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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 12.01.2000
Aktenzeichen: 9 U 119/99
Rechtsgebiete: BGB, Nds. StrG, Nds. GO
Vorschriften:
BGB § 839 | |
Nds. StrG § 6 | |
Nds. StrG § 47 | |
Nds. GO § 72 Abs. 1 Nr. 5 |
2. Für die Bestimmung des Verkehrssicherungspflichtigen darf auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 47 Nds. StrG nicht unmittelbar zurückgegriffen werden.
9 U 119/99
Verkündet am 12. Januar 2000
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ############## und die Richter am Oberlandesgericht ############## und ############## aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 1999 für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 30. April 1999 abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Beschwer: 3.065,55 DM.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung (Verkehrssicherungspflichtverletzung) mit der Behauptung, er habe am 20. Juni 1998 mit seinem PKW einen Unfall erlitten, weil er infolge eines auf der Fahrbahn aufgeschütteten Schotterhaufens von der Straße abgekommen sei. Bei der Straße handelt es sich um einen für den öffentlichen Verkehr freigegebenen befestigten Weg in einer Mitgliedsgemeinde der beklagten Samtgemeinde. Am Morgen des Unfalltages waren dort mehrere Schotterhaufen von der Jagdgenossenschaft abgelagert worden, um den Weg im Auftrag des Straßenbaulastträgers auszubessern. Warnhinweise waren nicht aufgestellt worden. Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat Erfolg, weil die beklagte Samtgemeinde nicht passivlegitimiert ist; sie ist nicht Trägerin der Straßenbaulast und - daran anknüpfend - der Verkehrssicherungspflicht für den Weg, auf dem sich der Unfall ereignet haben soll.
Niedersächsische Samtgemeinden sind gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 5 NGO nur für den Bau und die Unterhaltung von Gemeindeverbindungsstraßen zuständig. Für sonstige Gemeindestraßen obliegt die Straßenbaulast deren Mitgliedsgemeinden. Das Landgericht hat den Charakter als Gemeindeverbindungsstraße unter Verstoß gegen die Regeln des öffentlichen Sachenrechts bejaht. Auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 47 NStrG, mit denen Einteilungskriterien der Verkehrsbedeutung als Voraussetzung einer zutreffenden öffentlich-rechtlichen Widmung beschrieben werden, darf für die Bestimmung des Verkehrssicherungspflichtigen nicht unmittelbar zugegriffen werden. Sie haben nur Bedeutung für den Widmungsakt bzw. bei nachträglicher Änderung der Verhältnisse für eine etwaige Umstufung der Straße (vgl. § 7 Abs. 1 NStrG). Zivilrechtlich ist also irrelevant, ob eine Gemeindestraße im Außenbereich den nachbarlichen Verkehr zwischen Gemeinden oder Ortsteilen vermittelt, wie das Landgericht aufgrund eines Blicks in die Landkarte für den fraglichen Weg festgestellt hat.
Anknüpfungspunkt für die durch § 10 Abs. 1 NStrG öffentlich-rechtlich ausgestaltete Verkehrssicherungspflicht ist ungeachtet ihrer rechtlichen Selbständigkeit grundsätzlich die Zuständigkeit für die Straßenbaulast (vgl. BGHZ 14, 83, 85; 24, 124, 130; MünchKomm/Mertens, BGB, 3. Aufl., § 823 Rz. 250; s. ferner BGHZ 60, 54, 59 zu dem mit § 10 NStrG beachteten engen sachlichen Zusammenhang von Verkehrssicherungspflicht und Straßenbaulast). Sicherungspflichtig ist der Baulastträger, der rechtlich und tatsächlich zur Gefahrenabwehr in der Lage ist, soweit ihm die Verfügungsgewalt über die Straße zusteht (Kodal/Krämer, Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 40 Rz. 33; Soergel/Zeuner, BGB, 12. Aufl., § 823 Rz. 199); bei einem gesetzlich vorgesehenen Auseinanderfallen von Kostentragung und Verwaltung kommt es auf die Verwaltungszuständigkeit für die tatsächliche Unterhaltung und die dadurch begründete Einwirkungsmöglichkeit an (BGHZ 24, 124, 130, 132 f.; 16, 95, 98; BGH NJW 1967 246, 247; Soergel/Zeuner § 823 Rz. 199). Für Gemeindestraßen sind danach die Gemeinden sicherungspflichtig (BGH NJW 1967, 246, 247).
Die Straßenbaulast wird durch die Widmung der Straße für den öffentlichen Verkehr begründet. Dabei handelt es sich gegenüber dem künftigen Träger der Straßenbaulast um einen Verwaltungsakt, hinsichtlich anderer Rechtswirkungen, etwa der Begründung von Schadensersatzansprüchen aus Verkehrssicherungspflichtverletzung gegenüber Straßenbenutzern, um einen gesetzlichen Tatbestand (so Salzwedel, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, 8. Abschnitt Straßen- und Verkehrsrecht, Rz. 15) bzw. eine mittelbare rechtliche Folge der Widmung (so Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1992, Straßen- und Wegerecht, Rz. 24). Andere Möglichkeiten der Begründung des Status als öffentliche Straße gibt es heute nicht mehr (Salzwedel a. a. O. Rz. 19).
Die Widmung ist förmlich ausgestaltet (Steiner a. a. O. Rz. 22 ff.). Sie wird im Regelfall gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 NStrG durch den Träger der Straßenbaulast ausgesprochen. Mit der Widmung ist die Straße zwingend (Steiner a. a. O. Rz. 37; Kodal/Krämer, Kap. 9 Rz. 1) zu klassifizieren, nämlich in Abhängigkeit von der zu erwartenden Verkehrsbedeutung ihre Zugehörigkeit zu einer Straßengruppe nach § 3 Abs. 1 NStrG festzulegen (§ 6 Abs. 1 S. 4 NStrG); insoweit besteht ein Typenzwang (Steiner a. a. O.; Kodal/Krämer a. a. O.). Diese Einstufung ist Teil der Widmung und unlösbar mit ihr verbunden (Kodal/Krämer a. a. O. Rz. 7). Gemeindeverbindungsstraßen gehören dabei zur Gruppe der Gemeindestraßen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 in Verb. mit § 47 NStrG.
Die nach § 6 NStrG vorzunehmende Widmung soll straßenrechtlich grundsätzlich nur die Merkmale der Straßengruppe angeben müssen, nicht aber die Untergruppe des § 47 NStrG (Wendrich, Nieders. Straßengesetz, 3. Aufl. 1994, § 6 Rz. 6). Diese Aussage hat den Regelfall im Auge, dass der Straßenbaulastträger für alle Untergruppen der Gemeindestraßen identisch ist. Bei unterschiedlicher Zuständigkeit, wie sie sich für Samtgemeinden und deren Mitgliedsgemeinden aus der kommunalrechtlich festgelegten Aufgabenteilung ergibt, ist hingegen eine weiterreichende Festlegung erforderlich, weil der Widmungsakt anderenfalls nicht eine seiner wesentlichen Aufgaben erfüllt, den Straßenbaulastträger zu fixieren.
Die Mitgliedsgemeinde der Beklagten hat in ihrer dem Senat übermittelten amtlichen Auskunft den öffentlich bekanntgemachten Widmungsbeschluss des Gemeinderates vom 14. Oktober 1985 mitgeteilt, durch den mit Wirkung vom 15. November 1985 sämtliche bis dahin noch nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Gemeindestraßen dem öffentlichen Verkehr gewidmet wurden; zugleich wurde darin die Mitgliedsgemeinde selbst als Straßenbaulastträgerin bestimmt. Das ebenfalls übersandte Bestandsverzeichnis, das noch nach der - 1990 durch eine Neuregelung abgelösten - Verordnung vom 29. August 1966 (Nds. GVBl. 1966, 181) angelegt worden ist, gibt für den fraglichen, 1979 geschaffenen Weg die Widmung mit Wirkung zum 15. November 1985 an; sie beruht also offenbar auf dem zitierten Beschluss vom 14. Oktober 1985. Das Karteiblatt ist in der Farbe hellgrau (ohne zusätzliche, damals noch nicht erforderliche Buchstabenkennung) angelegt worden. Diese Grundfarbe ist nach § 2 BestVerzVO (1966) für Gemeindestraßen im Außenbereich zu verwenden, die nicht Gemeindeverbindungsstraßen sind. Daraus ist mittelbar zu entnehmen, dass die Mitgliedsgemeinde Baulastträgerin ist.
Bei dieser Sachlage ist für die Entscheidung unerheblich, ob die Klassifizierungsangaben des Bestandsverzeichnisses, das ein öffentliches Register ist (§ 6 Abs. 2 BestVerzVO), dessen Eintragungen jedoch heute für den Straßenstatus keine rechtsbegründende Wirkung mehr haben (Salzwedel a. a. O. Rz. 19), oder der Widmungsbeschluss zivilrechtlich für die Bestimmung des verkehrssicherungspflichtigen Baulastträgers maßgebend sind.
Die Samtgemeinde ist auch nicht etwa deshalb als sicherungspflichtig anzusehen, weil sie zugleich die Verwaltungsgeschäfte für die Mitgliedsgemeinde führt. Mit der Ausführung von Unterhaltungsarbeiten für den fraglichen Weg hat die Mitgliedsgemeinde vielmehr seit Jahren die Jagdgenossenschaft beauftragt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Ende der Entscheidung
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