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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 17.04.2002
Aktenzeichen: 9 U 299/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

9 U 299/01

Verkündet am 17. April 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Richter am Oberlandesgericht S und Dr. V sowie den Richter am Landgericht S auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. September 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts H wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Beschwer für die Klägerin: 1.269,34 €.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen der Beschädigung ihres Pkw gegen die beklagte Landeshauptstadt nicht zu, weil eine Verkehrssicherungspflichtverletzung, die der Beklagten vorzuwerfen wäre, nicht feststellbar ist.

Zwar steht nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass der Pkw der Klägerin durch Astbruch beschädigt worden ist und dass dies an einem Ort geschehen ist, für den die beklagte Landeshauptstadt auch in Bezug auf die dort stehenden Bäume die allgemeine Verkehrssicherungspflicht trifft. Gleichwohl scheidet vorliegend eine Haftung der Beklagten aus, weil sich der Astbruch nicht als - bei Einhaltung der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen vermeidbare - Folge einer Pflichtverletzung der Beklagten, sondern als Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos darstellt.

Nach gefestigter Rechtsprechung hat der Verkehrssicherungspflichtige zur Abwehr der von Bäumen ausgehenden Gefahren die Maßnahmen zu treffen, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Windwurf erforderlich, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand zumutbar sind.

Dazu reicht im Regelfall eine in angemessenen Abständen vorgenommene äußere Sichtprüfung bezogen auf die Gesundheit und Standsicherheit des Baumes aus (OLG Hamm, OLGR Hamm 1997, 67 m. w. N.; Senat, Urteil vom 22. März 2000 - 9 U 203/99, OLGR Celle 2000, 187 und Urteil vom 27. September 2000 - 9 U 28/00, OLGR Celle 2000, 339). Eine eingehende fachmännische Untersuchung ist jedoch dann vorzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die der Erfahrung nach auf eine besondere Gefährdung hindeuten, etwa eine spärliche oder trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall (OLG Hamm VersR 1997, 1148 f. m. w. N. unter Hinweis auf BGH VersR 1964, 334 f.).

Die Verletzung dieser Pflicht durch die beklagte Landeshauptstadt vermag der Senat nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht festzustellen. Der Zeuge S hat bekundet, dass er den Baum, aus dessen Krone der Ast herausgebrochen und auf den Pkw der Klägerin gefallen ist, am 24. Februar 2000 einer Sichtprüfung nach der sogenannten VTA-Methode unterzogen hat. Hierbei wird - vom Erdboden aus - neben dem Stamm des Baumes auch dessen Krone in Augenschein genommen und auf Auffälligkeiten hin abgesucht. Der Zeuge S hat hierzu weiter bekundet, dass dies im fraglichen Bereich zweimal jährlich, nämlich einmal im unbelaubten und einmal im belaubten Zustand der Bäume, geschieht. Dabei wird durch den jeweiligen Kontrolleur anhand eines vorher vom Grünflächenamt erstellten Computerausdruckes geprüft, ob der jeweils geprüfte Baum noch der Klassifizierung (im Bereich der Landeshauptstadt werden die Bäume in insgesamt vier unterschiedliche Klassen, abhängig von Alter und Zustand, eingeteilt) entspricht. Weist der Baum keine Auffälligkeiten auf, die auf einen Krankheitsfall hinweisen oder in sonstiger Weise eine weitere Nachschau erfordern und entspricht er im Übrigen der Klassifizierung gemäß mitgeführter Liste, dann wird durch den die Sichtkontrolle durchführenden Mitarbeiter der Beklagten ein Ok-Vermerk in die Liste eingetragen; so ist im Fall des hier streitgegenständlichen Baumes vom Zeugen S verfahren worden.

Der Zeuge S hat zwar bekundet, dass der auf den von der Klägerin zur Akte gereichten Lichtbildern zu sehende Ast aus dem oberen Kronenbereich des kontrollierten Baumes stammen kann und dass der Ast - so wie auf den Lichtbildern erkennbar - nicht mehr vital war und dies gegebenenfalls auch am 24. Februar 2000 (Tag der Baumschau) der Fall gewesen sein kann. Hieraus kann aber auf eine Pflichtverletzung der beklagten Landeshauptstadt nicht geschlossen werden. Denn der Zeuge S hat weiter bekundet, dass es sich bei dem Baumbestand im Bereich des A M Ufers um Platanen handelt und bei diesen die Sichtkontrolle im unbelaubten Kronenzustand einen Rückschluss auf Schädigungen der Äste nur bedingt zulässt. Dies findet seine Ursache darin, dass Platanen die Rinde wechseln (sogenanntes Häuten) und daher verlässliche Feststellungen zur Vitalität der Kronenäste nur im belaubten Zustand (wegen der Auswirkungen fehlender Vitalität eines Astes auf den Blattwuchs) getroffen werden können.

Dies führt aber nicht dazu, dass - wie die Klägerin meint - die Beklagte gehalten wäre, über die Sichtprüfung hinaus die Kronen der Platanen einer eingehenderen Prüfung, insbesondere etwa einer mechanischen Prüfung durch Rütteln oder ähnlichem, zu unterziehen. Denn dies wäre nur mit einem Aufwand zu erreichen, der nicht nur wirtschaftlich und tatsächlich unzumutbar wäre, sondern auch unter Berücksichtigung des von etwa vorgeschädigten Kronenästen ausgehenden Risikos für die Allgemeinheit unverhältnismäßig wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht nur - wegen der zweimal jährlich erfolgenden Prüfung - die fehlende Vitalität einzelner Äste jedenfalls bei der im belaubten Zustand durchgeführten Sichtprüfung auffällt, sondern auch besonders gravierende Schädigungen des Astwerks - die regelmäßig kurzfristig zu Gefahrensituationen führen können - bei der Sichtprüfung im unbelaubten Zustand erkannt werden können. Das verbleibende Risiko ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu beseitigen und stellt sich im Ergebnis als allgemeines und naturgemäß von Bäumen ausgehendes Lebensrisiko dar, welches die Klägerin - ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer - entschädigungslos hinzunehmen haben.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1; 708 Nr. 10, 713; 546 Abs. 2 ZPO.

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