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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 04.12.2002
Aktenzeichen: 9 U 151/02
Rechtsgebiete: GmbHG, AktG


Vorschriften:

GmbHG § 45
AktG § 243
1. Zur Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses berechtigt nicht nur ein Verfahrensmangel, der ursächlich für den angefochtenen Beschluss ist. Es ist ausreichend, aber auch erfoderlich, dass ein 'innerer Zusammenhang' zwischen dem Verstoß gegen Verfahrensregeln und dem Beschlussgegenstand besteht, der Fehler also für die Beschlussfassung 'relevant' ist.

2. In diesem Sinne ist als Verfahrensmangel die rechtswidrige Informationsverweigerung relevant, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Gesellschafter in Bezug auf den Beschlussgegenstand von seinen Teilhaberechten anderen Gebrauch gemacht hätte, also etwa - eben nach vollständiger und richtiger Information - die Diskussion zu einem Beschlusspunkt anders verlaufen wäre; auf das konkrete Abstimmungsergebnis kommt es ebenso wenig an wie überhaupt auf das Recht des anfechtenden Gesellschafters, an der Abstimmung teilzunehmen.


Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

9 U 151/02

Verkündet am 4. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ####### sowie der Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 18. Juni 2002 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover teilweise abgeändert:

Der in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 17. August 2001 gefasste Beschluss, die Bilanz für das Jahr 1999 festzustellen, wird für nichtig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Mit der Berufung macht die Klägerin erneut geltend, dass ihr eine rechtzeitige Einsicht in die Unterlagen der Beklagten vor der Gesellschafterversammlung am 17. August 2001 verweigert worden sei. Zudem sei die auf der Versammlung festgestellte Bilanz für 1999 unrichtig; im Hinblick auf die Aktivierung des Grundstücks im ####### in Höhe von 945.591,85 DM fehle eine vollständige Zusammenstellung der Anschaffungskosten. Es hätten auch nicht alle Belege am 17. August 2001 vorgelegen; ein fehlender Kontoauszug sei etwa seitens der Beklagten erst am 31. Mai 2002 nachgereicht worden. Eine Information der Klägerin sei auch nicht entbehrlich gewesen, da sie - insoweit unstreitig - ab Mitte Oktober 1999 nicht mehr alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der Beklagten gewesen sei.

Die Klägerin beantragt deshalb,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Gesellschafterbeschluss vom 17. August 2001, mit dem die Bilanz 1999 festgestellt worden ist, für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe der Klägerin rechtzeitig vor der Gesellschafterversammlung die Einsichtnahme gewährt. Sämtliche Bilanzansätze seien darüber hinaus zutreffend.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet; der mit den Stimmen der Gesellschafterin ####### gefasste Beschluss vom 17. August 2001, der die Feststellung der Bilanz für das Jahr 1999 zum Gegenstand hat, ist rechtswidrig, da er auf einem Verfahrensmangel beruht.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere sind die Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO gewahrt. Zwar hat der Kläger erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - also nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist - einen ausdrücklich formulierten Berufungsantrag gestellt. Indes ergab sich auch aus den Schriftsätzen des Klägers vom 17. Juli 2002 und 15. August 2002, in welchem Umfang das landgerichtliche Urteil angefochten werden sollte. Der Kläger hat nämlich im Berufungsschriftsatz vom 17. Juli 2002 deutlich gemacht, dass er die Berufung 'auf den abgewiesenen Teil der Klage' beschränke; in der Berufungsbegründung vom 15. August 2002 finden sich ausschließlich Angriffe gegen den vom Landgericht abgewiesenen Teil der Klage. Nicht ganz bedenkenfrei, aber im Ergebnis jedenfalls ausreichend konnte der Senat also aus Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist Umfang und Ziel des Rechtsmittels erkennen, sodass im Ergebnis die Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO noch gewahrt sind.

2. Die Klägerin hat den Beschluss vom 17. August 2001 in der grundsätzlich auch für die Anfechtung von Beschlüssen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung geltenden Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG (vgl. zu diesem 'Leitbild' Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., Anhang § 47 Rn. 66) angefochten; die Klageschrift vom 14. September 2001 ist am 17. September 2001 beim Landgericht Hannover eingegangen.

3. Der Beschluss vom 17. August 2001 beruht auf einem Verfahrensmangel, da die Beklagte das Recht der Klägerin zur Einsichtnahme in die Unterlagen der Gesellschaft verletzt hat. Eine solche rechtswidrige Informationsverweigerung führt dazu, dass der Gesellschafterbeschluss anfechtbar ist, sofern die Information der Stimmrechtsausübung dienen sollte und für die Abstimmung relevant war (Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 51 a Rn. 47).

a) Die Beklagte hat der Klägerin zu Unrecht die - uneingeschränkte - Einsichtnahme in ihre Unterlagen verweigert. Aus dem Beschluss des Landgerichts Hannover (Geschäftszeichen 26 AktE 721/01-14-) vom 7. August 2001 ergibt sich, dass die Beklagte hinsichtlich des Umfangs der Unterlagen uneingeschränkt zur Einsichtnahme verpflichtet worden ist. Jedenfalls nach Erlass dieses Beschlusses, der der Beklagten am 10. August 2001 zugestellt worden ist, war dieser klar, dass sie eine umfassende Auskunft zu gewähren hatte. Dieses Recht hat die Klägerin mit Schreiben vom 14. August 2001 einfordern lassen; außerdem hat sie um eine Verschiebung der Gesellschafterversammlung gebeten. Beides hat die Beklagte mit Schreiben vom selben Tag ablehnen lassen, sodass ein Verfahrensfehler in Form der nur eingeschränkten Teilhabe des Gesellschafters an der Willensbildung der Gesellschaft vorliegt (vgl. dazu Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 45 Rn. 103).

aa) Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, der Klägerin sei es bereits am 12. Juni 2001 möglich gewesen, den Beschluss des Landgerichts zu erfragen und sodann die Beklagte zur Gewährung der Akteneinsicht aufzufordern; da sie dies nicht getan habe, sei ihr offenkundig die Einsichtnahme nicht so wichtig gewesen. Der Beschluss des Landgerichts datiert - anders als die Beklagte in der Berufungsinstanz mehrfach behauptet hat - nicht vom 12. Juni 2001, sondern vom 7. August 2001. Am Tag der Verhandlung im von der Klägerin angestrengten Verfahren gemäß § 51 b GmbHG, dem 12. Juni 2001, ist keine Entscheidung des Landgerichts in der Sache ergangen. Vielmehr wurde ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt (vgl. Bl. 35 f. d. A. Landgericht Hannover 26 AktE 721/01-14-); am 7. August 2001 ist dem Antrag der Klägerin entsprochen worden, sodass diese frühestens an diesem Tag vom Inhalt der Entscheidung wissen konnte. Der Beschluss des Landgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 13. August 2001 zugestellt worden, sodass die Klägerin keinesfalls zu lange gewartet hat, als sie bereits am Folgetag die Beklagte zur Erfüllung der sich aus dem Beschluss des Landgerichts vom 7. August 2001 ergebenden Verpflichtung aufforderte. Außer Betracht bleiben muss in diesem Zusammenhang der Umstand, dass ein am 28. August 2001 gestellter Antrag der Klägerin auf Festsetzung von Zwangsmitteln gemäß § 888 ZPO vom Landgericht zurückgewiesen worden ist, da dieser Vorgang das Verhalten der Klägerin und der Geschäftsleitung der Beklagten nach dem Beschluss vom 17. August 2001 betrifft.

bb) Das Recht der Klägerin auf Einsichtnahme in die Unterlagen war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin - wie unstreitig ist - bis zum 12. Oktober 1999 alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der Beklagten gewesen ist. Jedenfalls durfte sich die Klägerin auch ein Bild davon machen, wie sich die Verhältnisse der Gesellschaft in der Zeit vom 13. Oktober 1999 bis zum 31. Dezember 1999 entwickelt hatten.

b) Der beschriebene Verfahrensmangel führt zur Anfechtbarkeit des Gesellschafterbeschlusses. Unter Aufgabe der früheren Auffassung (vgl. dazu Scholz/ Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 45 Rn. 100 mit Note 333) verlangt die Rechtsprechung nicht mehr eine Kausalität zwischen einem Verfahrensmangel und dem Beschluss. Vielmehr berechtigt die rechtswidrige Informationsverweigerung zur Anfechtung ohne konkrete Kausalitätsprüfung (vgl. z. B. OLG München GmbHR 1998, 332, 333 r. Sp.: es gilt § 243 Abs. 4 AktG analog). Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Verstoß für die Beschlussfassung 'relevant' ist (Scholz/Karsten Schmidt, a. a. O., unter Hinweis auf BGH ZIP 2002, 172 [= Sachsenmilch II]; vgl. auch Hüffer, AktG, 4. Aufl., § 243 Rn. 13, speziell zur Verletzung von Informationspflichten Rn. 17). Es muss danach ein 'innerer Sachzusammenhang' zwischen dem Fehler und dem Beschlussgegenstand bestehen, sowie die Möglichkeit, dass der Gesellschafter in Bezug auf diesen Beschlussgegenstand von seinen Teilhaberechten anderen Gebrauch gemacht hätte (Scholz/Karsten Schmidt, a. a. O., Rn. 103).

Unter dieser Voraussetzung, die der Senat für zutreffend hält, ist der Beklagten der Einwand verwehrt, die Verletzung des Einsichtsrechts der Klägerin sei in diesem Sinne nicht 'relevant', da auch bei gewährter Einsicht die Mehrheitsgesellschafterin ####### für die Feststellung gestimmt hätte, die Klägerin aber - weiterhin - dagegen, sodass sich am Abstimmungsergebnis nichts geändert hätte. Stellte man nämlich lediglich auf das Ergebnis einer Abstimmung ab, wäre letztlich der unterlegene Gesellschafter hinsichtlich der Einhaltung von Verfahrensvorschriften rechtlos gestellt (Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 45 Rn. 103); das Anfechtungsrecht würde im Ergebnis leer laufen, wenn der Mehrheitsgesellschafter sich darauf berufen dürfte, er hätte auf keinen Fall anders abgestimmt. Dies bedeutet, dass ein Verfahrensverstoß immer dann 'relevant' ist, wenn wenigstens die gedankliche Möglichkeit besteht, dass - nach vollständiger und richtiger Information des anfechtenden Gesellschafters - die Diskussion zu einem Beschlusspunkt anders verlaufen wäre. In diesem Sinne ist etwa auch der Einwand der Gesellschaft unerheblich, der betroffene Gesellschafter habe nicht mitstimmen dürfen (Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 45 Rn. 103 mit Note 344), da der Ausschluss von der Abstimmung nicht bedeutet, dass der Gesellschafter schon an der Erörterung des fraglichen Tagesordnungspunktes nicht mitwirken dürfte. Zwar verbleibt es dabei, dass ein Mangel, der mit dem materiellen Beschlussergebnis nichts zu tun hat, außer Betracht bleiben muss, sodass eine Informationsverweigerung nur solche Beschlüsse anfechtbar machen kann, für die die Informationsgewährung erheblich sein kann (Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 45 Rn. 103 mit Note 363). Letzteres ist hier der Fall:

Die Klägerin hat durch die Einwendungen gegen die Bilanzfeststellung, die sie konkretisiert hat, nachdem ihr Einsichtnahme in die Unterlagen gewährt worden ist, deutlich gemacht, dass ihrer Auffassung nach ein erheblicher Diskussionsbedarf hinsichtlich einzelner Bilanzpositionen bestand. Die Klägerin wendet sich etwa gegen die Berücksichtigung der Gehälter, gegen die ihrer Auffassung nach nicht richtige Erfassung des Stammkapitals der Mehrheitsgesellschafterin sowie gegen die Bilanzierung des Grundstücks. Dabei geht es - wenigstens teilweise - um Fragen der Bewertung einzelner Bilanzpositionen, bei denen sich auch vor dem Hintergrund der bilanzrechtlichen Vorschriften - dazu hat die Klägerin vorgetragen - von einander abweichende Meinungen für die betreffenden Ansätze ergeben können. Es liegt auf der Hand, dass die Gesellschafter hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten können, die sodann - und zwar nachdem die einschlägigen Unterlagen allen Gesellschaftern bekannt sind - kontrovers auf der Gesellschafterversammlung diskutiert werden. Dies war aufgrund der unberechtigten Informationsverweigerung seitens der Beklagten im Streitfall nicht möglich. Die Versagung der Einsicht bezog sich also nicht lediglich auf einzelne untergeordnete Belege, die auch bei Kenntnis der Klägerin am gefundenen Abstimmungsergebnis offenkundig nichts hätten ändern können.

Es kommt hinzu, dass sich die Beklagte im Übrigen nachdrücklich - trotz des Beschlusses des Landgerichts Hannover vom 7. August 2001 - gegen eine Einsichtnahme in diejenigen Unterlagen gewandt hat, die sich auf die Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin bzw. ihrem Ehemann und der Gesellschaft beziehen. Insbesondere ihnen kann eine 'Relevanz' für die Bilanzfeststellung nicht abgesprochen werden. Dies gilt zweifellos für die Streitigkeiten in den Verfahren Landgericht Hannover 24 O 2221/00 und 24 O 4057/00, deren Gegenstand einerseits eine Nachschusspflicht der Klägerin sowie andererseits die Zahlung restlicher Stammeinlagen war; diese Vorgänge sind ersichtlich für die Bilanzierung von unmittelbarer Bedeutung. Dies gilt in ähnlicher Weise aber auch für den Gegenstand des Verfahrens Landgericht Hannover 20 O 3802/00 zwischen dem Ehemann der Klägerin und der Beklagten über die Aufteilung des Grundstücks in #######, da dieses - teilweise - zum Gesellschaftsvermögen gehört und es deswegen zu beurteilen galt, welche Auswirkungen jener Prozess auf die bilanzielle Behandlung des Grundstücks haben könnte, von möglichen bilanziellen Rückstellungen für den Fall des Prozessverlustes abgesehen.

Insgesamt war also die rechtswidrige Informationsverweigerung seitens der Beklagten 'relevant' für eine Abstimmung über die Bilanz für das Jahr 1999, sodass die Versagung der Einsichtnahme in die Unterlagen der Gesellschaft den Beschluss anfechtbar gemacht hat.

4. Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 19. November 2002 eingegangene, nicht nach § 283 S. 1 ZPO nachgelassene Schriftsatz der Beklagten gibt dem Senat keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, §§ 283 S. 2, 156 Abs. 1 ZPO. Hinsichtlich der von der Beklagten betonten Bereitschaft, eine eingeschränkte Akteneinsicht zu gewähren, weist der Senat darauf hin, dass der Gesellschafter nicht verpflichtet ist, sich mit einer teilweisen Einsichtnahme zufriedenzugeben. Er kann von der Gesellschaft nicht darauf verwiesen werden, zunächst einmal 'unstreitige' Unterlagen einzusehen, um sodann eine gerichtliche Auseinandersetzung über ein weiteres Einsichtsrecht zu führen, dann erneut Einsicht zu nehmen, um restliche Unterlagen zu überprüfen und dann u. U. bereits eingesehene Unterlagen erneut zu kontrollieren, um etwa Wechselbezüglichkeiten zu erkennen und bewerten zu können. Diese Mehrarbeit ist dem einsichtsberechtigten Gesellschafter unzumutbar; eine - vom Gesellschafter zu erstreitende - Auskunft in Teilschritten sieht das Gesetz nicht vor.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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