverbot um eine nachwirkende Verpflichtung aus dem Anstellungsvertrag handelt.

Die Wirksamkeit des Wettbewerbsverbotes richtet sich daher nach Artikel 7: 653 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches. Dieser lässt in seinem § 1 die Vereinbarung eines nachvertraglichen Tätigkeitsverbotes grundsätzlich zu, eröffnet aber in seinem § 2 dem Richter die Möglichkeit, eine derartige Vereinbarung in einem Prozess ganz oder teilweise für nichtig zu erklären, wenn 'der Arbeitnehmer im Verhältnis zu dem zu schützenden Interesse des Arbeitgebers durch diese Vereinbarung unbillig benachteiligt wird'.

Dies führt letztlich dazu, dass die vom Senat vorzunehmende Wirksamkeitskontrolle nach materiellem niederländischem Recht in gleicher Weise zu erfolgen hat, wie dies bei der Anwendung materiellen deutschen Rechts zu geschehen hätte. Denn auch hier hat eine Abwägung der gegenläufigen Interessen zu erfolgen, wobei insbesondere das aus Artikel 12 Abs. 1 GG folgende Gebot der Berufsfreiheit zu berücksichtigen ist. Dieses Grundrecht ist auch bei der Prüfung materiellen niederländischen Rechts zu beachten, weil gemäß Artikel 6 EGBGB die Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn sie mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, unvereinbar ist. Überdies ist die Berufsfreiheit auch international-rechtlich anerkannt (vgl. hierzu die Nachweise bei Fischer, DB 1999, 1702 ff.) und hat ihren Niederschlag in der EU-Sozial-Charta (Titel 1 Ziffer 4) gefunden.

2. Die Klausel, nach der dem Beklagten für die Dauer eines Jahres der Wettbewerb im Geschäftsbereich der Klägerin auf dem Gebiet der Staaten Niederlande, Deutschland, Belgien und Luxemburg verboten ist, hält der vorzunehmenden Inhaltskontrolle stand. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist sie insbesondere nicht deshalb unwirksam, weil sie hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs eine unbillige Benachteiligung des Beklagten beinhaltet.

Mit Rücksicht auf die vor allem bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu beachtenden Wertentscheidungen der Verfassung - hier des Artikels 12 Abs. 1 GG - lässt die höchstrichterliche Rechtsprechung Wettbewerbsbeschränkungen nur zu, wenn sie örtlich, zeitlich und gegenständlich das notwendige Maß nicht überschreiten. Ihre Rechtfertigung findet die wettbewerbsbechränkende Abrede allein in dem anerkennenswerten Bestreben des von ihr begünstigten Teils, sich davor zu schützen, dass der andere Teil die Erfolge seiner Arbeit illoyal verwertet oder sich in sonstiger Weise zu seinen Lasten die Freiheit der Berufsausübung missbräuchlich zu nutze macht; soweit dieses Interesse nicht betroffen ist, beschränken derartige Abreden die Freiheit der Berufsausübung unangemessen und sind sittenwidrig (BGHZ 91, 1 ff.; BGH NJW 1986, 2944; BGH NJW 1994, 384; BGH NJW 1997, 3089 f.).

Bei Anwendung dieser gefestigten Rechtsprechung begegnet allein die räumliche Ausdehnung des Wettbewerbsverbotes Bedenken, weil - dies sieht im Ergebnis auch der Beklagte so - weder die zeitliche Vorgabe (Dauer des Wettbewerbsverbotes: 1 Jahr) noch der gegenständliche Bereich des Wettbewerbsverbotes (Herstellung und Vertrieb von Lebensmitteln/Lebensmittelkonserven) das

erforderliche Maß überschreiten und den Beklagten bei Berücksichtigung des Interesses der Klägerin auch nicht unangemessen benachteiligt.

Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des zur Entscheidung stehenden Falles hält der Senat vorliegend die Wettbewerbsklausel trotz der erheblichen räumlichen Ausdehnung noch für wirksam, sodass die Frage, ob bei einer zu weit gehenden räumlichen Erstreckung des Verbots die lediglich quantitative Überschreitung in Teilabschnitte zerlegbar ist - mit der Folge, dass auch eine wegen Missachtung der räumlichen Grenzen unzulässige Wettbewerbsbeschränkung nicht nichtig ist, sondern verkürzt auf das angemessene Maß aufrecht erhalten werden kann (vgl. Hirte ZHR 154, 443 ff.; Melullis WRP 1994, 686 ff.; Traub WRP 1994, 802 ff.) -, ebenso offen bleiben kann wie die weitere Frage, ob § 2 des Artikel 7: 653 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches mit der Regelung über die 'teilweise' Nichtigkeitserklärung eine derartige geltungserhaltene Reduktion ausdrücklich zulässt.

Die Unbilligkeit der Vertragsklausel folgt nicht bereits daraus, dass der Beklagte bei Abschluss der Vereinbarung vom 1. September 1998 über umfangreiche Geschäftsbeziehungen verfügte, während die Klägerin ihren Geschäftsbetrieb erst aufnehmen wollte und der Beklagte durch die Mitnahme der Geschäftspartner nach seinem Ausscheiden quasi lediglich den vor Vertragsschluss mit der Klägerin bestehenden Zustand wieder hergestellt hat. Denn bei der Prüfung der Wirksamkeit des Wettbewerbsverbotes können nicht die bei Abschluss des Vertrages gegebenen Verhältnisse zugrunde gelegt werden, sondern es ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens abzustellen (Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 15. Aufl., Rn. 25, Anhang § 6; Hoffmann-Becking, Festschrift für Quack, 1991, S. 275; Scholz, GmbH-Gesetz, 8. Aufl., Rn. 135 zu § 43). Denn nur so kann gewährleistet werden, dass etwaige Veränderungen im gegenständlichen oder örtlichen Tätigkeitsbereich zugunsten beider Parteien bei der vorzunehmenden Interessenabwägung berücksichtigt werden können. Im Übrigen ist das Schutzbedürfnis der Klägerin umso größer, je stärker ihr wirtschaftlicher Erfolg von den Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten des Beklagten als des einzigen Geschäftsführers abhängig ist.

Zugunsten der Klägerin ist vorliegend zu berücksichtigen, dass jedenfalls das vom räumlichen Bereich des Wettbewerbsverbotes umfasste Gebiet der Benelux-Staaten und Deutschlands als einheitlicher Wirtschaftsraum anzusehen ist. Dies gilt im Zuge der Öffnung des EU-Binnenmarktes im verstärkten Maße, weil hierdurch der grenzüberschreitende Warenverkehr nochmals erleichtert worden ist. Hinzu kommt, dass es sich bei dem wesentlichen Geschäftsgegenstand der Klägerin um die Herstellung und den Vertrieb von Lebensmittelkonserven handelt, also einem Massengut, welches einerseits insbesondere von Großabnehmern, die ihrerseits grenzüberschreitend tätig sind, nachgefragt wird und andererseits wegen der langen Haltbarkeit auch ohne weiteres länderübergreifend transportiert und verteilt werden kann. Gerade deshalb ist eine große räumliche Ausdehnung des Wettbewerbsverbotes notwendig, um ihm zur Wirksamkeit zu verhelfen, weil es aus vorbezeichnetem Grund den Abnehmern der Ware nicht darauf ankommt, diese an einem bestimmten Ort zu beziehen, weil sie nur dort zu erwerben - etwa aufgrund besonderer Kenntnisse eines Herstellungsprozesses oder aufgrund bestimmter regionaler Herkunftsbezeichnungen, auf die der Endverbraucher Wert legt - oder - etwa infolge eingeschränkter Haltbarkeit oder sonstiger, ggf. auch regionaler Besonderheiten - zu vermarkten ist.

Dem Beklagten hingegen ist es zumutbar, für den Zeitraum von einem Jahr - der den zeitlich zulässigen Rahmen von regelmäßig zwei Jahren nicht ausschöpft - den Wettbewerb zu unterlassen. Er hat in dieser Zeit die Möglichkeit, sich nach einer adäquaten Tätigkeit umzusehen und die Aufnahme einer eigenen (Konkurrenz-)Tätigkeit vorzubereiten. Dabei ist der Zeitraum von einem Jahr noch so bemessen, dass seine vorhandenen Marktkenntnisse und Geschäftsbeziehungen nicht verloren gehen. Überdies und vor allem steht ihm - zur Vermeidung wirtschaftlicher Härten - die Möglichkeit offen, nach niederländischem Recht eine Karenzentschädigung zu erstreiten.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass das Wettbewerbsverbot nach Artikel 8 des Anstellungsvertrages vom 1. September 1998 nur dann eingreift, wenn der Beklagte selbst die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses erklärt. Von dieser Möglichkeit hat er vorliegend Gebrauch gemacht, sodass die Beendigung der Tätigkeit von ihm selbst herbeigeführt worden ist; hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er sich aus Gründen zur Kündigung gezwungen gesehen hat, die nicht in seiner Einflusssphäre lagen, sind nicht vorhanden, so dass offen bleiben kann, ob Artikel 8 in einem solchen Fall einschränkend auszulegen wäre. Dann hat der Beklagte aber eine größere Loyalitätspflicht gegenüber seinem früheren Arbeitgeber als in dem Fall, in dem dieser sich selbst durch die Beendigung des Anstellungsverhältnisses der Gefahr eines Wettbewerbs ausgesetzt hätte.

Schließlich ist zu Lasten des Beklagten auch zu berücksichtigen, dass dieser bereits sieben Monate vor seinem Ausscheiden bei der Klägerin als Alleingesellschafter eine Gesellschaft gegründet hatte, deren Geschäftsbereich weitgehend mit dem der Klägerin identisch ist, sodass er unmittelbar nach seinem Ausscheiden bei der Klägerin deren Geschäfte mit seiner eigenen Gesellschaft weiterzuführen im Stande war.

Zur Durchsetzung des schützenswerten Interesses der Klägerin, den Beklagten an der illoyalen Ausnutzung des letztlich mit ihrem Geschäftsbetrieb erzielten Erfolges zu hindern, ist es daher im vorliegenden Fall geboten, den räumlichen Bereich des Wettbewerbsverbotes wie in der Klausel enthalten auszugestalten, sodass das Wettbewerbsverbot der Wirksamkeitskontrolle Stand hält.

3. Neben dem somit gegebenen Verfügungsanspruch besteht zugunsten der Klägerin auch ein Verfügungsgrund.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beklagte mit der von ihm gegründeten ####### GmbH in unmittelbaren Wettbewerb zu der Klägerin getreten ist. Bereits hieraus rechtfertigt sich die Dringlichkeit, weil es der Klägerin nicht zuzumuten ist, den vertragswidrigen Wettbewerb zu dulden, den Beklagten damit erst einmal endgültige Verhältnisse schaffen zu lassen und später Schadensersatzansprüche zu realisieren, zumal die Berechnung derartiger Ansprüche regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Überdies würde die Verneinung der Dringlichkeit unter Umständen dazu führen, dass die Klägerin durch den vertragswidrigen Wettbewerb derart geschädigt würde, dass sie ihren Geschäftsbetrieb nicht mehr fortzusetzen im Stande wäre. Dann aber könnte zweifelhaft sein, ob sie überhaupt noch ein schützenswertes Interesse an der Durchsetzung des Wettbewerbsverbotes haben könnte. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass die Klägerin praktisch eine sog. Leistungsverfügung erstrebt.

Entgegen der Behauptung des Beklagten ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht, dass sie ihre werbende Tätigkeit bereits vollständig eingestellt hat. Vielmehr ist mit der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers ####### lediglich glaubhaft gemacht, dass das Ausscheiden des Beklagten zu erheblichen Umsatzeinbußen geführt hat und die Entlassung von 16 der zuvor 22 Mitarbeiter erforderlich gewesen ist. Nicht nur der Umstand, dass die Klägerin zumindest noch sechs Mitarbeiter beschäftigt, sondern auch einen neuen Geschäftsführer angestellt hat, ist im summarischen Verfahren hinreichendes Indiz dafür, dass sie ihren Geschäftsbetrieb fortführt und daher weiterhin ein berechtigtes Interesse an der raschen Durchsetzung des Wettbewerbsverbotes hat.

4. Gegen die Dringlichkeit spricht auch nicht die prozessuale Vorgehensweise der Klägerin. Zwar hat diese zeitlich vor der Antragstellung im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in den Niederlanden anhängig gemacht und diesen sodann in der Folgezeit nicht weiter betrieben, doch spielt dies für die Beurteilung der Dringlichkeit im hier anhängigen Verfahren keine maßgebliche Rolle. Denn der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist beim Landgericht am 13. März 2000 eingegangen, mithin lediglich 13 Tage nach dem Ausscheiden des Beklagten bei der Klägerin. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beklagte deutscher Staatsangehöriger ist und die von ihm gegründete Gesellschaft ihren Sitz gleichfalls im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat und damit ein in Deutschland erstrittener Titel einfacher und schneller als einer, der in den Niederlanden erreicht worden ist, durchgesetzt werden kann, ist es nicht zu beanstanden, dass sich die Klägerin auf die Fortführung des in Deutschland anhängigen Rechtsstreites beschränkt hat.

5. Zutreffend hat das Landgericht das Wettbewerbsverbot bis zum 28. Februar 2001 befristet. Denn entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es für den Beginn der Jahresfrist auf den Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Klägerin und nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung an. Denn würde für die zeitliche Geltungsdauer eines Wettbewerbsverbotes nicht auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung, sondern auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung abgestellt, dann hätte es der Beklagte in der Hand gehabt, durch frühzeitige Abgabe der Kündigungserklärung das Wettbewerbsverbot ganz oder teilweise zu umgehen.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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