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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 25.06.2003
Aktenzeichen: 9 U 8/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
Beweiserleichterungen für die Kausalität einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für den Schaden
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

9 U 8/03

Verkündet am 25. Juni 2003

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das am 21. November 2002 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des Landgerichts Verden wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

1. Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO; s. zur Zulässigkeit der Verweisung auch in revisiblen Rechtsstreitigkeiten: Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 540 Rn. 9).

Mit der Berufung erstrebt die Klägerin eine Verurteilung entsprechend ihrem erstinstanzlichen Antrag. Sie rügt eine Verletzung des materiellen Rechts. Die Beklagte habe "nicht einmal die Grundkontrollpflichten wahrgenommen" (S. 2 Berufungsbegründung), weil sie die Allee nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme letztmals im Februar 1999 habe kontrollieren lassen. Da der Unfall sich (erst) am 20. August 2000 ereignet habe, sei die Kontrolldichte längst nicht ausreichend gewesen, zumal die Pappeln bereits überaltert und deshalb besonders anfällig "zum Bruch" (S. 2 der Klage) gewesen seien. Bei der gebotenen Kontrolle im Frühjahr 2000, und zwar im bereits belaubten Zustand, hätten "mageres Blattwerk und äußere Austrocknungserscheinungen ... ohne weiteres gesichtet werden" können (S. 3 Berufungsbegründung).

Die Beklagte erstrebt weiterhin die Abweisung der Klage. Sie nimmt wie in erster Instanz ihre Aktivlegitimation in Abrede. Im Übrigen habe die Allee bis zum Unfall nicht mehr kontrolliert werden müssen. Ferner sei der abgebrochene Ast "kerngesund" gewesen, sodass auch bei weiteren Sichtkontrollen nicht hätte festgestellt werden können, dass der Ast abbruchgefährdet gewesen sei.

2. Die Berufung ist unbegründet.

Die Beklagte hat zwar ihre Kontrollpflicht verletzt. Die Klägerin kann aber nicht beweisen, dass sich bei der gebotenen Kontrolldichte Hinweise auf die Gefahr eines Astabbruchs ergeben hätten, die der Beklagten Anlass zum Handeln hätten geben müssen, sodass sie in Bezug auf die Ursächlichkeit des Versäumnisses für den Schaden beweisfällig bleibt.

Im Einzelnen:

a) Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung hat der Verkehrssicherungspflichtige zur Abwehr der von Bäumen ausgehenden Gefahren die Maßnahmen zu treffen, die einerseits zum Schutz gegen Astabbruch und Windwurf erforderlich, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand zumutbar sind. Dazu reicht im Regelfall eine zweimalige Kontrolle aus, und zwar wegen der unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten einmal im belaubten und einmal im unbelaubten Zustand. Dabei kann sich die Untersuchung normalerweise auf eine Sichtprüfung vom Boden aus beschränken (s. zuletzt OLG Brandenburg OLGR 2002, 411 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Diese Untersuchungspflicht hat die Beklagte zweifellos (schuldhaft) verletzt. Denn sie hat vorgetragen, sie habe die Allee letztmals im Herbst 1999 kontrolliert. Nach dem Ergebnis der Vernehmung des Landschaftspflegeingenieurs ####### geschah die letztmalige Kontrolle aber in noch weiter zurück liegender Zeit, nämlich im Februar 1999.

b) Die Klägerin kann jedoch nicht beweisen, dass die Sorgfaltswidrigkeit auch ursächlich für ihren Schaden geworden ist.

In aller Regel ist es Sache des Geschädigten, die Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden darzulegen und zu beweisen. Diesen Beweis kann die Klägerin nicht führen, weil nicht bekannt ist, welcher Zustand des Baumes bzw. Astes bei der gebotenen Untersuchung der Allee im Frühjahr 2000 im belaubten Zustand festgestellt worden wäre.

Beweiserleichterungen als Ausnahme von der Grundregel für die Beweislast kommen der Klägerin nicht zugute:

Es streitet nicht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass bei einer häufigeren und intensiveren Kontrolle des Baumes der Unfall hätte vermieden werden können. Dies würde nämlich einen typischen Geschehensablauf voraussetzen. Das Abbrechen eines Astes kann aber vielfältige Ursachen haben. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Ast, bevor er abbricht, bei einer normalen Sichtkontrolle - und schon gar nicht mehrere Monate zuvor - Krankheitssymptome aufweisen muss (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1994, 358).

Der Senat hat dem Geschädigten bisher Beweiserleichterungen für den Kausalverlauf in folgenden beiden Fällen gewährt:

(1.) Die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden ist überwiegend wahrscheinlich bzw. es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei einer zusätzlichen Kontrolle konkrete Krankheitsanzeichen festgestellt worden wären (s. dazu das Urteil in dem Rechtsstreit 9 U 273/95 = 2 O 209/95 Landgericht Lüneburg).

(2.) Es ist weder überwiegend wahrscheinlich noch überwiegend unwahrscheinlich, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden besteht, die Kausalität bleibt also gänzlich offen. Der Senat hat dazu in dem Urteil in dem Rechtsstreit 9 U 121/02 (= 6 O 329/01 Landgericht Stade) des Näheren zur Beweislast ausgeführt, es sei in diesem Fall - ebenso wie in dem ersteren - unbillig, wenn dem Geschädigten das Risiko der Beweisführung für die Kausalität aufgebürdet würde, weil ein solches Ergebnis dazu führen würde, dass der Verkehrssicherungspflichtige gleichsam sanktionslos die ihm obliegenden Pflichten verletzen könnte, indem er sich auf die vom Geschädigten nicht zu widerlegende Behauptung zurückziehen könnte, bei einer Kontrolle wäre (noch) kein abhilfebedürftiger Zustand festgestellt worden, vielmehr sei die Gefahr erst später entstanden. In einem solchen Fall sei deshalb eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität geboten. Der Verkehrssicherungspflichtige, der die ihm obliegende Kontrollpflicht schuldhaft verletzt hat, müsse - wenn nicht feststehe, wann die Gefahrenlage entstanden ist und dafür auch keine Wahrscheinlichkeit spreche - beweisen, dass der Schaden auch dann nicht hätte vermieden werden können, wenn die Kontrollpflicht ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Denn es sei gerade der Sinn dieser Pflicht, derartige Gefährdungen zu erkennen und abzustellen oder zumindest in geeigneter Weise vor ihnen zu warnen. Führe das Unterlassen der Kontrolle dazu, dass die Kausalität der darin liegenden Pflichtverletzung für den in ihrem Schutzbereich eingetretenen Schaden nicht festgestellt werden könne, sei es sachgerecht, denjenigen mit dem Beweisrisiko zu belasten, der hierfür die Ursache gesetzt und zugleich das Schadensrisiko erhöht hat.

In dem jetzt zu entscheidenden (3.) Fall, dass eine Relevanz der Pflichtverletzung für den Schaden überwiegend unwahrscheinlich ist, kommt jedoch keine Beweiserleichterung für den Geschädigten in Betracht, weil die Unklarheit über den Geschehensablauf nicht wahrscheinlich durch die Pflichtverletzung verursacht worden ist. Eine überwiegende Unwahrscheinlichkeit der Pflichtverletzung für den Kausalverlauf ergibt sich hier aus folgenden Umständen:

Der abgebrochene Ast war belaubt, d. h. vital. Er kann also im Frühjahr kaum vertrocknet gewesen sein. Sonstige Krankheitszeichen etwa am Stamm, die schon seit längerem hätten beobachtet werden können, werden nicht behauptet und sind auch nicht erkennbar. Schließlich ist mit dem seinerzeitigen Sturm (s. S. 2 der Leseabschrift des angefochtenen Urteils) eine naheliegende andere Ursache als Krankheit o. ä. für das Abbrechen des Astes bekannt.

Die Frage der Beweislast ist - wie der Senat aus seiner Spezialzuständigkeit weiß - auch über den hier zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam. Der Senat hat deshalb die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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