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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 13.07.2006
Aktenzeichen: 9 W 63/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 42
ZPO § 47
1. Zu den Handlungen, die der abgelehnte Richter nach § 47 ZPO vornehmen darf, da sie "keinen Aufschub gestatten", gehört zwar die Aufhebung eines Termins, nicht aber die Terminsbestimmung, also auch nicht die Anberaumung eines neuen Termins.

2. Verstößt ein Richter gegen die Wartepflicht nach § 47 ZPO, rechtfertigt dies - für sich gesehen - noch nicht die Besorgnis der Befangenheit, da Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung oder fehlerhafte Entscheidungen grundsätzlich kein Ablehnungsgrund sind. Den Rückschluss auf die Befangenheit lassen Verfahrensfehler nur in besonderen Fällen zu, wofür allerdings ein - insbesondere wiederholter oder mit anderen Verfahrensfehlern verbundener - Verstoß gegen § 47 ZPO ausreichen kann.


9 W 63/06

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ... am 13. Juli 2006 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 22. Juni 2006 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 31. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 79.380,06 EUR.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet; zu Recht hat das Landgericht die Anträge der Beklagten vom 27. April 2006 und 2. Mai 2006 zurückgewiesen, da ein Grund für die Besorgnis der Befangenheit von Richter am Landgericht ... nicht vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei muss es sich um einen Grund handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die auch einer um Objektivität bemühten Partei Anlass geben könnten, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Dies ist hier nicht der Fall.

1. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Verfügung von Richter am Landgericht ... vom 26. April 2006, mit der er zum Ausdruck gebracht hat, den Termin zur Beweisaufnahme und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung am 3. Mai 2006 auch im Hinblick auf die Widerklage vom 26. April 2006 nicht zu verlegen, keinen Grund für die Annahme darstellt, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber.

Mit seiner Einschätzung, ob der bis dahin rechtshängige Teil der Klage nach einer Beweisaufnahme - in welche Richtung auch immer - entscheidungsreif sein könne, hat Richter am Landgericht ... ersichtlich eine Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht. Abgesehen davon, dass sich Richter am Landgericht ... nicht einmal zum Ausgang der Sache selbst geäußert hat, rechtfertigen (geäußerte) Rechtsauffassungen des Richters keine Befangenheitsbesorgnis (vgl. Zöller/ Vollkommer, ZPO, § 42 Rdnr. 28).

Richter am Landgericht ... hat im Übrigen nicht - wie von der Beklagten geltend gemacht wird (S. 2 des Schriftsatzes vom 27. April 2006, Bl. 12 SH) - "offensichtlich unbeachtet" gelassen, dass die Beklagte vorgetragen habe, der Kläger habe im vorliegenden Rechtsstreit den ihn treffenden Teil der vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Insbesondere ist der Verfügung nicht zu entnehmen, dass der Richter "die von der Beklagten vorgetragenen Einwendungen und Einreden unbeachtet lassen will". Es war ersichtlich eine Beweisaufnahme über eine von der Beklagten behauptete (Teil)Erfüllung der Klageforderung in Aussicht genommen. Dies sagt noch nichts darüber aus, wie das Gericht über mögliche Einwendungen der Beklagten entscheiden wollte, wozu sich im Übrigen der Richter auch in seiner dienstlichen Äußerung vom 1. Mai 2006 (Bl. 15 SH) geäußert hat, indem er auf §§ 274, 322 BGB hingewiesen hat. Sofern dazu die Beklagte mit ihrem Schriftsatz vom 12. Mai 2006 (Bl. 23 SH) hat anmerken lassen, dass der Richter erst dadurch zum Ausdruck gebracht hätte, er beabsichtigte im vorliegenden Rechtsstreit eine Verurteilung Zug um Zug, woran er mit Blick auf § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ne ultra petita - sich nicht gehindert sehe, ist dies nicht nachzuvollziehen. Gerade der Beklagtenvertreter hatte sich in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2006 (Bl. 118 R. d. A.) gegenüber der Klageforderung "auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages" berufen. Dass eine Zug-um-Zug-Verurteilung ein "Weniger" gegenüber dem uneingeschränkten Klageantrag darstellt, wobei es dazu weder eines Antrages des Klägers noch des Beklagten bedarf (letzterer hat lediglich die Einrede zu erheben, was hier geschehen ist), liegt auf der Hand.

2. Auch die Verfügung von Richter am Landgericht ... vom 28. April 2006 (Bl. 161 R. d. A.) rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit.

Zwar liegt in der Verfügung vom 28. April 2006, mit der der Richter - im Hinblick auf das laufende Ablehnungsverfahren - den Termin vom 3. Mai 2006 aufgehoben und einen neuen Termin auf den 14. Juni 2006 unter Umladung der Zeugin und Fristsetzung zur Stellungnahme auf die Widerklage anberaumt hat, ein Verfahrensfehler, denn der abgelehnte Richter durfte nach § 47 ZPO nur solche Handlungen vornehmen, die "keinen Aufschub gestatten". Dazu gehört zwar die Aufhebung eines Termins, nicht aber die Terminsbestimmung - also auch die Neuanberaumung eines Termins - (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, § 47 Rdnr. 3 m. w. N.). Dieser Verfahrensfehler rechtfertigt indes hier ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit. Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung oder fehlerhafte Entscheidungen sind grundsätzlich nämlich kein Ablehnungsgrund (vgl. Zöller/ Vollkommer, ZPO, § 42 Rdnr. 28; sh. auch OLG Karlsruhe, NJWRR 1997, 1350; OLG Hamburg, NJW 1992, 1462, 1463 l. Sp.; OLG Köln, NJWRR 1986, 419,420 l. Sp.; OLG Köln, NJWRR 2000, 591, 592; OLG Brandenburg, NJWRR 2000, 1091). Verfahrensfehler lassen also einen derartigen Rückschluss nur in besonderen Fällen zu, wofür allerdings ein - insbesondere wiederholter - Verstoß gegen § 47 ZPO ausreichen kann (OLG Karlsruhe, NJWRR 1997, 1350). Dies ist etwa angenommen worden, wenn vor rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsgesuchs ein Urteil verkündet wird, das rechtskräftig werden könnte (OLG Bremen, OLGZ 1992, 485, 487), oder wenn der Richter durch schwerwiegende und/oder wiederholte Verstöße gegen die Wartepflicht den Eindruck hat entstehen lassen, dass ihm das Ablehnungsgesuch egal sei und er das laufende Ablehnungsverfahren nicht zu berücksichtigen brauche (vgl. OLG Brandenburg, NJWRR 2000, 1091, 1092).

So liegt es hier jedoch nicht. Der Richter hat auch nicht etwa mit der Terminsaufhebung einen "neuen Entscheidungstermin" angesetzt (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NJWRR 1997, 1350), sondern lediglich einen neuen Verhandlungstermin anberaumt, wobei offen geblieben ist, ob der Richter selbst oder (bei letztlich erfolgreicher Ablehnung) sein Vertreter diesen Termin wahrnehmen würde. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen OLG Köln, NJWRR 1996, 420, sowie OLG Hamburg, NJW 1992, 1463 (S. 2 des Schriftsatzes vom 2. Mai 2006, Bl. 17 d. A.). In beiden Fällen hatte der abgelehnte Richter massiv gegen die Wartepflicht verstoßen. Im vom Oberlandesgericht Hamburg entschiedenen Fall hatte der Richter nach dem Ablehnungsantrag die Sitzung zunächst unterbrochen und sodann verkündet, die Sitzung werde um 13:00 Uhr am selben Tag fortgesetzt, sodann weiter verhandelt, obwohl den Parteien die Gründe des das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschlusses noch nicht vorlagen; ferner hat er während des fortgesetzten Verhandlungstermins einen (weiteren) Ablehnungsantrag als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen und schließlich Termin zur Verkündung einer Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 331 a ZPO anberaumt. Auch im vom OLG Köln entschiedenen Fall war trotz des Ablehnungsgesuchs eine Sitzung, in der ein Sachverständiger angehört wurde, fortgesetzt worden, wobei dies ersichtlich keine "Eilmaßnahme" darstellte. Mit solchen Verfahrensweisen ist das Verhalten des abgelehnten Richters hier nicht vergleichbar.

Der Verfügung des Richters vom 28. April 2006 kann - entgegen der Annahme der Beklagten (S. 2 des Schriftsatzes vom 2. Mai 2006, Bl. 17 SH) - auch nicht entnommen werden, der Richter sei selbst davon ausgegangen, das Ablehnungsgesuch vom 27. April 2006 werde als unbegründet zurückgewiesen werden, "weshalb er an der weiteren Verhandlung und Entscheidung dieser Rechtssache nicht gehindert sei". Dass Richter am Landgericht ... selbst am 14. Juni 2006 verhandeln bzw. später entscheiden werde, lässt sich der Verfügung gerade nicht entnehmen. Ersichtlich wurde lediglich verhältnismäßig weiträumig ein neuer Termin anberaumt, bis zu dem von einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über das Ablehnungsgesuch (mit welchem Ausgang auch immer) gerechnet werden konnte. Richter am Landgericht ... hat zudem den Prozess auch insofern gefördert, als er den Beklagtenvertreter gebeten hat, seine Partei und die Zeugin I. P. von der Terminsverlegung zu verständigen und den Klägervertreter aufgefordert hat, zur Widerklage bis zum 22. Mai 2006 Stellung zu nehmen, sodass er gerade auch die Interessen der Beklagten insoweit gewahrt hat, als die von ihr benannte Zeugin zum neuen Termin geladen werden konnte, in dem dann auch Gelegenheit bestand, über die Widerklage des Beklagten zu verhandeln. Eine Benachteiligung der Beklagten ist daraus gerade nicht ersichtlich.

Neue Gesichtspunkte hat die Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 22. Juni 2006 nicht aufgezeigt. Wenn die Beklagte darauf abstellt, dass der Senat in seinem Beschluss vom 22. Mai 2006 (9 W 44/06) darauf hingewiesen hat, die Anberaumung eines Termins gehöre nicht mehr zu den Handlungen, die im Sinne des § 47 ZPO keinen Aufschub gestatteten, ist dies zwar zutreffend, belegt jedoch lediglich - wie soeben ausgeführt - einen Verfahrensverstoß des Richters, der aber nicht notwendig einen Grund für die Annahme abgibt, der Richter sei befangen. Diese Annahme ist stets von allen Umständen des Einzelfalls abhängig.

Soweit die Beklagte geltend machen lässt, eine Beratung der Anträge vom 27. April 2006 und 2. Mai 2006 habe "offensichtlich" nicht stattgefunden, bewegt sich die Beklagte ersichtlich im Bereich der Spekulation. Die Qualifizierung des Beschlusses als "offensichtlich gewollte Verhöhnung" entbehrt ebenfalls jeder Grundlage und ist grob ungehörig.

3. Der Wert des Verfahrens entspricht nach ständiger Rechtsprechung des Senats dem Wert der Hauptsache.

Ende der Entscheidung

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